Timmelsjoch 2509m – Jaufenpass 2094m – Stilfserjoch 2757m – Umbrailpass 2501m – Ofenpass 2149m – Passo di Gavia 2618m – Bernina Pass 2328m – Albulapass 2312m – Silvretta Hochalpenstrasse 2018m – Arlbergpass 1802m – Flexenpass 1773 – Hahntennjoch 1894m 2312m –
Endlich war er da, der 14. Juni 2008. Schon im Dezember des Vorjahres hatte Michael eine Idee in den Raum des FZR Forums geworfen. „Wie wäre es mit einer Tour, entweder in Österreich oder international“. So begann ich zu planen und diese Tour sollte das Ergebnis sein. Nun war es soweit.
Endlich der Aufbruch nach Tirol, wo wir Tourteilnehmer uns treffen wollten.
Es sollte sozusagen mit einer internationalen Sternfahrt beginnen. Aus allen Himmelsrichtungen strebten wir unser Ziel, den Gasthof Ruetz in St.Sigmund im Sellrain an, um von dort aus zur gemeinsamen Tour nach Italien und über die Schweiz wieder zurück nach Tirol aufzubrechen.
„Wie viele werden wohl wirklich kommen?“, fragte ich mich im Anbetracht der schlechten Wettervorhersage. Das Gefühl sagte mir, dass kaum mehr als eine Handvoll übrig bleiben werden, die sich, allen Unbilden der Witterung zum Trotz, aufmachen würden. Und so sollte es auch kommen.
Michael – @Panther – machte sich von der Nordsee auf den Weg nach Tirol, Paul – @Onfire – fuhr in Luxemburg los, Horst – @Sonyman1976 – hatte aus München nicht gar so weit und Hannes „Hans“ Hauer, Alfons „Alf“ – @Strike – sowie ich hatten als Ober- bzw. Niederösterreicher ohnehin ein Heimspiel, durften aber aus unseren im Osten der Republik gelegenen Heimatorten trotzdem eine hunderte Kilometer weite Anreise antreten.
1850km sollte mein Kilometerzähler am Ende der Tour anzeigen. Mit sagenhaften 2926,4! gefahrenen Kilometern stellte Michael sicher einen einsamen Rekord auf. Die größten Schwierigkeiten sollten aber auf den fürstlichen Untertan aus Luxemburg warten. Gottlob wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand davon. Aber das Unheil nahte mit riesen Schritten.
Samstag, 14. Juni 2008 – Die Anreise nach Tirol
Strecke: Amstetten – Waidhofen/Ybbs – Ennstal – Admont – Liezen – Schladming – Radstatt – Wagrain – St. Johann/Pongau – Mittersil – Gerlospass 1531m – Zillertaler Höhenstrasse 2015m – Inntal – Innsbruck – Kematen/Tirol – St.Sigmund im Sellrain
Streckenlänge: 440km
Der Alf und ich hatte ausgemacht, dass wir uns um 9:00 Uhr in Admont an der Tankstelle treffen. Es war die einfachste Lösung, da ich aus Amstetten und er aus Linz anreisten, Admont daher zum Treffen sehr gut geeignet war. Also fuhr ich um 7:30 Uhr los. Nach den 4 Monaten Zwangspause im Straßenverkehr hatte ich ohnehin einen Trainingsrückstand, den konnte ich jetzt wettmachen. So ließ ich es gleich einigermaßen flott angehen. Es ist ein tolles Gefühl, am Morgen wegzufahren mit der Aussicht, die nächsten Tage mit Gleichgesinnten zu verbringen, zum Teil sogar mit Leuten, die man schon ein wenig kennt, für die man so etwas wie echte Freundschaft empfindet. Der Buchauersattel mit seinen 861m war rasch überwunden und Admont in Sichtweite.
An der Tankstelle dann einen Kaffee und auf Alfs Ankunft gewartet. Nach 30 Minuten wurde ich etwas unruhig, da läutete das Telefon.
Die kleine FZR hatte am Morgen Mucken gemacht, wollte nicht anspringen. Irgendwie wurde sie dann zur Arbeit überredet und auch Alf konnte losfahren. Ich fuhr dann in Anbetracht meines schon schmerzenden Hinterteils (vom Barhocker) bis Liezen, wo nach einem weiteren Kaffee an einer Tankstelle Alf auftauchte. Zusammen ging´s dann weiter quer durch Österreich, bis wir wieder irgendwo in Salzburg zu einer Kaffeepause anhielten.
Hier sollte ein Problem auftauchen, mit dem wohl niemand gerechnet hatte.
Wir waren schon beim Anziehen zur Weiterfahrt, da tüdelte in meiner Jacke schon wieder das Telefon. Paul aus Luxemburg am Apparat. Im ersten Moment erinnerten mich die Worte an Apollo 13, die damals lauteten „Houston, wir haben ein Problem“. Pauls Worte waren ähnlich. „Hannes, ich hab ein Problem“. Paul war nicht mehr alleine unterwegs, er hatte sich mit Michael in Deutschland getroffen, gemeinsam waren sie nun nach Tirol unterwegs.
Seine Geschichte hörte sich überhaupt nicht gut an. Ein Gabelsimmering hatte den Geist aufgegeben. Aber nicht wie so oft an alten Motorrädern, dass sich ein leichter Ölfilm am Rohr zeigt, bei Paul war schon die Bremsscheibe voll Öl und somit die Sicherheit des Fahrzeuges beeinträchtigt.
Im ersten Moment muß ich ziemlich belämmert aus der Wäsche geschaut haben, den Alf sah mich etwas ratlos an.
Dann überlegten wir, was wir machen könnten, wie wir, irgendwie, helfen könnten. Es war, wie gesagt, ein Samstag, also Wochenende. Werkstätten haben geschlossen. Die beiden befanden sich noch auf Deutschem Gebiet und eventuell konnte sich eine Chance ergeben, in einer größeren Ortschaft drüben in Deutschland, oder herüben in Österreich so ein Teil aufzutreiben. Mir ist dann Nicole alias @Madame eingefallen, die mir ihre Telefonnummer gab, weil sie am Ende der Tour dabei sein wollte. Mir schien es bisher so, dass Nicole irgendwie immer einen Computer in Reichweite hat, und so rief ich sie an. „Nicole, wir haben ein großes Problem, kannst du uns helfen?“ Mit Pauls Telefonnummer und dem Computer versuchte sie dann, irgendwo und irgenwie Hilfe zu organisieren. Leider vergebens. Trotzdem, sie hatte uns noch nie gesehen oder gehört, aber sofort und ohne zu Zögern bot sie ihre Hilfe an. Soweit ich weiß, hatte Michael eine ähnliche Idee und bat Jann (@Ostfriese) um Hilfe, ebenso ergebnislos. Dazu kann Michael aber mehr erzählen.
Nun, da wir, in Salzburg sitzend, nicht mehr machen konnten, fuhren wir eben weiter, dem Gerlospass (1531m) entgegen, mit der Hoffnung, dass Paul gut in Tirol ankommt, auch ohne reparierter Gabel und mit verölter Bremse. Aber im Moment hatten wir keine Chance, weiter zu helfen.
Der Gerlospass (Maut 4€) ist eine wunderschön ausgebaute Straße mit weiten Kurven, die sich durch bezaubernde Landschaft schlängelt. Oben kommt man an einem malerisch gelegenen See vorbei, und auf der westlichen Seite hat man einen weiten Überblick über das Zillertal, unserem nächsten Ziel. In Zell am Ziller biegt man links ab und folgt der B169 bis Mayerhofen. Ein Schild weist dann den Weg zur „Zillertaler Höhenstrasse“.
In engen Kurven windet sich das Strässchen die Hänge hoch und gewährt immer grandiosere Ausblicke auf das Zillertal und die umliegenden Berge. Der Zustand der Straße ist weit nicht so schlecht wie ich immer las. So oder so ähnlich sind auch bei uns die Güterwege, nur der wunderbare Ausblick fehlt bei uns – leider. Rundherum befinden sich Berge, die an die 3000m oder sogar bis zu über 3500m in den Himmel ragen. Ein wirklich überwältigender Anblick. Normal wäre hier Maut zu bezahlen. Wie viel diese ausmacht, wissen wir allerdings nicht, da niemand anzutreffen war, der Geld von uns wollte, obwohl wir für dieses Panorama sogar gerne bezahlt hätten. Alf meinte auf mein ratloses Gesicht angesichts der leeren Stationshütte nur: “Was sollen wir den machen? Sollen wir das Geld an die Tür nageln?“
Tut mir leid, liebe Zillertaler, aber so blöd waren wir dann doch nicht!
Nachdem wir diese ersten “Höhenpunkte” der Tour – topographisch wie gefühlsmäßig im wahrsten Sinne des Wortes – hinter uns gelassen hatten (hinter uns gebracht wäre der falsche Ausdruck, wir konnten ja gar nicht genug bekommen), zogen wir dem Inntal entgegen, und auf der Autobahn mangels interessanter Alternative über Innsbruck nach Kematen in Tirol, wo wir dann der Sellrainstrasse entlang fahrend, St.Sigmund und unsere Herberge erreichten.
