Nach langen Jahren war ich wieder einmal im Brunntal bei Wildalpen unterwegs. Wir haben uns in Wildalpen den Campingplatz angeschaut, weil wir demnächst ein paar Tage im Raum Wildalpen unterwegs sein werden. Anschließend sind wir zum Eingang des Brunntal gefahren. Sonja kannte die Strecke vom Motorradfahren, aber im Brunntal war sie noch nie und da ich ihr von der Riegerin erzählt hab und davon, daß ich ihr gerne die schöne Aussicht von da oben zeigen möchte, haben wir beschlossen, wir gehen ein wenig im Brunntal spazieren. Das Wetter war nicht besonders, der Dunst lag tief, aber es war nicht komplett unerfreulich. Ausgenommen der Tatsache natürlich, daß ich zwar den Rucksack und eine Regenhose mit hatte, die GTX Jacke hatte ich allerdings daheim vergessen und die Bergschuhe konnte ich nicht mitnehmen, weil mir an einem das Schuhband abgerissen ist. So gingen wir halt los, die Rucksäcke mit Trinkflaschen am Rücken und statt der Jacke hatte ich, sicher ist sicher, einen Regenschirm mit. Die Schuhe, die ich trug, eignen sich sehr gut für Märsche, für Berge sind sie weniger geeignet. Und so weit ich mich erinnern kann, war das meine erste Wanderung mit einem Regenschirm.
10:10 Uhr. Beim Parkplatz vorm Jagdhaus Brunnjäger haben wir das Auto abgestellt und schauen über den Brunnsee ins Brunntal. Der Zugang ins Brunntal ist wie der Stil einer Bratpfanne, das Brunntal selbst, rundherum mit hohen, steilen Felswänden eingegrenzt, ist die Bratpfanne. Wetter: 6°C, hohe Luftfeuchtigkeit und sehr dunstig. Ins Brunntal sind es rund 4km oder knapp eine Stunde Gehzeit, wenn man schön gemütlich unterwegs ist.
Wir haben schon gute Fortschritte gemacht und sehen erstmals zum Turm 1750m (etwas links der Bildmitte in Nebel eingehüllt), der 1881 erstmals zusammen mit einem Jäger von Markgraf Pallavicini bestiegen wurde. Die Spitze des Turm ist nur kletternd (mit Seil, sehr brüchig) erreichbar, oben befindet sich ein Gipfelkreuz.
Stetig leicht aufwärts gehend nähern wir uns langsam der “Bratpfanne” im Brunntal.
Rechts von uns die steilen Ostwände des Griesstein (Großer Griesstein 2023m, Kleiner Griesstein 1857m). Wir schauen genau ins Griesgassl, einer steilen Rinnen zwischen großem und kleinem Griesstein.
Wir haben das südlichste Eck der Forststraße im Brunntal erreicht. Hier macht diese Straße eine scharfe Linkskehre und steigt weiter, immer steiler werden an. Genau vor uns die steilen Wände der Brunnmäuer, daneben …
… die Lang Eibel Schlucht (Rudolf Ägid Lindner meint in seinem Buch “Hochschwab”, es handle sich hier nicht um die Lang Eibel Schlucht, sondern um die Schafstättrinne), über die man im Winter mit Ski relativ leicht zum Griesstein aufsteigen kann.
Was uns hier immer wieder auffällt, ist die große Anzahl sehr großer Schnecken.
Nochmals ein Blick in die Lang Eibel Schlucht von einem etwas höherem Standpunkt.
Wir sind hart an der 1000m Marke. Da vorne ist die letzte Rechtskehre, an deren linker Außenseite sich der Anfang des Aufstieges zur Harriman Jagdhütte und zum Gipfel der Riegerin.
Hier, vor dieser Kehre, steht auch eine Bank, auf der man (vor allem bei schönem Wetter) eine wunderschöne Aussicht genießen kann.
Bei unserem Wetter ist die Aussicht allerdings nicht so toll und so gehen wir weiter. Gleich nach der Kehre wird der Rest der Straße grasig und immer stärker verwachsen, dann geht die Straße in einen Jagdsteig über, der zu einer Jagdhütte unterm Turm und zum Stadutz 1706m führen soll. PDF
Wir folgen dem im steilen Wald schön angelegtem Steig bis zu einer Schotterrinne…
Die relativ steile Rinne, die mir am Anfang direkt angsteinflößend ausschaute, aber je länger wir hier standen, desto lächerlicher kam mir meine Angst (oder das ungute Gefühl) vor. Je länger ich da runter oder rauf schaute, desto mehr kam ich zur Überzeugung, daß man hier, sofern man weiß, wohin das Ding mündet, locker runter laufen könnte. Das geht aber nur genau in der Rinne, Im Schotterhang sind die Steine so lose, daß man sich kaum halten kann.
