Ein neuer Tag, ein neues Unternehmen. Leider spür ich schon von Anfang an, daß heute nicht unbedingt mein Tag ist. Ich fühl mich schwach. Und so nebenbei meldet der Wetterbericht oder die Vorhersage der Bergfexe für Wildalpen Gewitterneigung ab Mittag. Das heißt, der Geiger wird heute nix. Erstens fühl ich mich ehrlich gesagt für den Geiger (ja, nur ein kleiner Mugel mit 1723m) zu schwach und zweitens war ich schon einmal am Großen Geiger. Seitdem weiß ich, daß man vom Steig, der zur Eisenerzer Höhe führt, zum Gipfel ein sehr unübersichtliches Gelände vorfindet, in dem man sich höchstwahrscheinlich bei schlechter Sicht ohne genaue Ortskenntnis leicht verirrt. Ich hab heutzutage einfach keine Bock mehr auf sowas. Also was anderes. Aber was? “Du kennst ja den Tremelsattel (Schreibweise wie am ersten Schild vor Ort, wir fanden insgesamt drei unterschiedliche Schreibweisen) nicht” sag ich. “Nein” sagt Sonja. Wir wollen den Alpinweg vom Hochkar (oder vom Ringkogel) zum Dürrenstein gehen, haben uns aber ausgedacht, wir gehen das, alleine schon wegen Eddie, in zwei Etappen. Einmal über den Ringkogel aufsteigen und beim Tremel wieder ins Steinbachtal runter und dann bei der zweiten Hälfte im Steinbachtal zum Tremel rauf und am Dürrenstein übernachten, bevor wir dann wieder über die Ybbstralhütte ins Steinbachtal absteigen. Das ist sicher, so stell ich mir das vor, mehr Vergnügen, als in einer Hitze durchrennen zu müssen. Außerdem, ich war schon einmal am Tremel. Vor rund zwanzig Jahren war ich mit dem Auto im Steinbachtal, bin da etwas herum gewandert und hab, so als Draufgabe, den Tremel bestiegen. Ganz oben war ein kleines Stück bei einer steilen, steinernen Rinne etwas gruselig, weil der Weg abgebrochen war und nur ein altes Seil (Stahl oder Textil kann ich mich nicht mehr erinnern), dessen Verankerung mir auch nicht grade vertrauenswürdig ausgeschaut hat. Ich bin da trotzdem recht einfach drüber gekommen, im Auf- wie im Abstieg. Das sind meine Erinnerungen an den Tremelsattel, aber aus Klaus bin ich noch nie da hinauf gestiegen. Also? “Oh ja, machen wir das!” sagt Sonja. Eddie ist sowieso immer dabei. Dem ist egal, wo wir sind, Hauptsache, er kann dabei sein.
Wir fahren über die Hühnermauer nach Klaus und zur Brücke am Lassingbach. Vor der Brücke auf 682m Seehöhe stellen wir das Auto ab und machen uns fertig. 7:25 Uhr. Rucksack am Rücken, Hund an die Leine, es geht los.
Der Lassingbach kommt aus der Gegend um den Rothwald, einem der größten Urwälder Mitteleuropas und gleichzeitig strengstes Naturschutzgebiet, das immer wieder vergrößert wird.
Gleich nach der Brücke findet sich schon ein Wegweiser. Der Tremel war früher ein oft begangener Übergang vom Steinbachtal (Niederösterreich) in die Steiermark nach Wildalpen. Heute hat er nur mehr Touristischen Wert.
So rund fünfzig Meter nach der Schranke findet man an einem Baum, der auf einer sehr steilen Leiten steht, Markierungen und Schilder. “Das glaub ich jetzt nicht!” entfährt es mir unwillkürlich. “Was ist den?” fragt Sonja. “Na da, schau, da führt der Weg rauf. Die spinnen doch!” Dabei ist die Lösung ganz einfach. Ja, diese Böschung ist sehr steil. Aber der Weg mäandert da recht vernünftig begehbar hinauf und man gewinnt schnell an Höhe.
