Amstetten – Neuhofen a. d. Ybbs – Hochkogel – Randegg – Gresten – Gaming – Grubberg – Lunz – Göstling – Palfau – Großreifling – Erbsattel – St.Gallen – Admont – Liezen – Öblarn – Großsölk – Sölkpaß 1788m – Schöder – Tamsweg – Ramingstein – Thomatal – Bundschuh – Innerkrems – Nockalmstraße – Eisentalhöhe 2042m – Ebene Reichenau – L65 Deutsch Griffen – Gurk (im Gurktal) – Hirt – S37 Neumarkt in der Steiermarkt – Mariahof – Teufenbach – Niederwölz – Schittern – Gfölgraben – Oberzeiring – Möderbrugg (Weiterfahrt nicht möglich, da eine Mur die Straße nach Trieben verschüttet hat) – Fonsdorf – Knittelfeld West – S36 – Knoten St.Michael – A9 Traboch – Präbichl 1226m – Eisenerz – Hieflau – Altenmarkt bei St.Gallen – Weyer – Waidhofen an der Ybbs – Amstetten‘
Streckenlänge: 604km Strecke auf Google Maps
Dienstag, 11. September. Es ist nicht nur der elfte Jahrestag des wahnwitzigen Anschlages auf die Twin Towers des World Trade Center, es ist auch mein zweiter Urlaubstag. Laut Wetterbericht soll es, zumindest für diese Woche, der letzte schöne Tag werden, denn eine Schlechtwetterfront größeren Ausmaßes nähert sich dem Alpenraum. „Kann ja gar nicht anders sein, wenn ich Urlaub hab“, ärgerte ich mich. Also wollte ich den Tag nützen und Motorrad fahren. Wohin, das wussten vorläufig nur die Götter.
Um halb acht drückte ich den Knopf für den Anlasser, zog die Handschuhe an und setzte mich auf die blaue Elise. Im Tankrucksack hatte ich sicherheitshalber eine Regenkombi, einen Straßenatlas sowie die Ladegeräte für das Telefon, das Navi und für die Akku des Fotoapparat. Es war nicht sicher, dass ich am selben Tag heimkommen würde. Sollte es sich ergeben, dass ich irgendwo übernachten müsste, würde ich, so der Plan, einfach unterwegs Wasch- und Zahnputzzeug kaufen. Mehr brauch ich nicht.
Über Neuhofen und dem Hochkogel fuhr ich gen Süden, womit die Tschechei einmal ausschied. Ich hatte mir zwar schon vor Wochen einen Plan ausgeheckt, nach dem ich die tschechische Republik umrunden wollte, aber bei dem angekündigten Wetter sicher nicht. Die Straßen da drüben sind mir schon trocken nicht geheuer, und dann erst, wenn sie naß sind? Nein, kein Bock drauf. Aber „wohin soll ich fahren?“, fragte ich mich. „Na, zuerst einmal nach Gaming um einen Kaffee“, plante ich. Der gewohnte Bachlerhof schied aus – Ruhetag. Doch schon nach ein paar Kilometern, also als ich mich grade schön warm gefahren hatte, schwirrten neue Gedanken durch meinen Kopf. Ein Puzzle begann sich unaufhaltsam zusammenzusetzen. Ich müsste runter nach Kärnten, rüber nach Spital an der Drau, dann ins Lesachtal und zum Holzhotel, in dem wir vor ein paar Jahren bei der Pässetour übernachtet hatten. Dort könnte ich übernachten und am nächsten Tag weiter nach Friaul fahren, um die Runde zu drehen, die ich mir schon vor längerer Zeit im Straßenatlas angezeichnet hatte. „Ja, das wäre was!“ meinte ich, diesen Plan könnte ich in die Tat umsetzen.
