Ceská republika
Wie lange hatte ich mir nicht schon vorgenommen, wenigstens einmal einen kurzen Ausflug nach Budweis zu machen. Eigentlich hatte ich das mit der Bahn geplant, denn ich fahre gerne Eisenbahn. Die Tschechoslowakei war für mich, solange der eiserne Vorhang existierte, ein weißer Fleck auf der Landkarte, den ich, solange es dieses Regime gab, auch nie erkunden wollte. Die tschechischen Kommunisten kamen, was Brutalität anbelangte, für mich gleich nach den ostdeutschen Kommunisten, von deren Schikanen man ja oft genug lesen konnte. Was daran wahr war, wusste ich nicht und weiß ich bis heute nicht. Ich war in meinen Vorurteilen genau so gnadenlos wie die tschechischen Grenzer im Gebrauch mit der Waffe.
Dass Böhmen einmal zu Österreich gehörte, lernten wir in der Schule ebenso wie den Umstand, dass in Prag ständig jemand aus einem Fenster gestürzt wurde. Den „Prager Frühling“ hab ich sogar selber noch in guter Erinnerung. Mit Prag verbinde ich außerdem noch die Eishockey WM von 1972, als die Tschechen vor den Russen gewannen. Mehr wusste ich über dieses Land nicht, und mehr wollte ich auch nicht wissen.
Wahnsinn, wie die Zeit vergeht und was sich alles ändert. Heute existiert zwischen Österreich und der Tschechischen Republik keine geschlossene Grenze mehr. Die Zäune sind weggeräumt, die Schranken, sofern sie noch stehen, sind offen, das Personal ist abgezogen. Niemand mehr da, der den bösen kapitalistischen Klassenfeind vom Eindringen ins gelobte Land (oder die einheimische Bevölkerung vor´m abhauen) abhalten will. Alle haben ein EU-Kennzeichen und die tschechischen Dörfer werden langsam immer schöner. Ich gönne es ihnen von Herzen.
Meine erste Begegnung mit der Tschechei hatte ich am 22. September 2007. Ich war einfach neugierig, wie es da drüben ausschaut. Als Ziel hatte ich mir den Moldau-Stausee ausgesucht und ich muß sagen, die kleine Tour war sehr schön. Damals stand sogar noch ein Grenzbeamter auf beiden Seiten eines allerdings auch schon offenen Schranken. Keiner wollte was von mir, keiner hielt mich auf. Man winkte mich durch. Ich sah mit eigenen Augen, da waren tatsächlich keine Kommunisten mehr. Da wurde man nicht mehr schikaniert, gefilzt und was weiß ich was.
Nein, ich bin nicht weltfremd, und ich hab auch keine Grenzphobie! Ich war damals, zu kommunistischen Zeiten in Ungarn – die hab ich nie als wirklich Fremde gesehen – in Jugoslawien – die aufgrund der zahlreichen netten und fleißigen Gastarbeiter und der Urlaube in Jugoslawien noch weniger – in Bulgarien, und nirgends ist mir was passiert. Aber vor den Tschechen hatte ich ungefähr so Bammel wie vor den Ostdeutschen. Nicht vor der Bevölkerung, um Himmels Willen! Vor den Beamten, den Schergen des Apparates hatte ich Angst. Die es allerdings 2007 auch schon 16 Jahre nicht mehr gab. Und die Tschechoslowakei, wie ich sie zu kennen glaubte, die gab´s ebenfalls nicht mehr. Tschechien, wie es heute heißt, und die Slowakei teilten sich 1993 auf friedliche Weise in zwei getrennte Staaten.
Die Moldau-Runde fuhr ich schon ein paar Mal, in Krumlov, dieser wunderschönen Stadt, war ich auch schon öfters. Diese Tour sollte es mich nach Budweis bringen. Aus reiner Neugierde, wie ich schon gesagt.
Ich packte einfach eine GoreTex Jacke in den flachen Tankrucksack, schraubte das Navi an die Verkleidungsstrebe der Ace und fuhr los. Zuerst über allerlei Nebenstraßen bis zur Donaubrücke bei Mauthausen, dann mehr oder weniger querfeldein bis Freistadt, wo ich einen taktischen Tankstop einlegte, weil ich bei den Tschechen nicht tanken wollte. Fast hätte ich mich geschämt, denn nach 75 gemütlich gefahrenen Kilometern passten grade einmal so um die 3 Liter in den Tank. Dafür kaufte ich noch eine Flasche Fruchtsaft und ein paar Kekse als Reiseproviant. Hier schaltete ich auch erstmals das Navi ein.
Oh, natürlich braucht man für die Fahrt nach Budweis kein Navigationsgerät. Einfach der E55 schnurgerade und gut beschildert nach Norden folgen, und schon ist man dort. Aber genau das wollte ich nicht. Ist doch blöd, einfach einer womöglich stark befahren Hauptstraße zu folgen. So folgte ich wie geplant den Anweisungen des Navi (Karten hatte ich natürlich für alle Fälle dabei) und erlebte gleich einmal ein Wunder. Also auf den „Straßen“, die mir da vom Navi vorgegeben wurden, wäre ich niemals im Leben gefahren. Die kennen möglicherweise selbst die nächsten Einheimischen nicht alle, so versteckt und schmal sind die teilweise. Aber schön war´s. Wobei ich mich irgendwann fragte, wozu ich knapp vor der Grenze solche Umwege in Kauf nehme, wenn ich eh weiß, wo genau der Grenzübergang ist. Spazieren fahren hatte ich eigentlich erst auf tschechischem Boden geplant.
