28. März 2009: Bis halb zwei Uhr morgens las ich, wieder einmal, wie gebannt und konnte mich nicht entschließen, endlich das Buch beiseite zu legen, das Licht zu löschen und zu schlafen. Wozu auch? Nächsten Tag würde ich Nachtschicht haben, also war es egal. Wenn ich wollte, konnte ich den ganzen nächsten Tag im Bett verbringen, niemand würde sich daran mokieren.
Fast täglich lese ich. Mehrere Tage ohne Lesen sind für mich fast so unvorstellbar wie mehrere Tage nichts Essen. Lesen ist eine Leidenschaft, mindestens genau so stark wie meine Leidenschaft fürs Motorrad fahren. Ganz besonders hat es mir in letzter Zeit Peter Egan mit seinen Geschichten rund ums Motorrad oder um alte Autos, speziell alte englische Autos, angetan. Egan versteht es meisterhaft, den Leser zu unterhalten, auf Themen rund um unsere geliebten Vehikel aufmerksam zu machen oder, mit manchmal bissigen Kommentaren, Ereignisse zu erörtern. Ich liebe seine Schreibe! Eigentlich schade, dass ich alle seine Bücher schon besitze, wenn ich auch noch nicht alle gelesen hab. Gottlob, sonst dürfte ich mich ja nicht mehr auf neue, mir unbekannte Geschichten freuen. Aber leider weiß ich jetzt, dass es nicht noch mehr davon gibt und muß sehnsüchtig warten bis, hoffentlich bald, wieder ein neues Buch erscheint. Gegen halb zwei sank ich, das Buch beiseite legend, aber doch ich in tiefen Schlaf.
Pünktlich um 6 Uhr war ich wieder wach. Nur, wozu das gut sein sollte, das war mir noch nicht klar. Ich würde ja erst um etwa 21 Uhr in die Firma fahren müssen, ergo? Nun, so unsinnig war es vielleicht gar nicht, denn, sehr zu meiner Überraschung, war der Himmel wunderbar blau, die Vögel zwitscherten und die Sonne lachte. Und das um diese Zeit! Vor kurzem war es um sechs Uhr noch stockdunkel! Die letzten Tage hörte man um diese Zeit weniger das zwitschern der Vögel als das scharren der Eiskratzer, wenn die Nachbarn zur Arbeit fuhren. Es war ständig Sau kalt. Kaum stiegen die Temperaturen auf über 0C°, an Motorrad fahren war nur ganz selten zu denken, und wenn es gegangen wäre, musste ich meistens zur Arbeit. Nützt ja nichts, auf den Bäumen im Garten wachsen keine Geldscheine und Motorrad fahren kostet nun mal Geld.
Ich mach´s kurz. Es dauerte noch bis 8:15 Uhr, bis ich mich in Schale und auf die FZR1000 schmiss, denn so lange dauerte es, bis sich die Temperaturen in einen angenehmen Bereich bewegten. Zumindest so angenehm, dass ich ohne dicke Handschuhe fahren können würde. Mit der 1000er mag ich das gar nicht leiden, dick bekleidet mit pampigen Handschuhen zu fahren. Aber ich hätte ja noch die XJR. Die kleine RD ist im Moment leider eine Immobilie, nachdem der Motor eingegangen ist und auf seine Reparatur wartet. Wozu ich im Moment überhaupt keine Lust hab´.
Dies sollte übrigens meine erste richtige Ausfahrt mit der FZR werden, seit ich sie umgebaut, oder besser gesagt, etwas modernisiert hab. Generalüberholung des Fahrwerkes wäre eigentlich der richtige Ausdruck für diese Aktion, aber man kann es durchaus als etwas mehr sehen. Die Arbeiten waren ja doch recht umfangreich. Wenn ich so weiter mache mit der Schreiberei, wird diese Geschichte bestimmt auch mehr als umfangreich, und außer mir wird es niemand mehr lesen wollen, fürchte ich. Also zur Tour und dem Grund, warum ich sie „Von der Donau nach Sibirien in weniger als zwei Stunden“ nenne.
