7 Tage und 2680km in der Bergwelt Altösterreichs unterwegs
In den langen Wintermonaten kam im FZR Forum wie im Genesis Board wieder einmal die Rede auf die Vorhaben für die kommende Motorrad Saison. Als ich anmerkte, ich würde im Juni in die Dolomiten fahren, einfach weil ich noch nie dort war, meinte Michael aus Friesland: "Dann machen wir doch einfach wieder was!" Schon letztes Jahr waren wir, sechs Leute aus den beiden Internet Gemeinschaften, zusammen unterwegs gewesen und es war eine herrliche Tour mit Leuten, die hervorragend harmonierten.
So stellte ich mein geplantes Programm Internetreif zusammen und präsentierte es den Kollegen. Die Resonanz war zwar wesentlich geringer als letztes Jahr, aber die – relativ – wenigen, die Interesse zeigten, waren zum Großteil dann auch tatsächlich dabei.
Die Teilnahme war weder an ein bestimmtes Fahrkönnen oder an eine gewisse Leistung des Motorrades gebunden, noch erwartete ich große Tourenerfahrung. Wozu den auch, wir wollen ja nicht den Afrikanischen Kontinent durchqueren. Was ich erwartete, war recht simpel. Keine Fragen nach den Kosten (woher hätte ich die Kosten wissen sollen, ich bin kein Reiseunternehmen), keine besonderen Ansprüche an die Unterkunft und Resistenz gegen alle Widerwärtigkeiten, die im Laufe so einer Tour auftreten könnten. Ich wollte die Tour nach einem einfachen Motto fahren: Die Tour findet bei jeder Witterung statt, wir nächtigen dort, wo wir Lust dazu haben und wo es strategisch günstig liegt (egal, was es kostet) und wir halten während dieser Tour zusammen. Vor allem aber war mir wichtig, dass am Ende der Tour wieder alle gesund daheim ankommen. Es gab nichts, was wichtiger gewesen wäre.
Gleich vorweg – es war eine herrliche Tour, und wenn man alles zusammenrechnet, harmonierte die Truppe, als wäre es nur eine Tour von vielen gewesen, die wir schon zusammen unternommen hätten. Dabei war ich mit dem größten Teil der Leute überhaupt noch nie oder nur sehr wenige Kilometer gefahren!
Mit dem Horst aus München war ich allerdings nicht zum ersten Mal unterwegs, und mit ihm begann auch meine 7 tägige Tour, 2680km quer durch eine der schönsten Gegenden Europas. Fast hätte ich jetzt gesagt, quer durch eine der schönsten Gegenden des ehemaligen Österreichischen Kaiserreiches. Aber das ziemt sich wohl nicht. Da hätte es den 1. Weltkrieg nicht geben dürfen. Jedoch, wer weiß, wozu das gut war? Die Monarchien gingen zum Teufel und die Demokratien – mehr oder weniger – hielten Einzug in Europa. Zumindest war ein Anfang gemacht. Heute haben wir ohne Krieg ein Europa ohne Grenzen, und das ist gut so!
Freitag, 12. Juni – Die Anreise nach Tirol
Strecke: Amstetten – B121 Waidhofen/Ybbs – Weyer – B115 Altenmarkt – B117 Admont – B146 Liezen – Schladming – Radstadt – L163 Wagrain – St.Johann/Pongau – B311 Bruck an der Glocknerstrasse – B168 Mittersill – B165 Gerlos – Gerlospaß 1531m – Zell am Ziller – Abstecher über die L6 nach Hintertux – B169 Schwendau – Zillertaler Höhenstrasse 2015m – B169 – B171 Richtung Innsbruck – Innsbruck – Innsbruck Igls – Mutters – Axams – Sellrain – L237 Sellrain Strasse bis St.Sigmund im Sellrain – Gasthof Ruetz – Streckenlänge: 490km
Wieder einmal, wie fast immer vor solchen Touren, hatte ich schlecht geschlafen. Dabei hatte ich, auch wie immer, keinen Grund dafür. Ich würde eine ganze Woche das machen können, was ich – fast – am liebsten tat. Motorrad fahren. Einem Bad folgte ein ordentliches Frühstück, dann packte ich mein Zeug auf die blaue Elise, verabschiedete mich, und los ging´s. Aber anders, als ich mir das gedacht hatte! Los ging´s zuerst mit dem Anziehen der Regenkleidung, denn als hätten die Wettermacher da oben darauf gewartet, begann es, genau als ich das Motorrad aus der Garage schob, leicht zu regnen. "Das ist jetzt aber nicht wahr", dachte ich verdutzt. Ok, es war bewölkt, aber das war doch noch lange kein Grund, es gleich regnen zu lassen, verdammt noch Mal! "Andererseits ist es eh egal, denn erspart wird uns das sowieso nicht bleiben und ich gewöhne mich gleich daran", war meine weitere Überlegung. Mit der ich gänzlich falsch lag. Vielleicht 20km regnete es während der Tour, das dafür aber unvergesslich! Bilder L+R: Gerlos
So brummte ich schön wasserdicht eingepackt dahin, hatte bald den Buchauersattel überwunden und Admont erreicht, wo ich mir an der Tankstelle einen Kaffee kaufte und überlegte, ob ich nicht doch besser die Regensachen wieder ausziehe. Es sah schon komisch aus, wie ich, bei blauem Himmel, dick vermummt dahergefahren kam, während rings um mich herum alle Leute in kurzarmigen Hemden herumliefen. Es regnete schon seit gut 40km nicht mehr, aber die Strassen waren teilweise noch naß und in der Ferne vermeinte ich immer dunkle Wolken zu erkennen, die sich allerdings dann immer wieder als weiße, harmlose Haufenwolken entpuppten. Bis Mittersill in Salzburg, also gut 250km, blieb ich hartnäckig, denn es könnte ja doch wieder schlechter werden. Dann trieb mich die Hitze – die Sonne brannte schon seit längerem unbarmherzig herab – doch zu einer Tankstelle, um mich umzuziehen und mir eine Erfrischung zu kaufen. Ich war, wohl als Ergebnis meiner Sauna Tour, auch schon halb verdurstet, aber immer stur wie ein Panzer weitergefahren. Mann, war das angenehm, nur mehr das leichte Leder und die dünnen Handschuhe, da war die Fahrerei, die mir zuvor schon beschwerlich geworden war, wieder eine richtige Freude. Bild links: Krimmler Wasserfälle
Freude machten mir auch die vielen Roller, die sich hier tummelten. Ich meinte, auf einem der hunderten Roller (ich übertreibe NICHT!) einen Aufkleber bezüglich eines Treffens gesehen zu haben, kann mich aber nicht mehr genau daran erinnern. Jedenfalls quollen Roller aus allen Strassen und Gassen und füllten und verstopften alles rundherum, nur, Gottlob, nicht meine Fahrtrichtung. Ich hab noch nie in meinem Leben so eine Menge Roller gesehen. Sie schienen auch kein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Kreuz und quer rollerte es, wie in einem Rollerhaufen…. äääh…. Ameisenhaufen müsste das ja heißen. Und von wo die alle herkamen?! Eine Unmenge Roller mit Deutschen Kennzeichen, dann Schweizer, Italiener und was weiß ich noch alles, und natürlich aus Österreich, eh klar. Es waren durchaus nicht lauter junge Leute, die da herumrollerten, sondern auch ältere, alleine fahrend oder zu zweit, bekleidet mit allem, was man beim Rollerfahren so anziehen kann. Alles eben, von der Lederkluft bis zum Nadelstreif. Na gut, mit Nadelstreif kam mir keiner unter, aber es hätte mich nicht – oder nicht mehr, nach einiger Zeit – gewundert! Bild rechts: Speicher Durlaßboden/Gerlos
Ab dem Gerlos Paß war es aber wieder vorbei mit der Rollerei. So wie sie auftauchten, waren sie plötzlich wieder weg. Hintertux lockte mich als nächstes, denn ich hörte von Bekannten immer wieder, welch traumhaftes Skigebiet dies sei. Nun ja, was soll ich sagen? Schnee lag ja keiner mehr, und die grünen Hänge lassen nur erahnen, wie es hier im Winter aussieht. Obwohl die Berge dort weit über 2000m hoch sind, kam keine rechte Begeisterung auf. Ich dachte mir, "da schauts aus wie bei uns am Hochkar", rauchte eine Zigarette und fuhr weiter. Begeisterung behielt ich mir für später auf, ich war ja noch ein paar Tage unterwegs.
Nächste und für diesen Tag letzte besondere Station der Anreise sollte, bevor ich das Sellraingebiet erreichte, die Zillertaler Höhenstrasse sein, die ich, dummer Weise, recht zügig überfuhr. Ich war ja der Meinung, wir würden am Mittwoch ohnehin alle zusammen drüberfahren und wollte nur den Zustand der Strasse und den Weg weiter nach Innsbruck erkunden, denn auf die Autobahn wollten wir keinesfalls fahren. Eine Autobahnvignette (Pickerl) für diese wenigen Kilometer zahlte sich nicht aus für meine Deutschen Kollegen, das wollte ich ihnen auf jeden Fall ersparen. So brauste ich recht hurtig über diese schöne Aussichtsstrasse, schoß genau 4 Bilder und rauchte zwei Zigaretten. Es sollten die einzigen Bilder sein, die ich heuer von dort mitbrachte, denn der Großteil der Tourteilnehmer sollte diese Strecke – aus verschiedenen Gründen – nie fahren. Das konnte ich zu diesem Zeitpunkt aber nicht wissen. 2 Bilder: Zillertaler Höhenstrasse
Der Weg nach und durch Innsbruck war schnell gefunden und ab der Brenner Bundesstrasse war der Weg zum Ruetz in St.Sigmund im Sellrain nicht mehr weit. Horst hatte mich per SMS wissen lassen, dass sich seine Ankunft – wir hatten so gegen 17 Uhr ausgemacht – verzögern würde. Da war ich allerdings auch noch im Zillertal unterwegs. Kaum war ich beim Ruetz vom Motorrad gestiegen und hatte mir einen Kaffee bestellt – ich steckte gerade die erste Zigarette in den Mund – grollte es auch schon dunkel in der Auffahrt. "Hört sich nicht nach Gewitter an, sondern nach Kilo Gixxer mit Münchner Kennzeichen", dachte ich lächelnd, und behielt Recht. Das nennt man Timing! Keine 3 Minuten Unterschied, obwohl wir so verschiedene Anreisewege hinter uns hatten. Wir verstauten unser Zeug und verbrachten eine gemütlichen Abend. Für den nächsten Tag hatten wir uns etwas besonderes vorgenommen.
Samstag, 13.Juni – Fahrt zum Stilfserjoch
Strecke: L237 Kühtai – B186 Oetz – Sölden – Hochgurgl – Timmelsjoch 2509m – SS44b St.Leonhard in Passaier – SS44 Meran – SS38 Schlanders – Prad – Stilfs Stilfser Joch 2757m – Umbrailpaß (Wormserjoch) 2501m – Santa Maria im Münstertal – Mals im Vinschgau – Reschen – Reschenpaß 1504m – Nauders – Pfunds – B315 Prutz – Kauns – Pillerhöhe 1559m – Wenns – Arzl – B171 – B186 – L237 Kühtai – St.Sigmund im Sellrain – Streckenlänge: 367km
Wir hatten noch in der Nacht darüber geredet, wie das wohl sein würde, an einem Samstag zum Stilfserjoch zu fahren. Die Fahrt letztes Jahr kann man kaum als Maßstab nehmen, denn am Stilfserjoch herrschte dichter Nebel und oben schneite es. Wir waren sowohl am Sonntag als auch am Montag nahezu alleine gewesen. Bisher hatte ich noch nie etwas gutes über diese Bergstrecke gehört, was nicht an den Spitzkehren sondern am enorm dichten Verkehr gelegen sein soll, der sich an schönen Wochenenden den Berg hinauf und hinunter wälzt, im Schritttempo. Wilde Zwischenfälle mit Autofahrer, die die Kehren kaum schafften, zurücksetzen mit dem Motorrad und dergleichen, das waren die Erzählungen, die ich von Bekannten wusste. Fast alle waren der gleichen Meinung – Stilfserjoch? NIE wieder! Bild links: See am Kühtaisattel
Aber was sollte uns schon passieren? Es war der 13. Juni und wir wurden beide an einem 13. (Februar) geboren! Das kann nur ein schöner Tag werden, sagten wir uns, und das wurde es auch. 4 Bilder: Unterwegs am Timmelsjoch
Bei der Fahrt zum Kühtaisattel passierten wir zum ersten Mal die Baustelle bei der langen Lawinengallerie, die Ampel war natürlich rot. Auch bei der 2. Baustelle, wenige Kilometer später, war die Ampel rot. Ich erwähne das nur deshalb, weil wir bis Sonntag noch öfters diese Strecke befuhren und die Ampeln waren in unsrer Fahrtrichtung immer rot. Man könnte sich aber helfen, denn zumindest bei der Lawinengallerie kann man den Anfang der Ampelstrecke sehen……..aber das wäre ja, öh, nicht erlaubt.
