„Whatever can go wrong, will go wrong.“
„Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“
Gleich vorweg, diese Geschichte passierte weder am Silvestertag, sondern einen Tag davor, noch hat sie etwas mit Motorradfahren zu tun. Zumindest nicht im engeren Sinne. Im weiteren schon, da sie einem Motorradfahrer passierte, nämlich mir, und zwar ziemlich genau auf der gleichen Strecke, die ich am 11. Oktober im Zuge einer relativ kurzen, aber nichts desto trotz wunderschönen Motorradtour fuhr. Wer sich die jahreszeitlichen Unterschiede in Wort und Bild anschauen möchte, klickt einfach auf „Fahrt zur Hühnermauer – ein Kleinod in meiner Heimat„. Auch den Streckenplan findet ihr dort, falls es jemanden interessiert. Die Strecken sind zu ungefähr 85% identisch. Das war allerdings genau so reiner Zufall wie die Tour damals. Auch die heutige Tour mit dem Auto hatte es in sich. Aber auf ganz andere Art, als damals, und vor allem ganz anders, als man sich das jetzt vorstellen könnte. Ich erzähl einfach einmal, was passierte.
Ich glaub, ich hab schon einmal gesagt, dass ich sehr gerne fotografiere, oder? Genau genommen fotografiere ich jetzt seit mehr als 40 Jahren. 1972 bekam ich zur Firmung meinen ersten Fotoapparat. Seitdem betreibe ich diese Leidenschaft (Als Hobby will ich das nicht bezeichnen. Hobbys sind Beschäftigungen denen man nachgeht, weil einem sonst langweilig wäre. Also einmal dies und einmal das) einmal mehr und einmal weniger intensiv. Ganz ohne Knipse findet man mich allerdings nur in der Firma. Ich bin kein Fotograf.
Gestern hatte es sich so ergeben, dass ich am Nachmittag zum Gipfel des Schwarzenberg bei Gresten aufstieg. Nicht ganz zufällig hatte ich meine kleine Digital-Knipse eingesteckt, und noch weniger zufällig hatte ich die Canon AE1 Programm mit zwei Objektiven dabei. Mit Fotografieren und Rasten brauchte ich für die kleine Tour doch fast drei Stunden, denn speziell am Abend wurde das Licht dermaßen toll, ja direkt könnte man sagen romantisch, dass ich mich nicht davon losreißen konnte. Neben einer Rolle a 24 Bilder analogen Farbfilm hatte ich noch fast 100 Aufnahmen digital geschossen. Ich fotografiere halt gerne, aber das sagte ich ja schon.
Heute packte ich nach kurzem nachdenken eine Canon FT mit FL35/2.5 und die dicke Berta ein. Dies sollte der erste Einsatz dieses mächtigen Objektives werden. Es stammt ebenso wie die Kamera aus den 60er Jahren, ist in nahezu neuwertigem Zustand, kommt durch eine Charity Auktion aus England nach Österreich, ist einer meiner stolzesten Besitze und trägt den Namen Canon FL 85-300 f5, ist also ein Zoom-Objektiv. Eines von nur drei gefertigten Typen aus der FL Baureihe überhaupt. Ich besitze alle drei und hab eine riesige Freude damit. Dieses Objektiv und die Canon FT spielen in der heutigen Geschichte die Hauptrollen. Und ich war der Depp des Tages.
„Wohin soll ich fahren?“, fragte ich mich nach der übers ganze Jahr übliche Kaffee-Pause beim Bachlerhof. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich mich wenden sollte. Ich hatte auch keine Ahnung, dass ich mich am 11. Oktober genau das gleiche fragte und damals anschließend (fast) genau die gleiche Runde drehte wie heute. Alles reiner Zufall. Kein Zufall war, dass ich heute mit dem Auto fuhr und nicht mit dem Motorrad. Wir haben nicht nur dem Kalender nach Winter, es ist Winter! Sicher, vor wenigen Tagen, am 24. Dezember, war ich erst mit der XJR über 160km gefahren. Niemand hätte nach den massiven Schneefällen der Tage davor damit gerechnet, dass so ein föniges Tauwetter einziehen würde. Es war kalt wie in Sibirien, der Schnee ließ dir die Straßen nur mehr erahnen. Dann brannte die Sonne vom Himmel und der Schnee füllte die Bäche.