Natürlich wäre ich neugierig gewesen, wie das hier weiter geht. Auf der anderen Seite der Rinne war die Fortsetzung des Weges klar zu sehen und in der Beschreibung steht auch klar, daß mehrere Rinnen zu überqueren sind. Ich halte es aber nicht für sinnvoll, dem Steig hier jetzt weiter zu folgen. Wir sind im südlichsten Ende des Brunntales, der Nebel hängt hier tief und dick und wir würden oben, egal, wo wir uns dann befinden, absolut keine Aussicht haben. Nicht nur daß, nieselte es hier auch leicht und ich hatte keine Jacke mit. Wir kennen jetzt den Weg hier her, wissen, wo der Steig weiter geht und kommen bei schönem Wetter wieder, und daher kehren wir jetzt um.
In wenigen Minuten, wir können es kaum glauben, sind wir wieder beim Ende der Straße angekommen.
Karte unseres kleinen Ausfluges in Richtung Turm und Stadurz.
Da vorne ist wieder die Kehre, in der die verwachsene Stichstraße in die Schotterstraße übergeht. Genau am Anfang der Kehre (von hier aus gesehen) beginnt der Steig zur Harrimanhütte, die auf 1522m liegt.
Ein sehr schöner, kurvenreicher Steig führt uns nach oben und an den Rand dieses großen Schuttkar. Nach über zwanzig Jahren kann ich mich eigentlich nur mehr dunkel erinnern, daß ich hier schon öfters war.
Einige Bäume wurden vom Sturm umgerissen, ein (kleiner) Teil des Steig ist abgebrochen, aber sonst zeigt sich der Steig in bestem Zustand. Mich wundert immer wieder, daß die Schneemassen der Winter in diesem steilen Gelände nicht wesentlich größeren Schaden am Steig anrichtet.
Steine am Baumstumpf bestätigen, daß der Weg richtig ist. Sonja legt ein Steinchen dazu.
Es ist seltsam. Ich war seit über zwanzig Jahren nicht mehr hier, aber ich fühle mich hier absolut wohl. Nichts ist mir wirklich bekannt, aber es kommt mir auch nicht so vor, als wäre ich hier komplett fremd.
Klar zeichnet sich der Weg über die Schutthalbe ab, die wir queren sollen.
Plötzlich sehe ich da vorne bei den Felsen etwas, was mich ein wenig ratlos werden lässt. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, daß hier irgendwo in den Rotmäuern eine felsige, schluchtartige Engstelle war und auch, daß irgendwo Holzbalken als Abstützung und Tritthilfen lagen, aber diese Stelle ist mir fremd, und doch liegen dort Holzbalken als Aufstiegshilfen. Ist das die Stelle, die ich vor mehr als zwanzig Jahren mehrmals überwunden hab? Das kommt mir hier alles total fremd vor.
So hat die “Schlüsselstelle” am 9. September 2000 ausgeschaut. Hat mir von Anfang an sehr gut gefallen.
Ich bin richtig verwirrt. Kenn ich das? Kenn ich das nicht? Wenn nicht, warum kenn ich das nicht, wenn ich hier schon mehrmals war? Kann es sein, daß sich in zwanzig Jahren so viel verändert, daß ich so eine Stelle nicht mehr kenne? HIER zum Vergleich die Stellen, die ich damals bei meiner Besteigung so interessant fand. Da war ein Band in der Felswand, auf dem man genau gegenüber ins Griesgassl schauen konnte und dann war da noch eine steile, schmale Stelle, in der ein altes Stahlseil wackelig hing, aufregend anzuschauen aber relativ harmlos, wenn man es einmal gewöhnt war. Aber diese Stelle hier kommt mir unbekannt vor. Meine Güte, zwanzig Jahre sind offenbar doch eine lange Zeit.