In ein paar wenigen Minuten hat man eine beachtliche Höhe erreicht und hat erstmals einen schönen Ausblick. Die Steilheit hält sich auch nicht lange und das Gelände wird rasch flacher.
Da steht ein Mast, der keine Aufgabe mehr erfüllt.
Der Weg ist durchwegs gut erkennbar und auch, wenn nötig, gut markiert.
Wir kommen hier in eine Art Hochtal oder Einsattelung zwischen zwei Mugel und wandern recht flach hindurch.
Das tiefe Laub macht das Erkennen des Pfades nicht immer einfach, aber die Schneise sollte man doch erkennen.
Querung eines kleinen Bächleins
Bachquerung bei einer Forststraße. Diese Forststraße sollte man sich auf der Karte merken, falls man bei einem Schlechtwettereinbruch schnell abhauen müsste. Wir nehmen diesen Weg später als Abstieg.
Gleich hinter’m Bach geht’s sofort wieder in den Wald, sodaß man eine Schleife der Forststraße abkürzt.
Wir sind wieder an der Forststraße (nach der Schleife) und haben vor uns an einem Baum Markierungen und ein Schild. Da also geht es jetzt hinauf.
Der sehr schöne Steig folgt jetzt einem Kahlschlag in einer Rinne nach oben. Der Weg ist immer gut zu sehen und Markierungen sind von weiten weiter oben erkennbar.
Bisher bin ich, trotzdem ich mich recht schwach fühle, recht zuversichtlich und fröhlich. Waldorf & Statler. Also, los geht’s!
Zuerst gleich einmal an einem Hochstand vorbei. Sollte man hier in der Nähe in ein Unwetter kommen, könnte man das hier eine Weile aussitzen.
Eigentlich sind Steig und Aussicht wunderschön, aber aus einem mir momentan unerfindlichen Grund fühle ich mich beim Aufstieg immer schwächer und schwächer, als würde mir das Benzin ausgehen. Hab ich zu wenig gegessen? So schlampig war ich früher auch öfters und hab mich dann gefühlt wie ein nasser Fetzen.
Der Steig folgt der Rinne ziemlich grade nach oben. Ungefähr bei der Hälfte dieses Aufstieges knickt er dann nach links (Westen) weg und quert in der Folge die Hänge bis zum Sattel. Ergo ist der Knick ein Indikator, daß man die Hälfte geschafft hat.
Wir sind schon in der Querung.
Teilweise liegen ein paar Bäume herum, aber nichts, was man nicht leicht übersteigen könnte.
Während ich mich von Markierung zu Markierung hoch schinde, unterhält mich Sonja mit ihren Faxen. So schwach ich mich auch fühle, ich will da rauf und Sonja und Eddie unterstützen mich dabei moralisch, indem sie mich unterhalten.
Das Gelände ist nie ungut oder gar gefährlich, obwohl es einigermaßen steil ist. Selbst, wenn man ausrutschen sollte, könnte man sich noch recht einfach abfangen. Nur eines ist recht ungut. In der Querung, also der zweiten Hälfte des Aufstieges ab Forststraße, liegt sehr viel Laub. Hier möchte ich nicht unbedingt in ein Unwetter kommen.
Boaaa. Schwitzend, keuchend und hundemüde erreiche ich nach zwei Stunden den Tremelsattel. Sonja und Eddie sind beide recht gut drauf, nur ich bin streichfähig.
Jetzt rasten, trinken, eine Dose Fleischschmalz verdrücken, dann geht es mir wieder besser und mein Unternehmungsgeist erwacht wieder. “Lassen wir die Rucksäcke hier liegen und gehen wir zum Hochkirch!” sag ich. Der Hochkirch ist eine 1468m hohe Erhebung am Verbindungskamm zwischen Hochkar und Dürrenstein und liegt genau dort, wo die Landesgrenze zwischen Niederösterreich und der Steiermark nach Süden abknickt. Bis dahin sollten wir es recht flott schaffen. Ich möchte so gerne ein Stück hier gehen. So lange hab ich mir schon vorgenommen, diesen Steig zu gehen. Über zwanzig Jahre träum ich schon davon. Heute bin ich hier und hab die Gelegenheit, ein Stück hier zu gehen.