Je höher wir bei der Anfahrt zum Timmelsjoch kamen, je nobler die Orte wurden, desto billiger wurde das Benzin an den Tankstellen, ist mir aufgefallen. Der Spritpreis verhält sich dort wohl umgekehrt proportional zum Autopreis oder zum Preis für Nächtigung und Mittagessen. Schöne, noble Welt. Keine Ahnung, ob es dort tatsächlich so teuer ist. Der Ruf der Gegend ist jedenfalls so, was mir aber „Wurscht“ ist. Es ist schön dort, das zählt.
Flott hatten wir die Scheitelhöhe erreicht – ohne in Hochgurgl Strafe zu zahlen – und noch flotter erreichten wir St.Leonhart in Passaier. Man kann sagen, was man will, aber am Timmelsjoch sind die schönen Dinge gerecht aufgeteilt. Landschaftlich ist die Österreichische, die Nordseite, wesentlich schöner, da der Ausblick gewaltiger ist, die Italienische Seite ist dafür fahrerisch unvergleichlich interessanter und anspruchsvoller. Wobei anspruchsvoll nicht missverstanden werden darf, Schwierigkeiten gibt’s am Timmelsjoch überhaupt keine! Die Südseite ist aber wesentlich enger, kurvenreicher und vielleicht auch passagenweise steiler. Auch die Tunnel tragen zur Abwechslung bei, die allesamt ohne jegliche Schwierigkeit zu durchfahren sind. Tückische Stellen sucht man vergebens. Wenn man sich verschätzt, dann ist das Motorrad – und mit Pech auch der Fahrer – kaputt. Auslaufzonen gibt es nicht!
Ab St.Leonhard sollte man sich in Geduld üben, denn die Strasse nach Meran wäre schön ausgebaut, nicht zu breit und nicht zu schmal, dafür herrlich kurvenreich, aber fast durchgehend mit einer durchgezogenen Mittellinie verhunzt. So folgt man am besten der Prozession gemütlich und erspart sich einen Disput mit der Polizei. Wobei wir weder letztes Jahr noch heuer eine Kontrolle erlebt, ja nicht einmal ein Polizeiauto gesehen haben.
In Meran wollte ich ganz locker den gleichen Weg einschlagen wie im Vorjahr, allerdings war das Stadtzentrum, durch das uns der Weg geführt hätte, heuer gesperrt. Im Gegensatz zu letztem Jahr – da war allerdings auch Montag – war in der Stadt der Teufel los und in der Nähe des Zentrums alles verstopft. Da die Navigation dort allerdings relativ einfach ist – der Bergkamm muß sich immer rechts vorne befinden – hatten wir überraschend schnell wieder die richtige Route aufgenommen und konnten den Weg zum erträumten Ziel fortsetzen.
Der Gegenverkehr war recht beunruhigend, denn Kolonnenweise kamen uns Motorradfahrer entgegen, was für den Passo dello Stelvio nichts gutes verhieß. Wir würden eben doch heute unser blaues Wunder erleben und danach zu jenen gehören die predigten – Stilfserjoch? NIE wieder! 6 Bilder: Passo dello Stelvio
Wir erlebten tatsächlich unser blaues Wunder, im wahrsten Sinne des Wortes.
Schon bei der direkten Anfahrt war der Verkehr nahezu gegen null gesunken, nur mehr vereinzelt begegneten uns Fahrzeuge. Dann, bei der unmittelbaren Annäherung, an einem Parkplatz zur linken, von dem aus man den ersten richtigen Blick in das ganze Tal und zu den Bergen erhaschen kann, der große Augenblick. Fast ehrfürchtig stellten wir die Motorräder ab, steckten uns eine Zigarette an und staunten.
Unter strahlend blauem Himmel steilte sich das Gebirge um den Ortler fast 4000m hoch auf und oben leuchteten die eisbedeckten Spitzen. Diesen Anblick kann man nicht mit Worten beschreiben, das muß man gesehen haben! Keine Gebirgsstrecke, die mit dem Motorrad befahrbar ist und die ich bisher kennenlernte, ist vergleichbar mit dem Stilfserjoch oder dem Großglockner. Keine einzige kann mir dieses erhabene Gefühl eines Gebirges, dass umschlossen sein von Eisriesen, vermitteln, so wie es diese beiden Bergstrecken können. So groß die Sehnsucht nach dem Glockner ist, die mich jedes Jahr erfüllt und die mich – manchmal sogar mehrmals – zu diesem Berg treibt, so groß ist seit letztem Jahr die Sehnsucht nach dem Stilfserjoch geworden. Jetzt war ich wieder da.
Worte waren keine nötig. Wir setzten uns einfach wieder auf die Motorräder und erklommen, ganz langsam, diese prächtige Bergwelt, meist jeder für sich, manchmal zusammen. Ich hab keine Ahnung, wie lange wir bis hinauf brauchten. Es war auch völlig unerheblich, wir hatten alle Zeit der Welt. Je höher wir fuhren, desto gewaltiger wurde der Ausblick, desto überschaubarer aber auch die tatsächliche Steilheit des Geländes. Im 17. Jahrhundert hatten Militärs bereits diesen Paß überschritten, von 1820 bis 1826 wurde dann von der Österreichischen Monarchie unter der Leitung von Carlo Donegani diese Passstrasse gebaut, die ihren ursprünglichen Charakter bis heute nicht verloren hat. Die Strasse ist sehr schmal und die extremen Spitzkehren bestimmt nicht mehr zeitgemäß, sie lassen kein Befahren dieser Strecke mit Reisebussen zu, aber vielleicht ist das auch ein Segen für diese Strecke. Am Stilfserjoch und am Glockner hatte ich noch nie den Eindruck, ich befände mich in einer Art Gebirgs Disneyland, trotz der – natürlich – starken touristischen Frequentierung. In den Dolomiten sollte dieser Eindruck jedoch – zum Teil – überwiegen.
Eine Gruppe Italienischer Motorradfahrer, die es aus mir unerfindlichen Gründen recht eilig hatte, war das einzige starke Verkehrsaufkommen an diesem Tag. Manchmal kam eine ganze Zigarettenlänge kein einziges anderes Fahrzeug vorbei, weder von oben noch von unten. Und das bei diesem Wetter! Uns konnte das nur Recht sein. Auf der Passhöhen war natürlich Remmi-Demmi, was alleine schon am geringen Platz liegt, der dort zur Verfügung steht. Richtig voll konnte man das allerdings auch nicht nennen, da gibt es weit schlimmeres. Lange hatten wir uns nicht dort aufgehalten, dann zogen wir auf der anderen Seite bis zum Abzweig zum Wormserjoch weiter, überquerten die Schweizer Grenze – scheinbar gibt es dort überhaupt kein Grenzpersonal mehr, zumindest hab ich niemand gesehen – und fuhren dem schönen Münstertal entgegen. Rechts oben und links: Rast am Umbrailpaß
Am Umbrailpaß (Wormserjoch) frug mich noch ein Deutscher Motorradfahrer, ob ich die Strecke kenne, er sei eine unglaublich schlechte Schotterstrasse hochgefahren und sei froh, hier heroben angekommen zu sein. Ich frag mich, wo er denn da gefahren ist? Ja, es gibt hier etwa 3km Schotter, aber der ist – Schweizer Präzision – so eben und fest, dass man selbst mit einem Schweineeimer (so titulierte Horst letztes Jahr den Kilo Gixxer von Michael. Heute fährt er selber einen!) die Fahrt problemlos fortsetzen kann. Natürlich fuhr Horst gemütlich, den Sandstrahlen wollte er sein neues Motorrad ja nicht. Rechts: Reschensee am Reschenpaß
An einer schön gelegenen Kehre – man sieht weit ins Münstertal Richtung Ofenpass – genossen wir noch einmal die Aussicht, schlürften einen Kaffee, dann überquerten wir am Reschenpass die Österreichische Grenze, vergönnten uns bei der Fahrt über die Pillerhöhe noch herrliche Tiefblicke ins Inntal und erreichten am frühen Abend unsere Herberge in St.Sigmund. Links: Blick von der Pillerhöhe Rechts: Ruhe beim Ruetz.
Ein wunderschöner Tag war damit zu Ende gegangen. Morgen hatten wir noch einen Ausflug ins Kaunertal geplant, dann würden unsere Kumpels und Freunde eintreffen und die Pässetour konnte "offiziell" beginnen.
Sonntag, 14. Juni – Kaunertaler Gletscher, Hahntennjoch und Zusammentreffen mit den Tourmitgliedern
Strecke: St.Sigmund – Kühtai 2017m – Abzweig Haimingerberg zur B171 – B171 Abzweig Pitztal – L16 bis Abzweig Pillerhöhe über Wenns – Piller – Kauns – Kaunertal zum Gapatsch Speicher 1767m (Maut) – Kaunertaler Gletscherstrasse zum Weisseeferner 2750mRückfahrt über Landeck – B171 Imst – Hahntennjoch 1894m – B198 – Reutte – B198 – Hahntennjoch – Imst – B171 – B186 Oetz – L237 Kühtai 2017m – St.Sigmund im Sellrain – Streckenlänge: 326km
Für heute hatten wir als schönes Vormittagsprogramm die Fahrt zum Kaunertaler Gletscher ausgemacht. Am Nachmittag würden wir Michael und Andre in Reutte abholen und sie nach St.Sigmund zu unserer Unterkunft begleiten. Auch die anderen Tourteilnehmer sollten heute am Nachmittag oder frühen Abend in Tirol eintreffen. Dann würden wir alle zusammen sein, wie es schon seit dem Frühling geplant war. Damals hatte es den Anschein, als wäre es noch sehr lange bis zu unserer gemeinsamen Tour. Aber die Zeit verging schnell, und heute war der Tag des Zusammentreffens gekommen. Endlich! Bild links: Ausblick vom "Abschneider" ins Inntal
Zuerst galt es, erstmal richtig wach zu werden, was gar nicht so einfach war. Host und ich hatten natürlich wieder Gesprächsstoff genug gefunden, um es Mitternacht werden zu lassen, bevor wir Schlaf fanden. Wobei einschlafen nur auf 50% von uns beiden zutraf. Mir gingen dann weit andere Gedanken durch den Kopf. Ich konnte mich plötzlich genau an den Komik mit Tick, Trick und Track erinnern, die Neffen von Donald Duck. Wenn sie schliefen, war immer das Geräusch Kchchch – Ptschipüüüüü, Kchchch – Ptschipüüüüü in den Sprechblasen zu lesen, was schnarchen andeutete. Öhömmm…… Nie hätte ich gedacht, dass es diese Geräusche auch in Original gibt. Das war ein Irrtum.
So erwachte ich gegen 7 Uhr recht zerknittert, versuchte, mit einer Dusche die Schläfrigkeit zu überwinden und verzichtete – ich hatte irgendwie zu viel Schlaf – auf ein ordentliches Frühstück, was sich als Fehler herausstellen sollte. Normal frühstücke ich auch nie. Normal schlafe ich allerdings auch nicht in einem Sägewerk!
Gegen halb neun fuhren wir entlang der Sellrainstrasse nach Kühtai und bogen danach in einen Güterweg ein, der uns über eine schöne Anhöhe steil hinunter zur Bundesstrasse 171 brachte, die uns in östlicher Richtung dem Inn entlang zum Eingang des Pitztales führte, von dem wir über die Piller Höhe aussichtsreich ins Kaunertal vordrangen. Schon bei dieser, relativ kurzen, Anfahrt gab es einige interessante Begebenheiten, die ich hier erwähnen möchte. Bild rechts und links unten: Oilers 69 in Haiming/Tirol
Der kleine „Abschneider“ zur B171 bietet beispielsweise einen wunderschönen Tiefblick ins östliche Inntal, der Weiterweg führt dann an der B171 ostwärts an einer Raststätte vorbei, die dem Stile einer amerikanischen Tankstelle aus den – ich schätze – 60er Jahren entspricht, inklusive einiger Fahrzeuge aus dieser Zeit und diesem Land. Ich fand den Anblick wirklich schön. Neben dem Inn gibt’s auch einige schöne Ausblicke, beispielsweise auf die Brücke, die ins Kaunertal führt, und dass die Piller Höhe ein schönes Panorama bietet, hatte mir mein Münchner Kollege schon am Vortag gezeigt.
