Oktober 2013
Meine Mutter war wieder daheim. Nach einem längeren Aufenthalt im Unfallkrankenhaus, in dem sie eine neue Hüfte verpasst bekam, wurde sie in eine Reha-Klinik ganz in unserer Nachbarschaft überstellt, wo man sie wieder fürs Leben fit machte. Seit ihrem Sturz in der Küche hatte Trixi nicht nur täglich bei mir geschlafen, sie lief mir auch so ständig nach und lag stundenlang auf meinem Schoß, während ich am Computer beschäftigt war. Sie war direkt eine kleine, langhaarige Klette, die ich nicht mehr los wurde. Irgendwie wollte ich sie auch gar nicht mehr los werden. Ich gewöhnte mich an sie. Sogar zum Einkaufen nahm ich sie schon mit, damit sie nicht alleine daheim war. Dann begann ich sogar, mit ihr spazieren zu gehen. Noch nie im Leben war ich mit einem Hund spazieren gegangen.
Zuerst fragte ich mich, wo ich eine Leine hernehmen sollte. Kaufen war eine Option, aber es gab noch eine Möglichkeit. Ich ging zum Kasten, in dem meine alte Bergausrüstung verstaut liegt und schnappte mir eine Reep Schnur. “Wie lang muss so eine Leine sein?”, überlegte ich. Ich schätze einfach die Länge, nahm sie mal zwei und verknüpfte die Enden, den Rest schnitt ich ab, dann verband ich Schnur und Halsband mit einer Schlaufe und probierte am Hund, ob das passt. Perfekt! So entstand Trixis Hundeleine.
Unser erster Spaziergang führte uns nur einmal um den Block, also eine Gassenrunde, rund 400m. Trixi war so müde, dass sie gleich im Bett einschlief und erst nach ein paar Stunden wieder wach wurde. Als ich am nächsten Tag die Leine in die Hand nahm, stand Trixi Sekunden später bei der Tür am Gartenzaun und wedelte aufgeregt mit dem Schwänzchen. So drehten wir täglich unsere Runden, die länger und anstrengender wurden, bis wir die Touren in den angrenzenden Wald erweiterten. Von den anfänglichen vierhundert Meter steigerten wir uns langsam zu einer doppelten Gassenrunde von 600m bis zu einer Ortsrunde von über drei Kilometer, und als sie dann noch immer nicht müde war, fuhr ich mit ihr zum Sonntagberg, stellte das Auto am mittleren Parkplatz ab und ging eine Basilika Runde mit ihr, etwa drei Kilometer am Stück, bergauf und bergab. Sie hatte ganz offensichtlich ihren Spaß daran, und ich komischerweise auch. Ich bemerkte, dass ich ein Problem bekam, überlegte, und rief meine Schwester an.
“Hallo, Sonja? Ich hab ein Problem”, sagte ich. “Ist was mit dem Hund?” “Eigentlich nicht, aber irgendwie ja”, und dann erzählte ich ihr, was seit Mutters Sturz in der Küche passiert war. Ich erzählte ihr, dass Trixi zu mir hoch gekommen war, seitdem bei mir im Bett schlief, ich sie zum Einkaufen mit nahm, sie stundenlang auf meinem Schoß pennte, wenn ich beim Computer saß und wir außerdem seit einiger Zeit täglich spazieren gehen. Und dann sagte ich ihr, dass das so nicht weiter gehen konnte. “Wieso?”, fragte sie. “Willst du das nicht? Wenn nicht, wieso machst du es dann? Du musst nicht mit ihr spazieren gehen!” “Das Problem ist folgendes”, begann ich, “durch all diese Umstände, sie schläft bei mir, pennt auf meinem Schoß, ich geh mit ihr spazieren und all dem Anderen, sie folgt mir ja auf Schritt und Tritt, gewöhne ich mich immer mehr an sie. Wenn du jetzt kommst und sie mit nimmst, damit sie wieder ein paar Tage zu Hause ist, dann bin ich echt sauer! Und darum will ich jetzt was wissen. Wollt ihr den Hund noch, oder wollt ihr ihn eh nicht mehr. Wenn ihr ihn noch wollt, dann brech ich all das sofort wieder ab, bring den Hund in die Küche zurück und aus. Ich hab überhaupt keine Lust, mich so an den Hund zu gewöhnen, nur damit dann jemand kommt und ihn wieder weg holt!” “Willst du sie haben?”, frage Sonja kurz. “Ja!” antwortete ich. “Gut. Reden wir morgen drüber”, sagte sie und legte auf. Wir haben nie wieder drüber geredet. Es war jetzt mein Hund.
Im Jänner passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Es war ein lauer Wintertag, Trixi und ich waren wieder irgendwo unterwegs gewesen. Wir waren eben Heim gekommen, standen in der Küche, da ging die Tür auf und meine Schwester stand da. Sie hat einen Schlüssel. “Hallo, grüß auch!” Bussi, Bussi, Umarmungen. “Ich bin grade zufällig in der Gegen, drum schau ich schnell vorbei”, sagte sie, wandte sich dann freudenstrahlend an den Hund, den ich rechts am Arm hatte, streckte die Hand aus, “Trixe, Mäuschen, wie geht es dir den?” meinte sie strahlend und wollte den Hund streicheln. Grrrrrrr……………..