Die Würstelbude, wo ich mir den Kaffee kaufen wollte, hatte noch geschlossen, also weiter zur Tankstelle in Gaming, die Elise voll tanken und dort den Kaffee aus dem Automaten saufen. Gibt was schlimmeres. Aus einem mir unerfindlichem Grund kaufte ich mir auch eine Schachtel Zigaretten. Ich rauche seit dem 9. Jänner nicht mehr. Öh, na ja. Bei der heurigen Pässetour hab ich, speziell in Piacenza, schon ein paar gepafft. Das ist aber ungefähr so wie mit dem Bier. Bier mochte ich mein Leben lang nicht, aber bei der Pässetour trank ich jedes Jahr ein paar kleine Gläser davon. Wirklich schmecken tuts nicht, aber richtig grauslich schmeckt´s auch nicht. So gehts mir auch mit den Zigaretten. Irgendwie bin ich seit Jahrzehnten gewöhnt, bei einer Kaffeepause eine Zigarette zu rauchen, aber wirklich geschmeckt hat´s nie, wenn ich ehrlich bin. Wirklich grauslich fand ich es aber auch nie, sonst hätte ich nicht Jahrzehnte geraucht.
Also Kaffee aus dem Automaten und eine Zigarette dazu. Ich studierte auf der Karte mögliche Strecken, plante und verwarf wieder, dann holte ich das Navi und gab „Oberdrauburg – Kurvenreiche Strecke“ ein, und schon plante und plante und plante der Rechner im Navi. „Ach ja, der dicke Plafond“, fiel mir ein, als das Ding gar nicht weiter kam. Also wieder ausgeschaltet und den Kaffee fertig getrunken. Den Tschick hatte ich schon wieder ausgedämpft. Igit, schmeckt das heute wieder scheußlich. Bis zum Grubberg rauf hatte das Navi aber eine Strecke gefunden, und es konnte los gehen. Auf nach Kärnten!
Genau genommen brauchte ich ja gar kein Navi. Die Strecke könnte ich auswendig fahren. Aber wenn ich es schon mit hab, dann soll es auch was tun. Außerdem komm ich vielleicht auf einen oder ein paar Fehler drauf, und das könnte einmal hilfreich sein, wenn ich in fremden Gefilden wieder einmal im Kreis herum geschickte werden sollte. Hatten wir ja schon alles.
Ehrlich gesagt genoss ich die Fahrt in vollen Zügen. Ich hatte jede Menge Zeit, das Wetter war – noch – schön, was will man mehr? Über Lunz erreichte ich Göstling, dann weiter nach Palfau und rechts der Salza entlang nach Großreifling. Über den Erbsattel kam ich nach St.Gallen und über den Buchauersattel nach Admont, wo ich die nächste Kaffeepause einlegte. „Ich hab jede Menge Zeit“ war das Motto des Tages.
Ob die Fahrt auf der Ennstaler Bundesstraße Richtung Schladming langweilig ist oder nicht, hängt scheinbar immer von der Tagesverfassung ab. Ich hab schon erlebt, dass ich nach wenigen Kilometern die Nase so voll hatte, dass ich am liebsten umgedreht hätte. Dann zieht sich das wie ein Kaugummi in die Länge. Kommt natürlich auch drauf an, wo man hinfährt. Ich hatte keine Ahnung, auf welcher Strecke genau mich das Navi nach Kärnten führen wollte. Als ich aber in den Raum um den Grimming kam, diesem markantem riesigen Klotz, der weithin als Orientierungspunkt sichtbar ist, und mich das Navi augenscheinlich weiter gen Westen lotsen wollte, griff ich korrigierend ein. „Nö, da fahr ich nicht weiter! Bin ich blöd oder was?“ Der Verkehr war gar nicht so dicht, und auch die Anzahl der LKW hielt sich in Grenzen, aber ich hatte einfach keinen Bock, dieser breiten Straße zu folgen. Ich konnte mir schon denken, wo mich das Navi hinlotsen wollte. Nach Radstadt und über Obertauern in den Süden. „Das ist nicht nötig, da gibt´s was besseres“, dachte ich und bog zum Sölkpaß ab.
Relativ einsam überquerte ich diesen wilden Paß, der mich immer wieder fasziniert, egal wie oft ich ihn auch fahre (mehrmals im Jahr) und erreichte Tamsweg. Hier wollte mich das Navi natürlich weiter nach Westen zum Katschberg leiten, aber wieder griff ich ein. Ich hatte keine Lust auf den Katschberg und fuhr lieber nach Ramingstein, wo ich über Bundschuh, am alten Hochofen vorbei nach Innerkrems kam. Dort kann man, wenn man will, die Nockalmstraße fahren. Was ich aber nicht vor hatte, den erstens war ich heuer diese, zugegebenermaßen wunderschöne, Straße schon gefahren, und zweitens wäre das die falsche Richtung, denn diese Strecke führt nach Osten, ich sollte aber, wenn ich ins Lesachtal will, nach Südwesten fahren! Irgendwie wäre das unheimlich kontraproduktiv, auch wenn ich alle Zeit der Welt hatte.
