Mittwoch, 21. September.
Es wurde gottlob wieder wärmer. Die letzten Tage waren unglaublich kalt. So kalt, dass wir daheim die Heizung aufdrehten. So kalt, dass der Wetterbericht von Schneefällen bis zu 900m hinunter sprach. „Na habe die Ehre“, dachte ich mir, „jetzt geht das schon wieder los“. Noch im Mai waren die höheren Berge (bis 2500m hier im Osten) weiß vom Schnee, und jetzt, vier Monate später, sollte es schon wieder schneien? Ich konnte es nicht glauben. Hier in Amstetten haben wir auch tatsächlich nichts von einem Wintereinbruch bemerkt, nur im Teletext las ich, dass in Tirol Schwalben notlanden mussten, weil sie vom Winter überrascht wurden. Wobei, ja klar, wie schon oben gesagt, die Kälte spürten wir schon. Aber Schnee? Keine Spur davon. Darum freute ich mich auf wärmere Witterung, denn ich hatte (bzw. hab noch immer) Urlaub und große Lust auf Motorradfahren. Und dann das! Aber es wurde ja schon wieder wärmer.
Amstetten – B121 Weyer – B115 Altenmarkt – B117 Admont – B146 Liezen – Stainach/Irdning – Öblarn – Stein an der Enns – Großsölk – Sölkpaß 1790m – Schöder – L501 – B96 Murau – Laßnitz – St.Lamprecht – Neumarkt in der Steiermark – B92 Hüttenberg – L91 Löllinggraben – Klippitztörl 1644m – B78 Bad St.Leonhard – Obdacher Sattel 955m – Zeltweg – Fonsdorf – L503 Pöls – Katzling – B114 Möderbrugg – Hohentauern 1274m – Trieben – Kaiserau – Admont – B117 Altenmarkt – B115 Weyer – B121 Amstetten
Streckenlänge: 451km
Eigentlich hatte ich überhaupt nicht vor, schon wieder zum Sölkpaß zu fahren. Den fuhr ich heuer sicher schon fünf mal, erstmals am 9. Mai, kurz nachdem die Wintersperre aufgehoben war. Da waren die Berge im Sölktal noch weiß. Diesmal kam das zufällig zustande. Oder sagen wir so, es war naheliegend, nachdem ich auf der Fahrt nach Admont die Berge Richtung Schladming gesehen hatte, denn eigentlich wollte ich nur zum Klippitztörl fahren.
Als ich gegen 9 Uhr vom Bachlerhof wegfuhr, denn meinen Morgenkaffee ließ ich mir natürlich nicht entgehen, und den trink ich vor einer Tour immer beim Bachler, war es erstaunlich warm. Ich dachte, es wäre noch kälter, hatte mich warm angezogen und die XJR genommen, denn die hat Heizgriffe. Bis zur Anfahrt zum Buchauersattel war´s recht angenehm, aber droben änderte sich das schlagartig. Es wurde saukalt und neblig. Es wurde so kalt, dass ich mit Vergnügen die Griffheizung aufdrehte, um die Finger zu wärmen. Sicher, ich hätte auch wärmere Handschuhe mit gehabt, aber zum Stehenbleiben und umziehen war ich zu faul. So schlimm war´s Dank Heizgriffe ja auch wieder nicht.
Bei der Abfahrt vom Sattel sah ich es dann. Genau genommen war es mir schon bei der Fahrt durch´s Ennstal aufgefallen, aber ich dachte mir nicht viel dabei. Die Berge waren oben weiß. Die waren aber auch gut 1500m hoch, also wunderte mich das nicht besonders nach der Kälte der letzten Tage. Auf der Admont zugewandten Seite des Buchauersattel sah die Welt allerdings ganz anders aus! Durch den Nebel schien mir, der Schnee war hier wesentlich weiter herunten! Genauer konnte ich das leider nicht erkennen, denn nach der letzten Kehre tauchte ich im Nebel ein, der die Sache noch um eine Spur kälter gestaltete.
