“Ich kann allem und jedem widerstehen, nur nicht der Versuchung!” meinte Prof. Dr. Fritz Knobel alias Uwe Ochsenknecht in “Stonk”, als er von seiner Filmfrau beim Ehebruch mit der kurvigen Martha erwischt wurde. Genau so geht’s mir, seit ich mich mit sowjetischen Uhren beschäftige. “Ich werde das Raketa Kaliber 2209 beiseite lassen und die sowjetischen Chronographen meiden wie der Teufel das Weihwassser”, meinte ich lange Zeit. Es gelang mir auch tatsächlich eine Weile. Zumindest so lange, bis ich so viel über diese Uhren gelesen hatte, dass ich mir zumutete, diese Dinger zu kaufen, ohne dabei gleich riesig auf die Schnauze zu fallen. Das hat etwa ein Jahr gedauert. Jetzt besitze ich nicht nur einige schöne Chronographen des Kaliber 3133, sondern auch meinen Ersten mit dem Schaltrad-Kaliber 3017. Es ist ein sehr schönes Stück, finde ich, und sie funktioniert wie neu. Leider gibt es auch davon mehrere verschiedene Ausführungen. Das sind zwar nur marginale Unterschiede, das Werk ist immer das gleiche, aber na ja. Ich kenn das ja schon. Über kurz oder lang wird mir ein schönes Stück über den Weg laufen, wo ich mir dann denke “Ach, schau dich an, eine schwarze Sekonda. Die hab ich noch gar nicht!” Nur so als Beispiel. Ist ja immer das selbe, und das seit Jahren. “Wozu braucht man mehrere unterschiedliche Komandirskie”, fragt man sich am Anfang. Dann hat man zehn oder fünfzehn davon. Oder die Raketa im Kaliber 2609. Davon gibt’s eigentlich nur sechs unterschiedliche Versionen. Zumindest von den Uhrwerken. Von den Uhren gibt’s leider hunderte Versionen. Gottlob gefallen die mir nicht alle. Was mir rein optisch schon nicht gefällt, kommt nicht in meine Sammlung. Das ist auch der Grund, wieso die Gesamtanzahl der Stücke in meiner Sammlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, um es einmal vorsichtig auszudrücken, im dreistelligen Bereich bleiben wird. Ich hoffe inständig. Sonst bekomm ich ein Platzproblem. Aber nun kurz zum Kaliber Poljot 3017 und den Strela Uhren.
So um die Mitte der 50er Jahre hatte die Sowjetunion offenbar ein Problem, was Stoppuhren betraf. Schaltradchronographen waren ja nicht unbedingt etwas neues. Die Sowjets verwendeten nach dem Krieg beispielsweise die im Deutschen Uhrmacherort Glashütte beschlagnahmten Urofa Kaliber 59 und entwickelten daraus ihr Kaliber Poljot 3417. Ein weitgehend baugleiches, aber verkleinertes Uhrwerk feierte in der DDR als GUB 64 eine Art Auferstehung auf deutschem Boden. Warum genau die Sowjets nicht an diesem Kaliber festhielten, sondern ein neues suchten, ist mir weitgehend unbekannt. Es soll zu kompliziert und aufwändig gewesen sein, liest man. Jedenfalls machten sich die Sowjets auf die Suche nach einem neuen Uhrwerk für Armbandchronographen, die man in Wissenschaft und Forschung genau so einsetzen konnte wie bei Behörden oder beim Militär. Im Kaliber Venus 150 fand man offenbar genau das, was man suchte. Jetzt wird’s wieder ein wenig kompliziert, eben typisch Sowjetunion.
Es gibt einige Quellen, die behaupten, die Sowjets hätten das Venus Kaliber 150 kopiert. Kopiert heißt nachgebaut. Mit oder ohne Genehmigung sei einmal dahingestellt. Andere, und wie ich meine, ansonsten recht zuverlässige Quellen sagen wieder, Venus hätte sich um die Mitte der 50er Jahre vom Kaliber 150 getrennt, und die Sowjets hätten die Anlagen mit allen Unterlagen, natürlich auch mit allen Genehmigungen, gekauft und begannen 1959 in Moskau mit der Neufertigung dieses Kalibers, dass sie später, oder gleich, keine Ahnung wann, so weit abänderten, dass die Einzelteile des Venus 150 und die des Kaliber Poljot 3017 nicht mehr untereinander austauschbar sind. Fakt ist, es handelt sich beim Kaliber Poljot 3017 wieder um einen Schaltrad-Chronographen mit all seinen fertigungstechnischen Nachteilen, wie großer Aufwand bei der Herstellung und dadurch teuer. Letzterer Punkt spielte bei den Sowjets offenbar, zumindest anfangs, nur eine untergeordnete Rolle.