Richtig gemütlich fuhr ich der schmalen Landesstraße 19 entlang ins Tal hinein, das mich zum westlichen Ausgangspunkt der Nockalmstraße bringen würde, hielt irgendwo mitten drinnen Rast, zündete mir eine Zigarette an, warf sie nach ein paar Zügen in´s kleine Bächlein, das an mir vorbei floß (schmeckt einfach scheußlich, das Zeug), fuhr an der schön gelegenen Dr. Josef Mehrlhütte vorbei, weil diese mir zu überlaufen schien, und bog zu meiner eigenen Überraschung zum Mauthäuschen der Nockalmstraße ein. „Äh, das ist aber jetzt der falsche Weg“, dachte ich noch, doch ich zückte schon die Brieftasche. „Servus, einmal bitte“.
Nein, ich hab keine Persönlichkeitsspaltung, wo die eine Hälfte mit der Anderen im Streit liegt. Aber wenn ich keinem strikten Plan folge, dann passiert sowas öfters, und ich laß es einfach zu, egal, ob der halbherzig gefasste Plan dadurch gänzlich umgestoßen wird oder nicht. Ich bin im Urlaub, ich bin alleine unterwegs, ergo niemandem Rechenschaft schuldig. Ich MUSS gar nichts! Ich will mich erholen, entspannen, das Leben genießen und meinen Wünschen und Gefühlen freien Lauf lassen. Und genau das tat ich hier und jetzt. Ich fuhr die Nockalmstraße, weil ich grade Bock drauf hatte! Und es war gut so.
Also. Ich fuhr so vor mich dahin, bewunderte die schöne Gegend, hielt nicht auf der Eisentalhöhe, weil da grade ein Bus stehengeblieben war und in der Hütte, wo der Kaffee eigentlich ganz gut schmeckt, meist nur ein Mann Dienst schiebt. Ich wollte einfach nicht ewig und zwei Tage auf den Kaffee warten. Ich zog es vor, gleich weiter zu fahren, die fast leere Strecke zu genießen. Es herbstelt, das merkt man an der Zahl der Besucher. Im Hochsommer bist du hier mit dem Mountainbike schneller als mit dem Auto, so voll ist es da. Jetzt hatte ich abschnittweise die Strecke für mich alleine, und das war schön.
Einfach Motorradfahren und an nichts Denken. Keine Sorgen, keine Nöte, gar nichts. Nur eins mit dem Motorrad sein und fahren. Ich fahre, das Motorrad ist nur meine mechanische Verlängerung, die mir die rollende Fortbewegung erlaubt, ganz wie ich es mir im Kopf ausdenke. Immer wieder gibt es Augenblicke, wo ich mich wundere, wie unglaublich man mit einem Fahrzeug verschmelzen kann. Manchmal fällt es mir bei sehr schneller Fahrt auf. Dann dachte ich mir sogar schon, wenn es gar extrem wurde „Junge, wie du fährst, das könnte ich nicht!“ Natürlich denk´ ich mir das mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich weiß schon, wer da fährt. Aber ich muß dabei nicht mitdenken. Ich kann mir das, was ich tu anschauen, weil alles von ganz alleine geht. Ich kann tun, was mir gefällt, bei jedem Tempo, und ich muß dabei nicht nachdenken.