Ein zutiefst ablehnendes Knurren war zu hören. Die Gesichtszüge meiner Schwester erstarrten. “Trixi, was ist den? Erkennst du mich nicht mehr?”, und wieder wollte sie die Hand ausstrecken. Grrrrrrr…………
Wieder dieses ablehnende Knurren. Sonja war fassungslos. Ich irgendwie auch, wenn auch innerlich erheitert. “Sonja, ich glaub, mein Hund mag das nicht, wenn er von fremden Leuten angefasst wird”, meinte ich mit einem Lächeln. Sie fand das zwar nicht komisch, trug es aber mit Fassung. Trixi hatte klar zu verstehen gegeben, wo sie nun hin gehörte.
Etwas härter traf es mein Nichte Tanja. Es war ein paar Wochen nach dem Zwischenfall mit Sonja. Tanja war von Wien gekommen, um Oma, also meine Mutter zu besuchen. Natürlich wollte auch sie Trixi liebkosen. Es war ja schließlich viele Jahr lang ihr Hund. Trixi ließ wieder ein drohendes Knurren hören. Tanja standen fast die Tränen in den Augen. “Ihr Hund” hatte sie angeknurrt. Ich hab’s ihr dann aber erklärt. “Schau”, sagte ich, “du lebst schon so lange in Wien. Du und Trixi, ihr seht euch nur sehr selten. Seit August ist Trixi täglich mit mir zusammen. Sie schläft nicht nur bei mir, sie verbringt überhaupt jede Minute, in der ich nicht in der Firma bin, bei mir. Nimm es nicht so tragisch. Du weiß ja noch genau, wie es war, als ihr zwei täglich beisammen ward. Da war es nicht anders. Du hast keine Zeit mehr. Jetzt bin ich ihr neuer Herr”. Sie hat’s verstanden, aber es war ihr sehr schwer ums Herz. Vom eigenen Hund angeknurrt zu werden, damit hätte sie nie gerechnet. Ich ehrlich gesagt auch nicht. Aber Yorkie sind offenbar so. Der Herr zählt alles, der Rest wird bestenfalls ignoriert. Und oft nicht einmal das.
Der Winter 2013/14 war im Gegensatz zum Winter in Kärnten warm und schneelos. In Kärnten, 200km entfernt, wurden ganze Täler von Lawinen blockiert. Hier im Norden konnte ich den ganzen Winter lang mit Trixi spazieren gehen. Wir waren viel unterwegs. Als es wärmer wurde, machte ich eine seltsame Beobachtung. Ich ließ sie beim Gang über eine Hügelkette frei laufen. Das Gras war noch kurz, konnte ihre Sicht also nicht behindern. Wenn sie sich aber mehr als fünfzig oder hundert Meter entfernt hatte, hatte ich den Eindruck, sie sucht mich, kann ich aber nicht finden. Sie begann ihre Nase in die Luft zu strecken, Witterung aufzunehmen, dann lief sie einmal in diese, dann wieder in die andere Richtung und mir kam vor, sie geriet immer mehr in Panik, bis sie laut zu quietschen begann und im Kreis lief. Rasch eilte ich hin und hob sie hoch. Sie knuddelte sich sofort fest an mich, keuchte, und ihr Herz klopfte wie wild. “Was war den das?, fragte ich mich. “Spinnst du? Siehst du mich nicht mehr? Bin ich unsichtbar geworden?” Sie beruhigte sich wieder, ich stellte sie wieder auf den Boden und ging weiter. Und das Spiel wiederholte sich. Sobald sie eine gewisse Distanz von mir entfernt war, begann sie mich verzweifelt zu suchen und geriet in Panik. Ich dachte mir, sie hätte halt einen schlechten Tag, packte sie ins Auto und wir fuhren wieder Heim. Beim Spaziergang an der Leine fiel mir nichts besonderes auf. Nur eines war komisch. Seit neuestem streifte sie immer wieder die linke Seite des Türstock der Küchentür, wenn sie rein wollte. Ich nahm sie hoch, schaute sie mir genau an, und dann erst bemerkte ich es. Sie war am linken Auge erblindet. Schnell stellst sich aber heraus, dass das kein besonderes Problem war. Ich mußte nur auf ein paar Dinge aufpassen, sonst ging das Leben normal weiter. Wir drehten täglich unsere runden, und als es warm genug zum Motorradfahren wurde, drehte ich auch mit dem Motorrad wieder meine Runden. Am 4. Juli fuhr ich zum Großglockner.
Es wurde eine Tour des Schreckens. Bei der Mautstelle in Ferleiten, nur 230km von daheim entfernt, war ich so müde, dass ich momentan nicht wusste, wie ich wieder nach Hause kommen soll. Stur wie ein Terrier fuhr ich trotzdem zur Edelweißspitze und zur Franz Josefs Höhe hoch und dann auf der Kärntner Seite runter, um auch noch zur Nockalm zu fahren. “Hab offenbar heute nicht meinen besten Tag”, meinte ich zu mir selbst und fuhr weiter. Manchmal musste ich anhalten, weil ich einfach nicht mehr in der Lage war zu fahren. Dann fühlte ich mich plötzlich wieder wohler und fuhr weiter. Die Nockalm ließ ich aus, den Sölkpass nahm ich mit, so kamen trotz allem deutlich über 650km zustande. Zwei Tage später ging ich wieder arbeiten, drei Tage später lag ich im Krankenhaus, unfähig zu sprechen, zu gehen, bar jeder motorischen Fähigkeiten.