Hier ist, glaube ich, der richtige Punkt, um auf den größten Unterschied zwischen den Kalibern Venus 150 und Poljot 3017 beziehungsweise zwischen Uhren aus der Sowjetunion und aus dem Westen hinzuweisen. Venus baute dieses Uhrwerk aus rein kommerziellen Gründen, also um es zu verkaufen und damit Profit zu erwirtschaften. Mit Profit hatten die Sowjets bzw. ihr politisches System nichts am Hut. Der Bau dieses Uhrwerkes war angeordnet, um Wissenschaft, Wirtschaft (Planwirtschaft), Behörden und Militär damit zu bedienen. Ab wann diese Uhren auch für Privatpersonen zu erwerben waren, darüber streiten sich „die Gelehrten“ noch. Inzwischen sollen sowjetische Prospekte von 1960 aufgetaucht sein, die drauf hinzuweisen scheinen, dass diese Uhren auch für’s „Volk“ zu haben war. Ob diese Uhren allerdings nur im Prospekt (vielleicht als Ankündigung?) oder auch in der realen Welt verfügbar waren, dafür gibt es offenbar noch keine stichhaltigen Beweise.
Ich finde diese ganz klare, systembedingte Unterscheidung nicht unwichtig, weil in diversen Kreisen immer wieder auf die “nicht so sonderliche Verarbeitung” im Vergleich mit westlichen Produkten hingewiesen wird. Fast wird so getan, als hätten sich in Moskau ein paar besoffene Russen ohne viel Ahnung zusammen gesetzt und spaßhalber eine Stoppuhr hergestellt. Dies war ein Werkzeug, und kein Spielzeug für eitle Zeitgenossen, die mit einem Chronographen ein Statussymbol erwarben. Chronographen kosteten im Westen ja schon eine schöne Stange Geld. Im Sowjetreich waren sie für den Normalsterblichen (wahrscheinlich) gar nicht erhältlich, sondern nur für Privilegierte. Konkurrenz und damit Wettbewerb gab es in der Sowjetunion nicht, ergo ist jeder Vergleich mit westlichen Produkten sinnlos.
Die Poljot 3017 war für 20 Jahre der Armband-Chronograph der Sowjetunion. Einen anderen gab es (offiziell) nicht. Inoffiziell wurden, beispielsweise in der Raumfahrt, auch ausländische Produkte eingesetzt. Die eigenen Chronographen gingen, bedingt durch den rauen Einsatz, oft haufenweise zu Bruch. Besatzungen hatten bis zu sieben verschiedene Chronographen an Bord. Ob Alexei Archipowitsch Leonow beim ersten All-Spaziergang der Menschheit wirklich eine Strela trug, und falls ja, außerhalb oder innerhalb seines Raumanzuges, lässt man sich am besten von ihm selber erzählen. Alles andere sind Vermutungen. Dass СТРЕЛА/Poljot/SEKONDA 3017 bei sowjetischen Raumflügen getragen wurden, ist aber eine Tatsache. Somit waren Poljots Kaliber 3017 Stoppuhren das östliche Gegenstück zur Omega Speedmaster der NASA.
