Kama war bis Anfang der 60er Jahre eine Uhrenmarke der Chistopoler Uhrenfabrik, die wir heute unter dem Namen Восток oder Vostok kennen. In der Sowjetunion wurden Uhrenfabriken systembedingt nicht nach ihren Gründern benannt, auch wurden selten Kunstnamen erfunden, sondern die Produkte wurden entweder nach den Städten benannt, in denen sich die Fabrik befand – АЕНИГРАД (Leningrad) und МОСКВА (Moskau) wären dafür Beispiele – oder es wurden politisch wichtige Ereignisse gewählt, wie Полет, Восток oder Paкéтa, die sich auf den ersten Raumflug Juri Gagarins beziehen, oder es wurden einfach die Namen von Flüssen genommen, die sich in der Region befinden, wie die Нева (Newa) in Leningrad/St.Petersburg oder Kama in Chistopol. Soweit der einfachere Teil zu diesen Uhren. Ab jetzt wird’s ein wenig komplizierter.
Gleich vorweg, ich hab noch niemanden erlebt, der die Originalität einer Kama Uhr eindeutig zu identifizieren wüsste. Wie eine Kama auszusehen hat, welches Uhrwerk sich in ihr zu befinden hätte und welche Variationen es gab, darüber wird heftig spekuliert, aber fix ist nix. Es gibt aus dieser Zeit kaum bis keine Produktfotos, weil sowas wie Werbung in der Sowjetunion so gut wie unbekannt war, es gibt keine Produktionsunterlagen, aber es gibt Uhren, auf deren Ziffernblätter Kama steht und auf den Rückdeckeln vieler dieser Uhren steht ebenfalls Kama, was auf die reale Existenz dieser Uhren hinweist. Also, welche Arten von Kama Uhren sind bekannt?
So weit mir bekannt, sollten alle das gleiche, oder weitgehend das gleiche Gehäuse besitzen. Die Stegbreite aller mir bekannten Kama messen 18mm. Auf den Rückdeckeln, die mittels einer Art Bajonettverschluss (ähnlich dem eines Tankdeckels) am Gehäuse befestigt werden, findet sich meistens die Aufschrift Kama. Ab und zu aber auch nicht. Es gibt auch rückwärtige Deckel, die als Drückdeckel ausgeführt sind, die nie die Aufschrift Kama tragen. Die allgemeine Meinung ist, dass auch dieser Rückdeckel Original sei, beweisen kann das niemand. Man kann aber zumindest davon ausgehen, dass die Bajonett-Deckel ohne Aufschrift keine Original-Deckel sind, weil es nicht wirklich plausibel wäre, Deckel für eine Kama Uhr mit und ohne Aufschrift Kama zu produzieren. Aber wer weiß das schon mit Sicherheit?
Die rote Kama kaufte ich im Wissen, dass sie nicht Original ist. Zum Zeitpunkt des Kaufes wusste ich noch nicht, wie eine Kama aussehen sollte, sie war aber mit “Dial restored” angepriesen und sehr preisgünstig, darum kaufte ich sie. Ich dachte, “Was soll da schon schief gehen, vielleicht ist sie wenigstens nicht gleich kaputt!” Ich war damals noch sehr skeptisch, was “Schrott aus Russland” betraf. Diese Uhr war nämlich die erste russische Uhr meines Lebens. Das ist schon eine Weile her, und das Gerücht, dass ich damals in diversen Foren las, hat sich bewahrheitet. Die “Russenuhren” vermehren sich wie die Karnickel, wenn man nicht aufpasst.
Noch verwirrender wird es, wenn es um die Uhrwerke geht. Im großen und ganzen herrscht die Meinung vor, in den Kama Uhren hätten sich 17 Steinige Werke mit einer Stoßsicherung zu befinden, in der Praxis kommen aber auch 16 und 15 Steinige Uhrwerke ohne Stoßsicherung vor. Ob diese Uhrwerke als Ersatz montiert wurden oder auch ab Werk, weiß keiner. Weitere Variationen, je nach Baujahr, sind dann noch Uhrwerke mit Datumsstempel, ohne Datumsstempel (das sind neuere Uhrwerke ab ungefähr 1961) und mit Genfer Streifen sowie bei neueren Uhrwerken ab etwa 1960 ohne Genfer Streifen, wobei sich das weglassen der Genfer Streifen datumsmäßig gut einengen lässt, weil das einfach Produktionsbedingt auf alle Werke zutraf, also um 1960 herum aufwärts. Die alten Werke mit Datumsstempel sind alle dekoriert. Dieser erwähnte Datumsstempel zeigt das Baujahr und das Vierteljahr, in dem das Werk erzeugt wurde. 60-1 bedeutet beispielsweise Baujahr 1960 Jänner bis März. In diesem Zeitraum wurde dieses Uhrwerk erzeugt.
Dieses zauberhafte Paar sind Damenuhren der Marke УРАН, zu Deutsch Uran, und stammen ebenfalls aus Chistopol. Ich kaufte sie hauptsächlich, weil sie genau so alt sind wie ich. Eine, die’s am genauesten trifft, wurde zwischen Jänner und März 1960 gebaut, die andere zwischen Juli und September. Auch hier ist etwas verwirrend, dass es sich augenscheinlich um das gleiche Uhrwerk mit 15 Lagersteinen zu handeln scheint, eines davon ist aber mit, das andere ohne Stoßsicherung ausgeführt. Das könnte aber auch irgendwann im Rahmen einer Reparatur passiert sein. So genau war das ja oft nicht. Hauptsache, sie läuft. Und das tun beide noch heute sehr gut!
Die größte Unsicherheit punkto Originalität dürften die Ziffernblätter sein. Ich persönlich glaube nicht, dass es heutzutage auf diesem Planeten einen Menschen gibt, der schlüssig beweisen könnte, das eine oder andere Design wäre zu 100% Original oder nicht Original. Und all diese Unsicherheitsfaktor zusammen ergeben eine riesengroße Spielwiese für Bastler, um ihre “Kama” in allen möglichen Gebrauchszuständen an den Mann zu bringen. Je teurer sie angeboten werden, desto vorsichtiger muss man sein. Manch einer verlangt für seine fast Fabrikneue Kama Mondpreise. Auf der sichersten Seite befindet man sich vermutlich, wenn man eine Kama mit moderaten Gebrauchsspuren, beschriftetem Bajonettverschluss-Deckel, verziertem, 17 Steinigem und stoßgeschütztem Uhrwerk mit Datumstempel aus den späten 50er Jahren kauft. Dann sind die Chancen, dass es sich um ein weitestgehend originales Stück handelt, am größten. Mit einem schönen Uhrband dran kann das ein herrliches Schmuckstück aus einer längst vergangenen Zeit sein. Bei trockenem Wetter und angenehmen Temperaturen lassen sich Kama Uhren auch im Alltag gut tragen. Wassergeschützt oder gar wasserdicht sind diese Uhren allerdings nicht. Umso kurioser erscheint mir oft, dass diese Uhren manchmal als militärische Taucheruhren angeboten werden. Da ist höchsten der Wunsch der Vater des Gedanken. Bevor eine Kama wasserdicht ist, kann ein Senkblei schwimmen. Das ist das einzige, was man mit Sicherheit über eine Kama aus Chistopol sagen kann.
Einen schönen Tag noch……………..