Also los geht’s. Auf zum Hochkirch.
Blick ins Steinbachtal (Norden)
Blick zurück zum Ringkogel (Westen)
Blick in Richtung Dürrenstein (Nordosten)
Steile Felsblöcke am Grat werden südseitig umgangen.
Ein wunderschöner, scharfer Felsgrat erinnert mich sofort an den Schrabachauerkogel. Auch dort ist so ein schönes Stück Fels zu überwinden. Links und rechts fällt der Fels steil ab, aber das Ding ist unheimlich griffig. Kein Problem.
Etwas dunstiger Ausblick zur Nordwestseite der Kräuterin (Hochstadl ganz links am Bildrand), zur Riegerin, zu Ebenstein, Brandstein und zahllosen Mugeln der Gegend.
Hier nochmals ein Blick zu den unglaublich steilen Abbrüchen der Kräuterin Westseite.
Knackiger Abstieg in eine der zahllosen Senken dieses Kammes irgendwo in der Nähe des Hochkirch oder auch des etwas höheren Mugel davor.
Der Grund der Senke, dem ein Aufstieg von wasweißich wie vielen Metern folgt. Ich glaub, oben ist der Punkt ohne Namen auf 1486m genau am Knick vorm Hochkirch. Ich hab da hinauf geschaut, in mich gehorcht und hab aufgegeben. Ich kann es einfach nicht fassen. Vom Ausgangspunkt (ganz unten in Klaus) zum Hochkirch wären das vielleicht insgesamt mit Gegensteigungen neunhundert Meter Höhenunterschied, aber ich schaff das heute einfach nicht. Meine Oberschenkel fühlen sich an, als wäre ich gestern am Everest gewesen. Ich erhole mich zwar immer wieder recht schnell, hab keinerlei Atemnot, aber genau so schnell geh ich hinterher wieder ein. Oberschenkel total ausgelaufen. Ich kann das jetzt nicht ändern und wir drehen um. Ja, ich käme da rauf! Ich muß da aber auch wieder komplett runter! Mit Gegensteigungen. Und wer weiß, ob das Wetter hält?
Ich fühl mich so hilflos, so sauer. Keine tausend Höhenmeter und komplett eingegangen. Aber, na ja, ich war hier heroben und ich war am Tremel von der Klaus Seite. Also mehr als gar nix.
Hier ist es wunderschön, aber irgendwie wird es duster und kalter Wind kommt auf.
11 Uhr. Eine Stunden waren wir unterwegs. Aufgrund der kurzen Zeitspanne inklusive Pausen und fotografieren glaub ich gar nicht, daß wir vorm Hochkirch waren. Vielleicht eher dort, wo auf der Karte “Waldsteinsattel 1387m” steht? Keine Ahnung und ist jetzt auch egal. Hier am Sattel weht jetzt ein eiskalter Luftzug aus dem Steinbachtal herüber. Es fühlt sich so an wie im Winter kurz vor einem massiven Schneesturm. Das kann aber am 23. Mai am Tremel kaum der Fall sein. Vielleicht irren wir ja auch und es ist gar nix.
Die laubreiche Querung ist wieder ein wenig ungut, aber es klappt problemlos.
Gespenstisch eisiger Luftzug umweht uns und es wird immer dusterer. Wir beeilen uns, in die Nähe der Forststraße und des Jagdunterstandes zu kommen, bevor es los geht. Es grollt und der Wind frischt auf.
Geschafft. Wir sind vielleicht noch fünfzig Höhenmeter von der Straße entfernt. Hier hat man einen schönen Ausblick, hier rasten wir eine Weile, dann gehen wir weiter. Ich bin noch immer angefressen, daß ich heute so schwach bin.
Diesem Specht möchte ich nicht begegnen. Der hat sicher eine Hilti im Anschlag.