Heute war es nicht unbedingt warm. Noch gegen 10 Uhr war es leicht neblig und saukalt, wenn man es genau nimmt. Es war so kalt, dass in jedem schattigen Straßenstück der Abflug lauerte, wenn man nicht vorsichtig war. Jedoch ist Eis auf der Straße mit dem Auto wesentlich harmloser als mit einem Motorrad. Drum dachte ich mir auch nichts und fuhr drauf los. Zuerst nach Waidhofen, dann über Ybbsitz nach Gresten und weiter nach Gaming. Irgendwo würde ich etwas finden, was sich schön fotografieren lässt, dachte ich mir. Das war mein einziges Tagesziel. Irgendwo etwas schönes fotografieren. Und die dicke Berta ausprobieren natürlich. Ich war schon unheimlich gespannt, wie sich das Ding verhält, wie es sich im Feldeinsatz einstellen und handhaben läßt, vor allem, wie die Bilder damit werden.
Irgendwie zog es mich dann zum Zellerain hinein. Klar, dass ich bei der Gabi im Gasthof rastete, wo ich auch mit dem Motorrad immer hielt. Ebenfalls klar, dass ich dann zum Erlaufsee fuhr, denn inzwischen hatten wir Kaiserwetter. Blauer Himmel, mit leichten weißen Wölkchen durchsetzt, ein Traum für Fotos. Also beim Erlaufsee die ersten Bilder geschossen, abwechselnd mit der Canon FT und mit der kleinen digitalen Taschenknipse. Ich wollte einfach einen Vergleich haben, denn diese Canon FT hatte ich ebenso noch nie im Einsatz wie das große Zoom. Sogar der Belichtungsmesser, ein Gossen Profisix, erlebte seine Feuertaufe. Nein, das hat nichts damit zu tun dass ich wenig fotografiere. Das hat damit zu tun, dass ich mehr als eine Kamera hab, ich aber die alten Schätzchen nur zu besonderen Tagen einsetze, nämlich wenn mir das Wetter zusagt und ich grad Lust auf einen bestimmten Apparat hab. Bei mir sind sie nicht nur Werkzeug. So dauert die Premiere oft etwas länger, aber dran kommt jeder! Mit Fotoapparaten fotografiert man und mit Motorrädern fährt man, nicht wahr? Nur Bilder hängen einfach in der Gegend herum.
Der zweite Einsatz meines Schätzchens kam beim Bahnhof in Mariazell. Zu meiner Freude standen dort gleich zwei einsatzbereite alte Garnituren der Mariazellerbahn. Zwei auf einmal, das ist selten und eine Augenweide. Was könnte passender sein, als alte Eisenbahnzüge mit einem alten Fotoapparat zu fotografieren? Ein Traum. Also gleich zu den Zügen gestapft, das Licht gemessen, zwei Bilder geschossen und mich dann, bei einer zusätzlichen Kontrolle gefragt „ob ich sicher weiß, was ich da tu“? Ich hatte etwas bemerkt, was mir nicht ganz gefallen wollte.
„Verdammt!“ Ich wusste, in dieser Kamera war ein Film, als ich sie aus dem Koffer nahm. Es waren nur zwei Bilder verbraucht, aber sie war geladen. Die Frage war jetzt, womit? Die FT hat an der Rückseite keinen Filmmerker. Ein Filmmerker ist eine kleine Vorrichtung, wo man den abgerissenen Deckel der Schachtel rein steckt, in der der Film drinnen war. Somit weiß man, welcher Film in der Kamera geladen ist. Wenn die Kamera keinen Filmmerker hat, steck ich den Deckel der Filmschachtel normal immer in die leere Aufbewahrungsdose, die ich zur jeweiligen Kamera leg und so ein zusätzliches Zeichen setze „Vorsicht! Diese Kamera ist geladen!“ Und noch dazu probier ich immer an der Rückspulkurbel, ob da ein Widerstand ist, denn auch bei leeren Kameras hatte ich schon eine Filmdose liegen, und mit einer leeren Kamera zu fotografieren kommt spätestens bei Bild Nr. 38 besonders gut an. Ist mir erst einmal passiert, vergesse ich aber nie wieder. Also wenn ihr bis jetzt dachtet, ich hatte keinen Film in der Kamera – Pech gehabt. Das ist schon einige Jahre her.
Nun zurück zur Frage, welcher Film den nun in dieser Kamera sei.