Ich hatte mir in den zweieinhalb Stunden, die ich jetzt wach war, noch keinerlei Gedanken gemacht, wo mich den die Fahrt hinführen sollte. Ich wusste nur, dass ich fahren würde und dass ich die FZR nehmen würde. Im Hinterkopf geisterte immer wieder der Zellerain herum, aber der Blick ins Internet und auf die Wetterseiten des Teletext ließen mich zaudern. Da drinnen, an der Steirisch – Niederösterreichischen Grenze war es noch bitter kalt. Aber im Donautal waren die Temperaturen recht erfreulich, also zog ich der Wachau entgegen.
Über Amstetten, der Bundesstraße 1 folgend, erreichte ich rasch Melk und bog dort auf die B33 ab, auf die Straße, die neben der Donau durch die malerische Wachau führt. Tatsächlich, genau wie die Wetterfrösche geweissagt hatten, war die Luft hier herrlich warm. Wenn auch in schattigen Abschnitten durchaus mit Nässe zu rechnen war, was mich zu eher vorsichtigen Gangart veranlasste. Ich konnte mir kaum etwas schlimmeres vorstellen, als das neu aufgebaute Motorrad jetzt aus Blödheit zu schrotten.
Immer wieder ertappte ich mich dabei, den Blick gen Süden zu richten, dorthin, wo der Ötscher steht und dahinter sich der Zellerain verbirgt. Seltsam, bis Krems, etwa um die 80km von daheim entfernt, war mir erst ein einziger Motorradfahrer begegnet. Und das an einem so schönen Samstag Morgen. Natürlich, wie könnte es anders sein, saß der auf einer – BMW. Tatsächlich! Es ist scheinbar egal, ob das Wetter schlecht ist oder es ist früh am Morgen, in über 90% solcher Fälle sind es BMW Fahrer, die mir begegnen. Irgendwie muß etwas dran sein an der Mähr, dass BMW Fahrer bei jedem Wetter und zu jeder Tageszeit fahrfreudiger sind als die meisten Fahrer anderer Marken. Vielleicht mit Ausnahme von Fahrern japanischer Motorräder, sonst läge ich ja selber noch im Bett und könnte von diesem Phänomen nicht berichten. Hmmm, irgendwie passt mir da etwas nicht zusammen, aber ich schweife schon wieder ab……….
Ich genoss bei einigen Pausen den Sonnenschein, die schöne Gegend und den spärlichen Verkehr und hatte bald wieder die Donaubrücke bei Persenbeug erreicht, die ich auch gleich überquerte. Eigentlich hatte ich vor, über Grein wieder heimwärts zu fahren, aber da war noch immer der Zellerain im Hinterkopf. Ein Gedanke, der mich einfach nicht los ließ. Es war gegen halb elf, also sollte es auch da drinnen schon warm sein, dachte ich, und gab Gas.
Recht flott hatte ich Gaming erreicht. Dort war es an der Zeit, den Tank zu füllen, denn die ersten 200km hatte ich da schon – fast – heruntergedreht. Mit vollem Tank ist gut fahren, und so erklomm ich den Grubberg auf seiner kurvenreichen und feuchten Bahn. Bahn war dann auch das Wort des Tages. Bobbahn, um genau zu sein, den ab der Grubberger Höhe tauchte ich in eine andere Welt ein.
Unglaublich, vorhin war ich noch in grüner Gegend herumgekurvt, jetzt befand ich mich plötzlich in einer tief verschneiten Winterlandschaft, die, das muß ich allerdings betonen, im Sonnenlicht einfach Märchenhaft aussah! Von Kälte keine Spur, das war das Tüpfchen am i dieser Tour. Ich könnte mich jetzt in Schwärmerei verlieren und Ausdrücke gebrauchen, dass sich alte, verblichene Kitschroman- oder Buchautoren im Grabe umdrehen, aber ich lasse das lieber bleiben. Die Landschaft war schon kitschig genug. Aber kitschig schön!