Manchmal, wie an diesem Tag, fällt mir das aber auch bei langsamer Fahrt auf. Ich tuckere dahin, schau mir die Gegend an, und die Augen sehen trotzdem jede Gefahr auf und neben der Straße. Ich denke an ganz andere Dinge, die absolut nichts mit Motorradfahren, mit der unmittelbaren Bedienung des Gerätes zu tun haben, und trotzdem passiert und gelingt alles perfekt. Ich brauch nicht bewusst fahren. Ich fahr einfach, so wie ich einfach gehe, ohne mir darüber Gedanken zu machen. Ich finde das unheimlich schön. Und wenn ich einen anderen Motorradfahrer furchtbar angestrengt durch eine Kurve eiern sehe, bin ich dankbar, dass es mir nicht ebenso geht. Ich hätte an so einer Art zu fahren keine Freude. Wie? Ihr meint, das kann jeder lernen? Scheinbar nicht, sonst währen nicht so viele auf der Straße, die das, was sie tun, so überhaupt gar nicht können. Das sind nicht lauter Anfänger! Die können´s einfach nicht.
Ach ja, ich schweife ab. Also fuhr ich so vor mich dahin, freute mich des Daseins und überholte, weil es eh so wenige Möglichkeiten gibt, sowas zu tun, bei der Anfahrt zur Schiestlscharte ein paar Supersportwagen der Super-Duper Klasse. Zwei Ferrari, ein Mercedes und ein Audi, alle mit englischen Kennzeichen und alle ungefähr aus der Preisklasse, in der man sich als kleines Würstchen wie ich alleine die Mehrwertsteuer nicht leisten kann, geschweige den das Auto. Neid kommt aber beim Anblick solcher Fahrzeuge bei Gott keiner auf. Wozu? Ich bin gesund, ich leb in Frieden, und das sind nur Autos. Aber schön sind sie, keine Frage. Ich schau sie mir gerne an.
Eines der beiden Kabrio fuhr ganz vorne, und am Beifahrersitz kniete, so schien es mir aus den Augenwinkeln – wir erinnern uns, ich war am überholen – verkehrt herum ein Typ mit einer Kamera, die er an einem Ausleger befestigt hatte. Die Sportwagen dahinter setzten sich immer wieder vor einer Kurve passend in Position und machten dann bei der Einfahrt in diese mit Zwischengas und so auf dicke Hose. Klingt gewaltig, wenn man so einem Eisen richtig das Pedal gibt, das könnt ihr glauben! Nur war das Vorgetragene trotz der spektakulären Akustik, realistisch gesehen, so langsam, dass ich einfach keine Lust hatte, hinterher zu fahren. Außerdem wollte ich dem Kerl mit der Kamera nicht mit meiner Anwesenheit das Bild versauen. So bremste ich die ganze Gruppe zwischen ein paar Kehren einfach aus, klemmte mich kurz, um den Überblick zu wahren, zwischen das Kameraauto und das unmittelbar folgende, und gab dann, als ich freie Strecke sah, wieder Gas. Schnell legte ich einen größeren Abstand zwischen uns und hielt in einer der letzten Kehren vor der Schiestlscharte an.
Von der Stelle, wo ich stand, hat man einen wunderbaren Ausblick ins dahinterliegende Tal und auf die Kehren, die hier herauf führen. Außerdem hatte ich von hier aus einen traumhaften Überblick über die genau vor mir liegende Kurve. „Was für ein Panorama für einen schönen Supersportwagen!“, dachte ich und wartete. „Hoffentlich bleiben die nicht irgendwo stehen und machen eine Pause!“. Dann wäre ich halt weitergefahren. So schlimm ist das auch wieder nicht. Sind nur Autos. Doch da kamen sie schon. Solche Geräte hört man, bevor man sie sieht.
Die klingen nicht wie ein präpotenter Honda Civic eines zwanzigjährigen mit Ofenrohr, wo des Nachbars Hund drinnen schläft. Die klingen wie Mozart oder Beethoven. Das ist Musik. Vor allem die Ferrari! Dieses helle Singen, wenn die Drehzahl hoch genug ist, das kann nur ein Hengst aus Maranello sein! Mann, was für ein Klang! Der rote Benz grollt dumpf wie ein nahendes Gewitter, und der Audi klingt wie Pearl Harbour, nur leiser. Aber das sagte man ja schon vom Quattro. Der oben angesprochene Civic, sicher auch kein schlechtes Auto, klingt im Vergleich dazu wie……….? Der klingt dagegen wie ……äh……Tokio Hotel? Also wenn ich jetzt jemand beleidigt hab, dann tut mir das aber aufrichtig leid.