Da standen sie schon, die Motorräder der Jungs. Eine Triumph mit Rieder Kennzeichen, eine KiloGixxer aus Friesland, eine 750er Gixxer aus München sowie eine etwas ramponierte Kilo FZR aus Luxemburg, und in der Gaststätte vom Ruetz, unserem Wirt und Zimmervermieter, saßen schon die dazugehörigen Kollegen beisammen. Endlich waren wir da, endlich waren wir zusammen.
Nach der Begrüßung und einem ersten Schwätzchen folgte ein fürstliches Mahl, und langsam ließen wir gemeinsam den Abend ausklingen. Die Tour konnte beginnen.
Sonntag, 15. Juni 2008 – Tourstart: St. Sigmund/Sellrain – Trafoi
Strecke: St.Sigmund – Oetz – Sölden – Timmelsjoch – St.Leonhard in Passeier – Jaufenpass – St.Leonhard in Passaier – Meran – Schlanders – Trafoi Streckenlänge: 219km
Streckenlänge Trafoi – Stilfserjoch – Umbrailpass – Santa Maria – Ofenpass – Santa Maria – Glurns – Trafoi ca. 85km
Als ich gegen 6 Uhr erwachte, brummte mir richtig der Schädel. Nein, ich hatte nichts getrunken. Zumindest nichts Alkoholisches. Ich hatte einfach nicht einschlafen können. Möglicherweise war daran der Eimer Kaffee Schuld, den ich am Vortag konsumierte. Ich hatte es geahnt, da sich die Birne schon am Abend so komisch anfühlte. Bei dieser Kaffeemenge müsste man ja normalerweise schwarz werden im Gesicht, oder zumindest braun, denn ich trinke ihn mit Milch. Ich wurde aber nur hellwach davon und verbrachte die halbe Nacht damit, einzuschlafen.
Nach dem Duschen fühlte sich das Ganze schon besser an, aber ich war noch immer ein wenig ferngesteuert. Also auf zum Frühstück, das schon als Buffet bereitstand. Über die Unterkunft konnte man tatsächlich nicht klagen. Die Zimmer zwar einfach eingerichtet, aber picksauber, mit Dusche und WC, die Betten nicht zu hart und nicht zu weich, gerade ideal. Aus den Fenstern oder vom Balkon, der fast rund um das Haus geht, hatte man einen herrlichen Ausblick.
Ausgemacht war, Frühstück von 7:00 – 8:00 Uhr, dann anziehen, packen, aufsitzen und anwerfen, und so wurde es auch durchgeführt. Paul musste seine angeschlagene Kilo jetzt einfach über die Berge und zumindest bis Meran bringen, anders war nichts auszurichten.
Die Fahrt, jetzt erstmals in ganzer Formation, führte uns zuerst nach Kühtai, einem nicht nur in Tirol äußerst bekannten Skiort in der Sellrain Region. Die Ortschaft liegt auf über 2000m und wird von über 2500m hohen Bergen eingerahmt. Ein prächtiger Anblick.
Das Wetter war mit blauem Himmel und Sonnenschein auf unserer Seite, wir konnten die Fahrt richtig genießen.
Bei der Auffahrt zum Timmelsjoch wurde das Panorama immer großartiger und wir alle kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Glaube ich jedenfalls denn mir, der ich ebenfalls erstmals da hochfuhr, ging es so. In einer kurvigen Passage kam hinter uns Gebrüll auf. Eine Franzosengruppe rauschte an uns vorbei, dann kehrte wieder Ruhe ein. Einen der Letzten dieser Gruppe hab ich kurz mal testen müssen, aber da mein Flügelmann (Michael) nicht mitzog, war es mir dann auch zu blöd, mit dem schwer beladenen Bock die Franzmänner auf ihren Sportlern zum Gefecht zu stellen. So hielt ich an einem Parkplatz, und der Rest des Geschwaders schwenkte hinter mir ebenfalls zu einer Rundschau ein. Wäre eh gleich die Mautstelle gekommen, also was soll´s.
Die Aussicht am Timmelsjoch kann man nur als grandios bezeichnen, was besseres fällt mir dazu nicht ein, und da wir im weiteren Verlauf der Tour mit tollen Ausblicken aus größeren Höhen wegen schlechtem Wetter nicht gerade gesegnet waren, blieb dies besonders schön in Erinnerung.
Ganz oben auf der Passhöhe war es an diesem Tag etwas eng. Ein Radrennen war im Gange und die Polizei aus Italien sowie aus Österreich sicherte den Zielbereich ab. Völlig erschöpfte Sportler wankten samt Fahrrad durchs Ziel, einer der ausgelaugten Männer fiel mir mit einem Überschlag (samt Fahrrad) direkt vor die Füße.
Was war ich froh, dass ich wieder meinen Führerschein hatte und mit dem Motorrad hier herauf fahren konnte.
Während die Anderen schon wieder weiterfuhren, erklomm Michael mit mir noch einen Hügel neben dem Parkplatz, auf dem eine steinerne Hütte steht, um den Ausblick noch besser genießen zu können. Dann bestiegen auch wir wieder die Feuerstühle und fuhren die Italienische Seite hinunter, die wesentlich steiler und schmäler als die Österreichische ist und durch Felstunnels führt. Wieder kann ich nur sagen, dass es bei weiten nicht so schlimm ist, wie ich immer las. Vor allem von nassen Holzbrücken, wie in verschiedenen Tourberichten zu lesen ist, auf denen Motorradfahrer gestürzt sein sollen, war weit und breit nichts zu sehen! Komisch, wie unterschiedlich die Beobachtungen sein können.
In St.Leonhard in Passeier kann man sich bei einer markanten Kreuzung entscheiden, rechts direkt nach Meran zu fahren oder, in einem scharfen Linksbogen, zum Jaufenpass abzubiegen. Für uns war klar, dass nun der Jaufenpass dran glauben musste. Dazu waren wir ja gekommen.
Diese Passstraße hat einen großen Vorteil. Sie liegt im unteren Bereich größtenteils im Wald, sodass man sich auf der Kurven- und Gripreichen Strecke wirklich aufs Wesentliche, nämlich aufs Fahren konzentrieren kann. Landschaft schauen kommt dann ganz oben, den Rest kann man sich beim Runterfahren anschauen, wenn das Wetter mitspielt.
Bedingt durch einige andere Fahrzeuge ergab es sich, dass Michael und ich vorne wegfuhren, während die Anderen auf Überholmöglichkeit warten mussten. Wir hatten schnell herausgefunden, dass der Italienische Asphalt tolle Haftung bot und ließen es ordentlich laufen. So viel langsamer waren aber auch die restlichen nicht unterwegs, denn auf der Passhöhe, beim Jaufenhaus, dauerte es nicht lange, und wir waren wieder komplett. Natürlich wurde hier eine Kaffeepause eingelegt, und selbstverständlich wurden auch Aufkleber gekauft! Man will ja auch den Daheimgebliebenen zeigen, dass man fort war. Sonst glaubt man mir wieder nicht, wenn ich im Wirtshaus damit auf den Putz haue.
Dann kamen die ersten Vorboten unseres im weiteren Verlauf der Reise ständigen Begleiters zum Vorschein. Das Wetter schlug um und es begann zu schneien!
Nichts mehr wurde es beim Runterfahren mit den schönen Bildern, die an einigen Stellen wohl zuvor noch möglich waren. Wir waren froh, wieder unten in der Wärme zu sein und fuhren nun Meran entgegen. Nach unseren Informationen sollte es dort zumindest einen, wenn nicht sogar zwei Yamaha Händler geben und wir wollten sehen, ob wir wenigstens einen erreichen könnten. Es war jetzt Sonntag, wohlgemerkt. Pauls Gabelsimmering war noch immer undicht, aber es spritzte kein Öl mehr heraus. Es war in der Zwischenzeit wohl alle geworden. Seltsamerweise konnte man der Fahrweise Pauls nicht anmerken, dass er praktisch mit einer Monogabel unterwegs war und die Bremsen verölt. Das Tempo hatte er nicht gerade merklich reduziert, die Bremsmanöver waren nur vorausschauender geplant.
In Meran trat dann erstmals, und nicht das letzte Mal, Hans Hauer in Aktion. Er war mit allem, was erfahrene und vorsichtige Tourenfahrer ausmacht, gerüstet. So unter anderem mit Werkzeug, das wohl eine Generalüberholung jedes Motorrades ermöglicht hätte, sowie einem Navi, zwar von vielen verachtet, aber in diesem Fall sehr nützlich. Während ich mit Michael, Alf und Horst Richtung Trafoi aufbrach, fuhr Hans mit Paul in Meran zum Yamaha Händler, um zu sehen, ob am Sonntag jemand erreichbar wäre. In Naturns, auf der Strecke zum Stilfserjoch außerhalb Merans, wollten wir uns bei irgendeiner Gaststätte wieder treffen. So geschah es auch. Leider ohne Gabelsimmeringe, den es war niemand erreichbar, wie auch fast erwartet. So hielten wir kurze Rast, und ich erfreute mich an köstlichen Spagetti sowie an einem Eimer Kaffee. Dann konnten wir endlich wieder zusammen weiterzufahren, um am Fuße des Stilfserjochs zu unserer Unterkunft zu gelangen. Wenige Kilometer vor Trafoi begann es wieder zu regnen.