Dann legten wir unser Hauptaugenmerk auf das Kaunertal mit seinen Schönheiten, die, wie kaum anders zu erwarten, erst richtig nach der Mautstelle zur Geltung kamen.
Das ist Typisch für viele der schönsten Strassen Österreichs. Die wirklichen Attraktionen beginnen immer erst nach einer Mautstelle. Alles davor ist nur zum neugierig machen und als Anregung gedacht, die Geldbörse zu öffnen, um alles genießen zu dürfen. Damit diese nicht als Nörgelei an einer unbotmäßigen „Abzocke“ missverstanden wird, hab ich mir die Seiten der Kaunertaler Gletscherstrasse herausgesucht und ein paar Zahlen aufgeschrieben. Die Mautgebühren an den Österreichischen Alpenstrassen werden ja oft als Wegelagerei und Raubrittertum hingestellt, kaum jemand macht sich Gedanken, warum das so ist. Man will eben überall hinfahren dürfen, wenn eine Strasse hinführt, weil „Ich bezahle regelmäßig meine Steuern, ich darf das also!“, oder so ähnlich. Was weiß ich? Bild rechts: Der Inn bei Imst
Die Kaunertaler Gletscherstrasse ist eine Privatstrasse der Kaunertaler Gletscherbahnen GmbH und führt auf einer Länge von 26km über 29 Kehren in eine Höhe von 2750m, was ziemlich genau der Scheitelhöhe des Stilfserjoches entspricht. Die Erhaltung dieser Strasse verschlingt laut Angaben der Betreibergesellschaft jährlich das nette Sümmchen von, man lese und staune, ca. 680 000€
Die erste Attraktion dieser Strasse ist zweifelsohne der Gapatsch Stausee, der sich in 1767m Seehöhe befindet und auf drei Seiten von über 3km hohen Bergen eingerahmt wird. Ein wahrlich märchenhafter Anblick. Horst kaufte sich dort, neben einem Getränk, das an einem kleinen Stand erhältlich ist, auch eine Jause. Ich nahm nur einen Schluck Cola zu mir, den Rest verstaute ich im Topcase, dann fuhren wir weiter, dem „ewigen“ Eis entgegen (Was „Ewiges Eis“ bedeutet, wurde uns ein paar Tage später am Glockner drastisch vor Augen geführt!).
Viel kann man jemandem, der die Welt der 3000er nicht kennt, nicht erzählen. Man muß es gesehen haben und, bestimmt, auch mögen. Jedermanns Welt ist es bestimmt nicht. Bild links: Pillerhöhe – Ausblick nach Westen ins Inntal.
Erst relativ weit oben, wo die Kehren zahlreich werden, wird der Ausblick richtig grandios. Im Zuge eines (von einigen) Fotostop wollte Horst wissen, wie mir die Landschaft gefällt. Allerdings ließe er es beim ersten Blick in mein Gesicht – der Klapphelm war offen, auch wenn´s Sau dämlich ausschaut – dann bleiben. Fragen war nicht nötig, denn mein breites Grinsen sprach mehr als viele Worte. Er sagte nur, „Und?“, dann lächelte er und meinte, „Wenn ich dich anschaue, brauch ich nicht mehr fragen“. Ja. Das ist meine Welt, die ich so liebe! Ich grinste 3 Mal im Kreis und fuhr ohne Worte weiter. Ich war glücklich. Rechts: Gapatsch Stausee
Oben stellten wir die Motorräder ab, kauften uns einen Kaffee, plauderten ein wenig mit anderen Motorradfahrern, die wir bei der Anfahrt schon mehrmals getroffen hatten und genossen es einfach, hier zu sein. Dann wurde mir langsam, aber sicher – schwindlig. Seltsam, aber bei untrainierten Menschen, die sich rasch auf über 2000m Höhe begeben – beispielsweise mit einem Motorrad oder einer Seilbahn – kann sich diese Höhe tatsächlich unangenehm auswirken, das wusste ich. Mir hatte so eine Tour aber noch nie etwas ausgemacht. Ich war viel in den Bergen unterwegs, auch auf Höhen weit jenseits der 4000er Marke und hatte, nach kurzer Zeit der Akklimatisierung, nicht die geringsten Probleme. Abgesehen davon, dass ab 3400m die Zigaretten schmecken, als würde man eine Matratze rauchen. Da war ich allerdings nicht mit dem Motorrad unterwegs. Die nächsten Bilder: Kaunertaler Gletscherstrasse
Heute, ohne Frühstück und nach wenig Schlaf, wurde mir langsam, aber sicher, immer schwindliger und komischer zumute. Ich trank den Kaffee aus und wollte nur mehr eines – runter von hier! Dem Horst war schon vorher schlecht geworden, was er aber nicht auf die Höhe zurückführte, daher war auch er schon am „Abhauen“. Anders kann man unsere Abfahrt von da oben kaum bezeichnen. Wirklich merkwürdig, denn am Vortag am Stilfserjoch war das Empfinden ganz normal, wenn man von der Begeisterung über die prächtige Landschaft absieht.
Bei der Abfahrt noch ein kurzer Halt an einem Wasserfall – da fühlten wir uns beide wieder wohler – , dann verließen wir gegen 13 Uhr diese Zauberwelt wieder und rollten Imst und dem Hahntennjoch entgegen. Michael und Andre würden gegen 15 Uhr in Reutte eintreffen, dort wollten wir unsere Kollegen empfangen und „heimwärts“ begleiten.
Ich hatte wenige Tage zuvor in einem Forum gelesen, dass dem Hahntennjoch eine Streckensperrung für Motorräder droht und dachte mir nur, „Die spinnen doch alle! Immer gegen die Motorradfahrer!“
Jetzt, nach diesem Sonntag Nachmittag, denke ich da ein wenig anders darüber, obwohl ich mir recht unsicher bin über meine Gefühle zu diesem Thema.
Die Ausfahrt von Imst zum Joch ist, zur Verringerung der Lärmbelästigung, auf 30km/h beschränkt und wird auch von der Polizei überwacht. Zumindest stand jemand dort. Ehrlich gesagt möchte ich weder in Imst noch in einer der an das Hahntennjoch angrenzenden Ortschaften wohnen, und das nicht deshalb, weil mir die Landschaft nicht gefällt.
Man sagt, Tirol lebt vom Tourismus, daher müsse man selbstverständlich auch mit dem Verkehrsaufkommen leben können. Vielleicht stimmt das ja. Ich fände es schrecklich. Ich arbeite auch nicht in der Tourismus Branche. Und selbst wenn, fände ich es für meinen Heimatort, für den Flecken, der Rückzug und Erholung bedeutet, schrecklich!
Wenn sich an einem schönen Wochenende vom Morgen bis zum Abend Kolonnen von Motorräder den Berg hinauf und hinunter wälzen und das Gebrumme einfach nicht abreißen will, dann kann ich mir vorstellen, dass dem einen oder anderen einmal der Kragen platzt und er das abschaffen will. Vor allem, wenn sich an vielen Motorrädern – was an diesem Tag scheinbar NICHT der Fall war – Auspuffrohre befinden, deren „Geräuschemission“ sich schön hallend an den Häusern und Bergen bricht.
Solche Kolonnen wie dort kenne ich, ehrlich gesagt, nur von den Fahrten zum und vom Salzburgring bei den Weltmeisterschaftsrennen. Direkt am Hahntennjoch fand ich den Verkehr ja gar nicht sooo schlimm. Da genießt man die schöne Strecke und die schöne Landschaft und achtet nicht so sehr darauf, wie viele andere noch dort unterwegs sind. Aber drüben, auf der B198 nach Reutte, da war Remmi-Demmi angesagt wie am Brenner in der Urlaubszeit. Ich war recht flott abwärts gefahren, hatte einige Motorradfahrer überholt und war Richtung Reutte unterwegs. Dann suchte ich mir einen hübsch gelegenen Platz zum Rasten und wartete dort bei einer Zigarette auf den Horst. Was sich hier abspielte, dass war sagenhaft. Motorräder, Motorräder und wieder Motorräder. Ich glaube, auf einen Österreicher kommen dort ganz locker 200 Germanen.
Nein, um Himmels Willen, ich bin kein Deutschlandgegner. Alle meine Kollegen der Tour kamen aus Deutschland! Es gibt einige Leute dort (von 80 Millionen!), die ich kennen und schätzen lernte, und manchen hab ich sogar recht ins Herz geschlossen (auch wenn man das nicht so offensichtlich sieht). Ich schreib nur das, was ich sah! Das es dort Deutsche sind, ist Zufall (Na ja, mehr oder weniger). In oberitalienischen Ortschaften sind es vielleicht Deutsche, Österreicher und Schweizer gemeinsam, die den Einwohnern auf den Nerv gehen und sie manchmal zur Verzweiflung bringen. Ganz bestimmt sogar! Aber im Norden Tirols ist es eben so, das die Motorradfahrer aus dem nördlichen Nachbarland die Mehrheit stellen. Und es sind sehr viele, die zum Hahntennjoch ziehen. Verständlicherweise, denn es ist schön dort!
Ich fahre seit 30 Jahren Motorrad und finde noch immer riesigen Spaß an diesem Hobby, aber dort könnte selbst ich mir vorstellen, dass ich, früher oder später, am Durchdrehen wäre.
Im Unterschied zu den Motorradfahrern – zu denen ja auch ich an diesem Tag gehörte – die einfach nur durchfahren und die Ortschaften hinter sich lassen, bleibt das Brummen – und manchmal auch das Röhren – der zahllosen Zweiräder nämlich beinahe konstant bestehen. Die Ortschaften ziehen nicht einfach weiter, wie die Motorräder, und lassen den Lärm hinter sich. Lebensqualität kann das nicht mehr sein.
Warum ich so ausführlich darauf eingehe?
Weil ich mir hier zum ersten Mal etwas gedacht habe, angeregt durch die Drohung der Streckensperre. Weil ich zum ersten Mal versucht hab, die Anwohner so einer Region zu verstehen, die Beweggründe für die angedrohte Maßnahme zu begreifen. Ausweg weiß ich auch keinen und ich fände es schade für die Motorradfahrer, wenn es tatsächlich zu einer Sperrung kommen sollte, denn ich kann verstehen, warum es so viele dort hin zieht.
Irgendwie ist die Mobilität der Massen und der damit verbundene Massentourismus zum Fluch geworden, zumindest in manchen Gegenden. Touristen bringen Geld und schaffen somit Arbeitsplätze, kosten aber die erholsame Ruhe. Hat man seine Ruhe, weil die Touristen ausbleiben, gehen die Arbeitsplätze verloren und damit das Geld. Ein Saublöder Kreislauf, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. Komisch, auf der Kaunertaler Gletscherstrasse, die landschaftlich doch deutlich reizvoller ist als das Hahntennjoch, gibt es diese Massenaufläufe nicht. Liegt es daran, dass es eine Sackstrasse ist oder daran, dass die Maut (eine Fahrt) 10€ beträgt?
In Reutte hatten wir das Problem zu lösen, wo wir warten sollten. Rasch war aber eine amerikanische Fleischleibchenbude als Stützpunkt gefunden, die recht einfach zu finden, an der nordöstlichen Einfahrt der Ortschaft gelegen war. Eine große Tramway (eine stationäre, keine an einer Haltestelle stehende, die weiterfahren würde!) war ein markantes Zeichen neben der Strasse und bestimmt leicht zu finden. Gegen Mittag hatte ich eine SMS erhalten, dass sich die beiden etwa 30km von Ulm entfernt befänden, danach hatten wir einzuschätzen versucht, wann sie tatsächlich in Reutte eintreffen könnten, wie sich das mit unserer Anreise ausgeht und uns auf den Weg gemacht. Ich hatte aber inzwischen die Worte „30km vor Ulm“ verschwitzt und konnte mich nur mehr an „Vor Ulm“ erinnern. Am Telefon nachzusehen, kam mir nicht in den Sinn.
Als wir etwa dem vierhundertsten Motorradfahrer erfreut entgegensahen und es sich wieder um einen uns unbekannten handelte, begannen wir zu diskutieren, wo sie den sein könnten und wie lange es noch dauern könnte, wenn sie zu Mittag „Vor Ulm“ waren. Mir fiel ein, dass Michael als gelernter Seefahrer möglicherweise eine etwas andere Einschätzung von „Vor Ulm“ haben könnte als wir Landratten. Bild links unten: Erste Plauderei beim Ruetz – v.l.n.r.: Andy, Michael, Andre und Horst.
Wo würde er sich befinden, wenn er uns am Funk mitteilen würde, er befände sich vor Amerika? 500 Seemeilen davor? Oder 800? Zwischen Heilbronn und Stuttgart wäre ja auch „Vor Ulm“!
