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25. Januar 2016

Uhren aus Chistopol – Vostok Uhren des 21. Jahrhunderts

Filed under: СДЕЛАНО В CCCР - Made in USSR — Benzin @ 17:01

In den 70er Jahren war die Sowjetunion hinter der Schweiz der weltweit zweitgrößte Hersteller von Uhren. China war hier ausgenommen. Aus diesem damals gegen den Rest der Welt streng abgeschotteten Riesenreich  mit knapp unter einer Milliarde Einwohner gab es keine Zahlen. Was ist aus der einst großen und stolzen sowjetischen Uhrenindustrie geworden? Werden heute, im Jahre 2016, in diesem auch heute noch riesengroßen Land noch echte russische Uhren hergestellt? Realistisch gesehen schaut es heute mit der russischen Uhrenproduktion traurig aus. Ganze zwei Werke blieben übrig, und die nur in stark verkleinertem Rahmen. Fast wie durch ein Wunder haben Raketa in St.Petersburg und Vostok in Chistopol trotz Pleiten, Pech und Pannen überlebt. Von den anderen Herstellern existiert höchstens noch der Name.

my_ruskie_blog_vostok_new_001Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie Vostok überlebt hat. Nach dem Zerfall der Sowjetunion soll die einst riesige Fabrik in einzelne, kleinere Produktionseinheiten zerfallen sein, die sich hauptsächlich durch staatliche Aufträge über Wasser hielt, bis um 2010 herum der Bankrott erklärt wurde. Wie zu Sowjetzeiten ist auch zu diesen Vorgängen keine klare Information zu finden. Fakt ist, Banktrott hin oder her, dass Vostok in Chistopol noch immer Uhren baut. Vostok Chistopol ist trotz allem noch immer eine der wenigen Uhrenfabriken weltweit, die eigene Uhrwerke bauen.

Ich will davon Abstand nehmen, Vostok Uhren aus der Zeit von etwa Mitte der 80er Jahre bis gegen 2010 zu kommentieren oder gar zu bewerten. Ich kenne diese Uhren nicht, hab keine Erfahrung damit. Die Uhren vor dieser Zeit waren von hoher Qualität. Da konnte man den Sowjets nichts nachsagen. Was man so liest, soll sich gegen Ende der Sowjetzeit die einstige Qualität der Uhren stark verschlechtert haben, und dieser Zustand soll eine ganze Weile angehalten haben. Die Fabriken wussten teilweise nicht, wo das Material, noch dazu in guter Qualität, her nehmen, Arbeitern wurden teilweise keine Löhne mehr ausbezahlt, sie sollen sich dafür nach Schichtschluss selbstständig Uhren gebaut haben, um sie als Lohnersatz zu verkaufen. Es muß für alle eine sehr schwere Zeit gewesen sein. Heute, oder sagen wir, im Moment, kann man, ohne sich viel dabei zu denken, wieder Uhren aus Chistopol kaufen. Ich zumindest hab es probiert, und keine schlechte Erfahrungen damit gemacht. Hier ein paar Eindrücke:my_ruskie_blog_vostok_new_006

Nachdem ich mich für sowjetische Uhren und für die Geschichte der sowjetischen Uhrenfabriken zu interessieren begann, war es irgendwie naheliegend, dass ich früher oder später neugierig wurde, wie es ist, eine der modernen Dinger zu besitzen. Wie schauen die aus? Wie ist die Qualität? Taugt das was? Man kann das ja relativ einfach ausprobieren, denn teuer sind diese Uhren nicht. Man riskiert nicht viel dabei. Die Antwort ist ein klares Ja. Das taugt was. Nur muß man sich im klaren sein, was man da kauft. Und man muß für das tragen so einer Uhr die richtige Einstellung haben, den Prestige besitzen die keines. Ein schwaches Ego wird durch so eine Russenuhr kaum gestärkt. Man bekommt für sein Geld aber sehr viel praktischen Wert geliefert.

my_ruskie_blog_vostok_new_005Meiner Erfahrung nach handeln Uhrenkäufer nicht viel anders als Käufer von Motorrädern. Es sind da viel Gemeinsamkeiten. Es gibt Leute, die sich ein Motorrad nur deshalb kaufen, weil sie damit von A nach B fahren wollen, und weil ein Motorrad eine billige Möglichkeit ist, von A nach B zu fahren. Und es gibt Leute, die sich eine Honda NR 750 oder eine Ducati aus der Desmosedici Serie kaufen, die nicht nur ein Vermögen kostet, sondern im Fall der Honda auch noch den Nachteil mit sich brachte, dass es keine Ersatzteile dafür gibt. Aber es ist geil, so ein rares Stück zu besitzen, wenn man es sich leisten kann. Und es ist sicher nicht weniger aufregend, eine Grande Complication zu besitzen, die alle technisch möglichen Stücke spielt. Man kann eine Uhr aber auch nur deshalb kaufen, weil man wissen will, wie spät es ist. Dazwischen gibt’s gottlob noch reichlich Schattierungen, um sich auf zwei Rädern auszutoben oder sich eine Uhr nach eigenem Geschmack zu kaufen. Vor allem muß man nicht von allem den Sinn hinterfragen.my_ruskie_blog_vostok_new_007