Ich war beim Einstellen der Verschlußzeit etwas unachtsam und hatte die Empfindlichkeit irrtümlich verstellt. Das passiert schnell, wenn man nicht ständig mit solchen Kameras arbeitet. Statt nur zu drehen, hebt man dabei das Rädchen etwas an, und schon ist es passiert. An sich kaum ein Problem. Sind 200 ASA eingestellt, also DIN24, dann kann man höchstens eine Stufe auf oder ab verdreht haben. Man merkt ja sofort, da tut man was, was man nicht tun sollte. Ich zumindest bemerke das, oder ich dachte, ich bemerke das immer. Als ich einen Kontrollblick auf die Einstellung warf sah ich aber, da war 1600 eingestellt! Was den nun? Genau jetzt erinnerte ich mich auch, ich konnte mich nicht erinnern, was da drinnen war! „Müsste ein 200er Film sein“, dachte ich. Könnte aber auch ein 100er oder 400er sein. Verdammt! Sechs Bilder hatte ich nun verbraucht, aber ich hatte keine Ahnung, welchen Film ich in der Kamera hatte. Sowas blödes kommt auch selten vor. Aber es geht noch viel blöder.
Sicher, ich konnte jetzt den ganzen Film mit irgend einer Einstellung belichten und dies dann bei der Ausarbeitung so angeben. Die heutigen Filme verzeihen fast alles. Nur wusste ich beim besten Willen nicht einmal, ob da nun ein Farb- oder gar ein Schwarzweiß-Film drinnen war! Jetzt hatte ich genug von der Ungewissheit, drückte den Rückspulknopf und kurbelte den Film zurück. Eigentlich wollte ich ihn nur von der Aufwickelspule kurbeln, dann die Rückwand öffnen, nachsehen, was da drinnen ist und den Film wieder einlegen. Würde ich ihn bis zu Bild Nr. 8 vorwärts transportieren, könnte ich ab dann mit der Gewissheit weiter fotografieren, was da eingelegt ist und ich würde allerhöchstens zwei Bilder verlieren. Meine Güte, das wäre kein Beinbruch.
Ich drehte aber etwas zu ungestüm, keine Ahnung, wieso, und flutsch, war das Filmende in der Dose verschwunden. Das spürte ich sofort, da war es aber auch schon zu spät. „Schei………!!“ Na, egal. Film ganz raus, neuen Film reingelegt und Deckel wieder zu. Das geht Dank QL (Quick Load), also der Schnellladeeinrichtung von Canon, ungemein schnell und sicher. Schnell geht´s immer, und normal auch sicher. Mir ist noch nie etwas passiert. Bisher war der Film immer, bei jeder Kamera mit dieser Einrichtung absolut zuverlässig eingelegt.
Nachdem ich den neuen Film eingelegt und die Empfindlichkeit eingestellt hatte, begab ich mich wieder zum Bahnsteig und wiederholte die Aufnahmen von vorhin. Jetzt wusste ich mit Sicherheit, was ich da in der Kamera drinnen hab und konnte beruhigt drauf los fotografieren. Grumpf…………
Nach den Aufnahmen vom Mariazeller Bahnhof in St.Sebastian fuhr ich nach Gußwerk und von dort zur Hochschwab Bundesstrasse. Es wurde etwas duster, dicke Wolken bedeckten den Himmel, aber es war trotzdem so hell, dass diese Wolken bestimmt eine herrliche Dekoration für die Landschaft ergeben würden, dachte ich. Und so kam es auch. Besonders die Presceny Klause hat es mir angetan. Auch bei oben schon erwähnter Motorradtour hatte ich hier, unter anderem, gehalten und einige Bilder aufgenommen. Keine Ahnung, wie viele Jahre und wie viele Bilder ich diese Klause schon fotografiere, aber langweilig werden mir weder die Bilder noch dieser Ort. Es ist einfach schön dort. Auch heute war es dort sehr schön. Die dicken Wolken bildeten irgendwie eine ungemein romantische Stimmung in der felsigen Landschaft. Das Licht gefiel mir gut. „Es müssten sehr schöne Bilder werden“, dachte ich und legte los. Licht messen, Kamera einstellen, Ausschnitt komponieren, Gewissen erforschen, ob das wirklich so passt, dann abdrücken. Butterweich geht das, und das Verschlussgeräusch klingt wie Musik in den Ohren. Die FT geht los wie in Jagdgewehr mit Stecher. Die kann man nicht verreißen.