Hirnhautentzündung! “Wie steht es um ihn?, fragte meine Mutter. “Wenn er die nächsten zwei, drei Tage übersteht, kann er wieder gesund werden”, antwortete die Ärztin. Das erfuhr ich mehr als ein halbes Jahr später. Nach eineinhalb Wochen zog eine Krankenschwester die Nadeln der Infusionen aus mir heraus, dann kam ein Arzt und baute den Verteiler, den man mir in den Hals gepflanzt hatte, um mehrere Infusionen und Blutproben gleichzeitig geben und nehmen zu können, wieder aus und ich war überm Berg. “Werd ich jetzt wieder gesund?”, frug ich. “Ja, sie werden wieder gesund”. “Dann will ich Heim!” Die hielten mich für total plem plem. “Sie können doch nicht einmal gehen!”, meinte die Ärztin. Morgen wird sie ein Kollege anschauen, dann machen wir einen Termin aus und sie kommen auf ReHa, dort wird man sie wieder hochpäppeln. “Kommt gar nicht in Frage!”, meinte ich. Ich kann gehen!” und zum Beweis wuchtete ich mich aus dem Bett und ging.
Man kann sich das gar nicht vorstellen. Ich glaub, alleine der Wechsel von der liegenden zur sitzenden Haltung dauerte ewig, und als ich dann endlich stand und ging, stand und ging ich so wackelig, dass mich der leiseste Luftzug umgeweht hätte. Aber ich konnte aufstehen und ich konnte gehen, dass hatte ich bewiesen. Ich konnte die ganze Zeit alleine aufs Klo gehen, auch wenn das ewig dauerte. Ich hatte ja Zeit und nichts besseres zu tun. Erst wenn ich tot bin, brauche ich Hilfe. “Ja, gut. Sie können gehen”, meinte die Ärztin, “aber sie brauchen noch viel Unterstützung, und ein Physiotherapeut wird sich um sie kümmern”. “Ich muss Heim, Frau Doktor!” war meine Antwort. “Ich hab einen kleinen Hund daheim, der wartet auf mich! Ich will und ich muss Heim. Sofort! Sie haben gesagt, ich brauch keine Infusionen mehr. Sie haben gesagt, ich werde wieder gesund. Gehen und stehen kann ich daheim auch lernen. Ich hatte schon ein paar schwere Unfälle, ich weiß, wie man wieder auf die Beine kommt, verlassen sie sich drauf!” “Gut, reden wir morgen weiter”, meinte sie.
Am nächsten Tag gegen Mittag holte mich meine Schwester mit dem Kabrio ab. Zwar konnte ich mir kaum vorstellen, wie ich vom Krankenbett zum Auto am Parkplatz kommen sollte, mit einem Rollstuhl kam gar nicht in Frage, aber ich schaffte es. Dann rollten wir gemütlich Heim und ich ließ mir dabei genüsslich den Wind um die Ohren wehen. Ich lebte noch. Als ich in die Küche kam, lag mein Hund unterm Tisch und schlief. Vorsichtig, ganz vorsichtig, aber nicht wegen dem Hund, sondern damit ich mir nicht weh tu, wenn ich hin falle, bückte ich mich runter und streckte meine Hand aus. Plötzlich hob sich die Nase, begann zu schnüffeln, sprang auf, drehte sich um, sah mich groß an, ging ganz langsam auf mich zu und berührte mich mit ihrer Nase, dann drückte sie ihren Kopf an mich und begann zu zittern. Ich hob sie hoch, drückte sie an mich, wir knuddelten und schmusten, dann drehte ich sie um und schaute mir das Hinterteil an. Sie roch etwas streng. “Meine Güte, die ist ja ganz voll mit Kot! Hat ihr wieder jemand etwas fettes zu fressen gegeben?” Vorsichtig schleppte ich mit dem Hund ins Bad, duschte mein Mäuschen, trocknete und föhnte sie, und erst dann begrüßte ich meine Eltern. Das einzige, was ich wollte, seit meine Birne wieder einigermaßen klar war, ich wollte zu meinem Hund nach Hause, und das hatte ich jetzt erreicht.
Der Weg zurück ins normale Leben sollte noch lange und beschwerlich werden. Zwei Wochen lag ich noch im Bett, dann dauerte es noch ein paar Wochen, bis ich wieder kontrolliert gehen konnte, die erste Septemberwoche ging ich, ich wollte es einfach wissen, arbeiten, dann hatte ich drei Wochen Urlaub und konnte mich noch ein wenig ausrasten und stärken. Trixi war immer an meiner Seite. Nie wurde es ihr langweilig neben mir. Nicht, als ich das Bett kaum verlassen konnte, nicht bei meinen ersten Schritte im Freien und nicht, als wir wieder unsere ersten gemeinsamen Runde drehten. Trixi war mir Ansporn und treue Begleiterin, bei Tag und bei Nacht. Sie war für mich das Licht in einem langen, finstern Loch, das mich zum Ausgang leitete. Nie hab ich das vergessen. Der Gedanke an meinen Hund war für mich sicher genau so wichtig wie die Hilfe der Ärzte, denen ich ebenfalls herzlich danke. Mit deren Hilfe und mit der Hilfe meines Hundes wurde ich schnell wieder gesund.