Als ich schon die Kamera bereit hielt, blieben die doch tatsächlich genau bei der Anfahrt zu dieser Kehre stehen! „Das gibt´s aber jetzt wirklich nicht!“, dachte ich. „Was wird den das?“ Ich sah noch, wie der mit der Kamera aus einem Auto ausstieg und in ein anderes ein, dann fuhr ein Wagen, auf den ich irgendwie nicht achtete los, während der Rest wartete. Dann, nach einer kurzen Pause ging´s unter mir los. Aber wie!
Der Audi kam angeballert. Er klang am harmlosesten, schnitt dafür am schlimmsten die Kurve. Allerdings glaub ich, auch mit solchen Autos sieht man diese Kehren gut aus, ergo kein Problem. Außerdem waren die alle trotz des Spektakels, dass die hochdrehenden Motore verursachten, in der Kurve selber unglaublich langsam. Na ja, jeder wie er kann. Hauptsache, es macht Spaß. Beim Rausbeschleunigen waren die Herren wieder etwas mutiger.
Dem Audi folgte ein schwarzes Ferrari Kabrio, dessen Fahrer, der ebenfalls die Kurve schnitt, etwas erschrak, als ihm von oben ein Kleinwagen (B-Mercedes) entgegen kam. Dem Ferrari folgte ein ferrariroter Benz und dem ein weißer Ferrari, dann war wieder Ruhe. Ich steckte die Kamera ein, setzte den Helm auf, zog die Handschuhe an und fuhr los. Da sah ich ihn stehen, einsam und verlassen. „Die haben in ihrer Begeisterung den Kameramann vergessen!“, dachte ich lachend.
Ich rief ihm während der gemütlichen Vorbeifahrt zu, „haben die dich vergessen?“ und lachte. Er deutete mit den Armen, die Kamera in der Hand, sowas wie „Scheiße, jetzt muß ich zu Fuß gehen“, und ich sah im Spiegel, wie er zu laufen begann. „Na habe die Ehre, der will doch jetzt nicht den Berg hinauf laufen?“ dachte ich und blieb stehen. Auch er, etwa 20m weiter unten, blieb stehen und schaute mich keuchend an. Ich deutete mit dem Kopf sowas wie „Na los, komm her und fahr mit!“ Er verstand offensichtlich sofort und lief los. Ich klappte die Soziusrasten nach unten, und als er mich erreicht hatte, bestieg er die Elise und setzte sich hinter mich. Das ging so schnell, und vor allem hatte der Typ so schnell seine Füße auf meinen! Rasten, dass wir fast augenblicklich zusammen umgefallen wären – hätte ich nicht so schnell reagiert und mich mit einem lauten „Uuuaaaaaaaa………“ dagegen gestemmt. Ich bin mir sicher, der wusste nicht, wieso ich so erschrocken aufschrie. Ich bin mir sogar ganz sicher, der wusste nicht, wie knapp wir beide an einem tragisch-komischen Unfall vorbei schrammten. Fast wären wir im stehen auf die Fresse geflogen! Da war mir momentan nicht grade zum Lachen. Irgendwie hatte er bemerkt, dass seine Füße auf meinen Rasten standen. Er korrigierte seinen Irrtum und wir fuhren los.
Nichts war mehr mit der Leichtigkeit des Seins. Nichts mehr mit „Alles geht von selber. Ich fahre, nicht das Motorrad!“ Meine Güte! Ich vermute, der Typ saß noch nie zuvor in seinem Leben auf einem Motorrad. Zumindest nicht hinten drauf. Ja leck mich am Arsch! Wir zwei müssen da einen Deppen heruntergerissen haben, die paar Kurven rauf. Ich will´s gar nicht wissen. Ich kämpfte im Schritttempo um´s blanke Überleben. Nicht ich fuhr, das Motorrad fuhr. Wir eierten durch die Kurven, es war schauderhaft. Ich denke aber, er merkte selber, dass an unserer Fahrt irgend etwas nicht stimmen konnte. Zuvor, als er filmte, überholte ich die ganze Truppe mit Bravour und Grazie, und jetzt pendelten wir schauderhaft unharmonisch im Schneckentempo der Paßhöhe entgegen. Ich glaub, er hatte Angst, denn plötzlich krallte er sich mit beiden Händen an mir fest. Ich verstand ihn. Ich hatte auch Angst. Drum krallte ich mich mit beiden Händen am Lenker fest. Wir würden schon irgendwie gesund da hinauf kommen. War ja nicht mehr weit, Gott sei Dank!