Was dieses Teil hier sein soll, wozu das gut sein soll, weiß ich auch nicht. Kann aber sein, daß das hier verankert wurde, um zu verhindern, daß der Schutt ungehindert nach unten fällt und den Steig zerstört? Eine andere Funktion für diese Trumm kann ich mir einfach nicht erklären. Ist ja schon ein Wahnsinn, daß hier her zu schleppen. Den Trümmern nach zu urteilen war das aber eher einmal eine Aufstiegshilfe, die durch Felssturz zerstört wurde. Was auch erklären würde, warum mir hier alles so fremd vorkommt, obwohl ich mehrmals hier war.
Diese Felsnase oberhalb dieser Steighilfe ist heute unser höchster Punkt.
Hier ginge es weiter hinauf und ich hätte wirklich gute Lust, heute und jetzt da hoch zu steigen. Aber nicht mit Eddie! Wir werden wieder kommen und die Riegerin besteigen, das steht fest. Ich war schon da oben und ich weiß, da ist nix dabei. Dieser ganze Schutt hier, diese brüchige Felsen sind aber kein Gelände, in dem ich meine Hund haben möchte. Ich weiß nicht, ob ich dem Geschirr trauen kann, falls er im Schutt ausrutscht. Ich will nicht, daß er von einem Stein getroffen wird. Und außerdem will ich alleine deshalb jetzt nicht weiter gehen, weil ich, sofern wir einmal bei der Jagdhütte sind, auch auf den Gipfel steigen will, und daß hätte bei dem Nebel heute gar keinen Sinn. Der Gipfel der Riegerin ist zu schön, um hochzusteigen und nichts zu sehen. Es war wunderschön bis hierher, wir kommen wieder, aber jetzt drehen wir um.
Eigentlich hat diese Stelle, außer das sie gut ausschaut, nichts besonderes. Wenn da nicht dieses locker Geröll wäre, daß ein paar Meter weit sehr unangenehm ist.
Der Schotter oberhalb dieser Versicherung ist dermaßen lose, daß man sich kaum halten kann. Wozu diese Eisenklammern links am Fels gut sein sollen, weiß ich auch nicht. Rechts an der Felswand hängt ein sehr gut verankertes Stahlseil. Wenn man sich an dem ein wenig festhält, mehr zur moralischen Unterstützung als wirklich notwendig, dann kann man ganz locker über diese Holzbalken nach oben steigen und im Abstieg würde ich ebenfalls raten, sich ganz an der Felswand mit Hilfe des Stahlseiles nach unten zu handeln. Das ist mit Abstand die sicherste Art und man kann sich auch am Fels festhalten.
Das ist alles ein bissl steiler, als es hier ausschaut, aber kein echtes Problem. So irgendwie der Second Step für Arme.
Hier frag ich mich, “Ist das alles, was von den schönen Bändern übrig geblieben ist? Ist das alles zusammen gebrochen?”
So hat der Weg hier vor über zwanzig Jahren ausgeschaut. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wie lange diese Bänder waren. Vielleicht ist das eh schon alles?
Recht fröhlich und ganz gemütlich steigen wir durch diese schöne Landschaft wieder nach unten.
Wir haben ja großes Glück. Bei uns hier am Steig zur Riegerin und talauswärts wird die Sicht immer besser, aber nur einige hundert Meter weiter im Brunntal drinnen gegen die Schlußwand (Brunnmäuer) zu wird die Suppe immer dicker. Irgendwie schiebt sich der Nebel ganz hinten immer weiter zusammen zu einer undurchsichtigen Suppe.
Nochmals ein Blick zurück in die Rotmäuer und zum Durchstieg zur Jagdhütte. Irgendwie ist genau hier ein kleines Paradies für Blumen. So bunt, so knallige Farben sind mir an anderen Stellen gar nicht aufgefallen.
Irgendwie schau ich da aus, als hätte ich einen Helm aufgehabt. Schiacha Rawuzl.
Eine Stunde und zwanzig Minuten hat unser kleiner Ausflug von hier zum Durchstieg in den Rotmäuern und wieder zurück gedauert. Beim Aufstieg hierher sind wir immer der Straße gefolgt, jetzt, beim Abstieg nehmen wir den Steig, der gleich da vorne bei einem kleinen Steinhaufen nach unten führt. Diesen Steig kannte ich nicht, weil es den vor zwanzig Jahren nicht gegeben hat. Einen anderen Steig, von der untersten Kehre zur Jagdhütte unterm Turm und auf meiner alten Karte BEV 101 Eisenerz noch eingezeichnet, gibt es in der Realität allerdings dafür nicht mehr. Das ist jetzt der Steig, der vom Ende der Straße weiter führt, wie wir ihn am Vormittag ein Stück gegangen sind. So ändern sich halt die Zustände über die Jahre und Jahrzehnte, weil in der Welt der Berge alles zerbröselt.