Dann war ich froh, so gefahren zu sein, sonst hätte ich nicht die Überreste der „Edlbrucker Brücke“ gesehen, auf die gleich unmittelbar neben der Straße mit einer Tafel hingewiesen wird. Diese Brücke (aus Sicherheits- und anderen Gründen nicht mehr komplett erhalten) ist eine einer Serie von 13 Brücken des Streckenabschnittes Zartlesdorf (heute Rybnik CZ) – Pramhöf, die für die Pferdeeisenbahn Gmunden – Linz – Budweis errichtet wurden, der ältesten oder zweitältesten (so genau weiß das scheinbar keiner) Eisenbahnstrecke Europas.
Das erste, was mir auffiel, war der steile, tiefe Einschnitt im Gelände rechts von mir. Dann sah ich die Betonpfeiler und wurde erst recht neugierig, was denn das sei? Ich stellte die Ace in der Wiese ab und stapfte die Böschung runter, um dann an einem Hang hochzukraxeln, der zur Edlbrucker Schlucht führt. „Mann, da geht´s runter!“, dachte ich, als ich am Rand des 13m hohen Abgrundes stand. Dann stieg ich am Hang zum Grund der Schlucht runter, wo das Bauwerk noch imposanter ausschaut. Sicher, heute sind nur mehr die Betonpfeiler erhalten, weil die hölzernen Brückenteile aus Sicherheitsgründen entfernt wurden, aber man kann sich mit etwas Phantasie vorstellen, wie die Fahrgäste aus den Fenstern der Wagen schaudernd in die Schlucht schauten.
Der Pfad, an dem die Edlbrucker Brücke liegt, führte dann wieder auf die Hauptstraße und neben den ehemaligen Kontrollstellen über die Grenze in die tschechische Republik. Schlagbäume gibt´s nicht mehr, ebensowenig Grenzkontrollen. Das alte Gelände wird umfahren und bleibt hoffentlich als Mahnmal wider dem früheren Schwachsinn erhalten.
Gleich nach der Grenze zweigte ich, den Anweisungen des Navi folgend, rechts von der Hauptstraße ab, und ab da kann ich mich beim besten Willen mehr erinnern, wo ich fuhr. Das ist der Nachteil, wenn man einem Navi folgt. Andererseits, ich hatte wie gesagt auch Karten mit, für den Notfall. Die sogenannte „Navi-Tour“ war geplant. Ich wollte ja wissen, wie mich das Satelliten-Navigationsgerät nach Budweis führt und einfach die Fahrt genießen, ohne ständig auf den Weg achten zu müssen.
Ein Teil der Strecke war mir sogar bekannt. Zuerst dachte ich, das Navi will mich über Krumlov nach Budweis führen, aber kaum war der Gedanke zu Ende gedacht, schon mußte ich wieder der Anweisung folgend nach rechts abbiegen und befand mich wieder in der Wildnis. Na, Wildnis ist deutlich übertrieben. Seit der Grenze hatte sich praktisch mit Ausnahme der Schrift auf den Schildern nichts oder nicht viel geändert. Das Gelände war nach wie vor gleich wie im Wald- oder Mühlviertel, die Äcker und Wälder sahen auch genau so aus, nur die Dörfer waren anders. Ich weiß nicht genau, was da anders ist, aber tschechische Dörfer schauen anders aus als österreichische.
Die tschechischen Dörfer sind irgendwie so schmucklos. In diesen Dörfern ist unheimlich viel Asphalt und unheimlich wenig Farbe. Ja, das ist es, was anders ist. Farbe fehlt durchwegs in den ländlichen Gebieten. Wo in österreichischen Dörfern Verzierungen sind, Häuser bunt gefärbt sind, wo ein Brünnchen steht oder eine kleine Kapelle, wo ein Platz gepflastert, Randstreifen begrünt und mit Blumen geschmückt ist, da fehlt was in tschechischen Dörfern. Viel Asphalt, wenig Farbe, das ist der Unterschied. Andererseits kommt man dann wieder durch ein Dörfchen, wo die Häuser lieblich hergerichtet sind und sogar kleine Teiche angelegt, in denen sich Büsche und Bäume spiegeln. Dann könnte man glauben, man währe tatsächlich noch im Mühlviertel, denn dort ist sowas auch üblich. Aber kaum erreicht man den nächsten Ort, ist schon wieder alles farblos grau. Gegenüber der ehemaligen DDR haben die Tschechen aber auch den Nachteil, dass kein großer, reicher Bruder da ist, der alles bezahlt. Langsam, aber sicher wird allerdings auch in der Tschechei alles besser.
Als ich zur Ortseinfacht von Budweis kam, war ich allerdings platt. Momentan wusste ich nicht recht, „bin ich da im richtigen Budweis?“ Wo die Ortstafel stand, schaute es nicht nach Stadt, sondern nach einem kleinen Dorf aus. Nichts von einer Stadt zu sehen! Erst langsam, Stück für Stück tauchten Merkmale eines Ballungsgebietes auf. Fast so, als würde man von Euratsfeld kommend nach Amstetten reinfahren. Direkt vom Acker in die Stadt sozusagen. Irgendwie hatte ich mir das andes vorgestellt.
Ich folgte einfach den Anzeigen des Navi ins Zentrum, schoß ein paar Fotos und rastete, dann zog ich weiter. Um nicht die gleiche Strecke wieder zurück fahren zu müssen, folgte ich Nebenstraßen bis Trebon, um dann auf der E49 und der Bundesstraße 103 in einer seenrechen Aulandschaft nach Gmünd und damit zurück nach Österreich zu gelangen. Nach insgesamt rund 300km war ich wieder daheim und begann langsam, aber sicher, die Tschechei ins Herz zu schließen. Komisch, nicht wahr?
Ps.: Eines würde ich aber jedem Motorradfahrer dringend ans Herz legen: „Traue niemals einer tschechischen Straße!“