Dann kam uns der Audi entgegen und wir waren oben. Auch der Rest der Gruppe hatte inzwischen gewendet. Alle standen bergab, und ein großes Trara und Hallo brach an. Sie hatten entdeckt, dass ihr Kameramann bei mir hinten drauf saß! Auch der Typ hinter mir war schwer erleichtert, schien mir. Kaum stand ich, schwang er sich vom Motorrad und lachte lauthals los, Standing Ovation seiner Kollegen entgegennehmend. Der Typ mit der Kamera lachte, die Sportwagenfahrer lachten und winkten mir zu, und ich lachte ebenfalls. Vor Erleichterung, dass wir es gesund herauf geschafft hatten. Mann, was für eine grauenhafte Fahrt!
„Thank you! Thank you very much!“ rief der Kameramann und haute mir auf den Rücken. „Ach ja, ein Engländer“, dachte ich. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Der hatte wohl Angst, weil ich auf der falschen Seite fuhr. Ich hob grüßend die Hand und fuhr los. Jeder der Sportwagenfahrer hatte ein unheimlich breites Grinsen im Gesicht, als ich an ihnen vorbei fuhr. Jeder winkte mir nochmals zum Abschied zu. Und jetzt erst lachte ich wirklich hellauf los.
Nach dem Tankstopp und einer Kaffeepause in Ebene-Reichenau fuhr ich über Hochrindel (L65) ins Gurktal und verlor bei Hirt, von wo das Hirter Bier her kommt, völlig die Orientierung. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich war. Da war mir nicht mehr nach lachen zu mute. Ich war einfach den Anweisungen des Navi gefolgt, hatte meine Position nie mit der Karte verglichen und befand mich in fremdem Gelände. Ich war noch nie im Gurktal, soweit ich mich erinnere. Ich wollte Heim, das war alles. Nein, nicht gleich. Eilig hatte ich es nicht. Aber ich hatte absolut keine Lust mehr, fremd zu übernachten. Ich wollte Heim und im eigenen Bett schlafen, wollte am nächsten Tag schlafen, so lange ich Lust hab. Nicht aufstehen müssen, weil ich weiter muß. Außerdem würde das Wetter ohnehin umschlagen, und auf eine Sauerei hatte ich keinen Bock.
Ich fuhr durch Hirt, hatte zu diesem Zeitpunkt aber keine Ahnung, in welche Himmelsrichtung ich mich bewegte. Zuvor war ich an der Auffahrt zur Schnellstraße nach Wien und Klagenfurt vorbeigefahren, wollte aber die Bundesstraße benutzen. Auf kurvenreichen Strecken hatte ich laut Navi noch rund 250km bis Heim, auf direktem Weg noch immer 187km oder so in der Größenordnung. Und dann kam diese verdammte Kreuzung. Wegen der Schnellstraße waren die Schilder, die eine weitläufigere Orientierung ermöglichen würde, weggeräumt. Richtung Wien oder Klagenfurt konnte man ja auf der Schnellstraße fahren. Also das Navi befragen. Das schien ja ganz einfach zu sein. Ich bog in einen verdächtig schmalen Weg ein und wurde vor einer Brücke aufgefordert, links abzubiegen. Da war aber eine Fahrverbotstafel. Das einzige Schild weit und breit zeigte nach Lorenzenberg, also folgte ich dem Wegweiser, denn der Name kam mir bekannt vor. Das war ein Irrtum!
Als die „Straße“ immer schmäler wurde, drehte ich um und fuhr wieder runter. Wieder wollte mich das Navi ins Fahrverbot locken, wieder blieb ich standhaft, und wieder sah ich das Schild nach Lorenzenberg. Also drehte ich um und fuhr die selbe Strecke nochmals, wieder am Fahrverbot vorbei, aber diesmal bis in den Garten, in dem die Straße endete. Der Herr, der dort gemütlich an einem Tisch sitzend eine Zigarette paffte, sah mich etwas erstaunt an.