Im Hotel Tannenheim wurden wir begrüßt, mit Zimmern versorgt und auch Getränke kamen nicht zu kurz. Das war so gegen 16:15 Uhr. Wir saßen gemütlich am Tisch, ein schöner Tag begann auszuklingen und ein 900cm³ Kawasaki Motor begann gerade die Aufmerksamkeit meiner Kumpels zu erwecken, als ich kühn die Frage in den Raum warf: „Was ist jetzt. Wer kommt in (Blick auf die Uhr) sagen wir 15min mit aufs Stilfserjoch?“
Gemurmel, Kopfschütteln und nach draußen in den Regen deuten war die mehrheitliche Antwort. Paul getraute sich verständlicherweise dieses Unterfangen nicht mitzumachen. Stilfserjoch mit verölten Bremsen? Da fehlt wirklich nur mehr der Ruf „Banzai – lang lebe der Kaiser“, wie bei den Kamikazepiloten angeblich üblich. Nur der Horst schaute mich an und nickte. „Eh klar fahren wir“.
Die Regenjacken hatten wir schon an, den größten Teil des Krempels, den man so auf Reisen braucht, hatten wir im Zimmer verstaut und im riesigen Topcase war, ganz anders, als mancher glaubte, eh kaum was drinnen, außer Reservehandschuhe und so Kleinigkeiten. Fast ideales Kampfgewicht also.
So fuhren wir zu zweit los in den Regen hinein, während die anderen die Qualitäten des Kawa Motors zu testen begannen.
Rasch erreichten wir die ersten Kehren, dann ging’s aufwärts. Wenn ich mich recht erinnere, stand herunten etwas von Kehre 45 und dazu noch Tornanti, oder wie das hieß. Was das auf Deutsch heißt, hatte ich aber rasch begriffen, denn als zum Regen auch noch dichter Nebel kam, waren diese Tafeln ein hilfreicher Anhaltspunkt, um eine lockere Kurve von einer dieser 180° Spitzkehren zu unterscheiden. Schon während der Fahrt sahen wir uns öfters an und lachten, denn solche „Kurven“ kommen im Rest Europas eher selten vor. Man fährt dort nach einer solchen „Tornanti“ praktisch nur um eine Straßenbreite zum Hang versetzt genau in die andere Richtung.
Mit meinem wendigen Dampfer kein Problem, aber mit einem Supersportler? Horst hatte sich aber sehr schnell an diese Ecken gewöhnt, und hurtig brachen wir in zirka 2400m Seehöhe durch den Nebel in die Sonne. Es war ein toller Anblick, der sich uns bot. Steil führte das Gelände hinauf, nur die kehrenreiche Straße macht dort ein Aufwärtskommen überhaupt möglich. Durch die Sonnenstrahlen leuchteten die Schneeflocken herrlich weiß, man hätte meinen können, dass die Weihnachtszeit zurückgekehrt wäre – mitten im Juni.
Bei einem kurzen Fotostop und dann oben am Parkplatz, konnten wir uns vor Lachen nicht mehr halten, es war einfach verrückt. Auf der ganzen Strecke waren uns nur zwei Chopperfahrer begegnet, sonst waren wir die einzigen Motorradfahrer hier heroben. Gerade noch rechtzeitig vor dem Zusperren ergatterten wir eines der begehrten Aufkleber. Voller Stolz klebte ich dieses Ding ans Motorrad. Wieder war ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen. Ich war mit dem Motorrad am Stilfserjoch. Mag sein, dass es für manche lächerlich klingt, aber ich hatte eine Freude wie ein Kind zu Weihnachten, und das sanfte Fallen der Schneeflocken verstärkte dieses Gefühl noch. „Wie öde muß die Welt sein, wenn man sich über nichts mehr freuen kann, wenn man solche Augenblicke nicht mehr kennt“, dachte ich still, aber natürlich war mir klar, dass die dortigen Einheimischen oder diejenigen, die dort oben Arbeitenden, das Stilfserjoch nicht so romantisch sahen wie ich, der das erste Mal dort weilte.
Nach einem kurvigen Abwärtsstück gelangten wir zur Schweizer Grenze, die wir ohne Kontrolle passierten. Auch Horst hatte in den Augen der zum Weiterfahren deutenden Beamten gesehen, was sie dachten. „Fahrt zu, ihr zwei Deppen! Wegen euch gehen wir nicht raus und frieren uns den Arsch ab“, war deutlich in den Gesichtern zu lesen. Nach dem obligatorischen Fotohalt bei der Tafel, die die Passhöhe des früher Wormserjoch genannten Umbrailpasses markiert, ging´s weiter. Zuerst kurvig über schmalen Asphalt, dann auf festem Schotter, auf dem man kaum das Tempo reduzieren mußte. Ein Wasserfall lud nochmals zur Pause ein, dann hurtig weiter nach Santa Maria im Münstertal.
Jetzt stellte sich die Frage, wie weit es den noch bis zum Ofenpass sein könnte? Aber weil wir schon da waren, fuhren wir einfach drauflos, bei wunderbarem Sonnenschein gen Westen, wo dieser Pass liegen sollte. Bei den ersten schärferen Kurven, die zur Passhöhe führen, begann es, natürlich, wieder zu regnen. Ein freundlicher Radfahrer fotografierte uns bei der Markierungstafel, dann ging´s wieder runter ins Tal, durch Santa Maria hindurch Richtung Osten, die Schweizer Grenze abermals ohne Kontrolle nach Italien querend, und über Glurns und Prad, diesmal im trockenen und dementsprechend flott, zum Hotel Tannenheim.
Richtig abgegangen waren wir scheinbar nicht. Die Jungs hatten dem Kawasaki Motor kräftig zugesprochen und führten Diskussionen über den Sinn des Lebens, oder was auch immer, jedenfalls hatten sie für unsere Bergerlebnisse im Moment nicht das richtige Ohr. Nach einem Hungerstillenden Abendmahl zog ich es vor, noch einen letzten Kaffee zu trinken und mich dann zur Nachtruhe zu begeben. Eigentlich dachte ich, dass ich lange wach gelegen wäre im Anbetracht der verdrückten Kaffeemenge. Aber als ich gegen 2:00 Uhr erwachte und Horst immer noch nicht da war, dachte ich, dass sie jetzt dabei wären, dem Kawamotor den Rest zu geben. Das war allerdings, zumindest was den Horst betraf, ein Irrtum, wie sich am nächsten Morgen herausstellen sollte.
Montag, 16. Juni 2008 – Trafoi in Südtirol nach Davos in der Schweiz
Strecke: Trafoi – Stilfserjoch – Bormio – Passo di Gavia – Ponte – Edolo – Teglio – Tirano – Berninapass – Samedan – Albulapass – Tiefencastel – Davos
Streckenlänge: ca. 270km
Wieder wurde ich, diesmal gegen halb sieben, wie gerädert wach. Diesmal war nicht nur der Kaffee Schuld, sondern auch ein Bett, das an Weichheit nicht zu übertreffen war, in dem ich allerdings ständig das Gefühl hatte, hinauszufallen. Nüchtern, wohlgemerkt! Nebenbei machte ich mir ernsthafte Sorgen wegen Horsts Abwesenheit. Wenn das etwas mit diesem verflixten 900er Motor zu tun hatte, konnte ich wohl heute, zumindest bis Mittag, am Stilfserjoch an meiner Fahrtechnik für 180° Spitzkehren feilen, eine Weiterfahrt wäre dann sicher unmöglich. So kleidete ich mich kummervoll an – ein erquickend warmes Duschbad ließ ich angesichts des eiskalten Wassers ausfallen – verließ das Zimmer und wurde beim Absperren mit einem gut gelaunten „Guten Morgen“ begrüßt. Verdutzt drehte ich mich zu Horst um. Aufrecht und lächelnd stand er da. Ohne glasige Augen, keine Bierfahne wehte mir entgegen. Hmmm…….?? Also den Kawasaki Motor haben sie wohl nicht geschlachtet, schoß es mir durch den Kopf. Wir stapften beide vor die Herberge, um eine Morgenzigarette zu paffen. Dort erzählte er mir seine Geschichte. Nicht lange, nachdem ich schlafen ging, klopfte er, wie ausgemacht, an die Tür. Ich hatte extra das Licht brennen lassen, damit ich nicht über unseren Krempel falle, wenn ich aufsperren gehe. Das Licht sah er wohl durchs Schlüsselloch, aber niemand öffnete! Ich war wohl rascher als gedacht so fest eingeschlafen, dass ich ihn nicht hörte. So bekam er vom Hotelchef einfach ein anderes Zimmer zugewiesen.
Bald waren wir, mehr oder weniger verknittert im Gesicht, angezogen und gelabt, und hatten nun ein Problem zu lösen. Pauls Motorrad hatte sich, wie erwartet, auch diese Nacht nicht selbst repariert. Aber ein Telefonat mit dem Yamaha Händler in Meran ließ uns hoffen, dass die Behebung seines Defektes nahe stand.