Die steilen Abbrüche des Scheiblingstein, an denen man hier vorbeikommt, sahen aus wie die Schneeschwangeren Hänge der Diamir Flanke am Nanga Parbat(die ich, leider, noch nie in Wirklichkeit gesehen hab), wenn auch etwa 2km niedriger, und immer wieder leuchte der Ötscher in seiner weißen Pracht herüber, als wäre es der Everest höchstpersönlich (den ich auch gerne wirklich, und nicht nur auf Bildern, sehen würde). Oft genug wollte ich anhalten, um zu fotografieren und die Gegend zu bewundern, aber ich getraute mich nicht, zwischen den Schneewänden stehenzubleiben. Hinten nachfahrende Autofahrer hätten mich ja wegen der Schneewände nicht gesehen. Die Gefahr, in die ich mich und sie gebracht hätte, war einfach zu groß. Die Plätze, an denen man im Sommer anhalten kann, die gab es nicht mehr. Alles neben der Straße war Meter hoch mit Schnee bedeckt, wie ihn die Schneepflüge und Schneefräsen angehäuft hatten.
Neuhaus, die kleine und nur mehr von wenigen Menschen bewohnte, alte Holzfäller Siedlung nahe der Steirischen Grenze, in der schneereichsten Gegend Ostösterreichs gelegen, war direkt unwirklich märchenhaft. Nicht nur vor und nach der Ortschaft türmt sich der Schnee links und rechts der Straße, sogar im Ort selber. Aus manchen Häusern könnten, sofern sie bewohnt wären, die Leute gar nicht heraus, so hoch ist alles verschüttet mit der weißen Pracht, und vom Kirchendach war wohl, wie die halb verschüttete Fahrbahn zeigte, eine gewaltige Dachlawine abgegangen. Schaurig der Gedanke, dass diese Lawine jemand hätte treffen können und einen von einem Augenblick auf den anderen ins Krankenhaus, oder ins Jenseits, befördert.
Beim Gasthaus auf der Passhöhe kehrte ich natürlich ein. In Ermangelung von Gartenmöbeln, die ansonsten im Gastgarten stehen – aber jetzt unter einer hohen Schneedecke begraben waren – trank ich den Kaffee im Freien stehend, die Tasse am Pfeiler des Gartgenzaunes abgestellt, und bewunderte die wunderschöne Landschaft. Dann machte ich mich wieder auf, dem Erlaufsee entgegen, der heute wie eine riesige, verschneite Wiese aussah. Er ist zugefroren und Leute wandern am Eis herum.
Nirgends änderte sich das Bild, überall meterhohe Schneewände am Straßenrand. So fuhr ich durch die Bobbahn den Josefsberg hinauf, drüben nach Wienerbruck hinunter und folgte ab Reith der B28 über Puchenstuben nach St.Anton an der Jessnitz. Kaum war ich durch die Steinleiten, einer alten Bergrennstrecke, gefahren, war die Welt neuerlich wie verwandelt. Kein Schnee weit und breit, nur mehr grüne Wiesen. Als wäre man durch ein Wurmloch in eine andere Welt gereist, oder so ähnlich.
Dermaßen extreme Unterschiede kann man hier, eigentlich, nur selten erleben. Entweder ist alles verschneit, wie in den letzten strengen Wintern (die aber schon eine Weile zurückliegen), oder die Wiesen sind schon im Jänner grün, sodaß ich um diese Jahreszeit schon mehrere tausend Kilometer mit den Motorrädern abgespult habe. Aber heuer ist das etwas anders. Gestern beispielsweise, 2 Tage nach dieser Tour, hatte es selbst hier in Amstetten, auf einer lächerlichen Seehöhe von ganzen 275m, wieder geschneit. An Motorradfahren wäre nicht zu denken gewesen. Darum freut es mich umso mehr, dass ich am 28. März um 6 Uhr morgens wach wurde und auf 320km diesen schönen Tag mit meiner FZR1000 genießen konnte.