Ich rede hier nur über die Modelle, die ich selber besitze, also vor allem über Komandirskie und Amphibia mit Hand- und Automatikaufzug sowie über meine beiden dicken Brummer aus der Megapolice Serie, ebenfalls mit Automaitk-Aufzug. Also, was kann  ich über diese Uhren sagen?

Die Uhren der Komandirskie Serie entsprechen vom Design des Ziffernblattes und von der Größe her weitgehend den Uhren, wie sie in der Sowjetunion gebaut wurden. Es gibt sie mit dem Handaufzugskaliber 2414A ohne Datum und mit dem Automatikkaliber 2416B mit Datum, wobei die Uhren mit Handaufzug noch einfacher gestaltet und schon für unter $30.- zu haben sind. Die Automatik Uhren kosten je nach Modell um die $50.- bis zu rund $80.- plus Versand, sofern man sie bei “Chistopolcity.com” kauft. Ich hab auch mit zwei Händlern aus Moskau gute Erfahrungen gemacht, die die selben Uhren um ein paar Dollar teurer verkaufen.

my_ruskie_blog_vostok_new_009Bei den Ziffernblättern kann man auch heute noch unter zahlreichen Versionen wählen, die unterschiedliche Motive zeigen, die alle einen Bezug zu militärischen Waffengattungen haben. Wie früher. Den Komandirskies der Sowjetzeit sagte man ja nach, sie seien an die Soldaten der roten Armee ausgegeben worden, was allerdings nicht stimmt. Zu keiner Zeit wurden in der Sowjetunion Uhren an Truppen ausgegeben, aber kaufen konnte man sie. Entweder in besonderen Geschäften, in denen man sich als Armeemitglied ausweisen mußte, oder am “freien Markt”, sofern man Uhrengeschäfte der Sowjetunion als freien Markt bezeichnen konnte. Die Uhren der Sondergeschäfte trugen die Aufschrift ЗАКАЗ МО СССР, was übersetzt “Auf Bestellung des Verteidigungsministerium” bedeutet und wahrscheinlich zur oben erwähnten, fälschlichen Annahme führte, oder es stand Сделано в СССР drauf, Made in SSSR oder Made in UdSSR, was das gleiche ist. Beide Bezeichnungen gibt’s natürlich heute nicht mehr. Auf den russischen Uhren steht heute natürlich Сделано в России drauf. Made in Russia.my_ruskie_blog_vostok_new_003

Die Lünette lässt sich heute genauso noch ohne Rastung in beide Richtungen drehen wie früher. Diese Lünetten lassen sich auch ganz einfach mit Hilfe eines Messers austauschen. In einer Nut liegt ein gebogener Draht aus Federstahl, der die Drehung erleichtert. Zubehör-Lünetten gibts im Internet für Komandirskie und Amphibia. Ich hab mich selber schon damit gespielt, wie man an den beiden Amphibias sehen kann. Auch die Zeiger der modernen Komandirskie haben noch die gleiche Form wie früher. Der Augenfälligste Unterschied ist der fehlende Kronenschutz der modernen Uhren mit Automatikwerken, was früher ein Merkmal der Amphibia Modelle war. Bei den Komandirskie mit Handaufzug gibts diesen Kronenschutz heute auch noch. Die Wasserdichte wird mit 30m angegeben. Alle Automatikkaliber verfügen über eine Schraubkrone. Datum-Schnellverstellung im herkömmlichen Sinn gibt’s keine, es geht aber trotzdem einigermaßen flott. Man muß nur den Stundenzeiger über die 12 drehen, also über Mitternacht, damit das Datum wechselt, dann dreht man ungefähr bis 22:00 Uhr zurück und wieder über die 12 vor. Scheint ein wenig mühsam, ist es auch, aber es geht. Mir macht das nichts mehr aus, ich stell das Datum an nur wenigen Uhren genau ein, und nur dann, wenn ich vor hab, sie länger als einen oder zwei Tage zu tragen.