Hans Hauer war und ist weder Mitglied des FZR Forums, noch kannte er außer dem Alf irgend jemanden unserer Truppe. Vielleicht hatte er bis zu diesem Tag nicht einmal das Gefühl, hier richtig Anschluß zu finden, weil wir „jungen Hüpfer“ die Sache doch irgendwie anders angingen, als er. Hans war voll ausgerüstet und hätte zweifellos aus Italien direkt nach Wladiwostok aufbrechen können, wir anderen dagegen hatten im Vergleich dazu gar nichts mit.
Dieser Hans Hauer erklärte sich nun bereit, einfach so, Paul nach Meran zu begleiten, um das Motorrad zu reparieren und mit ihm dann über Abschneider in die Schweiz zu fahren, wo wir uns im Raum Davos wieder treffen wollten. Wir dagegen, Michael, Horst, Alf und ich sollten unsere Tour wie geplant fortsetzen.
Ehrlich gesagt, war ich in dieser Situation ganz schön sprachlos und fühlte mich beschämt. „Warum macht dieser Mann das, wo er uns doch überhaupt nicht kennt?“ fragte ich mich. Das ihm die Strecke schon bekannt war, konnte keine Erklärung sein, denn er war ja mitgekommen, um eine Tour zu fahren, nicht, um für uns den Notnagel zu spielen. Wir hätten Paul keinesfalls alleine zurückgelassen und hätten die Tour einfach irgendwie abändern müssen, Hauptsache dieses gefährliche Problem würde behoben. Aber so war alles anders.
Was Paul und Hans an diesem Tag noch erlebten, wie die FZR repariert wurde, und wie sie nach Davos gelangten, das könnt ihr in Pauls „Die Simmeringstory“ am Ende dieses Tourberichtes nachlesen.
Bei leichtem Regen verabschiedeten wir uns von den Beiden und strebten nun zu viert dem höchsten Punkt des Stilfserjochs entgegen. Die Auffahrt gestaltete sich wieder relativ einfach, keiner der Jungs hatte mit den Spitzkehren Probleme, Gegenverkehr war praktisch nicht vorhanden. Wir waren wieder ziemlich alleine unterwegs auf dieser berühmten Straße. Im oberen Bereich war es recht kalt und die Schneekristalle schmerzten im Gesicht, wenn wir das Visier öffneten, weil es wieder einmal verpappt war vom Schnee und die Sicht gegen null tendierte vom Wischen. Oben angekommen, schwebte Verdruss in der Luft. Unser Friese hatte die Schnauze gehörig voll von diesem „Unfug“. „Das hat doch nichts mit Motorradfahren zu tun, was wir hier treiben! Ich fuhr im Sommer weg, um eine schöne Tour zu erleben und stehe hier jetzt frierend im Schnee! Das ist nicht meine Welt!“ machte Michael seinem Ärger hörbar Luft. „Das ist sicher der letzte Pass dieser Tour, und wenn ich heimfahren muß“, grollte er noch, dann rauchte er zerknirscht eine Zigarette und machte sich wieder abfahrbereit.
Ich war ein wenig verdutzt, den dass im Hochgebirge auch im Juni mit Kälte und Schnee zu rechnen ist, war ja nichts neues! Zumindest nicht für mich Bewohner eines bergigen Landes. Außerdem hatte ich extra in der Ausschreibung auf diese Möglichkeit hingewiesen. Etwas griesgrämig machte ich mich auf den Weg nach unten. Auf der Westseite kommen die fiesen Spitzkehren nur mehr vereinzelt vor, der Rest der Strecke ist recht schön zu fahren und führt an steilen, tiefen Abhängen vorbei, aus denen dichter weißer Dunst aufstieg. Ein schauderhaft romantischer Anblick, wie ich finde. Während der Abfahrt beruhigte sich auch Michael sichtlich wieder, es brauchte ein Weilchen, bis der Flachlandbewohner seine erste Fahrt in einem richtigen Gebirge verdaut hatte. Alles lachte wieder, alles war wieder im Lot. Ich hatte ihm oben erzählt, dass wir bis in die Schweiz nur mehr einen einzigen Pass zu fahren hatten (er wollte ja keinen weiteren mehr sehen), und als wir uns Bormio näherten, wurde mir etwas mulmig, denn ich hatte keineswegs vor, einfach am Gaviapass vorbei zu fahren!
Im weltberühmten Wintersport Ort gab es nicht die geringsten Orientierungsprobleme. Ein großer Überkopf Wegweiser weist klar die Richtung zum ersehnten Ziel. Zum Passo di Gavia – links abbiegen. Ganz beiläufig fand dieses Manöver statt und vorsichtig beobachtete ich im Rückspiegel, ob Unmutsäußerungen sichtbar würden, aber nichts geschah. „Entweder hat Michael das Schild nicht gelesen, oder es ist ihm egal“, dachte ich erleichtert, denn in jedem Fall würde es bald zu spät sein. Dass er alleine umdrehen würde, daran glaubte ich nicht. So ist der Michael nicht. Aber ein wenig unsicher war ich mir schon.
In einem kleinen Nest blieben wir bestens gelaunt zu einer Kaffeepause stehen – es regnete nicht – und hielten mit der süßen kleinen Italienischen Bedienung ein Schwätzchen über die Region und was weiß ich noch alles.
„So, dann fahren wir jetzt auf dem direkten Weg in die Schweiz“, sagte ich mit einem möglichst unschuldigen Blick gen Himmel gerichtet bei der Abfahrt und stellte mit Erleichterung fest, dass auch Michael lächelte. Er wusste also eh schon lange, wo der Weg hinführt, und es war ihm scheißegal.
Passo di Gavia klingt nicht nur toll, er ist auch toll zu fahren und zeigte sich in seiner ganzen Pracht. Im trockenen!! ging´s auf engem Sträßchen kurvenreich aufwärts, wo die Aussicht – endlich wieder einmal – immer prächtiger wurde. Nach einer etwas steileren Passage wand sich der Weg angenehm breit, mäßig steigend, immer höher durch wild zerklüftetes Gelände bis zur weitläufigen Passhöhe, auf der ein weithin bekanntes Monument steht.
Passo di Gavia – ein zweiter kleiner Traum war in Erfüllung gegangen.
Mit glücklichen Gesichtern saßen oder standen wir alle bei der Schutzhütte der Italienischen Bergrettung und genossen es einfach, hier zu sein. Da läutete das Telefon! Nein, nicht eines unserer Mobiltelefone! In einer Holzverschalung an der Gebäudewand befand sich ein Telefon und läutete! Fragend sahen wir uns an. Wer konnte jetzt, hier, etwas von uns wollen? Wer konnte wissen, dass wir jetzt hier sind?
Nach einer kurzen Pause läutete es erneut und Horst machte Anstalten, abzuheben. „Lass das“, hielten wir ihn zurück, „das ist sicher nicht an uns gerichtet“. Wäre ja wirklich komisch, wenn der Anruf uns gelten sollte! Die Bergwacht dürfte dort eine Ringleitung unterhalten, und irgendwo würde schon irgendjemand abheben. So hatte ich es wenigstens beim Militär gelernt.
Die Abfahrt auf der Bormio abgewandten Seite war schon ein etwas anderes Kaliber als die gemütliche Auffahrt. Auf dem engen und zuoberst mit Kehren gespickten Pfad können gerade ein Auto und ein Motorrad aneinander vorbeifahren, zu mehr reicht es ohne zurücksetzten zu einer der seltenen Ausbuchtung nicht. Das Gehupe, das in den Städten Italiens so nervend sein kann, wird dort als äußerst hilfreich empfunden. Man hört (wenn man schon nichts sieht) wenigstens, dass man Gegenverkehr zu erwarten hat, was angesichts des kleinen Mäuerchens, das vor einem bodenlosen Absturz schützen soll, sehr beruhigend ist.
Ab Ponte ging´s dann, über Edolo, sehr kurvenreich einem Hang entlang Richtung Teglio. Man hat den Eindruck, als würde man an der Wand einer großen Schlucht entlangfahren. Auf der gegenüberliegenden Seite bieten, wie an den Weinhängen der Wachau oder der Mosel, große Früchteplantagen einen bezaubernden Anblick. Trotzdem mir der Alf sagte, um welche Früchte es sich handelte, hab´ ich es allerdings schon wieder vergessen.
In Ponte hatten wir es erstmals auch mit einem dieser allgegenwärtigen Tankautomaten zu tun. In Italien ist es nicht so wie in Österreich, dass die Tankstellen von frühmorgens bis spät am Abend das ganze Jahr geöffnet sind. Im Gegenteil, man kommt laufend an geschlossenen Tankstellen vorbei und könnte sich fragen, wozu diese überhaupt da sind, wenn nicht die Automaten wären.
Der Vorgang des Tankens an solch einem Automaten ist ganz einfach. Man steckt einen Geldschein in den dafür vorgesehenen Schlitz, wie bei Zigarettenautomaten bei uns, und drückt die Nummer der Benzinpumpe. Dann füllt man das Benzin ein, und wenn die Geldmenge alle ist, schaltet die Pumpe aus. Es ist allerdings von Vorteil, wenn einer nach dem anderen tankt, denn es kann vorkommen, dass weniger im Tank Platz hat, als man dachte! Der Rest kann dann in ein anderes Motorrad gefüllt werden. Retourgeld gibt es nicht!