Der Winter 2014/15 war im Mostviertel wieder warm und schneearm. Wieder ging ich viel mit Trixi spazieren. Ich hatte unglaublichen Spaß daran, mit ihr unterwegs zu sein. Stundenlang waren wir unterwegs. Wir fuhren in die Steiermark, nach Wien, erkundeten kleine Dörfer in der Wachau, ständig hatte ich was geplant. Besonders Burgen hatten es mir angetan. Ich war ja viele Jahre mit dem Motorrad durch die Gegend gedüst, hatte dabei viel gesehen. Unter anderem auch viel Burgen abseits der Straßen. “Irgendwann werd ich mir das alles genau anschauen”, dachte ich mir damals immer, nur wurde nie was draus. Jetzt, mit meinem Hund, nahm ich mir diese Zeit. Wenn ich frei hatte, fuhren wir los und erkundeten alles, was ich nur vom Vorbeifahren kannte. Ständig hatte ich einen Fotoapparat dabei und hielt alles fest, und deshalb hab ich aus dieser Zeit hunderte Fotos, die mir, wenn ich sie mir heute anschaue, zeigen, wie schön das alles war. Motorradfahren wurde zweitrangig. Dann begann Trixi beim Gehen sehr, sehr unsicher zu werden, fand den Futternapf kaum mehr und fiel einfach um. “Um Gottes Willen”, dachte ich. Was war passiert? Krankheit? Schlaganfall? Nein. Sie war auch am rechten Auge erblindet. Jetzt hatte ich einen blinden Hund. Das war für uns beide eine ganz neue Erfahrung.
Rasch stellte sich aber heraus, dass wir auch das meistern werden. Ich half ihr, wo ich nur konnte und sie lernten, sich blind zurecht zu finden. Sie lernte, sich vorsichtig zu bewegen, um nicht zu fest an Hindernisse zu stoßen. Vor Stiegen hatte sie Angst. Sie war zu klein und wusste nie, wie weit es noch war, wo es weiter geht. Sie hatte schlicht und einfach Angst. Ab diesem Zeitpunkt trug ich sie, wenn Treppen zu meistern waren. Sie lernte, blind an der Leine zu gehen. Ich lerne, sie mit der Leine zu lenken. Bald hatte sie so viel Vertrauen geschöpft, dass sie angeleint im vollen Galopp lief, und wenn dabei eine Gehsteigkante bergab zu überwinden war, zog ich die Leine einfach ein wenig nach oben, dann hing sie für einen winzigen Moment in der Luft, und schon ging’s im vollen Galopp weiter. Alles kein Problem. Vertrauen ist alles, und Vertrauen hatte sie zu mir.
Manchmal wurde ich von anderen Hundebesitzern angesprochen, wenn wir spazieren gingen. Wenn dann die Rede drauf kam, dass mein Hündchen 17 Jahre alt ist und blind, erntete ich oft ungläubige Blicke. “17 Jahre? Gibt’s den sowas? Und auch noch blind? Hätte ich nie gedacht, so wie ihr daher gekommen seid.” Nur einmal war auch ich sprachlos. Wieder gingen wir spazieren, kam uns eine jüngere Frau mit einem langbeinigen, schlanken, offenbar noch jungen Hund entgegen. Sie blieb in einiger Entfernung stehen, nahm ihren Hund an die Leine und frug, als auch ich mit Trixi hielt, “Ist das ein Männchen oder ein Weibchen?” “Das ist ein Mädchen”, antwortete ich. “Wieso?”. “Ach, dann ist es ja gut. Meine ist auch ein Mädchen, aber sie ist blind”. “Was?”, meinte ich, “der ist blind?” “Ja. Drum fag ich ja, ob ihrer ein Männchen oder ein Weibchen ist. Damit ich weiß, worauf ich mich gefasst machen muss”. “Keine Sorge”, meinte ich, “meine ist auch ein Mädchen, die tut nichts. Und blind ist sie auch!” Jetzt war diese junge Dame verdutzt. Wir unterhielten uns noch eine Weile über unsere blinden Hunde, darüber, was andere darüber denken, welch komische Ansichten die oft haben, dann gingen wir wieder unsere eigenen Wege. Erst heuer fragte mich jemand, als ich wieder mit Trixi unterwegs war und die Rede auf ihre Blindheit kam, “Ist das überhaupt ein lebenswertes Leben für den Hund? Der ist doch arm!” “Ich sagte “Schauen sie sich den Hund doch einfach an. Schaut der unglücklich aus? Soll ich sie vielleicht erschießen?” Entsetzt kam die Antwort “Nein, nein. So war das nicht gemeint!” “Meine Oma war auch jahrelang blind, bevor sie starb”, meinte ich noch, “die haben wir auch nicht erschossen!”, dann ging ich mit Trixi wortlos weiter.
Ein paar Begebenheiten fallen mir ein, die ich besonderen lustig fand. Zum Beispiel diese:
Irgendwo stieg ich grade mit Trixi aus dem Auto aus und machte mich fertig für eine Wanderung. Hund an die Leine, Fototasche umgehängt, vorher nachgeschaut, ob Wasser und Futter dabei ist, dann will ich los. Kommt ein älteres Paar mit einem kleinen Hund des Weges. Er schaut mich schon von weitem neugierig an. Ich warte ein wenig, wir haben ja Zeit. Ich möchte wissen, was da jetzt kommt. “Grüß Gott”. “Auch grüß Gott”. Er schaut noch immer neugierig. Einmal schaut er mich an, dann den Hund, dann wieder mich. “Will der was von mir?, dachte ich. “Will er vielleicht reden? Über den Hund?” “ Was haben sie den da für ein nettes Hündchen?” frug ich höflichkeitshalber. Offenbar hatte er genau darauf gewartet, denn er legte gleich los. “Das ist ein blablabla”, hab ich vergessen, weil noch nie gehört. Eine ganz edle Rasse, von blablabla gezüchtet mit Papiere und Stammbaum blablabla…….”. Offenbar einer, der mit seinem Wuff zu Ausstellungen fährt, dachte ich. “Aha”, sagte ich voller Anteilnahme. “Das ist ja ganz was edler”. “blablabla………………” ich hab’s mir nicht gemerkt, ging es weiter. Dann frug er, wohl auch aus Höflichkeit, “und was ist ihrer für einer?” “Das ist ein reinrassiger Schlupfhund, mit Stammbaum. Es ist eine 40m hohe Lärche, die bei uns im Garten steht”. Er schaute mich groß an, sie schaute mich groß an, sie tuschelten irgend etwas, grüßten und gingen weiter. Offenbar kamen sie sich verarscht vor. Stimmt, ich hab gelogen. Das mit dem Baum stimmt zwar, wir haben eine 40m hohe Lärche im Garten, aber es ist nicht der Stammbaum meines Hundes. Mein Hund ist ein Mädchen. Die pisst nicht an Baumstämme, die pisst im sitzen!