Gerade hatten wir uns etwas (einigermaßen) Genießbares zwischen die Zähne geschoben und noch eine Cola bestellt, als das Telefon läutete. Michael am Apparat meinte, sie wären schon in Österreich, in der Nähe eines Tunnel.
Ich spürte leichte Panik in mir aufsteigen. „Oh Herr, lass diesen Tunnel bitte nicht 10.5km lang sein“, dachte ich, denn aus mir unerfindlichen Gründen (ich muß dazu sagen, dass ich die Strecke zwischen der Grenze und Reutte nicht kenne) war mir sofort der Arlbergtunnel eingefallen, der sich, eine beträchtliche Wegstrecke von uns entfernt, weiter im Südwesten befand. Horst beruhigte mich aber gleich. „Nein, nein, dieser Tunnel ist gleich hinter Reutte. Die sind nur mehr ein paar Minuten entfernt“. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Dann kamen sie endlich angerauscht, unser Friesischer Kapitän Michael mit Andre im Windschatten.
750km hatten sie abgespult und waren schon ein wenig müde. Nach einem kleinen Erfrischungsgetränk und einer Rastpause begleiteten wir die beiden über das Hahntennjoch (Ja, ich weiß. Es hätte auch eine andere Strecke gegeben!) und den Kühtaisattel zu unserem Quartier beim Ruetz, wo schon Andy aus München auf uns wartete.
Bild links: v.l.n.r.: Ich, Horst, Partosz, Axel, Michael, Andy, Carsten, Andre und Dominic
Im Laufe des Abends stießen dann noch Axel, Carsten, Dominic und Bartosz mit den am Anhänger aufgeladenen Motorrädern dazu, dann war die Truppe komplett versammelt. Am nächsten Tag konnte es also losgehen. Die Pässetour 2009 konnte beginnen.
Montag, 15. Juni – Aufbruch in die Dolomiten
Strecke: St.Sigmund – Sellrain – Axams – Götzens – Natters – B182 (Brenner Bundesstrasse) Innsbruck – Igls – Batsch (Alte Römerstrasse) – Matrei am Brenner – Brenner Paß 1374m – Sterzing – SS44 – SS508 über Penser Joch 2215m bis Astfeld – Durnholzer See – Astfeld – SS508 Bozen – SS241 (Eggental) – Karerpaß (Passo di Costalunga) 1745m – SS48 Canazei – Hotel Cristallo ***
Abendliche Rundfahrt: Carnazei – Alba – Lago di Fedaia – Passo di Fédaia (auch Jouf de Fedaa) 2057m – Colle S.Lucia – SP251 – SP638 – Passo di Ciau 2236m – SR48 – Passo di Falzarego 2105m – SP24 – Passo di Valparola 2192m – SP37 – SS244 – Corvara – Passo di Campolongo 1875m – Arabba – SR48 – Passo di Pordoi 2239m – Abstecher zum Passo di Sella 2244m – Carnazei – Tagesstrecke: 358km
Bei etwas zweifelhaften Bedingungen – es hatte zeitweise leicht geregnet – starteten wir gegen 8:30Uhr – auf mein Anraten ohne Regenschutz! – in St.Sigmund zur ersten Etappe unserer Tour, die nicht über die gesamte Länge der Brenner Bundesstrasse beginnen sollte, sondern über die sogenannte „Alte Römerstrasse. Für Interessierte schildere ich hier genau die Anfahrt zu dieser Strasse, aus dem Sellrain Gebiet kommend. In der Ortschaft Sellrain führt eine sehr schmale Strasse nordwärts nach Axams (etwas versteckte kleine Kreuzung!), dann ist der Weg recht einfach zu finden. Links: Abreise in St.Sigmund
Über Götzens und Natters (auch über Mutters!) erreicht man einen Kreisverkehr an der B182, bei dem man nach Innsbruck abzweigt. Über mehrere langgestreckte Kehren mit schönem Überblick über den westlichen Teil der Stadt entert man Innsbruck. An der zweiten Ampel biegt man rechts ab und hält sich immer an die Tafeln nach Igels. Der Weg führt über eine Brücke und zu einem Kreisverkehr, den man Richtung Igels verlässt. Am nächsten Kreisverkehr nach dem Innsbrucker Tivoli Stadion (dahinter die Innsbrucker Skisprungschanze) zweigt man Richtung Patsch ab und kann ab hier absolut nichts mehr falsch machen, denn die Strasse, die zum Teil sehr eng an der östlichen Seite des Tales, genau gegenüber der Bundesstrasse und der Autobahn (schöne Ausblicke zur Europabrücke!) entlang führt, zweigt erst in Matrei am Brenner wieder zur Hauptstrasse ab. Davor gibt es keine Möglichkeit, sich zu verfahren.
Ob und wie weit dieser Teil der Strecke zum Brenner tatsächlich etwas mit den Römern zu tun hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich bin auf diese Strasse erst durch diverse Artikel, die ich bei der Recherche zur Tour durchforstete, aufmerksam geworden. Sie soll früher der unterste, alte Teil der Brenner Bundesstrasse gewesen sein. Durch die Enge, die an diesem östlichen Hang herrscht, wurde dann die Trasse auf die andere Talseite verlegt. Die Autobahn führt zu einem großen Teil, ohne dass man davon etwas bemerkt, unmittelbar über der B182 hinweg, was man erst bei der Befahrung der alten Strasse richtig bemerkt. Der Überblick ist jedenfalls auf dieser „Römerstrasse“ wesentlich schöner, auch die Verkehrsdichte ist um einiges geringer. Lange durchgezogene Sperrlinien und Überholverbote gibt es hier nicht, erhöhte Aufmerksamkeit bei der Befahrung ist, bedingt durch die Enge, sehr angeraten! 3 Bilder: Penser Joch
Rasch hatten wir nach Martei die Passhöhe erreicht, wurden dort gleich durch eine rücksichtslos abbiegende Autofahrerin aufmerksam gemacht, dass wir uns ab nun in Italien befinden (wo scheinbar immer der mit der höheren Überlebenschance Vorrang hat) und zogen Sterzing entgegen. Der Weg zum Penserjoch ist durch die gute Beschilderung einfach zu finden, den Parkplatz gleich nach dem Abzweig auf die SS44, den wir auch gar nicht gesucht hatten, hätten wir ohne Hilfe der Polizei aber glatt übersehen. Nun gut, da wir schon standen, war Rauchpause angesagt und wir harrten der Dinge, die da jetzt kommen würden. Ehrlich gesagt hab ich bis heute keine rechte Ahnung, was sie wirklich von uns wollten, dann wir waren weder zu laut noch zu schnell unterwegs. Ich zumindest hatte den Eindruck, sie wollten uns nur etwas demonstrieren, und das gelang ihnen, nach meiner Auffassung, auf irgendwie sympathische Art recht gut.
Von mir wollten sie überhaupt nichts. Weder die XJR noch ich erweckten ihre Aufmerksamkeit, sie ließen mich, mehr oder weniger, links liegen. Auf die Supersportler meiner Reisegefährten hatten sie es, im Grunde, auch nicht abgesehen und auf die Gummikuh vom Andy auch nicht wirklich. Dafür aber – auf ihre Kennzeichen bzw. deren Halterungen! Mit scharfem Kennerblick bedeutete der Südtiroler (ich meine, der Schnauzbärtige hatte einen Südtiroler Dialekt, wogegen der andere, etwas blassere der Beiden, deutlich ein Italiener zu sein schien – sie unterhielten sich auch auf Italienisch) beispielsweise auf Michaels Kennzeichen und kritisierte den Neigungswinkel von ziemlich genau 37.5° (nach seiner Schätzung, ääääh, Messung mit freiem Auge), was damit gegen das Gesetz verstieß. Innerlich etwas aufgewühlt, machte unser Friese gute Miene zu diesem Spiel („Und wenn er jetzt behauptet, dass mein blau/weißer Gixxer rot ist, dann ist er eben rot“) und bog sein Kennzeichen so lange zurecht, bis es den gesetzlichen 30° entsprach. Nachdem auch bei fast allen Anderen der Neigungswinkel falsch zu sein schien (bei Andre allerdings auch mit einem Krückstock bemerkbar) und Michael schon Übung im Zurechtbiegen hatte, wurden sämtliche Kennzeichen auf das vorgeschriebene Maß gebogen, womit sich der Fall erledigt haben sollte. Rechts: Schloss Runkelstein
Falsch, dem war nicht – ganz – so. Andres Nummernschild war tatsächlich etwas gar flach gestellt gewesen, und der Herr Carabinieri ließ nicht so ohne weiteres locker. Schlussendlich fällte er aber, zur Überraschung, und Erheiterung (fast) aller (bis auf Andre), ein Salomonisches Urteil. Er verdonnerte den sichtlich eingeschüchterten Jungspund zu einer abendlichen Lage Bier, die er, auf amtliche Anordnung, uns zu bezahlen hätte! Dann durften wir ohne weitere Probleme abziehen und sie schnappten sich einen LKW. Links: Mittag am Karerpass
Ich stelle mir folgendes vor und kann mir den Sinn dieser Aktion nur so zusammenreimen. Den Italienern (genau genommen Südtirolern) geht es doch im Grunde genau so wie den Tirolern im Norden. Horden von Motorradfahrer fallen in die schöne Gegend ein und denken, sie können nun tun und lassen, was immer sie wollen. Heizen, bis der Gummi raucht, laut ohne Ende, das war lange Jahre der Normalfall. Die haben das einfach genau so satt wie ihre nördlichen Nachbarn. Von den schweren Unfällen gar nicht zu reden. Die Beiden wollten uns – vielleicht – mit dieser Aktion nur sagen, „Ihr haltet euch an unsere Spielregeln, dann habt ihr von uns nichts zu befürchten. Andernfalls können wir auch ganz anders“! Ich denke, so falsch liege ich mit dieser Ansicht gar nicht, denn beide waren ausgesprochen höflich und entgegenkommend und ansonsten auch keineswegs auf der Suche nach „Flöhen“, die man an fast allen Motorrädern finden kann, wenn man nur will. Nicht einmal die Papiere wollen sie sehen. Rechts: Hotel Cristallo in Carnazei Links: Aussicht aus dem Zimmer
Die Auffahrt zum Penser Joch war für mich – und sichtlich auch für die Kollegen – der herrlichste Auftakt zur Tour auf Italienischem Territorium, den man sich denken kann. Relativ eng, recht kurvenreich im unteren Teil und mit Grip ohne Ende. Genau so, wie man sich Italienische Passstrassen vorstellt. Ich fühlte mich sofort wohl, als wäre ich daheim, und rauschte, trotz der relativ schwer beladenen XJR, recht flott den Berg hinauf, bald dicht von Axel (wohnhaft im Bremer Raum und noch nie in seinem Leben auf einer so hoch hinaufführenden Bergstrasse unterwegs) und Michael gefolgt. Rasch hatte sich aber auch die Fahrweise herauskristallisiert, die wir während der gesamten Tour beibehalten sollten, ohne Absprache. In den kurvenreichen Passagen flott, aber nicht kriminell, auf den Geraden nie schneller als maximal 120km/h, wenn´s hoch herging. Meistens war aber bei 110 Schluss. In den verschlungenen Abschnitten hat allerdings nie jemand auf den Tacho geschaut.
Den obersten Teil, der ohne großartige Kurven einem Hang entlang (fast wie auf die Turracher Höhe) führt und einen schönen Ausblick auf die Berge zur linken (östlich) zulässt, legten wir recht gemütlich zurück und hielten auf der Scheitelhöhe. Unser erster 2000er dieser Tour war erreicht. Dort oben war von der Wärme, die uns unten noch erfreute, nicht mehr viel zu spüren. Es war etwas nebelig und recht zugig, aber nichts desto Trotz sehr schön. Schwer musste ich mich beherrschen, nicht einen von dort aus recht einfach erreichbaren Gipfel zu besteigen. Ich denke, in etwa einer halben Stunde wäre man locker oben und könnte von dort aus einen tollen Ausblick genießen. Die Aussicht, dann schweißgebadet (die lederne Motorradkluft würde bestimmt für ein Schweißbad sorgen) wieder hier unten anzukommen, ließ mich allerdings davon Abstand nehmen. Ganz abgesehen von den Kollegen, die dieses Treiben möglicherweise gar nicht gut geheißen hätten. Wir waren ja zum Motorradfahren aufgebrochen, nicht zum Bergsteigen. Aber manchmal kann ich einfach nicht anders, der Drang hinauf ist ständig präsent. Rechts & Links: Passo di Fedaia
Ob man zum Durnholzer See wirklich abzweigen muß, dass soll jeder, der das plant, für sich selber entscheiden. Schön gelegen ist er ja. Angeblich kann man ihn auch zu Fuß umrunden. Man kann aber auch einfach am Abzweig vorbeifahren nach Bozen und versäumt auch nicht viel. Viel versäumt man auch nicht, wenn man sich im unteren, sehr engen Sarntal, kurz vor Bozen, auf keine Husarenstücke einlässt und langsam fährt, trotz der verführerischen Kurven. Zumindest lernt man so kein Italienisches Krankenhaus von innen kennen! Man könnte hier recht ordentlich Gas geben und hurtig von einer Kurve in die andere heizen – wenn da diese Tunnels nicht wären! Den ersten Tunnel sieht man recht deutlich, ist daher darauf vorbereitet, die weiteren können dann allerdings schwere Überraschungen hervorrufen.