Entlang des Weges, in Aprica, hielten wir zur Stärkung und vertilgten genüsslich ein bekömmliches Nudelgericht und zwei Körbe köstliches Brot. Die Stärkung war auch notwenig, den die nächsten Herausforderungen ließen nicht lange auf sich warten, die Erste in Form einer Umleitung. Wir fuhren an Tafeln vorbei, die wohl eine Baustelle ankündigten. Genaueres konnte ich mangels Sprachkenntnis nicht lesen. Dann war die Straße aus – gesperrt. 10km hätten uns noch zum Hauptverbindungsweg nach Tirano und in die Schweiz gefehlt, nun standen wir vor einer Absperrung. Links führte im scharfen Bogen ein ganz schmales Strässchen weg und auf einer der beiden montierten Tafeln war Tirano zu lesen. „Wenn Tirano auf Italienisch nicht Ende der Welt bedeutet, kann das nicht so falsch sein“, dachte ich und fuhr einfach hinein. Die anderen folgten mir leutselig. Der Weg war etwas mehr als ein Auto breit und zum größten Teil unbeschreiblich unübersichtlich, aber trotzdem nicht unsymphatisch. Zuversichtlich folgten wir einem Auto, das sich seinen Weg hupend vor uns wie ein Schutzpanzer über den Saumpfad bahnte. Zu unserer Überraschung konnten wir auf der anderen Seite des Berges, den wir auf diese Weise überschritten, einen herrlichen Ausblick auf ein weites Tal und die dortigen Ortschaften sowie auf die fast 3000m hohen Berge genießen, die sich gegenüber, schon in der Schweiz, erheben.
Rasch hatten wir zur Hauptstrasse gefunden, ebenso flott erreichten wir die Schweizer Grenze, die wir ohne Kontrolle, nach einem kurzen Kopfnicken, überschreiten durften. Wir waren in der Schweiz, dem Land der scharf überwachten Tempolimits. Schon am Vortag war uns im Münstertal eine Überwachungsanlage aufgefallen. Nun fuhren wir brav gesetzeskonform dem Berninapass entgegen. Bald schon brauchten wir uns wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung keine Sorgen mehr zu machen, denn auf der Südrampe des Passes zog derart dichter Nebel auf, dass man kaum die Straße erkennen konnte. Richtig benebelt wurde ich von dieser weißen Suppe, dass ich manche Kurven erst im letzten Augenblick erkannte und sie eiernd durchfuhr. Kilometer um Kilometer tastete ich mich im Schritttempo durch den Dunst, bis wir auf vorausfahrende Autos stießen, die das Weiterfahren erleichterten, denn sie würden ja als erste in den Graben fahren, und das war für mich, hoffentlich, zu sehen.
Zwar kamen wir an der Passhöhe bei relativ schönem Wetter an – es regnete nicht mehr und der Nebel war spurlos verschwunden – aber jetzt konnte ich Michaels kurzen Ausraster am Stilfserjoch verstehen. Ich hatte diesen Scheiß Berninapass richtig satt! Die Aussicht nach Norden war gar nicht so übel, aber dieser riesige asphaltierte Parkplatz mit den darauf abgestellten Nebelmaschinen (oder waren es Schneekanonen?) alleine kotzte mich an! Wie dieser Saunebel, der nun hinter uns lag. „Herzlich willkommen in der Schweiz“, dachte ich mir.
Nahe St.Moritz hielten wir Rat, was weiter zu tun war. Endlich hatten wir auch Nachricht von unseren Kollegen. Hans und Paul hatten sich via Mailbox gemeldet. Die FZR war generalüberholt und die Jungs befanden sich schon wieder in der Schweiz. In Davos würden sie für sich und uns eine Unterkunft besorgen, wir könnten fahren, wo immer wir Lust hatten. Wow, das war ein Hammer. Alle waren wir erleichtert und erfreut ob dieser Botschaft. Wir würden am Abend wieder zusammen sein.
Rundherum sah es sehr trist aus, überall erwartete uns Hochnebel oder dichte Wolken. Dann erspähten wir ein kleines Loch im Gewölk, dort sollte, Daumen mal Pi, der Albulapass liegen. Kurz entschlossen verlegten wir unsere Route dort hin, was sich als ausgezeichnete Idee herausstellte.
„Endlich wieder richtig Motorradfahren“, ging es durch unsere Köpfe, als wir die kurvige und trockene Straße hinauf brausten. Wir gaben wirklich Gas. Das Tempolimit war uns hier eher egal, weitab der nächsten Polizeistation. Alle vier waren wir wieder guter Laune und genossen die Fahrt in vollen Zügen.
Apropos Züge. Auf der Nordseite des Passes sahen wir die Trasse einer Bahnlinie. Sich über Viadukte und durch Tunnels hochwinden, verläuft diese Strecke überaus reizvoll durch diese Bergwelt, was mich als Eisenbahn Freund sofort faszinierte. Ich glaub, ich muß einmal mit dem Zug in die Schweiz fahren. Dazu muss man mir allerdings nicht wieder den Führerschein wegnehmen!
Ab Tiefencastel, dem nördlichen Ende des Albulapasses, führt eine herrlich kurvige, breite und ausgezeichnet haftende Straße durch zauberhafte Dörfer nach Davos, wo wir nochmals die Schräglagenfreiheit unserer Geräte ausloten konnten. Trotzdem waren wir immer auf der Hut vor den Eidgenössischen Wachmännern. Am Parkplatz des örtlichen Krankenhauses erfragten wir dann telefonisch, wohin wir uns wenden sollten, und erreichten nach kurzer Zeit das Hotel „Alte Post“ in der Nähe des Bahnhofes. Bei der Ankunft lugten schon Paul und Hans aus dem Fenster, und sogleich konnten wir uns wieder freudig begrüßen. Wir waren wieder beisammen, alles sechs.
Die Aktion der Beiden ist eine eigene Geschichte Wert. Paul hat sie in kurzer Form geschrieben, sie ist am Ende dieser Geschichte angehängt. Ganz kurz: Sie fuhren von Trafoi zurück nach Meran, kauften das benötigte Teil sowie Gabelöl und suchten sich einen Parkplatz bei einer Tankstelle, da sich der Yamaha Händler überhaupt nicht kooperativ zeigte und nur vage Aussagen machte, wann er mit einer Reparatur zu beginnen gedachte. Die Jungs in die Werkstatt zur selbstständigen Arbeit zu lassen, kam ihm nicht in den Sinn. Hans und Paul zerlegten also auf einem Parkplatz die Gabel, ersetzten den Simmering und das Öl, schraubten alles wieder zusammen und machten sich auf den Weg nach Davos.
Selbst jetzt noch, einige Tage nach diesem Ereignis, läuft mir die Gänsehaut die Arme hinunter ob so viel Hilfsbereitschaft und Kameradschaftsgeist des Hans Hauer.
Nur gut, dass sie nicht länger Zeit hatten bis zu unserem Zusammentreffen. Die beiden hätten eventuell aus Langeweile die KiloFZR auf 1070cm³ aufgebohrt und generalüberholt. Werkzeug hatten sie ja genug Dank dem Hans seiner Werkzeugtasche. Unter Umständen wäre sogar eine kleinen Fräsmaschine zum Vorschein gekommen. Aber das wird wohl das Geheimnis vom Hans bleiben. Ich glaub, ich kann im Namen aller sprechen, in Anbetracht dessen, was du, Hans, für Paul und auch für uns Anderen getan hast. HERZLICHEN DANK DAFÜR!
Abends saßen wir dann gemütlich in der Hotelbar und warteten auf das Länderspiel Österreich – Deutschland.
Allerdings hatte ich ganz andere Sorgen. Seit dem Gaviapass hatte ich mit Rückensmerzen zu kämpfen, die am Ortsanfang von Davos so heftig waren, dass ich beinahe nicht mehr am Motorrad sitzen konnte. Noch schlimmer war es allerdings beim Absteigen. Ich konnte fast nicht mehr gerade stehen, so brannte alles am Rücken. Diese Schmerzen zogen sich noch bis zur heimatlichen Ankunft dahin, aber in der Zwischenzeit sind sie fast völlig verschwunden, trotz (oder gerade wegen) vieler Kilometer fahrt mit den Motorrädern. Es dürfte einfach ein gewaltiger Muskelkater im Rücken gewesen sein. Vier Monate Führerscheinentzug ließen mich scheinbar zum Weichei verkümmern.
Wie das Fußballspiel ausging, sollte ich aber erst am nächsten Morgen erfahren. Ich war so fertig durch die Schmerzen, dass ich nach einem lindernden Bad nur mehr die erste Halbzeit anschaute. Mit Glück für Österreich stand es noch 0:0 und es sah aus, als könnten wir einigermaßen mitspielen. Als ich die Tür schloss, um mich hinzulegen, klopfte es. Horst hatte nicht vergessen, was er in Trafoi erlebte und wollte die Schlüssel haben. Dann blieb mir nichts anderes mehr zu tun, als das Licht abzudrehen und mich auszuruhen. Rasch schlief ich ein. Bis dahin hatte sich noch niemand beschwert, dass ich schnarche.