„Öh, grüß Gott. Entschuldigung. Ich dachte, da kann man weiter fahren. Ich wollte sie nicht stören“. „Nein, da kann man nicht weiter fahren“, war seine nicht ganz überraschende Antwort. Ich stand ja in seinem Garten. „Ach ja, ich seh schon“, war meine momentan nicht ganz schlaue Antwort. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Man sah von dieser Stelle herrlich ins Tal und auf die Schnellstraße hinunter, nur hatte ich nicht die geringste Ahnung, wo welche Himmelsrichtung war. „Sagen sie, wenn ich da unten auf die Schnellstraße fahr, in welcher Richtung geht´s den da in die Steiermarkt?“ Er schaute mich groß an, dann überlegte er. „Hier geht´s in die Steiermarkt“, zeigte er mit ausgestrecktem Arm genau in die entgegengesetzte Richtung, als ich gedacht hatte. „Ach, das ist ja ein Hammer!“ entfuhr es mir. Erstaunlich. Dermaßen daneben war ich noch nie mit meiner Schätzung. Ich hatte absolut die Orientierung verloren. Ich war hier noch nie, dabei war ich nur wenige Kilometer, Luftlinie gerechnet, von der Einfahrt zum Klippitztörl entfernt, das allerdings weiter im Osten lag. Dort kannte ich mich aus, hier absolut nicht!
Er erklärte mir dann, ich müsse wieder zurück nach Hirt, und dort auf die Schnellstraße, dann käme ich problemlos zurück, wo ich hergekommen war. Mit einem Grinsen verabschiedete er sich, ich drehte um und fuhr los. „Wieder ein Beweis mehr, dass Satelliten-Navigationssysteme das Hirn des Benutzers abschalten“, dachte ich. Sowas war mir vor dem Navi-Zeitalter nie passiert. Kurz verfahren, na klar. Passiert jedem einmal. Aber keine Ahnung mehr haben, wo man sich befindet?
Dieser Verhauer hatte mir so viel Zeit gekostet, dass ich fürchten musste, ins Dunkel zu kommen. Nicht, dass ich mich im Dunkeln fürchte. Aber dann wird´s kalt, und das mag ich nicht. Ich war ziemlich leicht bekleidet. So folgte ich der Schnellstraße über Friesach bis Neumarkt in der Steiermarkt, mußte dann wegen einer Baustelle die Umleitung über Mariahof nach Teufenbach nehmen, kam nach Niederwölz, Schlittern und Oberzeiring und stand nördlich von Möderbrugg wieder vor einem Rätsel. Die Straße, stand da auf einer großen Tafel, sei ab Obertauern gesperrt, eine Durchfahrt nach Trieben nicht möglich. „Verdammte Scheiße!“ Ich hatte die Mure vergessen. Ein Arbeitskollege hatte mir noch in der Firma erzählt, er wäre auf dieser Strecke eine Weile gestanden, dann hätte er auf dem alten, normal gesperrtem Teil der Strecke durchfahren können, weil der neue Abschnitt von einer Mure verschüttet wurde. Das war aber an einem Wochenende. Unter der Woche, so der Kollege, sei die Strecke zur Gänze gesperrt. Dienstag ist unter der Woche.
Also umdrehen und über Pöls und Fohnsdorf nach Knittelfeld. Dort hatte ich die Nase schon ziemlich voll und fuhr auf der Schnellstraße zum Knoten St.Michael und auf der A9 bis Traboch und zum Präbichl. Hier erlebte ich noch eine kurze Überraschung in Form kohlrabenschwarzer Wolken, doch ich hatte Glück. Das Gewitter verzog sich grade, nur mehr die Straßen waren pitschnaß. Und ziemlich kühl war es. In Hieflau war´s aber schon wieder trocken, und so konnte ich es die letzten 60km nochmals ein wenig krachen lassen. Dann war ich nach etwas über 600km hundemüde, aber glücklich wieder Daheim.
Aus Eisenerz, wo ich grade noch einem Gewitter entkam, ging´s über die Ennstal-Bundesstraße zurück nach Hause
Ps.: Noch am gleichen Abend kam der große Wetterumschwung. Starke Regenfälle und ein Temperaturrückgang, dass einige Paßstraßen ohne Winterausrüstung unpassierbar sind.