Kaffee und Rauchpause bei der Tankstelle in Admont. Ich saß draußen auf der Bank und starrte in den Nebel. Gleich gegenüber der Straße, wo man normal schön zur Haller Mauer sieht, fing die weiße Wand an. Nicht einmal die Wiese konnte man sehen. Dann überlegte ich. „Wenn´s hier so kalt ist, was ist dann am Sölkpaß? Ob der offen ist? Oder liegt dort gar Schnee?“ So wurde ich neugierig. Normal wäre ich jetzt über die Kaiserau nach Trieben und über Hohentauern nach Möderbrugg, Scheifling und Neumarkt gefahren, aber was, wenn am Sölkpaß Schnee lag? Wenn dort Schnee lag, und der Paß nicht gesperrt, sondern befahrbar war? Das wäre nach den Sommermonaten der erste Schnee für mich. Das konnte ich mir doch nicht entgehen lassen! Mein Entschluß stand sofort fest: „Ich fahr zum Sölkpaß, Schnee schauen.“
Gleich nach Hall wurde der Nebel lichter, und der Schnee lag immer weiter herunten, statt oben auf über 1500m. Bald schien es mir so, als hätte es über Nacht direkt ins Ennstal geschneit, so klein waren die Hügel, auf denen das weiße Zeug lag. Aber wenn auch die winterliche Pracht weit herunten lag, die Temperatur stieg merklich. Bald war die Griffheizung wieder abgestellt, sonst hätte es mir die Finger gegrillt. Gleich beim Bahnübergang nach Espang, dem kleinen Ort, wo ich bis heute nicht weiß, ob in dem „Radarkasten“ wirklich ein Radar steckt, oder ob das nur eine Attrappe ist (weil der Kasten so grob geschnitzt ausschaut) hielt ich nochmals eine Rauchpause und bewunderte den Grimming, dessen steile Flanken von dort recht grimmig ausschaut. Besonders, wenn er angezuckert ist, wie das diesmal der Fall war. Dann wurde es Ernst. Ist der Paß gesperrt? Dann muß ich umdrehen. Oder ist er befahrbar?
Auf der Tafel in Stein an der Enns stand nichts von einer Sperre, also bog ich zum Sölkpaß ab. Dann, wenige Meter nach der Tankstelle ein Schild: „Sölkpaß gesperrt!“ „Kann schon sein“, dachte ich mir, „aber das will ich sehen! Solange da keine Schranke geschlossen ist, fahr ich weiter.“ So fuhr ich recht einsam, verdächtig einsam, ins Sölktal hinein. „Komisch, da sind aber heute wenige unterwegs“, schwant mir böses, ich fuhr aber weiter. Beim Ödwirt, weit vor St.Nikolai war ich mir nicht mehr so sicher, dass ich da recht weit kommen werde. Ich hab zwar keine Ahnung, wie hoch das schon liegt, aber nicht nur die Dächer der Häuser waren voll Schnee, sondern auch die Wiesen rundherum. Ich fuhr praktisch in einer Winterlandschaft. Das war wunderschön, keine Frage. Allerdings, „wenn es hier schon so winterlich ist, wie schaut dann die Straße zum Paß aus?“, fragte ich mich. Eine Sperre schien mir immer wahrscheinlicher, je höher ich kam. Dann St.Nikolai im Sölktal, das scharfe Eck, wo es zur ersten Alm nach hinten geht, und die Tafel: „SÖLKPASS GESPERRT!“ Merde!