Die ersten Poljot 3017 Modelle trugen die Bezeichnung СТРЕЛА, lateinisch STRELA oder zu deutsch Pfeil. Seitdem werden alle Modelle des Kaliber 3017 gemeinhin als STRELA bezeichnet. Die Uhrwerke waren immer die gleichen, da hat sich bis 1979 nichts geändert. Unterschiede bestanden beim Gehäuse, beim Ziffernblatt, bei den Zeigern, ohne oder mit Tachymeter/Telemeter Ring und anfangs ohne, später mit Leuchtmasse für besseres Erkennen bei Dunkelheit. Um 1965 kam das Modell SEKONDA dazu. Es war die gleiche Uhr wie die STRELA, nur für den britischen Markt. Offenbar hatten die Sowjets erkannt, dass sich solche Uhren auch im Ausland, vor allem im zahlungskräftigen Westen, verkaufen lassen müssten. Devisen waren ohnehin ständig knapp. Gegen westliche Produkte waren diese Uhren allerdings spottbillig. “Made in USSR” hatte kein großes Ansehen. Für den generellen Export, zum Beispiel in westliche Länder und in kommunistische Bruderstaaten, gab es noch die gleichen Uhren mit der Bezeichnung Poljot und auch EXACTA-POLJOT. Für welchen Markt letztere bestimmt waren, ist mir unbekannt. Eine Uhr mit dieser Bezeichnung hab ich als Armband-Wecker. Sogar mit der Beschriftung полёт, also Poljot in Cyrillisch, sind welche zu finden. Ob diese nur für den Inlandsmarkt gedacht waren und/oder die СТРЕЛА ersetzten, oder ob’s beide zur gleichen Zeit gab, ist mir leider ebenfalls unbekannt.
Was kann ich zu diesen Uhren aus eigener Erfahrung sagen? Ehrlich gesagt nicht viel. Sie misst ohne Krone rund 36mm und ist damit für heutige Verhältnisse klein. In der Realität ist sie damit ziemlich genau so groß wie eine Poljot Wecker Uhr und wirkt optisch größer, als sie den Maßangaben entsprechend sein sollte. Gegen einen Poljot Chronograph Kaliber 3133 ist die 3017 sehr flach und dadurch noch wesentlich angenehmer zu tragen. Gleichzeitig ist dieses “Im Alltag tragen” aber so eine Sache. Die jüngsten Modelle sind über 35 Jahre alt, die älteren deutlich über 50 Jahre. Diese Uhrwerke besitzen keine Stoßsicherung! Diese Uhren besitzen auch keine Dichtungen. Da waren nie Dichtungen drinnen! Staub oder gar Wasser geschützt? Natürlich nicht! Beim Hände waschen würde ich sie abnehmen. Bei einem mechanischen Schaden, der an jeder mechanischen Uhr auftreten kann, müsste man eine Ersatzuhr kaufen, um an Ersatzteile zu gelangen. Zu kaufen gibt’s die sonst kaum bis gar nicht. Es spricht absolut nichts dagegen, so eine Uhr an einem schönen, warmen Tag einmal zu tragen. Sollte es zu regnen beginnen, würde ich sie sofort abnehmen und, bestmöglich gegen Feuchtigkeit geschützt, einstecken. Wenn es jemand drauf anlegen will, kann er sie gerne nass werden lassen. Dann werden die wenigen schönen, guten Uhren, die es noch gibt, wertvoller. Insgesamt wurden zwischen 1959 und 1979 etwas über 100 000 Stück gebaut. Zu bekommen sind sie in gutem Zustand ab etwa €500.- aufwärts. Schnäppchen in gutem Zustand sind eher selten, meistens sind sehr preisgünstige Uhren verbastelt und /oder in schlechtem Zustand. Was nicht heißt, dass es nicht auch Angebote gäbe, die in sichtlich sehr schlechtem Zustand sind UND sehr teuer. Was sich die Anbieter dabei denken, weiß ich nicht. Ich werde meine “Strela” jedenfalls sorgsam behandeln und vor allem, ich werde sie von Wasser fern halten.
Sekonda 3017 Chronograph
Oben stelle ich kurz meinen Sekonda Chronograph im Kaliber Poljot 3017 vor. Es ist eine Uhr, wie sie von Aleksei Aleksandrovich Gubarev bei der Soyuz 28 Mission 1978 eingesetzt wurde. Sekonda war und ist eine englische Firma, die Uhren aus aller Welt nach England importiert. Zur Sowjetzeiten auch sowjetische Uhren fast aller Hersteller, die dann die Aufschrift Sekonda trugen. Dieser Sekonda 3017 Chronograph ist deshalb nichts anderes als ein umgetaufter Poljot 3017 Chronograph mit schwarzem Ziffernblatt und Leuchtmasse an Zeigern und Stundenmarken. Sonst gibt’s keinen Unterschied.
Einen schönen Tag noch…………….