Nichts deutet darauf hin, dass man auf diesem Abschnitt praktisch von einem Tunnel in den nächsten fährt, und das oft in voller Schräglage. Das Licht am Ende eines dieser finsteren Löcher bedeutet keineswegs, dass man wieder Vollgas geben kann, denn oft folgt, wie gesagt in Schräglage oder gar als Gegenkurve, die Einfahrt in das nächste dunkle Loch! Kann auch durchaus sein, dass draußen die Sonne scheint und drinnen ist es pitsch naß, was bedeuten könnte – Krankenhaus von innen, oder so. Wenn nicht gar Friedhof! Also höchst Vorsicht dort und bloß nicht in Versuchung kommen, schnellen einheimischen Motorradfahrern blind zu folgen. Dass könnte schwer ins Auge gehen! Rechts: Colle S.Lucia
Beim Schloss Runkelstein, das aus dem 13. Jahrhundert stammt, kann man sich von den (hoffentlich nicht zu schlimmen) Überraschungen der „Tunneltour“ erholen, ein Päuschen einlegen und sich auf die Durchfahrt durch Bozen vorbereiten, um den Weg zum Karer Paß zu finden. Ich hatte mich recht gut vorbereitet, fand auch problemlos bis zum Gerichtsgebäude, das sich mitten in der Stadt befindet. Dann kamen mir allerdings die zahllosen Schilder, die den Weg unter anderem nicht nur in bestimmte Strassen, sondern auch zum Zahnarzt, zum Klempner und weiß der Teufel wo sonst noch hinweisen, durcheinander und wir standen beim Eisack, zu weit südlich meiner geplanten Route, wie mir schien. Sofort hielt ich an, damit wir nicht gezwungen wären, Bozen unplanmäßig näher kennen zu lernen.
Einen besseren Punkt hätte ich mir – welch ein Glück – gar nicht aussuchen können, wie sich herausstellte. Was ich nicht eingeplant hatte war, dass in Italien die Strassen nicht unbedingt – wie ich oft gesehen hatte – zu den nächsten Pässen beschildert sind, sondern in das Tal, dass zu ihnen führt. So hatte ich auch nicht berücksichtigt, dass wir ins Eggental mussten, hatte von diesem Namen noch nie etwas gehört oder gelesen. Eine nette Dame, die ich um Hilfe bat, machte mich allerdings auf diesen Umstand aufmerksam und wies auf ein braunes Schild unmittelbar vor unserer Nase, das die Aufschrift „EGGENTAL“ trug. Potz Blitz, da blieb mir aber eine riesen Blamage erspart! Wieder einmal hat sich meine Devise bewährt. Wenn ich bemerke, dass mein eingeschlagener Weg nicht stimmen kann, dann SOFORT anhalten, nachschauen oder fragen. Im Verlauf der Tour sollte ich aber auch, wenigstens einmal, etwas weiter abseits der Route geraten und nichts bemerken. Aber davon – Öööh – später. Links oben bis rechts unten: Passo di Giau
Nach einem einigermaßen langen Tunnel (wie überhaupt die ganze Tour für Tunnelfreaks hoch interessant gewesen wäre!) ließen wir unsere Geräte dem Karer Pass entgegenfliegen.
Wer noch nie grünes Wasser in einer Mulde zwischen Felsen gesehen hat, der sollte unbedingt am Karer See anhalten und wird – vielleicht – so begeistert sein, wie zahlreiche andere Motorradfahrer auch. Wer jedoch die Fuscher Lacke (Lacke wäre auch für den Karer See treffender, Karer Pfütze ließe sich Touristisch nicht ausschlachten) am Glockner oder gar den See der Kölnbreinsperre kennt, wird wohl lieber weiter zur Passhöhe fahren und am Restaurant „Residence Laurin“ zur Linken anhalten, um genüsslich sein Mittagessen einzunehmen. Montags gab es das sogenannte Arbeiter Menü für schlankes Geld und mundete köstlich. Die Umgebung kann man auch als recht passabel bezeichnen, denn die rundherum liegenden, über 2500m hohen Berge machen sich recht hübsch in der Landschaft.
Das heißt nicht, dass der viel gelobte Karer See keine Wirkung auf mich gemacht hätte. Keineswegs. Das Wasser dürfte sogar heilende Wirkung besitzen, ohne dass man damit in Berührung gekommen ist, denn ich war nun von der Vorstellung geheilt, dass man dort gewesen sein muß. Aber das ist meine persönliche Ansicht, die bestimmt nicht jeder teilt. Über das Mittagessen weiter oben konnte man jedenfalls nicht klagen!
Bald darauf hatten wir das Fassatal erreicht und Carnazei, wo ich mich auf die Suche nach einer geeigneten Unterkunft machte.
Ich hatte ja befürchtet, dass wir hier eine eher einsame Gegend vorfinden würden, in der es kaum Unterkünfte gäbe, dass wir sogar gezwungen wären, bis Arabba zu fahren, um etwas zu finden. Was sich als gewaltiger Irrtum herausstellte! Die Dolos (abgekürzt für Dolomiten) sind das Disneyland der Berge. Hotel reiht sich an Hotel, dazwischen liegen Pensionen oder sonstige touristische Merkwürdigkeiten. Jedoch steht man in der Nebensaison, wie jetzt, vor vielen verschlossenen Türen, denn die Hauptsaison beginnt wohl erst Ende Juni oder Anfang Juli. Dann möchte ich, vermutlich, lieber nicht in den Dolos sein. Wer die Menge an Hotels gesehen hat, weiß, was ich meine/befürchte. 3 Bilder: Falzarego
Bei der Vorbereitung zur Tour hatte ich auch gelesen, dass man hier abenteuerliche Preise für die Nächtigung aufruft, was sich als nicht zutreffend herausstellte. 38.- Euronen inklusive Frühstück und Garagenstellplatz für die Motorräder kann man sogar als recht günstig bezeichnen. Der Preis für ein Abendessen ist „Geschmackssache“. 16.- € für Vor-, Haupt- und Nachspeise, wobei ich keine Ahnung von der Größe der Portionen hab, denn wir hatten ja schon reichlich gespeist. Die Gänge hätten sich auch nach belieben splitten lassen, was den Preis reduziert hätte.
Nachdem wir das Gepäck in den Zimmern verstaut hatten, ging´s los. Ab in die Dolos zum Motorradfahren.
Da es praktisch unmöglich ist, den südlichen Teil mit Passo di Fedaia und Passi di Giau an einem Tag in eine sinnvolle Runde mit der Sella Runde einzubeziehen, wenn man auch noch weiterreisen möchte, hatte ich vorgeschlagen, am ersten Reisetag diese Gegenden „abzugrasen“ und dabei einen Teil der Sella Runde in einer anderen Richtung zu befahren als am nächsten Tag. So taten wir das auch.
Was soll ich nun sagen? Die Pässe alle aufzuzählen, bringt nicht recht viel, es wäre zu langwierig, alles zu schildern. Die Eindrücke erschlagen einen förmlich durch ihre Vielzahl.
Grob kann man aber sagen, dass der im Süden gelegene Teil mit Fedaia und Giau motorradfahrerisch der mit Abstand schönere, interessantere Abschnitt ist. Hier lässt sich schön kurven. Es swingt.
Außer beim Abzweig zum Falzarego hat man auch kaum eine Möglichkeit, sich zu verfahren. Diese Möglichkeit wurde allerdings, trotzdem, von zwei Kollegen wahrgenommen. Sie erreichten den Passo di Giau dann eben aus der entgegengesetzten Richtung. Auch kein Problem. Überhaupt war dort nach kurzer Zeit einfach freies Fahren angesagt, ohne Gruppenzwang (so etwas kann ich sowieso nicht ausstehen und will das bei einer von mir durchgeführten Tour auch gar nicht). Wir waren lauter erwachsene Leute, hatten alle notfalls ein Telefon eingesteckt und waren alle, wie mir schien, an selbstständiges Handeln gewöhnt.
Eines der Hauptmerkmale der Sellerrunde ist der irrsinnige Grip der Strasse, ein anderes die Kehren, die manchmal – ehrlich gesagt – zu nerven beginnen. Nicht, dass sie nicht flüssig zu fahren wären, aber in dieser Anhäufung, und noch dazu fast alle im gleichen oder sehr ähnlichem Radius, hatte ich recht schnell genug davon und wollte mich mehr auf die Gegend konzentrieren, was die Kehren wiederum – erfolgreich – verhinderten. Irgendwie wird man doch immer wieder verführt, Gas zu geben, obwohl es kaum Sinn macht, denn flott ist man ja, zumindest mit der Topcase bewährten XJR, nicht wirklich unterwegs und Abwechslung – fahrtechnisch – ist dort nur selten zu finden. Seltsam, aber die Aussicht kann man tatsächlich nur entweder bei ganz langsamer Fahrweise genießen, oder vom Scheitelpunkt der Strecke. Ansonsten lauern immer wieder Kehren, bis zum abwinken.
Zwei Besonderheiten will ich hier kurz erwähnen. Den Falzarego und den Passo di Pordoi. Der Falzarego ist nicht so extrem mit diesen Einheitskehren gespickt und recht kurzweilig zu fahren, der Asphalt bietet allerdings dermaßen Haftung, dass meine Elise einfach zu schwach war, den Hinterreifen durchzudrehen, um das Ding quer aus den Kurven zu feuern.
Anders dagegen der Pordoi Pass. Dabei beginnt dieser, aus östlicher Richtung kommend, am schlimmsten von allen. Ich dachte, ich sehe nicht richtig, als ich aus den ersten Kehren kommend immer wieder eine neue Kehre vor mir hatte, und zwar unmittelbar folgend, wie in einer Bob Bahn! Wobei die Fahrbahn noch dazu stark überhöht ist, damit man nicht so schnell aus der Kurve fliegt. Markus Prock und Schorsch Hackl hätten dort, allerdings bergab, mit der Rennrodel ihre wahre Freude gehabt.
Meine dicke XJR, mit einem geräumigen 52 Liter Topcase für diese Tour ausgestattet, verhielt sich in diesem Kehrengewusel an jedem Kurveneingang etwa so, als würde man eine Abrissbirne in Bewegung setzen. Schlicht und einfach schauderhaft. Ich hab mir, Übung macht den Meister, dann die Kiste wie in einem Schraubstock zwischen die Beine geklemmt, um sie unter Kontrolle zu halten. Dann ging auch flottes Fahren ganz gut. Das ist allerdings Kräfte raubend und ruiniert die Stiefel exzessiv, wie ich feststellen musste. Durch den Mangel an Bewegungsfreiheit bei dieser Technik schliff es die Stiefel – besonders den linken – auf Fetzen zusammen. Durch den enormen Druck auf die Fußrasten brach auch die links Sohle auseinander! Regelrecht tiefe Eindrücke entstanden durch das festklemmen der schweren Fuhre, die dadurch aber wenigstens einigermaßen flink manövrierbar wurde. Besonders in den mittleren Passagen des Pordoi Passes wurden die Stiefel durch den Druck malträtiert, denn dort konnte man hervorragend driften! Unglaublich, und ich hab keine Ahnung, warum dass dort so gut funktioniert, aber das Vorderrad haftet wie festgeklebt und hinten kann man die Kiste quer durch die Kurven fliegen lassen.
Die Leistung der dicken Elise ist gerade groß genug, dass man den Hinterreifen in Schräglage zum Durchdrehen bringt und, was am wichtigsten ist, dann auch am durchdrehen halten kann! So kann man ein paar, wenn auch insgesamt gesehen wenige, Kilometer herzhaft „Die Sau rauslassen“, ohne jemanden zu gefährden, denn die Strecke ist recht übersichtlich in diesem Abschnitt. Ich fand dieses Spielchen recht lustig, nur an den Reifenverschleiß darf man dabei nicht denken. Am Hahntennjoch kann man beispielsweise – an der Nordseite – auch schöne Drifts hinlegen, egal ob bergauf oder bergab. Allerdings bietet diese Strasse insgesamt weit weniger Haftung als der Pordoi Paß und verschleißt die Hufe bei weitem nicht so stark, fordert allerdings auch den Motor nicht so stark dadurch. Das Drehzahlniveau bleibt „humaner“. In Italien muß man dagegen recht brutal zur Sache gehen.