Das andere Mal in Gaming am Weg zum Kirchenstein, einer kleinen, felsigen Aussichtsfläche am Hang des Gamingsteins, den wir im Zuge einer kleinen, unabsichtlichen Expedition umrundeten und zwangsweise bestiegen, weil ich mich bei einem Abzweig geirrt hatte. Rund dreieinhalb Stunden waren wir unterwegs. Ohne Wasser und ohne Futter, aber lustig war’s trotzdem. Irgendwo auf diesem schmalen Wanderweg in relativ steilem Waldgelände begegneten uns zwei Wanderer, Mann und Frau. Wir grüßten, ich nahm den Hund hoch, damit wir aneinander vorbei konnten, dann stellte ich Trixi wieder auf den Boden und wir gingen weiter, aber noch in Hörweite hörte ich sie zu ihm sagen “Hast du das gesehen? Na, wenn sich die zwei nicht ähnlich sahen, dann weiß ich auch nicht!” Ich sagte ebenfalls laut zum Hund, “Hast du das gehört? Wir zwei sehen uns ähnlich!” und dann hab ich mich gebogen vor lachen. Ganz verschämt sind die beiden abgezogen. Na ja, sie hatte ja nicht so unrecht. Damals hatte ich, es war Winter, relativ langes Haar, und unrasiert war ich auch. Könnte hinkommen.
Und einmal im Auto. Pyhrnautobahn irgendwo bei den Tunnels. Den Tempomat auf 100km/h, zockeln wir Richtung Abfahrt Klaus zur Heimfahrt. Trixi liegt am Beifahrersitz und pennt, ich knotze im Leder, mit der Linken am Lenkrad, die Rechte hängt über der Armlehne des Beifahrersitzes, die Finger spielen mit Trixis Fell. Ich fand einen Knoten, den sie sich wieder einmal ins lange Haar geputzt hatte. Kam öfters vor. Entweder lösen oder abschneiden, sonst verfilzt das sehr schnell. Weil mir eh grade langweilig ist, beginne ich mit den Fingern den Knoten aufzulösen. Nach einer Weile hebt Hundi den Kopf, dreht sich langsam zur Hand und schiebt diese mit der Nase langsam und vorsichtig zur Seite, dann dreht sie den Kopf wieder nach vorne, legt ihn auf die Pfoten und pennt weiter. Ich fang wieder an, mit den Fingern den Knoten zu suchen und ihn zu lösen. Wieder hebt sie den Kopf, dreht sich langsam zur Hand, schiebt diese mit der Nase vorsichtig weg und legt sich wieder auf die Pfoten, und ich fang wieder von vorne an, den Knoten zu suchen und zu lösen, wie gehabt. Wieder hebt Mäuschen den Kopf, dreht sich ganz langsam zur Hand, schnappt zu, beißt mich in die Hand, dreht demonstrativ langsam den Kopf wieder nach vorne, legt ihn auf die Pfoten und pennt. Ich bin fast vom Sitz gefallen vor lachen! “Ok, ok, ich hab verstanden!”, meinte ich zu Trixi. Sie ignorierte mich nicht einmal. Das war ja deutlich genug. “Hör sofort auf damit, du Penner! Ich mag das nicht!” hat das zweifellos geheißen. Hundi sagt mir immer, was sie will. Meist versteh ich es auch. Aber ich glaub, jeder Hundebesitzer kennt solche Geschichten zur Genüge.
Im Oktober 2014 war ich mit Trixi am Timmelsjoch, am Jaufenpass und am Brenner. 1000km an einem Tag. Egal, ob im Mai 2015 auf der Edelweißspitze und auf der Franz Josefs Höhe oder im Jahr davor am Timmelsjoch und am Jaufenpass, überall lief mein Wauzi wie in Windhund. “Macht das dem kleinen Hund gar nichts aus? fragten manche verblüfft, selber wie ein Dampfross schnaufend. “Offenbar nicht”, meinte ich und wir zogen weiter. Trixi hat die Höhe genau so wenig bemerkt wie die XJR. Die läuft auch auf jeder Höhe wie ein Uhrwerk.