Ps.: Sollte sich jemand fragen, was es mit dem Kawasaki Motor in Trafoi auf sich hat, dann schaut doch einfach mal beim Hotel Tannenheim auf einen Kaffee vorbei. Dann wisst ihr Bescheid.
Dienstag, 17. Juni 2008 – Fahrt von Davos zurück nach St.Sigmund im Sellrain
Strecke: Davos – Klosters – Schiers – Vaduz – Schaas – Feldkirch – Bludenz – Silvretta Hochalpenstrasse – Arlbergpass – Flexenpass – Warth – Reutte – Bichlbach – Berwang – Namlosertal – Hahntennjoch – Imst – Oetz – St.Sigmund im Sellrain
Streckenlänge: ca.450km
Seltsam, als ich erwachte brummte mir weder der Schädel noch schmerzte der Rücken. Ich hatte wunderbar geschlafen. Horst, mit dem ich erstmals auf dieser Tour das Gemach teilte, hatte sich als stiller Zimmergenosse herausgestellt. Es regnete wieder, bemerkte ich beim Blick aus dem Fenster. Aber meine Regenkleidung war über Nacht gut getrocknet und sowieso von ausgezeichneter Qualität. Beim morgendlichen Waschgang stellte ich mit Erleichterung fest, dass die Schweizer neben dem Bau hochwertiger mechanischer Zeitmesser auch das Wärmen von Wasser meisterhaft beherrschen. Auch heute war das Wasser angenehm warm.
Das Frühstück bestand ausnahmsweise nur aus einer Banane, ohne Kaffee. Daheim frühstücke ich normalerweise überhaupt nicht, wohl aus Faulheit. Im Zuge dieser Tour hatte ich bisher wenigstens eine Semmel mit Wurst und Käse sowie eine Schale Kaffee oder Tee zum Morgenmahl verdrückt, um den Strapazen der Fahrt bis zum Mittagessen gewachsen zu sein. Heute sollten uns aber, wenigstens bis zur Silvretta Hochalpenstrasse, keine Strapazen erwarten.
Nach dem Beladen der Fahrzeuge wollten wir gut gelaunt los, zunächst der Liechtensteiner Grenze entgegen. Schon am Vortag hatte ich über den Albulapass bemerkt, dass der Druckpunkt meiner Kupplung immer weiter gegen Lenkerrohr wanderte, was ich, richtigerweise, als fehlende Hydraulikflüssigkeit interpretierte. Ich hatte das schon bei der FZR erlebt. Nun konnte ich die Mühle wohl im Leerlauf starten, beim Einlegen des ersten Ganges krachte es allerdings und der Motor starb ab. Schei………!
Mit eiernder Fahrt, vor jeder Kreuzung den Gang heraus- und danach wieder hineintretend – ohne Kupplung – rettete ich mich zur nächsten Tankstelle, wo wir ohnehin Benzin fassen wollten. In der angeschlossenen Werkstätte reichte mir der freundliche Meister einen Behälter Bremsflüssigkeit, sodass ich den Vorrat wieder auffüllen konnte. Berechnet wurde mir dafür – nichts!
Nun konnten wir unsere Reise endlich fortsetzen.
Bis auf einen verwirrenden Abzweig gleich in Davos und einem übersehenen Wegweiser nahe dem Fürstentum verlief unsere Fahrt problemlos. Sie führte durch zwar schöne Landschaft und malerische Ortschaften, war aber mangels kurviger Straßen vom fahrerischen Aspekt eher langweilig. Die Grenze zum Zwergstaat passierten wir ohne Kontrolle und erreichten zügig Vaduz, den Ort mit der angeblich größten Dichte an Briefkastenfirmen Europas. Bestätigen kann ich dieses Gerücht nicht. Bei der Durchfahrt waren mir wohl Industrieanlagen, Warenlager und diverse Handelsaktivitäten aufgefallen, auch an, wie´s schien, noblen, mit Marmor verkleideten Banken und prunkvollen Hotels kamen wir vorbei. An eine ungewöhnliche Anhäufung von Firmen, die mit dem Bau von Briefkästen beschäftigt sein sollen, kann ich mich allerdings nicht erinnern.
In Feldkirchen hatten wir wieder Österreichischen Boden unter den Reifen. Die Weiterfahrt bis Bludenz gestaltete sich durch diesen Umstand aber um nichts interessanter. Die Landschaft war unverändert schön, die Straßen blieben aber breit und karg an Kurven. Ein China Restaurant am Straßenrand erinnerte mich gegen 11:30 Uhr an meinen krachenden Magen, so hielten wir Mittagsrast. Relativ neu eröffnet, war das große Gebäude hübsch eingerichtet und bot ziemlich genau das „Chinesische“ Flair, das Besucher einer solchen Gaststätte erwarten, die niemals zuvor im Land der Mitte verweilten. Freundlich wurden wir begrüßt, sogar unsere pitschnasse Regenkleidung hatte man nicht übel genommen. Andere Gaststätten hatten mir aus eben diesem Grunde schon den Eintritt in den Speiseraum verwehrt! In der Wachau zum Beispiel.
Die Speisen waren etwa so, wie man sie aus allerorts üblichen China Restaurants gewohnt ist. Der Reis etwas muffig, die Saucen (wo immer erst zu spät erkannt wird, dass die Falsche am Teller ist, viel zu süß oder scharf) ebenso undefinierbar wie die panierten Stücke, die sich einmal als Huhn, ein anderes Mal als radiergummiartiger Tintenfisch entpuppen, da die kennzeichnenden Täfelchen, wies schien, nicht recht zu den darunter stehenden Behältnissen passen wollen. „Alles was du essen kannst zu 7€“, war angepriesen. Da stehen die Chancen nicht schlecht, gesättigt das Lokal zu verlassen. Das Cola wurde mir nicht separat verrechnet!
Ausgeruht und satt schwangen wir uns wieder auf die Motorräder. Leider nicht, ohne uns zuvor von Hans Hauer zu verabschieden, der von hier aus mit seiner Triumph auf direktem Weg heimwärts fahren wollte. Zu widrig waren ihm die Wetterbedingungen, so schien ihm die Heimfahrt sinnvoller, als mit uns neuerlich im strömenden Regen eine Passstraße oder ein Joch zu überschreiten.
Wir fünf übriggebliebenen – Michael, Horst, Paul, Alf und ich – wollten nun den südöstlichen Zipfel Vorarlbergs ansteuern, wo die Silvretta Hochalpenstraße auf uns wartete. Noch am Donnerstag war sie gesperrt (wie ich am Telefon erfuhr). Ich hatte mit Nicole (alias @Madame im Forum) ausgemacht, sie am Dienstag Morgen anzurufen. Sie würde mir dann sagen, ob wir diesen Weg wählen sollten, oder die direkte Straße zum Arlberg.
Noch vor der Abfahrt in Davos hatte ich durch sie erfahren, dass die Silvretta seit Samstag befahrbar ist. Gleichfalls hatten wir ausgemacht, uns im Raum Landeck zu treffen, wo sie mit uns gemeinsam den weiteren Verlauf der Tour mitmachen wollte. Das es auch bei ihr daheim in strömen goss, störte sich nicht im geringsten. „Ich werde da sein“, sagte sie. Das war alles.
Die An- und Auffahrt zu diesem wuchtigen Gebirgsmassiv, dessen flächenmäßig größerer und höchster Teil sich auf Schweizer Staatsgebiet befindet und bis zu 3411m hoch aufragt, war landschaftlich durchaus reizvoll. Die dichten schwarzen Wolken kündigten allerdings eine Regenschlacht an, und genau so sollte es zu Beginn auch sein. Wir hatten uns allerdings schon sehr gut eingewöhnt, so verlief unsere Fahrt recht zügig auf dieser ungemein kurvenreichen Strecke. Eine relativ weite Kehre nach der anderen erklommen wir immer höhere Gefilde, die Aussicht wurde, trotz der Wolken, immer grandioser und anstatt verdrossen ob des starken Regens in den Helm zu brummen, hatten wir alle, wie mir schien, sichtlich Spaß an der Fahrerei. Alf, Paul und Horst waren schon weiter oben, während Michael mir Gesellschaft leistete, der ich öfters anhielt, um Fotos dieser wunderbaren Landschaft zu machen. Ich weiß genau, es täte mir unendlich leid, wenn ich einfach durchfahren würde, ohne eine fotographische Erinnerung mitzunehmen. Langsam eierte ich mit meinem Friesischen Kumpel im Genick immer höher, das Gefühl, einen furchtbaren Stiefel zusammenzufahren, wurde ich bis ganz oben beim Stausee an der Bielerhöhe auf 2036m einfach nicht los. Ich war an einem Punkt angelangt, wo ich einfach müde war und die beladene XJR mit ihren wohl knapp 300kg immer schwerer wirkte. Der Trainingsrückstand der Führerscheinlosen Zeit machte sich immer stärker bemerkbar.
Ab hier hatte der Wettergott auch Einsehen mit uns. Es war zwar weiterhin nass, aber der Regen wurde immer weniger und in Ischgl, wo wir die Tankstelle erreichten, an der wir uns (wie durch ein Telefonat inzwischen ausgemacht) mit Nicole treffen wollten, fielen nur mehr vereinzelt Regentropfen.