Auf der Passhöhe angekommen, war Axels erster Blick – er war mir die ganze Zeit gefolgt – zum Hinterreifen seiner 900er Honda. „Ich weiß auch nicht“, murmelte er vor sich hin, „hab ich zu wenig Luft im Reifen? Werden die Dinger zu heiß?“ „Wieso?“, fragte ich amüsiert. „Na, weil ich ständig am Rutschen bin wie blöde!“ Ich: „Das ist scheinbar ganz normal, ich rutsche auch ständig, aber ich finde das geil!“. Darauf Axel: „Ich finde das auch Saugeil!“ und grinst übers ganze Gesicht. Kaum ist Michael vom Kilo Gixxer gestiegen, kommt sein Statement: „Geil, hier kann man driften, ohne die Kontrolle zu verlieren.“
Man bedenke, die beiden kommen aus dem nördlichsten Deutschland und sind solche Strecken nicht gerade gewöhnt! Alle drei lachten wir, erzählten uns, wieviel Spaß uns das machte und fuchtelten mit den Händen in der Luft herum, Gegenlenken und Vollgas geben andeutend. Anschließend fuhren wir wieder alle – zumindest der Teil, der anwesend war, denn einige waren voraus gefahren – zusammen Richtung Carnazei hinunter. An der Kreuzung zum Sella Pass konnten wir uns nicht verkneifen, einen kurzen Abstecher zur Passhöhe einzulegen. Horst war schon voraus gefahren, hatte er mich via SMS verständigt. Dann führte uns der Weg zurück zum Hotel, wo wir bei einer gemütlichen Runde den wunderschönen Tag ausklingen ließen.
Nachbetrachtung dieser Fahrt in den Dolos:
Die ganze Zeit über waren uns nur relativ wenige Motorräder begegnet, wir hatten zumeist recht einsame Strassen vorgefunden. Je später es wurde, desto einsamer wurde die Gegend um uns herum. Die Abfahrt vom Passo di Sella hatte jedoch dem Faß den Boden ausgeschlagen. Meine Kollegen hatten es sichtlich etwas eiliger als ich, der ich mit offenem Klapphelm und einer Zigarette im Mund – die Handschuhe im Topcase verstaut – ganz langsam Carnazei entgegen fuhr. Nicht ein einziges Fahrzeug begegnete mir, ich war hier ganz alleine unterwegs. Und das um 20:30Uhr bei herrlichem Wetter, wo die Berge in märchenhaftes rötliches Licht getaucht waren. Man hätte ein Rennen ohne Streckensperre fahren können. Niemand hätte es bemerkt!
Fast tat es mir leid, dass wir nicht oben blieben und dort zusahen, wie die Sonne ganz hinterm Horizont verschwindet und es völlig dunkel wird. Mit zwei Kilo Gixxer und einer gelben Honda zusammen ganz langsam den Berg hinunterfahren, den Helm am Tank, eine Zigarette im Mund und ein glückliches Grinsen im Gesicht, das wäre schön gewesen. Man muß nicht unbedingt quer fahren, um die Dolomiten schön zu finden. Aber man kann, wenn man es kann.
Dienstag, 16. Juni – Über Friaul ins Lesachtal/Österreich
Strecke: Canacei – Passo di Sella 2244m – Grödnerjoch 2121m – Corvara – Passo di Campolongo 1875m – Arabba – Passo di Falzarego 2105m – SS48 Cortina d´Ampezzo – Passo Tre Corci 1809m – Auronzo – SS52 Pelos – Lorenzago – Passo della Mauria 1298m – Forni di Sotto – vor Ampezzo Abzweig zum Passo di Pura 1421m – Lagó di Sáuris – Sauris – Sauris di Sopra – Sella di Razzo 1760m – Sella Ciampigotto 1790m – Laggio – SS52 Richtung Auronzo folgen – S.Stefano di Cadore – Kreuzbergpaß (Passo di Monte Croce di Comélico) 1636m – Innichen – SS49 Richtung Austria – B100 Sillian – B111 Kartitsch – Boden – A9654 St.Lorenzen im Lesachtal/Gasthof zur Post Tagesstrecke: 335km
„Das war ein kühner Plan, auf dessen erfolgreiche Durchführung ich echt gespannt war“, meinte der Stabsoffizier (Michael) später grinsend zu meinem Vorhaben in Cortina d´Ampezzo. Was war passiert?
Wir hatten Carnazei und die Dolomiten über den Teil der Sella Runde verlassen, den wir bisher noch nicht gefahren waren, und über die östliche Rampe des Falzarego Cortina erreicht. Meiner Planung zufolge sollte der Weg durch Cortina zum Passo Tri Croci recht einfach zu finden sein. Einfach gerade durchfahren. Ganz so war es in der Realität zwar nicht, aber trotzdem recht einfach. Bis auf den Umstand, dass ich in einer lang gezogenen Linkskurve genau auf der Kuppe den Abzweig zu diesem Pass übersehen hatte, war alles ganz gut gegangen. Nun standen wir bei einer großen Kreuzung, an der man sich nur für links oder rechts entscheiden konnte. Aber ich drehte die XJR einfach um und bedeutete den Kollegen, mir das kurze Stück zurück zum Abzweig zu folgen. Jedoch blieben alle wie angewurzelt stehen und beäugten mein Manöver argwöhnisch. Was mich nicht im geringsten stutzig machte!
„Meine Güte, es kann doch nicht so schwer sein, einfach umzudrehen und den Hügel da wieder rauf zu fahren“, dachte ich und fuchtelte wieder mit der Hand, mir zu folgen. Keine Reaktion! Mir wurde dann aber recht schnell recht warm ums Herz, denn die Autofahrer kamen mir an dieser Stelle, wo ich nun bergauf stand, recht flott entgegen. Dann hielt ein Kleinbus vor meiner Nase und machte keinerlei Anstalten, mir Platz zu machen! Mir schwant böses. Der Abzweig war höchstens 200m entfernt, vielleicht sogar weniger, aber trotzdem – in dieser Richtung – unerreichbar. Ich stand – entgegen der Einbahnstrasse! Verdammte Scheiße!
Dank dem Italiener, der mich vor dem umgefahren werden durch die Entgegenkommenden bewahrte, konnte ich wieder wenden und die Fahrt in die richtige Richtung fortsetzen. Glück gehabt. Das hätte auch etwas schlimmer ausgehen können, denn mit so einem Trottel auf einer blauen XJR muß man an dieser unübersichtlichen Stelle ja nicht unbedingt rechnen! Ich gelobe, ich schimpfe nie wieder über Italiener und ihre Fahrerei! Bild links: Pso. Falzarego Westrampe
Nach einer kleinen, aber unproblematischen Stadtrundfahrt erreichten wir rasch wieder die Kreuzung und bogen dieses Mal richtig ab, dem Passo Tri Croci entgegen. Bild unten: Mittag in Auronza
Auf der sehr kurvenreichen, hügeligen und durch Wald führenden SS48 erreichten wir Auronzo, wo ein schöner Gastgarten an der Ortseinfahrt zur Mittagspause einlud. Gerade als wir gesättigt waren, begann es zu regnen. Was nun? Die Sonnenschirme schützten uns ja hier vor der Nässe, wenn sich auch bald die Aschenbecher mit Regenwasser füllten und es an den Tischen aussah wie auf einem Schiff bei hoher See. Wir würden ja jetzt weiterfahren müssen, also? Umziehen?
Nach Peilung der Lage, des Windes, der Berücksichtigung von Sonnenstand und Asphalttemperatur entschieden ich, die Weiterfahrt ohne Regenkleidung fortzusetzen, und alle folgen mir. Was sich als richtig herausstellte. Glück gehabt. Hä hä. Bild links unten: Ausblick vom Passo di Pura nach Ampezzo
Wir hatten uns hier bei der Abfahrt, bedingt durch ein längeres herumfuhrwerken von Andre an seiner Ausrüstung, in zwei Gruppen aufgeteilt. Dominic kannte das nächste Ziel, den Lago di Sauris. Er war schon einmal dort und hatte auch eine Karte. Also mussten wir nicht unbedingt warten, bis alle zur gleichen Zeit fertig waren. So hatte das ja auch in den Dolos ganz gut geklappt. Also fuhr ich mit den Leuten, die sich mir anschlossen, drauf los, durch Auronzo durch und bog dann links ab, Richtung S.Stefano di Cadore. Diesen Namen hatte ich noch von der Planung in Erinnerung. Der Weg führte durch einen 4km (Angaben recht unterschiedlich) langen Tunnel und bald in die Stadt, wo ich, wie mir schien, etwas die Orientierung verlor, denn der Wegweiser nach Österreich – Austria – irritierte mich etwas. Der See, zu dem wir wollten, liegt weit südöstlich Österreichs. Irgendetwas konnte hier nicht stimmen. Folgende Bilder: Beim Lago di Sauris
Ein Passant erklärte mir dann, dass es hier durchaus zum Lago di Sauris gehen würde, wenn die Strasse passierbar wäre. Allerdings war diese durch Unwetter unpassierbar, verschüttet. Noch immer hatte ich nicht begriffen, dass wir uns weitab meiner geplanten Route befanden, aber langsam dämmerte es. Hier waren wir absolut falsch, hier sollten wir erst bei der Rückfahrt nach Österreich durchkommen!
Also umgedreht – nicht ohne noch einmal zu fragen – dann wieder durch den Tunnel zurück und der SS52 nach Süden gefolgt.
Nur einmal, beim Tunnel vor dem Passo di Mauria, stutzte ich wieder, denn dieser Tunnel ist in meiner Karte nicht eingezeichnet. Aber hier ahnte ich wenigstens, dass dieses Loch im Berg bestimmt neu sei. Wir überquerten unbeirrt auf der alten Strasse diesen kleinen Paß, dann zogen wir durch eine recht hübsche Gegend ostwärts und fanden auch ohne Komplikationen die Auffahrt zum Passo di Pura.
Schon die ganze Zeit machte die Fahrerei hier richtig Spaß, denn hier war zwar die Aussicht nirgends so grandios wie in den Dolomiten, aber die Streckenführung war wesentlich abwechslungsreicher und interessanter. Vor allem der Passo di Pura war ein guter Vorgeschmack auf dass, was uns noch erwarten sollte. In zahlreichen engen Kehren und Kurven windet sich die schmale Strasse durch bewaldetes Gelände immer höher hinauf und bietet weit oben – wobei weit in diesem Fall, bei einer Scheitelhöhe von nicht einmal 1500m, relativ ist – einen schönen Ausblick auf die unten liegende kleine Stadt Ampezzo und die umliegende Bergwelt. Hier ist es mehr wie in der Steiermark, in der die Bergstrassen ebenfalls so verwinkelt und kurvenreich sind. Nicht so wie an den großen Passstrassen weiter westlich. Hier machte mir das Fahren wirklich Spaß.
Nach einer langen Abfahrt durch dichten Wald erreichten wir den Lago di Sauris.
Viel hatte ich schon über ihn gelesen, aber dass es sich um einen Stausee handelt, dass war mir neu. Der See ist wirklich schön gelegen und aus südlicher Richtung nur entweder über den Passo di Pura oder, näher bei Ampezzo, durch zahlreiche Tunnels erreichbar. Es gäbe auch die Möglichkeiten, dorthin aus S.Stefano über die 465, die 619 und die Sella di Razzo zu gelangen. Die 465 war allerdings bei unserer Fahrt, laut Info des Einwohners (siehe weiter oben) unpassierbar. Hier beim See trafen wir wieder mit dem „abtrünnigen“ Teil der Tourteilnehmer zusammen, der hierher auf ganz anderem Weg als wir gelangt war. Horst, einer der Abtrünnigen, die diese Strecke nun kannten, führte uns über die Sella di Razzo und die Sella Ciampugotto, beides kleine Pässe mit etwa um die 1700m Höhe, zurück zur SS52, der Hauptstrasse nach S.Stefano di Cadore.