In der letzten Augustwoche des Jahres 2015 waren wir mit dem Auto in Deutschland beim Reußenkreuz im Odenwald beim FZR Treffen. Bevor wir zum Neckar abbogen, blieb ich an einem Parkplatz stehen und ließ den Hund ein wenig in der Wiese laufen, und weil es hier noch warm war, rundherum schaute es nach Regen aus, setzte ich mich selber auch ein wenig in die Wiese und schaute Trixi beim Schnüffeln zu. Als ich wieder aufstehen wollte, spürte ich im Rücken einen Stich, dann konnte ich nicht mehr aufrecht stehen und auch kaum mehr gehen. Mich Ach und Krach trug ich Hundi zum Auto, setzte mich rein und probierte, ob ich überhaupt noch fahren kann. Das ging problemlos, also fuhr ich weiter. Ich dachte, wenn ich mich im Hotel ein wenig ausruhe, vergeht der Schmerz wieder, und wir können am nächsten Tag etwas schönes unternehmen. Gegen 16 Uhr konnte ich vor Schmerzen kaum mehr stehen, gegen 20 Uhr hab ich den sprichwörtlichen Hut drauf gehauen und fuhr wieder Heim. Um halb fünf waren wir los gefahren, gegen 2 Uhr Nachts waren wir wieder daheim. Auch das waren 1000km an einem Tag. Hundi hat entweder am Beifahrersitz oder auf meinem Schoß geschlafen. Es war eine schöne, helle Nacht, die Autobahnen waren fast leer, wir waren flott unterwegs. Selbst bei 230 schlief sie wie in Abrahams Schoß. Damals war sie mit Sicherheit der schnellste Hund Österreichs.
Im September wollten wir nach Friesland fahren, Michael und die anderen Friesen besuchen. Zu Mittag schauten wir uns die Gedenkstätte in Mödlareuth an. In Halle an der Saale übernachteten wir im Hotel Konsul. Die Aufregung, vielleicht auch die Anstrengung der Fahrt, die fremde Umgebung und alles Drum und Dran waren für Wauzi zu viel. Ich musste sie fest an mich drücken, damit sie schlafen konnte. Jede Stunde stand ich mit ihr auf und ging raus beziehungsweise in die Brausetasse (musste ich ihr erst beibringen, denn das kannte sie nicht), denn sie hatte kräftig Durchfall bekommen. Am frühen Morgen war sie heiß wie eine Wärmeflasche und auch sonst total im Eimer. Ich hatte Angst um Hundi, rief Michael an, schickte eine SMS, als ich ihn nicht erreichte, “Ich dreh um und fahr wieder Heim, Hundi ist krank”. Wir hätten noch rund 500km fahren müssen, und dann wieder fremde Umgebung, fremde Leute, alles neu, Aufregung. Ich hatte mich verschätzt. Das ging mit Trixi einfach nicht mehr. Ich hab in diesen drei Jahren nie ernsthaft bedacht, wie alt mein Hund eigentlich ist. Da war sie stolze 17 Jahre alt. Sie war so kräftig und unternehmungslustig, aber das wurde ihr zu viel. Daheim angekommen, fuhr ich gleich zur Tierärztin, die gab ihr ein paar Mittelchen zum Einnehmen, und ein paar Tage später war Mäuschen wieder frisch und wohlauf. Dann kam der Winter.
Den Winter 2015/16 hab ich gefürchtet. Trixi wurde immer kälteempfindlicher. Die Rückenprobleme, die sie seit Jahren hatte, machten sich auch immer stärker bemerkbar. Dieser Winter war nass und kalt. Selten konnten wir spazieren gehen. Mäuschen fror schon, wenn ich sie nur fürs Geschäftchen nach draußen brachte. Oft verkrümmte sich ihr Hiterteil so stark, dass sie vor Schmerzen zu jammern begann oder gar hin fiel, weil ein U-förmiger Hund einfach nicht stehen kann. Dann trug ich sie rasch wieder rein, steckte sie ins warme Bett, kuschelte mich zu ihr und massierte sie ganz vorsichtig, dann war sie wieder ruhig und hatte keine Schmerzen mehr. Aber die Probleme wurde stärker. Offenbar so stark, dass sie nicht mehr gehen wollte. Ich legte sie an die Leine, aber meistens standen wir nur ein paar Minuten vorm Haus. Wenn ich an der Leine zog, zog sie in Gegenrichtung, bis es mir zu dumm wurde. Ich nahm sie wieder hoch, leinte sie ab und trug sie wieder rein. Dann legte sie sich ins Bett und schlief. Je älter das Jahr wurde, desto mehr schlief Trixi. Fressen, trinken, schlafen, und ein wenig schmusen und kuscheln, dass war ihr Tagesablauf geworden. Ja, sie war jetzt wirklich nicht mehr die Jüngste, dass wusste ich. 18 Jahre. Vielleicht sogar ein wenig älter. Kann gut sein, dass sie nicht im August, sondern im Jänner geboren ist, sagt meine Schwester. Dann war sie diesen August 18 1/2 Jahre alt. Ein kleiner Methusalem, sagte mein alter Zahnarzt im Frühling, als wir uns beim Spaziergang mit den Hunden trafen. Ja, sie war schon ein kleiner Methusalem. Nur ich sah das nicht so. Für mich war sie das süßeste, liebenswerteste Hündchen der Welt. Für mich war sie nicht alt. Dann kam der Juni.