my_ruskie_blog_vostok_new_011Die Uhren der Amphibia Serie haben mit den alten Taucheruhren aus der Sowjetzeit nicht mehr viel gemeinsam, selbst wenn sie einigen Modellen auf den ersten, oberflächlichen Blick sehr ähnlich sind. Die modernen Uhren sind vor allem größer und schwerer. Eine moderne Amphibia mit dem 100er oder 110er Gehäuse ist ein ganz schöner Brocken. Auch hier gilt, einige Ziffernblätter haben mit den alten Ziffernblättern aus der Sowjetzeit eine gewisse Ähnlichkeit, vor allem die sogenannte “Radio Room”, also die Uhr für Schiffsfunker, mit den roten Markierungen, die anzeigten, wann und für wie lange der Funker auf die Notruffrequenz umschalten musste, um eventuell Schiffbrüchigen zu Hilfe zu kommen. Das war nach dem Unfall der Titanik international so eingeführt worden. Die Zeiger der neuen Amphibia entsprechen ebenfalls ziemlich genau denen der alten Serien. Auch diese Uhren besitzen eine Schraubkrone und eine in beide Richtungen ohne Rastung drehbare Lünette. Sie sind bis 200m wasserdicht und kosten, ja nach dem, wo man sie kauft, von rund $60.- bis um die $80.- ohne Versand.my_ruskie_blog_vostok_new_011_2

Die Uhren der Megapolice Serie scheinen generell ziemliche Brocken zu sein. Ich hab zwei davon. Beide beherbergen das Automatikkaliber 2416B mit 31 Lagersteinen, sind nicht nur optisch groß, sondern auch relativ hoch, lassen sich beide aber erstaunlich angenehm tragen! Besonders beim Modell mit Stahlband war ich angenehm überrascht, wie gut sie sich trägt. Dazu muß man aber das Uhrband an das Handgelenk anpassen, was sich mit einfachen, selbst geschnitzten Werkzeugen ganz leicht selber im Wohnzimmer machen lässt. Im Originalzustand war mir dieses Uhrband um einiges zu lang, was bei diesem Gewicht unangenehm ist. Besonders funktionell finde ich an der Uhr mit Stahlband die Faltschließe mit Sicherheitsbügel und Schnappverschluß, was heißt, selbst wenn man sich irrtümlich den Sicherheitsbügel aufklappt, fällt die Uhr nicht vom Handgelenk, weil man vorher eine beidseitige, gefederte Sicherung drücken muß. Irgendwie hab ich einen echten Narren an diesen beiden Uhren gefressen.

Was gibt es sonst noch zu sagen?
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Dass ich diese Uhren recht gerne trage, sagte ich schon. Die Amphibia Modelle trag ich gerne, wenn raue Bedingungen zu erwarten sind, das heißt, auch bei Motorradtouren und schlechtestem Wetter. Da fühlen sich die Ruskie offenbar am wohlsten, hab ich das Gefühl. Alle Uhren waren aus der Schachtel heraus ausgesprochen ganggenau. Das sie eine Einlaufzeit brauchen, um einigermaßen genau zu gehen, wie ich das schon las, konnte ich nicht beobachten. Ich weiß ehrlich gesagt auch gar nicht, wie genau sie wirklich gehen, weil ich das noch nie gemessen hab. Oder fast noch nie. Zum Spaß schon, ab und zu. Grade bei alten Zwiebeln. Eine rund 40 Jahre alte Raketa hat bei meinen alten “Russen” sicher den Vogel abgeschossen, indem sie in 5 Tagen um sage und schreibe 2 Sekunden vor ging. Genauer geht mein Schweizer Chronometer auch nicht. Ansonsten hab ich in meinem Leben noch nie eine Situation erlebt, wo die Uhr an einer Verspätung meinerseits Schuld gewesen wäre. In solchen Situationen wusste ich meistens gar nicht, wie spät es ist, weil ich nicht auf die Uhr geschaut hatte, oder ich hatte mich in der Planung verschätzt. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass ich Uhren tagelang auf ihre Ganggenauigkeit beobachte. Vielleicht auch noch in unterschiedlichen Lagen? Niemals. Ich fotografiere mit meinen Kameras und Objektiven auch keine Fliesen- oder Ziegelwände, um die Verzerrung der Objektive festzustellen, wie das offenbar andere gerne machen. Wer schaut sich schon Bilder mit Fliesen- oder Ziegelwände an? Diese Uhren gehen so genau, dass mir ein paar Sekunden mehr oder weniger innerhalb ein paar Tagen einfach nicht auffällt, und das reicht für mich. Wären sie wirklich ungenau, würde das auch mir auffallen. Uhren aus Chistopol kann ich ohne Bedenken jederzeit empfählen. Selbst im Anzug. Wer trägt schon eine Russin?

Ps.: Die Firma Vostok Europa hat mit den russischen Vostok Uhren aus Chistopol nichts zu tun!

Einen schönen Tag noch………………..

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