Der da hatte sich wohl in der Richtung geirrt und war im Begriff, auf den Baum zu klettern. Irgendwie muß ihm dann wohl die Sinnlosigkeit seines Unternehmens bewusst geworden sein und er hat umgedreht, beziehungsweise er war grade dabei, umzudrehen. Ich dachte mir, “Geh her da, Kleiner”, hab ihn genommen und auf den Boden gesetzt. Ich frag mich, warum die Grünen Schnecken nicht als ihr Wappentier haben? Schnecken sind Männchen und Weibchen gleichzeitig.
Die Abkürzung durch den Wald nach unten ist zwar steil, aber schön angelegt. In zwanzig Minuten (zwanzig spielte am heutigen Tag eine nicht unerhebliche Rolle) waren wir wieder im unteren Teil der Forststraße.
Pause und Raubtierfütterung bei einem Jagdunterstand. Es nieselt wieder ganz leicht und mein Schirm kann sich nützlich machen.
Der Turm, endlich nicht vom Nebel verhüllt.
Eine Messstation für irgendwas
Rast, dahinter die Nordwestseite der Riegerin. Oben ist noch immer alles im Nebel.
Wir haben fast das Ende unseres kleinen Ausfluges erreicht. Jetzt noch vorbei am Jagdhaus Brunnjäger zum Parkplatz und dann noch einen kleinen Abstecher zum Brunnsee.
Der Brunnsee. Wir haben heute einiges gelernt. Den Weg zu Turm und Stadurz haben wir gefunden, bei den Rotmäuern waren wir oben, schöne Blumen haben wir gesehen und einige Gämsen beobachtet. Wieder sind ein paar schöne Stunden in der Natur zu ENDE gegangen.
Nachtrag: Das hat mir jetzt keine Ruhe gelassen und ich hab in den Weiten des www gesucht. Tatsächlich, es ist kein Wunder, daß ich mich an einige Teile des Weges in der Rotwand nicht mehr erinnern konnte, das so gesehen zu haben. Im Forum Gipfeltreff sind ein paar ältere Beiträge über die Riegerin zu finden, in denen der Zustand des Steiges als teilweise recht desolat beschrieben wurde. Ein Beitrag von 2011 zeigt Schilder, auf denen die Sperre des Weges aus Sicherheitsgründen ausgewiesen war. Der Steig war teilweise recht verfallen und es stand zu befürchten, daß er sofern keine Renovierung stattfinden würde, der Steig in Zukunft unbegehbar oder zumindest gefährlich sein würde. Einiges von dem, was ich vor über zwanzig Jahren gesehen hab, ist in der Tat zusammengefallen, einiges nicht mehr so, wie ich es vorfand und einiges, beispielsweise die Sicherungen, sind jetzt, 2023, praktisch funkelnagelneu. Bis auf ein altes, wackelig verankertes, recht fragwürdiges Seil, daß ich damals an der “Schlüsselstelle” vorfand, gab es keine Sicherungen, der Steig schien damals aber auch weder verfallen noch gefährlich. So werde ich mich also jetzt sputen, um die Riegerin doch noch einmal besteigen zu können, entweder bevor ich zu alt werde oder bevor der Stieg durch einen Felssturz zerstört und unbegehbar wird. Ich hab so schöne Erinnerungen an die Riegerin, daß ich einfach nochmals da hinauf steigen muß. Die Aussicht ist einfach grandios.
Nachtrag 2: Seltsam, auch der Steig von der unteren Brunntalstraße bis zur Kehre rauf, die Abkürzung durch den Wald, scheint in den letzten zwanzig Jahren mehrmals verfallen und wieder errichtet worden zu sein. Irgendwie ist das alles auch kein Wunder. Ich war damals einige Male im Winter im Brunntal und in der Lang Eibel Schlucht. Viel Schnee und Eis, viele Eisstürze, es hat hinter jedem Eck gekracht und gestaubt. Eigentlich darf es einen gar nicht wundern, wenn solche Steige, die durch Wände führen wie durch die Rotwand, irgendwann von den Naturgewalten einfach weggerissen werden. Schon damals hab ich mich am Band durch die Rotwand gefragt, wann das einmal runterkrachen wird. Die Frage war mehr rhetorischer Natur, aber jetzt, zwanzig Jahre danach, fand ich die Brösel dieses Bandes als Antwort.