Die Nicole ist Original genau so eine lustige und nette Person, wie sie mir bisher im Forum oder am Telefon erschien und war sehr rasch in unsere kleine Mannschaft integriert. Ab hier sollte Horst, der oft in dieser Gegend herumkurvt, vorausfahren, während ich es jetzt richtig genießen konnte, irgendwo in der Gruppe zu fahren und nicht mehr auf den Weg achten musste. Ich fand das recht angenehm, zumal jetzt ein anderer der Erste sein würde, der auf den nassen Straßen herausfinden musste, wie viel der Asphalt wirklich an Haftung bot und ich zumindest zwei oder drei Stürze vor mir Zeit hatte, zu reagieren. Klingt vielleicht Arschlochmäßig, ist in der Praxis aber genau so. Der Erste ist bei schlechtem Wetter immer der Dumme, wenn etwas schief geht. Dahinter hat man, meistens, Zeit zum Reagieren! Psychisch anstrengend ist es auf Dauer allemal, ständig voraus zu fahren, obwohl ich sehr gerne als Erster fahre.
Wir hatten rasch die Höhe des Arlberg erreicht und rauschten beschwingt die fast trockene Westseite hinunter, um etwas nach der Ortschaft Klösterle zu einer kurzen Pinkelpause anzuhalten. Die Sonne lachte vom Himmel – Horst wurde stutzig. Klar schien hier die Sonne, hier gehörten wir auch nicht her, denn wir waren an der kleinen Tafel, die den Weg nach Warth über den Flexenpass weist, vorbeigerauscht. Also wieder den Arlberg hoch. Die Kurven waren schon gänzlich trocken und wir konnten die vorstehenden Eisenteile schleifen lassen.
Schon bei der Anfahrt aus dieser Richtung war mir hoch oben im Fels die gewaltige Galerie aufgefallen, die sich jetzt als Teil der Flexenpass Straße entpuppen sollte. Schade war, dass sich genau dort in dieser Galerie eine Baustelle befand, ansonsten hätte ich es bestimmt nicht unterlassen können (gut möglich verbotenerweise), anzuhalten und den traumhaften Ausblick aus dieser Wand zu genießen. Weiter folgten wir der bezaubernden Straße über Lech, bis Warth und weiter bis etwa zu einer Ortschaft, die den seltsamen Namen Häselgehr trägt. Hier begann, soweit im mich erinnern kann, eine wunderbar ausgebaute und bar jeglicher reizvollen Kurven verlaufende Straße, die sich beinahe unfassbar langweilig dahinzog und zu unserem Leidwesen erst in Reutte ihr vorläufiges Ende nahm.
Nach einem weiteren Tankstopp folgen wir so einer „Prachtstraße“ noch ein gutes Stück bis Bichlbach, dann fielen wir, mit Horst als Staffelführer, wie mir im Nachhinein schien dem Wahnsinn anheim. Ohne Zwischenfall, was Wunder, erreichten wir das Ende dieses Namlosen, aber wunderschönen Tales, und ohne Rast gings in gleicher Eile dem Scheitelpunkt des Hahntennjochs entgegen.
Den Namen Hahntennjoch hatte ich wenigstens schon gelesen, vom Namloser Tal hatte ich noch nicht einmal dem Namen nach gehört, geschweige den, dass ich jemand kenne, der es schon fuhr. Beides sind, wie der Flexenpass, landschaftlich ausgesprochen schön und fahrerisch reizvoll, besonders wenn es halb trocken und halb nass ist und nur der Vorausfahrende die Strecke, einigermaßen, kennt. An dieser Stelle ist es angebracht, der Nicole meinen Respekt auszusprechen für ihr tadelloses Fahrkönnen und ihre umsichtige Fahrweise. Nicht nur was Spaß und Kameradschaftsgeist betrifft, passte sie gut zu unserer Truppe, auch fahrerisch war sie voll dabei, was angesichts ihrer geringen Fahrpraxis mit ihrer feuerroten Yamaha R1 gar nicht so selbstverständlich ist. Nicht nur als Mädchen!
Ach ja, unseren Luxemburger Kumpel, der bisher mehr durch sein Pech mit der Technik aufgefallen war, meldete sich auf diesen engen und kurvenreichen Streckenteilen kräftig zu Wort. Hier konnten wir erstmals – wie gesagt technisch bedingt – seine wirklichen fahrerischen Qualitäten begutachten und alle wurden überzeugt, dass Paul ein ausgezeichneter Motorradfahrer ist. Ungemein rund und weich ist sein Fahrstil, was bei schwierigen Bedingungen, wie sie hier herrschten, eine sehr flotte Gangart erlaubt.
Nicht vergessen werden soll auch der Alf, der sich mit seiner zierlichen Yamaha FZR 500 gegen unsere Leistungs- und/oder Hubraumriesen die ganzen Tage über hervorragend behauptete. Ich bin allerdings mit ihm schon einige Touren gefahren, sogar der Michael kannte ihn schon vom Fahren her. Bisher war noch nie wirklich aufgefallen, dass dieses Motorrad im Vergleich zu den anderen ein Zwerg ist, was wohl an den fahrerischen Qualitäten des Linzers liegen dürfte.
In Imst hielten wir nochmals zu einer kurzen Pause, zum Verabschieden von Nicole, die von hier wieder die Heimfahrt antreten wollte, und zum Tausch der Motorräder. Horst und Michael, die beiden Suzuki Piloten, hatten am Hahntennjoch die Motorräder getauscht, um zu sehen, was die andere Leistungsklasse kann. Michael setzte sich auf Horsts ¾ Gixxer und entschwand unaufhaltsam in der Ferne, während der Horst auf dem blauen Ps-Monster eine etwas vorsichtigere Gangart wählte. In Imst stand dann ein glücklich lächelnder Michael und ein weniger glücklicher Horst, dessen Urteil über den leistungsstarken KiloGixxer etwas unverständlich gemurmelt, so ähnlich wie „Schweineeimer, viel zu viel Leistung“, klang. Genau konnte ich es allerdings nicht verstehen.
Zum letzten Mal im Verlaufe dieser Tour brachen wir fünf jetzt nochmals gemeinsam die wenigen, dafür wunderschönen Kilometer nach St.Sigmund auf. Noch einmal konnten wir bei blauem Himmel die Aussicht oberhalb der Kehren über Oetz bewundern, bevor wir in den Nebel und die Kälte der Sellrainstrasse eintauchten. An der Kreuzung nach der Ortstafel bogen wir rechts ab, rollten die leichte Steigung hoch, dann verstummten die Motorräder. Gegen 20:15 Uhr waren wir wieder „Daheim“ beim Gasthof Ruetz.
Wir waren noch nicht einmal dabei, das Gepäck abzuladen, kam schon der Wirt aus der Tür, um uns wieder zu begrüßen. Dann nahm er die ersten Bestellungen auf, und gleich darauf erschien Ruetz wieder mit einem Tablett Bier. Diesmal trank auch ich ein Glas. Zufrieden, aber müde vom langen Tag und der weiten Fahrt, ließen wir bei einem köstlichen Abendmahl die Tour ausklingen und betteten uns gegen Mitternacht zur Ruhe. Morgen sollte der Abschied und die Heimreise folgen.
Unser Kumpel Paul aus Luxemburg hat seine Sicht der Vorkommnisse um die Gabel seiner 1000er FZR ebenfalls schriftlich festgehalten. Hier seine Geschichte:
Die Simmerring Story
verfasst von Paul
Eigentlich stand am Montag die schwierigste Route der ganzen Tour an, doch ich hatte andere Prioritäten und musste wegen eines technischen Defektes zurück nach Meran eine Yamaha Werkstatt aufsuchen. Aber zuerst eine kleine Rückblende nach dem Motto: Wie es dazu kam.
Ich fuhr am Freitag mit der FZR zu meinen Eltern um von dort am Samstag in aller früh aufzubrechen. Dort angelangt kontrollierte ich alles was man an so einem Moped beachten muss; also Ölstand gecheckt, Oel nachgekippt, Ölstand noch mal gecheckt.
Tanken wollte ich direkt an der Grenze, ebenso die Luftdrücke kontrollieren. Ich bin dann um kurz nach 7 Uhr aus der Garage gerollt, Richtung lux-deutsche Grenze. Im Grenzort getankt, leider war der Luftauffüllautomat defekt, was mich aber nicht weiter störte da die letzte Kontrolle noch keine 3 Wochen zurück lag. Also ab auf die Bahn, schließlich sollte ich mich um 13 Uhr hinter Ulm mit Michael (Panther) treffen, und mit ihm dann zusammen nach St. Sigmund fahren. Die Fahrt verlief ohne große Probleme und ich kam gut voran. Kurz vor Ulm habe ich noch eine Zigarettenpause eingelegt. Bis dahin schien alles in Ordnung zu sein, nur meine Bremse war etwas mau, was ich aber auf die Kälte und das seltene Bremsen schob.