Wir sind wieder bei der kleinen Baumgruppe mit dem Schild. Hier stellen wir uns kurz unter, trinken und ziehen unsere GTX Jacken an. Es ist duster, es grollt und es beginnt leicht zu regnen.
Wieder die Abkürzung der Forststraßenschleife
Jetzt folgen wir dieser Forststraße bis zu einem Punkt, der auf der Karte als Irxenau bezeichnet ist und unweit der Straße von Klaus zum Rothwald liegt.
Wir haben die (sehr schlechte) Asphaltstraße erreicht, auf der wir zur Brücke gehen, wo das Auto steht.
Immer wieder kommen wir bei unseren Wanderungen an Gedenktafeln verunglückter Waldarbeiter vorbei. Hier ist jemand am 31. Oktober 1936 durch eine Lawine ums Leben gekommen.
13 Uhr. Geschafft. Wir sind zurück am Ausgangspunkt. Es war zwar nicht ganz so, wie ich mir das vorgestellt hatte, aber es war besser als nix. Wir kennen jetzt den Tremel und ein Stück des Alpinweges zwischen Ringkogel und Dürrenstein und wir freuen uns drauf, wenn wir unter anderen Bedingungen wieder am Tremel sind.
Am Rückweg zum Campingplatz halten wir natürlich bei der Hühnermauer. Oft waren wir auch mit den Motorrädern hier und kaum eine Fahrt über die Hühnermauer, bei der wir nicht stehen bleiben und auf den Mugel links vorne kraxeln. So auch heute.
Das Wetter schaut wieder toll aus, von Regen keine Spur mehr.
Hier heroben finde ich auch meine ersten Flockenblumen, die ich heuer schon so vermisst hatte. Wir laufen am Abend noch etwas in Wildalpen und neben der Salza herum, dann verziehen wir uns ins Zelt. Es beginnt wieder zu regnen. Zuerst leicht, dann stark mit kräftigem Donnern. Es regnet teilweise bis zum Morgen.
Ganz entgegen unseren Plänen packen wir am Mittwoch Morgen zusammen und reisen ab. Alles, was wir hinterlassen, sind ein paar umgeknickte Grashalme in der Wiese. In den Bergen hat es die ganze Nacht geregnet. Wir sind im Moment die einzigen Gäste am Campingplatz. Für’s Wochenende ist der Platz wieder ausgebucht. Wir fahren heim, verstauen unseren Krempel und um 13 Uhr brechen wir zu einer zünftigen Motorradtour ins Mühlviertel auf. Aber wir kommen wieder, keine Frage. Es ist schön in Wildalpen.
Der Tremelsattel ist mir in Erinnerung. Eimmal nach bin ich dort hundemüde runtergekommen, als ich den alten Steig über den Hundsaugraben zur Eisenstadtjagdhütte auf den Dürrenstein (unmarkiert) gegangen bin und über den Tremel wieder runter.
Und ein anderes Mal bin ich Nähe Fachwerk über einen Jagdsteig zur Wasserriedelhütte und über eine längst verfallene Alm auf die Schmalzmauer (Hochkar) und dann über den Ringkogel im Gewitter zum Tremel, wo das Gewitter dann in Regen überging. Also eher nicht so schöne Erinnerungen. Aber sonst spannende Wege in der Gegend – vor allem die alten unmarkierten, abenteuerlichen 😉
Kommentar by Andreas — 25. Juni 2023 @ 23:34
Danke für den Kommentar. Ja, die alten Jagdsteige, die in neuen Karten kaum mehr eingezeichnet sind, die mag ich auch. Manchmal noch recht deutlich, oft schwerer zu finden und manchmal nicht mehr vorhanden sind sie meist wesentlich interessanter als ausgetretene, markierte Steige. Grade das Dürrenstein – Hochkar Gebiet bietet noch viele solche kleine Abenteuer auf unmarkierten Wegen. Wünsch Dir noch viel Spaß bei Deinen Unternehmungen.
Kommentar by Benzin — 26. Juni 2023 @ 19:02