Die Fahrt über die beiden kleinen Pässe ist einfach ein Gedicht! Eng, verwinkelt, mit schlechtem Asphalt, Dreck und Sand (durch Baustellen). Einfach alles, was mich an solch kleinen Pässen überhaupt fasziniert. Ich liebe solche Strassen weit mehr als so breite, tolle, klinisch saubere Strecken mit immer wieder kehrenden weiten Kehren, wie sie in den Skigebieten der Alpen oder der Dolomiten zu finden sind. Hier erlebt man Motorradfahren noch intensiv, hier hat man etwas zu tun! Leider konnten wir auch oben keinerlei Aussicht genießen, denn oben war alles durch recht dichten Nebel verhüllt. Was eigentlich zum Charakter dieser Strecke passte, finde ich. Wild romantisch, und mit Nebel noch viel wilder anmutend. Ich hatte bei der Auffahrt nach einem Fotostopp unsere kleine Gruppe wieder eingeholt und folgte ihr als letzter. So sah ich die Kollegen immer wieder in den Nebelschwaden verschwinden, bald darauf wieder auftauchen und wieder verschwinden. Es war herrlich und entschädigte für den fehlenden Ausblick auf die umliegende Gegend. Rechts unten: Als der Regen kam
In Laggio, einer kleinen Ortschaft vor der Hauptstrasse (SS52), füllten wir unsere Tanks und zogen, nachdem sich über uns dunkle Wolken zusammenbrauten, unsere Regenkleidung an. Dieses Mal schien uns dies keine übertriebene Vorsichtsmaßnahme zu sein. Was auf uns wenige Kilometer später warten sollte, übertraf allerdings alle unsere wildesten Vorstellungen bei weitem!
Der weitere Weg nach S.Stefano war uns ja vom Verhauer bei der Fahrt zum See noch bekannt, also folgten wir der SS52 durch den langen Tunnel ins benachbarte Tal und – Leck mich am Arsch – dann brach die Hölle über uns herein!! Am Tunnelausgang standen Autos, und ich dachte noch, „Die Spinnen, die Italiener. Wieso bleiben die wegen Regen im Tunnel stehen?“ In unsagbarem Regen – es pisste, was das Zeug hielt – tasteten wir uns mit 30 – 35km/h der Stadt entgegen. Von der steilen Böschung zur rechten waren kleine Muren abgegangen, Erde lag auf der Strasse. Ich hatte Angst, dass, wenn es blöd her geht, Bäume herunterstürzen könnten! Angst hatte ich auch, dass das Auto vor mir plötzlich bremsen könnte und ich dies wegen dem Wasser bedecktem und beschlagenem Visier nicht rechtzeitig sehen könnte! Also Visier auf und lieber ein nasses Gesicht als ein Italienisches Krankenhaus von innen. Ich wollte nur mehr weg von hier (ich vermute, alle wollten nur mehr weg von hier!). Aber es kam noch schlimmer!
S.Stefano di Cadore war kaum mehr wieder zu erkennen! Dort, wo vor wenigen Stunden noch die breite Hauptstrasse zur Kreuzung nach Österreich führte, befand sich nun – ein SEE! Fast bis zu den Fußrasten stand das Wasser, nur mehr vereinzelte Fahrzeuge begegneten uns und waren nur schemenhaft im Regen zu erkennen. „Weg hier, nur weg hier!“, feuerte ich mich selber an. „Wenn es noch 20 Minuten so weiterregnet, dann ist hier alles unpassierbar und wir stecken fest“!
Bei der Auffahrt zum Kreuzbergpaß kamen uns fast Sturzbäche entgegen oder quer über die Strasse geschossen. Die Gefahr von Aquaplaning war jetzt auch mit dem Motorrad groß, die Gefahr, einfach umgerissen zu werden, nicht unmöglich! Vor allem hatte ich Bammel, dass uns irgendetwas großes, das vom Hang gespült wurde, von den Motorrädern reißen, uns verletzen könnte. Nur weg hier! Wie verrückte Geisterreiter ritten wir den Berg hinauf, die Sintflut, im wahrsten Sinne des Wortes, hinter uns lassend.
Je höher wir kamen, desto weniger wurde der Regen, desto ruhiger wurden wir wieder. Wir hatten es geschafft, waren diesem Unwetter entkommen. Schon bald machte die Fahrerei wieder, trotz der nassen Strasse, richtig Spaß und wir gaben Gas. Nicht schlecht, Herr Specht, waren wir der Meinung, als wir uns oben auf der Scheitelhöhe eine Zigarette ansteckten. Nicht nur das Unwetter war Gespräch Nummer 1, sondern auch wieder der italienische Asphalt, der im nassen unglaubliche Haftung bietet. Trotzdem wir hier im – mehr oder weniger – trockenen standen, hätte mich interessiert, was jetzt in S.Stefano los war. Wie die Ortschaft jetzt wohl aussehen würde? Es waren ja schon alle Kanäle voll gelaufen, der ebene Teil des Ortes unter Wasser. Bei der Durchfahrt hatte ich tatsächlich den Eindruck, als wollte der Herrgott diese Stadt ersäufen im Regenwasser. Unbeschreiblich! Folgende Bilder: Aufenthalt im Gasthof zur Post
An der Österreichischen Grenze entledigten wir uns wieder der, jetzt wieder trockenen, Regenkleidung, und zogen dem Gailtal entgegen. Bald begann es auch hier leicht zu nieseln. Es wurde Zeit, eine Unterkunft zu finden. Die B111, die Gailtal Bundesstrasse, führt im Westen kurvenreich über Hügel und durch Senken, im Osten stark verwinkelt einem Hang entlang bis nach Kötschach/Mauten.
Ich wusste, dass es drüben im Osten viele moderne Unterkünfte gab, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es hier, in dieser urwüchsigen Landschaft – die ich nicht kannte – nicht auch etwas ländlicheres, „altmodisches“ geben sollte. Ein alter Gasthof mit urigen Zimmern würde doch genau das Richtige für meine deutschen Reisegefährten (und auch für mich) sein. Österreich hat doch mehr zu bieten, als eine schöne Landschaft, moderne Hotels und teure Mautstrassen! Dann kam mir der Zufall zu Hilfe.
Ein doch recht modern wirkender Gasthof, an dem wir vorbeikamen, würde wohl schon gut belegt sein, schloss ich aus dem davor stehendem Reisebus, und zog weiter.
Dann, in St. Lorenzen im Lesachtal (was weiß den ich, warum ein und das selbe Tal einmal Lesach- und einmal Gailtal heißt!), stand zur Linken ein großer, alter Gasthof, zur Rechten war genug Parkfläche für alle unsere Motorräder frei. „Hier gehe ich fragen, ob was frei ist“, ließ ich die Kollegen wissen und trollte mich ins Gasthaus.
„Gasthof zur Post“ steht in riesigen Buchstaben an der Fassade des Hauses, dessen Eingang unter einem hohen Holzvorbau von einer gewaltigen hölzernen Doppeltür gebildet wird.
Holz dominiert auch das Innere des Gasthauses in allen Bereichen, mit Ausnahme der Küche.
Ob hier Platz für neun müde Motorradfahrer sei, frug ich. Sicher ist was frei, meinte eine junge Dame aus der Küche. Ich glaub schon, meinte ein Bursche, er müsse aber den Chef anrufen. Hmmmm, dachte ich, immer mit der Ruhe. Nachdem der Chef telefonisch nicht erreichbar schien, herrschte etwas Ratlosigkeit beim jungen Herrn. Die junge Dame riss hier allerdings die Initiative an sich und erwies sich als der entscheidungsfreudige Teil des Gespannes. „Falls ein Zimmer nicht hergerichtet ist, dann mach ich das eben!“, sprach sie, sortierte die Schlüssel und händigte sie mir aus. Auch zu essen sollte es noch etwas geben, meinte sie. Da ahnte ich noch nicht, was die Beiden tatsächlich auf dem Kasten hatten, welche Überraschung diese Herberge noch barg!
Holztreppen führten uns in die obersten Stockwerke, dort erreichten wir über den hölzernen Flur, der mit hölzernen Kisten und hölzernen Bücherregalen geschmückt war, die hölzernen Zimmertüren zu den mit hölzernem Boden ausgelegten Zimmern, die mit hölzernem Bett und Kasten möbliert, einen recht behaglichen Eindruck vermittelten. Holz im Haus wird immer angenehm empfunden, solange es nicht brennt.
Ich hatte ein Zimmer mit Dusche, aber WC am Ganz im unteren Stockwerk, erwischt, hatte allerdings auch nicht gefragt, was es dann an Zimmerkategorien gäbe. Auch nach den Preisen hatte ich nicht gefragt, es war uns ohnehin egal. Ich erwartete nichts als ein Dach überm Kopf und einen kleinen Imbiss, das war alles. Das Dach überm Kopf hatten wir jetzt alle, wenn auch in verschiedener Ausführung. Es gibt auch Zimmer mit Dusche und WC, ja sogar mit Bad und WC. Man muß nur fragen und sagen, was man will.
Dann, als wir umgezogen in der Gaststube hockten, schlug die Stunde der jungen Dame in der Küche.
Ich hab ja schon einiges erlebt, auch mieses Essen in teuren Hotels. Aber was uns hier geboten wurde? Dass konnte sich sehen lassen!
Nicht nur, dass jede Speisen optisch vortrefflich serviert wurde, schmeckte alles – die Auswahl Á la Carte war umfangreich – auch ausgesprochen gut. Die Portionen konnten sich sehen lassen, der Service war perfekt. Der Kaiserschmarrn, den sich drei Leute am andern Ende des Tisches – als Nachspeise – bestellten, reichte noch für die halbe Mannschaft und wurde in einer gewaltigen Pfanne – aus Eisen, nicht aus Holz – serviert. Das Gastzimmer hat noch den Charme alter Wirtshäuser, mit hölzerner Einrichtung (jetzt hat bestimmt niemand etwas anderes erwartet?!) und strahlt urige Gemütlichkeit aus. Bald sah es am Tisch aus, als würden die Raubritter zechen (ok, gar so schlimm war es nicht), und nach ein paar Gläsern Bier waren wieder in der Luft herumfuchtelnde Hände zu sehen, die andeuteten, dass am Pordoi Pass gedriftet wurde. So fand der Tag in urgemütlicher Atmosphäre seinen wunderbaren Abschluß.
Mittwoch, 17. Juni – Driften verboten – Die Rückkehr nach Tirol
Strecke: St.Lorenzen im Lesachtal – Kötschach/Mauten – B110 Oberdrauburg – B100 Dölsach – B107 Winklern – Döllach – Heiligenblut – Großglockner Hochalpenstrasse – Kaiser Franz Josefs Höhe 2362m – Hochtor 2504m – Edelweißspitze 2572m – Bruck an der Glocknerstrasse – B311 – B168 Mittersill – B165 Neukirchen am Großvenediger – Gerlospass 1531m – Zell am Ziller – B169 – B171 Innsbruck – B182 Brenner Bundesstrasse – Natters – Götzens – Axams – Sellrain – St.Sigmund im Sellrain – Gasthof Ruetz Streckenlänge: 267km
Ich hatte herrlich geschlafen und der Wettergott war absolut auf unserer Seite. Weit und breit waren keine dichten Wolken zu sehen. Es würde ein prächtiger Tag werden.
Die Fahrt durchs Lesachtal ist genau so, wie man sie nach dem Studium einer „guten“ Straßenkarte erwartet. Sie verläuft extrem – extrem ist hier keine Übertreibung – kurvenreich, verwinkelt und manchmal sehr eng am nördlichen Hang des Lesachtales und erfordert hohe Aufmerksamkeit!
Seltsam, ich besitze nun ein über viele Jahre angesammeltes und daher dementsprechend großes Kartenarchiv, aber nur wenige Karten haben eine dermaßen gute, geradezu plastische Grafik wie der alte, aus dem Jahre 1996 stammende Österreichische Straßenatlas des ÖAMTC im Maßstab 1 zu 150 000. Der neuste Atlas im gleichen Maßstab zeigt diese B111 wie auch das umliegende Gelände direkt so, dass man sich ein langweiliges Streckenstück vorstellt, das man nicht gesehen haben muß. Was ein riesengroßer Irrtum wäre! Ich hoffe, ich kann diesen alten Atlas mit Hilfe von Panzertape und Dixoband noch lange am Leben erhalten, ein gleichwertiger ist ja scheinbar nicht mehr erhältlich. Wozu den auch, fahren ja eh die Meisten den Anweisungen des GPS nach. Wir brauchten hier weder Karte noch GPS, den ab Kötschach kenn´ ich mich sowieso wieder aus.