Grade wie ich recht belämmert auf diese Tafel schau, kommt ein Auto der Straßenverwaltung daher, hält an, die Besatzung steigt aus, und schaut mich an. „Was ist, kann man da fahren oder ist wirklich gesperrt?“, frag ich sofort. „Sicher kannst du fahren“, sagt einer. „Ab Mittag (es war etwas nach 11 Uhr) ist sowieso offiziell wieder offen.“ „Ach, dann kann man da wirklich fahren? Das geht?“, frag ich nochmals etwas vorsichtig. „Hey Alter, ich hab keine Winterreifen oder gar Schneeketten mir“, dachte ich mir da, aber die grinsen alle nur und deuten, ich soll weiterfahren. Einer meint noch, „das kostet aber einen Zwanziger“, dann hau ich den ersten Gang rein und fahr weiter. „Juchuuuu, ich fahr jetzt über den schneebedeckten Sölkpaß, und zwar ganz alleine!“ Das war schön. Unten in Stein hatten sich scheinbar ja auch zwei Gummikuhfahrer zum Paß aufgemacht, aber als sie die Tafel von wegen Streckensperre sahen, drehten sie um. Da hatte ich schon gelacht, denn so ohne weiteres geb ich nicht auf, aber jetzt lachte ich noch mehr. Ich war ganz alleine am Sölkpaß unterwegs!
Na ja, so ganz alleine war ich nicht. Am Anfang schon, da sah ich zumindest weit und breit niemand. Es war herrlich, wunderbar, bezaubernd und traumhaft. Ganz ruhig, kein Motorgeräusch, kein gar nichts. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich anhielt, fotografierte, schaute, mich einfach freute, hier zu sein. Ich hatte die Handschuhe ausgezogen und in den Tankrucksack gesteckt, die Jacke und die Lederkombi offen, und trotzdem war es nicht kalt. Im Gegenteil, je höher ich kam, desto wärmer wurde es. Seltsam! Es wurde so warm, dass ich mir dachte „wenn das so weitergeht, dann gibts hier in wenigen Stunden keine einzige Schneeflocke mehr!“ Aber noch war ich in einer bezaubernden Winterlandschaft unterwegs. Zwischen den beiden ersten Kehren überholte ich zwei Radfahrer, und als ich oben bei der letzten Kehre stand und ein Zigarrette rauchte, kamen auch die Gummikuhfahrer angerauscht. Die hatten aber scheinbar kein Auge für die Schönheit der Winterlandschaft, denn brumm, und weg waren sie. Na, egal. Ich hatte wieder meine Ruhe.
Gleich nach der Paßhöhe, auf der Südseite, wurde es grün, von Schnee weit und breit keine Spur. Na bum, da hab ich geschaut. Es war, als hätte man irgend eine Grenze überschritten. Wie in einer anderen Welt. Auf keinem einzigen Berg im Süden war Schnee zu sehen! Komische Welt. Im Kurvengeschlängel kaum 400m nach der Paßhöhe lagen die Kühe auf der Straße und sonnten sich. Relativ weit unten kamen mir ein paar Motorrradfahrer entgegen, da dachte still bei mir, „die werden sich wundern, wie´s da oben ausschaut. Die haben keine Ahnung, dass dort oben Winter ist!“ Dann fuhr ich weiter, dem Klippitztörl entgegen, und vollendete meine ursprünglich geplante Tour. Kein einziges Fleckchen Schnee sah ich mehr, es war immer angenehm warm. Ja, ich traute kaum meinen Augen, als ich aus der Kaiserau wieder nach Admont zurück kam. Der dichte Nebel vom Vormittag spurlos verschwunden, die Haller Mauer stand wie zum Greifen nahe in der strahlenden Sonne. Es war so lange sonnig und warm, bis ich aus dem Ennstal nach Weyer abbog. Dort saß ich in einem Gastgarten, trank einen Kaffee und fragte mich, ob der Nebel schon den ganzen Tag über die Ortschaft verdunkelte. Es war nicht kalt, aber zappenduster. Wer diesen Ort den ganzen Tag nicht verlassen hatte, könnte direkt trübsinnig werden ob des Kackwetters, dabei herrschte ein paar Kilometer weiter südlich Kaiserwetter. Der Nebel hielt sich auch hartnäckig für die restlichen Kilometer, die ich noch zurückzulegen hatte, dann war eine wunderschöne Tour zu ENDE.
Die Anfahrt nach Admont aus der Kaiserau. Hinten die Haller Mauer.