Trixi quietschte mitten in der Nacht. Es war gegen zwei Uhr. Ich zog den Morgenmantel an, nahm Trixi untern Arm und ging die Stiegen runter. “Sie muß raus”, dachte ich. Trixi redete immer mit mir. Sie sagte mir immer, was sie wollte. Rausgehen, trinken, fressen, alles sagte sie mir, und wenn ich die Reihenfolge nicht einhielt, drehte sie sie wieder um. Also zuerst raus in die Wiese, dann zum Wassernapf, nicht umgekehrt, sonst pisste sie in die Küche, bevor sie trinkt. Da kannte sie keinen Spaß. Auf halber Höhe zum Erdgeschoss spürte ich, wie sich der Hund in meinen Armen verkrampfte. Die Beinchen wurden ganz steif, der Kiefer bebte verkrampft, sie keuchte. Der ganze Hund wurde zu einem zitternden, verkrampfen Klumpen. Ich war verzweifelt, wusste nicht was passiert, was ich tun soll. Ich lief raus, setzte mich auf die Treppen und streichelte mein Hündchen. Dann ließ der Krampf nach, sie wurde ganz schlapp, die Atmung beruhigte sich. Ich dachte, sie stirbt in meinen Armen. Ich versuchte, sie in die Wiese zu stellen, aber sie ist kraftlos umgefallen. Es dauerte gut fünfzehn Minuten, dann war sie, schien mir, wieder normal. Ich war ratlos. Was war passiert? Der Hund war wieder normal.
In der Nacht darauf passierte das gleiche nochmals, nur heftiger. Ich hatte ein wenig nachgelesen. Es war ein epileptischer Anfall, denn ich da mit ihr erlebt hatte. Für den Hund an und für sich ungefährlich, solange es das Herz aushält. Es gibt verschiedene Auswirkungen davon, die heftige Variante erlebte ich in der zweiten Nacht. Sie lag fest an mich gekuschelt im Bett, plötzlich spürte ich, wie der Hund ganz steif wird und zu zittern beginnt. “Heiliger Strohsack, nicht schon wieder!”, dachte ich, drehte mich um, nahm sie hoch, da beginnt sie furchtbar zu schreien. Sie schreit wie am Spieß und zittert dabei wie unter Strom. Zuerst hielt ich sie fest und wollte sie beruhigen, aber dann passierte etwas seltsames. Sie ist mir kurz ausgekommen, und als sie nun frei im Bett stand, hörte sie sofort zu schreien auf und begann, sich wie verrückt im Kreis zu drehen. Davon hatte ich gelesen. Also nahm ich sie hoch, rannte mit ihr die Stiegen runter, zur Haustür raus, stellte sie in die Wiese und wartete, was passiert. Von 2:10 Uhr bis 2:25 Uhr lief sie wie einer Verrückte im Kreis herum. Wie ein Ringelspiel immer gegen den Uhrzeigersinn im Kreis. Ich gab ihr nur manchmal einen Schubbs, damit sie nicht die Richtung verliert und auf der Wiese bleibt, aber sonst ließ ich sie laufen. Sie schien einfach nicht müde zu werden und lief und lief und lief. Sie lief, bis ihr der Treibstoll ausging, oder was immer sie zum Stillstand brachte. Das ganze Schauspiel hatte vom Anfang bis zum Ende länger als 30 Minuten gedauert. Dann trug ich sie wieder rein, sie trank wie nach einer Wüstendurchquerung, dann ab ins Bett mit ihr, und sie schlief wieder ein, als wäre nichts gewesen. Ich blieb für den Rest der Nacht wach und passte auf sie auf. Am Morgen fuhr ich zum Tierarzt.
“Kann unter Umständen ein epileptischer Anfall gewesen sein, wie sie vermuten. Vielleicht durch eine zu geringe Durchblutung des Gehirns ausgelöst, ich weiß es nicht mit Sicherheit. Wir könnten das feststellen. Blutanalyse, Tomographie, Röntgen und vieles mehr. Am Schluß wissen sie vielleicht, was sie hat”. Dann schaute sie mich an und sagte, “Sie ist 18 Jahre alt.” “Ich weiß”, antwortete ich. “Ein kleiner Methusalem”. Sie gab mir Tabletten, täglich zwei Viertel von einer, einmal morgens, einmal abends. “Wenn sie zu aktiv wird, geben sie ihr nur ein Viertel davon am Tag. Das fördert die Durchblutung etwas. Vielleicht hat sie dann Ruhe”. Ich gab ihr zwei Viertel am Tag, reduzierte dann auf ein Viertel, nichts passierte mehr. Kein weiterer Anfall. Nur unruhig wurde sie irgendwie. Mehrmals in der Nacht aufstehen, oftmals wegen nichts. Kein Durst, kein Hunger, kein Harndrang. Ich setzte die Tabletten wieder ab, sie wurde wieder ruhiger, hatte keine weiteren Anfälle. Alles war wieder gut.
Anfang August konnte sie wieder nicht richtig kacken. Der Ausgang war wieder verklebt, als hätte sie zu fett gefressen. Mit der Hand ausräumen, duschen, trocknen, föhnen, fertig. Wie so oft. Zwei Tage hintereinander passierte dass, dann bekam sie kurz Durchfall, und dann hörte sie zu fressen auf. Egal, was ich ihr anbot, sie wollte nicht fressen, drehte nur den Kopf weg. Ich nahm das nicht so Ernst. Kam ja vor, dass sie, wenn sie etwas Durchfall hatte, das Fressen ein paar Tage verweigerte. Dann bohrte sie wieder ein Loch in den Fressnapf und holte alles nach. “Wird diesmal nicht anders sein, dachte ich”. Nach vier Tagen wurde ich unruhig. Sie trank zwar sehr viel, wollte aber nichts fressen. Ich ging zum Tierarzt. Leider hatte die Ärztin nicht Dienst, so fuhr ich zum nächstbesten Tierarzt in der Nähe. Der meinte, so schlimm wird das nicht sein, gab ihr zwei Spritzen, “damit ist sie für den nächsten Tag auch noch versorgt”, meinte er, und wir fuhren wieder Heim. Dann hörte sie zu trinken auf. Oder konnte sie nicht mehr trinken? Ich war verwirrt. Vom nicht fressen war sie schon recht geschwächt, aber nun hatte ich den Eindruck, sie hat vergessen, wie man trinkt! Sie quietschte, als hätte sie Durst. Ich trug sie zum Wassernapf, sie tat auch ganz aufgeregt, als hätte sie Durst. Aber statt mit der Zunge das Wasser zu schlabbern, fand sie das Wasser nicht, und wenn sie es fand, steckte sie den ganzen Rüssel mitsamt der Nase hinein, dass Luftblasen aufstiegen. Irgendwie resignierend trat sie dann zwei Schritte zurück und drehte den Kopf zur Seite, als würde sie mir sagen wollen, “Ich will ja, aber es geht nicht”.