Als ich so mit einer Maryland in der Hand neben der Kilo stand, fiel mein Blick auf den rechten Gabelholm. „Scheisse“, dachte ich, „der Simmerring gibt so langsam seinen Geist auf; nun ja, dann wechsel ich den halt nach der Tour“.
Ich hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende geführt, da bemerkte ich meine „vollschwimmende“ rechte Bremsscheibe. Die Scheibe schwomm in Gabelöl, der Kühler hatte Gabelöl abbekommen genauso wie mein rechter Stiefel und zu guter letzt: Das Gabelöl stand bereits in der Felge. „Schöne Scheisse“, dachte ich, „normalerweise verreckst du doch immer nach einer Tour“ (ja, ich rede mit meinem Motorrad). Diesmal aber anscheinend nicht.
Da sie ja noch fuhr, nur eben nicht mehr so toll bremste, beschloss ich weiter zu fahren um Michael noch an der Raststätte zu erwischen, vielleicht hatte er ja eine Idee wie man so ein Malheur wieder hinkriegt. Ich war dann aber noch eine gute halbe Stunde vor ihm am Treffpunkt, und rief einen Kumpel in Luxemburg an, der dann versucht hat die umliegenden Werkstätten telefonisch zu erreichen, leider ohne Ergebnis; Wochenende halt. Alsbald traf dann Michael auf seiner GSXR ein. Seine Reaktion auf meine siffende (triefende) Gabel war ähnlich der meinigen : Scheisse. Er rief seinen Kumpel in Ulm an, und ich setzte mich mit Hannes in Verbindung. Hannes wiederum kontaktierte Nicole, die dann das ganze deutsch-österreichische Grenzgebiet abtelefonierte. Leider hatten beide keinen Erfolg; Wochenende halt.
Da die FZR ja noch fuhr, nur eben nicht mehr so toll bremste, beschloss ich mit Michael wie vereinbart nach St. Sigmund zu fahren und dann am Sonntag die Tour mitzufahren um dann eben am Montag eine Werkstatt aufzusuchen um dieses 10€teil zu ersetzen. Die Anfahrt zum Hotel verlief bis auf einen klitzekleinen Zwischenfall auf den ich aus Scham nicht weiter eingehen werde, problemlos.
Im Hotel angekommen, gab es erstmal ein paar Hopfenkaltschalen und freudiges Zusammentreffen mit den restlichen Teilnehmern.
Die Tour am Sonntag war ein gelungener Auftakt, ich konnte das von Hannes bestimmte Tempo recht gut halten. Nur bergab war ich vorsichtiger, ich hatte schließlich alle Hände und Füße voll zu tun, die FZR vor den Kehren und Kurven adäquat zu verzögern. Alf fragte mal so nebenbei warum ich den so eine Unruhe im Heck beim anbremsen habe. Nun ja, wenn man bergab vorne und hinten bremsen muss, dann kann beim runterschalten das Hinterrad auch mal länger stehen bleiben; sah aber wohl spektakulärer aus als es sich anfühlte. Antihopping: neumodischer Schnickschnack, braucht kein Mensch.
Da die FZR ja noch fuhr, nur eben nicht mehr so toll bremste, kamen wir auch gut in Traffoi an. Der von Hannes beschriebenen Kawamotor hatte es in sich, nur schade dass sein Treiber uns so früh verließ, und wir kurze Zeit später auch das Restliche aus dem Motor geschöpft hatten. Soviel zur Rückblende.
Am Montag morgen habe ich dann mit einer freundlichen Dame aus der Yamaha Werkstatt in Meran telefoniert und nach 10 italienischen Minuten Wartezeit sagte sie mir dann, dass sie noch einen Simmerring für eine 1000er FZR Baujahr 95 auf Lager hat. Eine sehr gute Nachricht an einem eher durchwachsenem Montag morgen.
Johann Hauer, ein Mann den ich bis vor zwei Tagen noch nie gesehen oder gesprochen hatte, erklärt sich spontan bereit mit mir zurück nach Meran zu fahren. So konnten Hannes, Michael, Horst und Alf die geplante Tour in Angriff nehmen.
Ich fuhr also mit Johann nach Meran zu besagter Werkstatt. Leider war die freundliche Frau vom Telefon nicht mehr so freundlich und war absolut gar nicht flexibel: Sie gestattete dem Mechaniker nicht sofort nach meiner Gabel zu schauen, auch ließ sie uns nicht auf dem Hof bereits alles abbauen um ihm zur Hand zu gehen. Kurzentschlossen kaufte ich den Simmerring, zwei neue Bremsbelege und Gabelöl. Dann machten wir uns auf den Weg zu einer größeren Tankstelle die Johann auf der Hinfahrt gesehen hatte.
Ab nun schlug die Stunde des Johann Hauer und seiner Triumph Tiger. Ohne Ihn hätte ich nicht viel bis gar nichts ausrichten können.
Wir sprachen mit dem Pächter der Tankstelle, und der hatte kein Problem mit unserem Vorhaben, also einen Simmerring neben seinem Geschäft zu wechseln. Wie das gehen sollte konnte ich mir immer noch nicht vorstellen, aber Johann machte einen sehr besonnen Eindruck.
Ich fragte ihn: „Ok, was soll ich tun, wo fangen wir an, wie kriegen wir das 230kg Teil aufgebockt?“ Er sagt nur: „ Mach mal langsam, ich bin noch am überlegen, “ und weg war er. Kurz darauf kam er mit Holzbohlen wieder, ich dachte nur: „ wie soll das funktionieren“. Er meinte nur, dass das noch nicht reichen würde, er sich aber erst noch Arbeitshandschuhe anziehen würde.
Er zog Handschuhe an und war wieder weg, um mit einer alten Autofelge wieder aufzutauchen. „ So wird’s gehen“ sagte er zu mir. Ungläubig blieb mir nur ein Nicken übrig. So langsam verstand ich sein Vorhaben, und mit gemeinsamen Kräften bockten wir die FZR1000 auf die Autofelge und Holzbohlen.
Gewissenhaft wurde das Mopped mit Spanngurten, aus den in unendlichen Mengen vorhandenen Packtaschen der Tiger, gesichert. Mit Hilfe meines Bordwerkzeuges und dem unerschöpflichen Werkzeugvorrat den Johann in und auf seine Triumph geschnallt hatte, demontierten wir die Bremssättel, entnahmen das Vorderrad und bauten den Kotflügel ab. Mit Hilfe Seiner Sechskantschlüssel entnahmen wir den rechten Gabelholm. Das einzige Werkzeug was wir uns borgen mussten war ein 30er Schlüssel zum öffnen des Holmes. Johann hatte sogar eine Zange mit um den „innenliegenden Segelring“, mir besser bekannt als Sperrring, auszubauen.
Danach ging es dann einfach weiter: Alter Ring raus, neuen rein, Sperring rein, Standrohr wieder aufs Gleitrohr (oder umgekehrt) geschoben, Gabelöl nachgefüllt und wieder alles zusammengeschraubt und eingebaut. Die Felge und den Bremssattel mangels Bremsenreiniger mit Benzin aus dem Tank gesäubert. Die neuen Beläge eingesetzt, Kotflügel und Felge eingebaut, Bremssättel wieder drauf und das Motorrad wieder abgebockt. Natürlich wurden sämtliche Schrauben mit MoS-Fett eingesetzt. Auch an diese Details hat Johann gedacht.
Alles in allem haben wir keine zwei Stunden gebraucht und Dank Johann wurde bestimmt akkurater gearbeitet als in manch gut ausgestatteter Werkstatt.
Auf diesem Weg, Johann nochmal vielen, vielen, vielen Dank für deine spontane Bereitschaft, deinem Können und deinem Improvisationstalent, mir bei meinem Problem zu helfen. Du hast es möglich gemacht, dass ich die Tour unbeschwert und mit einem funktionierenden Mopped fortsetzen konnte. Respekt und 1000 Dank.
Leider gibt es von dieser ganzen Aktion keine Fotos, da uns erst nachher einfiel, dass in der Triumph auch ein Fotoapparat verstaut war. Mit etwas mehr Zeit und den nötigen Teilen hätten wir ohne weiteres den Block auf 1070 ccm aufbohren können, nur hatten wir kein 1600er Schleifpapier. Auch die 41er Flachschieber mit Dynojet Kitnadeln konnten wir mangels Höhenluftkorrektur am Prüfstand nicht einstellen, genauso wie die 42-71er Zündbox, die Carillopleuel und die Kitnockenwellen der YZF750SP ihren Platz nicht in meine FZR gefunden haben. Schade, aber darum hat sie seit dem Gabelsimmerringwechsel im unteren und mittleren Drehzahlbereich spürbar mehr Leistung.
Nach getaner Arbeit sind wir locker über den Ofen- und den Flüliapass nach Davos gefahren, wo wir dann auf die anderen gewartet haben und den Abend bei Bier und Fussball haben ausklingen lassen.
Fazit: eine FZR kann mehr als nur Oel verbrennen, in eine Triumph Tiger geht verdammt viel Material, eine FZR kann mit funktionierenden Bremsen auch an modernen Sportlern dranbleiben, es gibt Menschen die man nicht kennt, Sie einem aber trotzdem mit vollem Einsatz helfen.
Paul