Die Hauptattraktion des Tages sollte zuerst einmal die Großglockner Hochalpenstrasse werden, denn so mancher der Kollegen hatte diese Gegend noch nie besucht. Wohl aber schön öfters davon geträumt. Klar, wir kamen gerade aus den Dolomiten, einer ebenfalls schönen Landschaft. Die Berge sind dort ebenfalls drei Kilometer hoch. Aber dort hatte ich zumindest nie den Eindruck, in einem Gebirge zu sein. Vielmehr ging mir öfters der Gedanke durch den Kopf, ich befände mich inmitten des Monument Valley in den USA, nur auf größer Seehöhe. Wunderschön zwar, aber kein Gebirge für mein Empfinden. Dort hab ich auch überhaupt kein Problem, flott zu fahren.
Am Glockner ist das ganz anders. Ich könnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, auf der Glocknerstraße schnell zu fahren! Das ist eine Ausflugsstraße, die den Menschen, die ansonsten niemals in so eine Region vordringen könnten, diese wunderschöne Bergwelt näher bringt. Menschen haben dort für mich immer Vorrang vor Fahrzeugen. Es ist egal, wo jemand stehen bleibt und warum, es ist egal, ob jemand fotografieren oder einfach nur schauen will, immer hat dort der Besuchter Vorrang vor dem Vorwärtsdrang des Verkehrsteilnehmers. Für mich zumindest. Denn dort MUSS man nicht fahren. Man kann, muss aber nicht! 7 Monate im Jahr ist diese Strecke gesperrt, die restliche Zeit gehört sie den Leuten, die sich einmal (oder öfters) im Jahr oder im Leben diese grandiose Gebirgswelt anschauen wollen. Für Familien mit Kindern hervorragend geeignet und für Motorradfahrer besonders eingerichtet! Nach den Erlebnissen in den Dolos hatte ich sicherheitshalber – und von den Kollegen, Gottlob, auch anerkannt – Driftverbot erteilt. Das tut man nicht am Glockner, Kruzitürkennochmal, wir sind hier doch nicht in den Dolos…..!
So näherten wir uns Heiligenblut und erhaschten die ersten Blicke auf die beeindruckende Gebirgslandschaft und den steil aufragenden Großglockner.
Besseres Wetter, als wir es vorfanden, kann man sich kaum wünschen und findet man auch selten vor. Ab der Mautstelle ging die Fahrt kaum schneller als mir 50km/h dahin, immer höher hinauf mit herrlichen Ausblicken auf den höchsten Berg Österreichs (den Ortler hat man uns ja 1918 weggenommen). Motorradfahrer durften bis zum letzten Parkplatz auf der Franz Josefs Höhe vorfahren, für PKW ist dort schon einige hundert Meter vorher Schluß bzw. nur der Weg in die Hochgarage erlaubt.
Der Ausblick ist faszinierend. Genau gegenüber steht mit steilen Flanken der Glockner, umringt von seinen Nachbarn und darunter liegt der mit Geröll überhäufte Pasterzengletscher. Lange standen wir dort und genossen die Aussicht. Ich konnte mich noch gut an meinen ersten Besuch hier erinnern – das muß um 1974 mit meinen Eltern gewesen sein – und daran, dass es hier auch einen Schrägaufzug gab, der zum Gletscher führte. Sogar an einen Fußweg hinunter kann ich mich erinnern. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir eigentlich unmittelbar neben dieser „Gletscherbahn“ standen, aber Horst war auch neugierig geworden, hatte sich am Eingang zur Anlage umgesehe, dann aber nicht lange gefackelt, sondern gleich eine Karte gekauft. Bis auf Andy und Dominic folgten alle diesem Beispiel und fuhren mit dem Schrägaufzug (Standseilbahn ist eigentlich der richtige Ausdruck) Richtung Pasterze hinunter.
Für mich war das etwas seltsam, denn normal nähert man sich einem Gletscher von unten, nicht von oben. Der Glockner Hochalpenstraße sei Dank können hier auch Unsportliche, Faule oder Fußkranke die Bergwelt bewundern. Sehr faul, unsportlich oder fußkrank sollte man aber beim Besuch des Gletschers nicht unbedingt sein.
Bald standen wir an der Stelle, an der man auch 1963 bei Inbetriebnahme der Standseilbahn aus den Wagen stieg. Damals befand man sich unmittelbar beim Gletscher. Heute steht man etwa 300m über der Pasterze, dem größten Gletscher Österreichs, der jährlich kleiner und kleiner wird, ohne Unterlass. Daran ist der Mensch Schuld, weiß die Wissenschaft. Der Baumstrunk, Überreste einer Zirbelkiefer, der 1879 in einer Höhe von 2152m im „Ewigen Eis“ gefunden wurde und sich heute in einem Museum an der Glocknerstraße befindet, zeigt wohl – wenn ihn niemand dort hinaufgetragen hat, Straße gab´s damals noch keine – dass es hier nicht immer nur Eis und Schnee gab. Die Baumgrenze befindet sich heute in etwa 1800m Seehöhe. Ist wohl noch ein steiniger Weg für die Wissenschaft, bis man die Zusammenhänge über die klimatischen Veränderungen – wenigstens ansatzweise – versteht?!
Steinig und zeitweilig auch steil war unser Weg zum Gletscher. Ein schön hergerichteter, manchmal durch mit Treppen entschärfter Weg führte uns bis an den Gletscherrand. Vielleicht nichts Besonderes für Leute, die kein Interesse an der Natur haben. Für meine Begleiter schien mir dieser kleine Ausflug zu Fuß aber durchaus recht kurzweilig und interessant zu sein. Axel, der (wenn ich mich richtig erinnere) sich noch nie in einem Gebirge dieser Größe befand und einen Gletscher noch nie gesehen hatte, geschweige den einem solchen auch nur nahe gekommen wäre, bezog auf einem markanten Felsen Position und wollte nicht mehr weiter nach unten mitkommen. Wenn man die Lage dieses Felsen kennt, kann man sich auch den Grund vorstellen. Der Überblick ist von dort einfach überwältigend schön. Der Rest der Mannschaft zog weiter nach unten, dem Eis entgegen.
So ergab es sich, dass ich mit Michael, dem Nordmann und Kapitän der deutschen Kriegsmarine, hier inmitten des schönsten Gebirges Österreichs am Gletscher stand und die Aussicht genoss.
Vor zwei Jahren, bei meinem Besuch in Friesland, waren wir zusammen an der Nordsee, am Zerstörer Molders und in einem ehemaligen Unterseeboot der deutschen Marine gewesen, in SEINER Welt. Nun befanden wir uns in MEINER Welt, im Gebirge (wo die Deiche so verschwenderisch hoch gebaut sind, wie er immer sagt).
Bei der Rückkehr vom Eis rasteten wir noch eine Weile bei Axels Aussichtsplatz – den er keinen Augenblick verlassen hatte, während wir unten waren – dann stapften wir gemeinsam zurück zur Standseilbahn und erreichten bald darauf wieder die Zivilisation, also den Parkplatz mit dem Gewusel an Leuten, die alle den schönen Ausblick genossen.
Bald erreichten wir die Scheitelhöhe der Strecke, das Hochtor auf 2504m, und gelangten durch dieses (ein Tunnel) auf Salzburger Gebiet. Auf der Edelweißspitze folgte ein wohlschmeckendes Mittagessen mit herrlichem Panorama, dann, am schon späten Nachmittag, verließen wir diese Zauberwelt wieder.
Bei der Anfahrt zum Gerlospaß hatte ich als Tourguide ein Problem, dass es so während der ganzen Tour nicht gab. Erst langsam musste ich mich darauf einstellen.
Der Verkehr war hier zeitweilig recht dicht, zahlreiche Busse waren unterwegs. Normal dreh´ ich da einfach am Gasgriff um, und fertig. Wir hatten alle leistungsstarke Motorräder unterm Arsch, also kein Problem. Bald aber war nicht nur der nächste überholte Bus hinter mir verschwunden, sondern auch die rote Honda mit Bartosz. Nein, es ist keineswegs so, dass der 23jährige Jüngling mit den Schultern wie ein Kleiderschrank zu den Nasenbohrern gehören würde, der nicht nachkommt wenn man Gas gibt. Wir hatten ihn während der ganzen Tour nie verloren, er war sogar, wenn ich nicht irre, nie letzter! Die Busse waren einfach zu schnell und bei Gegenverkehr dadurch die Distanz zum gefahrlosen überholen zu kurz für seine CBR900R. Wie es das gibt? Ganz einfach!
Dieses Ding ist auf 34Ps gedrosselt. Meine Güte, mag schon sein, dass es ein paar Pferde mehr sind. Aber 50 sind es bestimmt nicht, sagt Axel. Also recht gesetzeskonform, wenn man bedenkt, dass unsere Mopeds früher zumindest um 300% mehr Leistung boten, als vom Gesetz erlaubt. Wir waren ja selber einmal jung. Nur damals gab es solche blöden Gesetze noch nicht, dass eine 900er nur 34Ps leisten durfte, wenn man zu jung ist. Damals verließ man sich noch mehr aufs Darwinistische Ausleseverfahren und auf das Können von Pops Yoshimura, wenn die Kisten zu lahmarschig waren. Heute wird dieser Junge vom Gesetzgeber gezwungen, immer volle Kanne zu fahren, sonst kommt er ja nicht mit uns mit! Wenn ihm nichts gröberes passiert – er ist noch nie gestürzt – dann wird das ein harter Brocken, wenn er „offen“ fahren darf, da sind sich alle, die ihn fahren sahen, einig.
Gleich wenige Kilometer weiter, am Gerlospaß, mussten wir dieses Motorrad leider missbrauchen, denn die leistungsstarke gelbe Schwester – Axels CBR900R – streikte ohne Strom. Regler oder Lichtmaschine kaputt, was weiß ich. Ich war ja erschrocken, als ich um die Kurve kam und plötzlich Blitzlichter und einen – kleinen – Menschenauflauf sah, aber schnell begriff ich, dass zumindest der Pannenwagen nicht zu Axel gehörte. Wir hatten uns, zwangsweise, an der Mautstelle der Gerlos getrennt, denn Axels Motorrad lief nur mehr mit viel Gas. Als er da am Parkplatz stand, dachte ich zuerst „Scheiße, jetzt hat es ihn zerlegt“! Blödsinn, warum hätte es ihn hier zerlegen sollen? Aber ich war einfach erschrocken, als ich das Szenario sah. Der Pannenwagen des ÖAMTC gehörte allerdings zu einer riesigen Kawa mit V2 Motor, die hier verreckt war. Axel hatte sofort die Gelegenheit wahrgenommen, die Messgeräte des Pannenfahrers zu einer ersten Diagnosestellung zu verwenden. Dort kam Horst auch auf die Idee, die 34Ps Honda zu missbrauchen, als Notstromaggregat sozusagen.
Die voll geladene Batterie von Bartoszs Honda wurde in Axels gelbe CBR transplantiert, die leere in die rote CBR von Bartosz, um sie wieder aufzuladen. Falls die Batterie in der gelben Honda wieder leer werden sollte, konnte man das Spiel wiederholen, bis wir in St.Sigmund angelangt wären, wo die Anhänger standen. Jetzt war es schon so spät, dass sich eine Fahrt zum Speicherkraftwerk am Schlegeisgrund (im südlichen Zillertal) nicht mehr auszahlen würde, für eine Fahrt über die Zillertaler Höhenstraße, die ebenfalls geplant war, misstrauten wir alle aber Axels Honda zu sehr. Sie von dort mit dem Anhänger runter zu holen, wäre auch nicht gar so lustig. So trat Plan B in Aktion.
Die Leute, die noch Lust hatten, fuhren die Zillertaler Höhenstraße, während sich Axel in Begleitung von Andy, Andre, Bartosz, Michael und mir auf schnellstem Weg zurück ins Sellraingebiet, zum Ruetz, rettete. Wie hatte Axel über seine in Italien gebaute Honda doch gesagt? „In den Dolomiten ging sie wie Sau, aber kaum sind wir wieder in Österreich, macht sie Mucken. Ich glaub, sie hat Heimweh!“
So steuerten wir, wieder einmal in zwei Gruppen getrennt, unser Basislager an, wo wir später am Abend noch ein köstliches Nachtmahl verzehrten, mit ein paar Bier den Durst löschten und zusammen die Pässetour 2009 ausklingen ließen. Wir hatten keinen Streit, hatten zusammen tolle Strecken in wunderschönen Landschaften befahren und das wichtigste war, niemand war zu Schaden gekommen!
Am nächsten Tag würden wir uns nur mehr verabschieden und heimwärts fahren. Nicht einmal 14 Tage später war ich mit der blauen Elise schon wieder unterwegs. Zum Michael an die Nordsee. Aber das ist eine andere Geschichte.
Meine Herren, es war schön, mit euch zu fahren.
Gruß von der Küste
Michael
Kommentar by Michael — 17. Juli 2009 @ 0:04 |Bearbeiten