Der Höhepunkt der Tour war nahe. Die ersten Aufnahmen mit der dicken Berta. Ich nahm das Stativ aus dem Auto und trug es mit der Kamera auf die Holzbrücke, von der aus man frontal gegen die Klause fotografieren kann. Aus einer anderen Entfernung oder aus einem anderen Winkel macht dort das dicke Zoom keinen Sinn, da ist man mit dem Weitwinkel besser dran. Also das Stativ aufgebaut, den Halter an´s Objektiv (nicht an die Kamera!) geschraubt und beides zusammen in den Schnellverschluß geklickt. Fertig. Jetzt noch die Kamera ausgerichtet und den Bildausschnitt festgelegt, dann das Licht gemessen, die Kamera eingestellt, nochmals den Bildausschnitt kontrolliert, den Selbstauslöser aufgezogen und abgedrückt. Und dann nichts mehr anfassen. Ein ganz leises Summen wie bei einer alten, mechanischen Eieruhr – Klick.
Nein, reaktionsschnelle Fotografie ist das nicht. Braucht es auch nicht zu sein. Dafür hab ich digitales Gerät, dass in jeder Situation schneller ist, als Lucky Lukes Schatten ziehen kann. Aber es geht nicht immer um Geschwindigkeit. Vor allem, Landschaft bewegt sich nur selten, und wenn, dann sehr langsam. Mir läuft hier nichts davon, ich hab Zeit. Alle Zeit der Welt. Zumindest bis Dienstag, dann muß ich wieder arbeiten. Wenn ich mit meinen Kameras unterwegs bin, dann genieße ich jede Minute. Es spielt keine Rolle, ob ich für ein Bild zwei Sekunden oder zwei Stunden brauche. Ich hab diese Zeit. Wenn ich frei hab, dann hab ich diese Zeit, weil ich sie mir nehme. Zeit und Gesundheit sind das höchste Gut, dass man neben Geld haben kann, sagt ein altes Sprichwort.
Nach diesen Aufnahmen fuhr ich weiter bis Wildalpen und bog dann zur Hühnermauer ab. Ja, genau! Zur Hühnermauer. Jetzt wusste ich schon, das war bis jetzt nahezu die gleiche Tour, die ich im Oktober mit dem Motorrad gefahren war. Die Fahrt zur Hühnermauer war jetzt nicht Zufall wie damals, das war Absicht. Ich wollte wissen, wie das im Winter bei Schnee ausschaut, und vor allem wollte ich das fotografieren. Ich wollte das mit der über 40 Jahre alten Canon FT auf Film bannen und nicht mit Strom auf einen Chip speichern. Oh, Gottlob hab ich es doch getan. Es war unheimlich schön dort drinnen.
Als ich wieder daheim war, stellte ich das Stativ auf seinen Platz, verstaute die dicke Berta, schraubte wieder das Normalobjektiv statt des Weitwinkels auf die Kamera und wollte den Film entnehmen. Dazu drückte ich den Rückspulknopf an der Unterseite der Kamera, klappte die Kurbel aus und kurbelte. Klack. Eine kleine Umdrehung, dann war kein Widerstand mehr vorhanden. Kein Widerstand, als wäre da kein Film eingelegt. „Das gibt´s nicht! Das gibt´s einfach nicht!“ durchfuhr es mich. Ich wusste, da war ein Film drinnen. 25 der 36 Bilder müssten belichtet sein, zeigte der Zähler an. Allerdings kurbelt man bei 25 verbrauchten Bildern weiter als eine halbe Umdrehung. Irgendwas stimmte da nicht. Ich hielt den Atem an. Herrgottsakra, was war da los?
Ich weiß nicht sicher, was passiert ist. Ich hatte nach dem einlegen des Filmes ganz normal bis zum ersten Bild vorgespult (Verschluß spannen, auslösen, Verschluß spannen, auslösen mit 1/1000 und aufgesteckter Schutzkappe), dann mit der Kurbel die Filmspannung kontrolliert, und trotzdem muß da was schief gegangen sein, denn trotz Quick Load System, das normal immer, überall und ohne Ausnahme problemlos funktioniert, hatte ich kein einziges Bild belichtet. Ich hatte nur den Verschluß gespannt, aber nie den Film transportiert. Ich hatte aber auch nie die Rückspulkurbel beobachtet, ob die sich mit dreht! Grumpf……..
Gottlob hatte ich auch die digitale Knipse mit. Jetzt hab ich wenigstens die paar Bilder, die als Vergleich gedachte waren, zur Erinnerung an den ersten Einsatz dieser FT mit der dicken Berta. Dieser erste Einsatz wird mir mit Garantie für den Rest meines Lebens als Lehre in Erinnerung bleiben. Wollen wir wetten?