Ich hob sie hoch, nahm den Wassernapf, setzte mich mit dem Hund am Schoß auf einen Sessel und hielt ihr das Wasser so hin, dass sie es leichter erreichen konnte, aber sie steckte entweder nur den ganzen Rüssel mit der Nase hinein, oder sie drehte den Kopf zur Seite. So nebenbei fiel mir auf, dass ihre Pfoten kalt wurden, und ihr Nacken wurde irgendwie so steif. Die Beinchen wurden auch auf seltsame Art steif. So lange sie noch stehen konnte, konnte sie kaum mehr gehen, weil sie sich sonst im Kreis drehte, wie in Zirkel. Sie konnte irgendwie die Beinchen nicht mehr abbiegen, schien mir. Besonders das rechts hinten. Wenn ich sie ins Bett trug, legte sie sich mit lang ausgestreckten Beinen hin und schlief. Auch das beunruhigte mich,dann so schlief sie normal nie. Wieder fuhr ich zum Tierarzt, wieder verpasste er ihr eine Spritze. Das war am Samstag.
“Kommen sie am Montag wieder”, meinte er. Montag Vormittag fuhr ich wieder hin. Trixi konnte nicht mehr stehen. Sie schien auch nicht mehr steif zu sein. Sie war, wenn ich sie hoch hob, weich wie ein Handtuch. Grade, dass sie noch den Kopf hob und auf meine Schulter legte, wenn ich sie mir auf den Körper legte. Ich war in der Früh von der Arbeit Heim gekommen, hatte sie in der Küche am Boden liegend, seltsam verdrückt, vorgefunden. Dort, wo sie mit dem Kopf am Boden lag, blieb der Abdruck einfach so und ging nicht mehr raus, so, als wäre das Gewebe nicht mehr elastisch. Erbrochen hatte sie offenbar auch. Ihr Fell war ums Maul mit irgend etwas braunem verschmiert. Das konnte auch die Paste sein, die mir der Tierarzt für sie gab. So eine Art Astronauten Nahrung, die ich ihr mit einer kleinen Spritze in den Mund geben sollte. Offenbar hatte sie das Zeug gar nicht geschluckt, sondern nur so im Mund gehabt, was dann im Schlaf heraus gelaufen war. Ich reinigte sie mit einem nassen Tuch, untersuchte sie, ob sonst noch was im Maul wäre, was ihr gefährlich werden konnte, dann steckte ich sie ins Bett und wartete, bis wir wieder zum Tierarzt fuhren. Der gab ihr wieder eine Spritze, und wir fuhren wieder Heim. Heute frag ich mich, sah dieser Mann nicht, was mit Trixi los war? Oder glaubte er, ich kann die Wahrheit nicht ertragen?
Gegen 14 Uhr hatte sie drei so ähnliche Anfälle wie oben beschrieben, nur kürzer und leichter, dann lag sie friedlich, und wie mir schien entspannt, im Bett und atmete laut und deutlich vernehmbar. Mir war jetzt klar, sie liegt im sterben. Ich legte sie mir auf die Brust, bettete ihren Kopf auf meinen Arm und streichelte sie. Sie atmete ganz ruhig und gleichmäßig, als wäre sie beruhigt, dass ich bei ihr bin. Dann legte ich sie ins Bett, zog mir was hübsches an, holte den BMW vors Haus, denn den Citroen hat sie nie gemocht, dann legte ich ihre Decke auf den Beifahrersitz und holte Trixi. Vorsichtig legte ich sie auf ihren Platz und fuhr ganz langsam zum Tierarzt. Um 15:55 Uhr starb sie in meinen Armen.
Ich weiß nicht, was ich alles falsch gemacht hab, aber ich glaub, sie war nicht krank. Sie war 18 Jahre alt, oder gar ein halbes Jahr älter. Als sie aufhörte zu fressen, als sie, aufhörte zu trinken und als sie nur mehr im Bettchen lag und atmete, da hatte sie sich wohl einfach nur zum Sterben hingelegt. Sie hatte das Ende ihrer biologischen Fahnenstange erreicht. Für Tiere ist das was ganz natürliches. Nur Menschen machen ein Drama draus. Ich hätte sie nicht mehr zum Tierarzt bringen dürfen. Niemand konnte sie mehr retten. Sie hätte in ihrem Bett sterben können und hätte dabei gespürt, dass sie daheim ist, dass ich bei ihr bin. Dann hätte ich sie im Garten begraben sollen. Daheim, wo sie hin gehörte. Ich hab’s vermasselt. Ich hab es nicht besser gewusst, und das tut mir so leid. Aber ich kann mir Vorwürfe machen, so viel ich will, es ist zu spät.
Niemand kann mir meine Trixi zurück geben, aber ab jetzt hat sie hier ihren Platz.
In meinem Herz wird sie sowieso immer bleiben.