1930 wurde in Moskau auf Anordnung Stalins die 1. Staatliche Uhrenfabrik der Sowjetunion, cyrillisch Первый Государственный Часовой Завод – 1ГЧЗ gegründet und ist, was reine Uhrmacherei betrifft, die älteste Uhrenfabrik Russlands. Raketa aus St.Petersburg ist zwar um einiges älter, befasste sich anfangs aber nicht mit dem Bau von Uhren, sondern war eine Art Steinmetzbetrieb, der auch technische Präzisionssteine, zum Beispiel für die Lagerung von Uhrwerken, herstellte. Die ersten Uhrwerke für die eigene Uhrenproduktion bezog Raketa aus Moskau.
Über die in den USA ansässige sowjetische Handelsfirma Amtorg wurde die aufgelassene Uhrenfabrik “Ansonia Clock Company” aus Brooklyn und die Pleite gegangene “Dueber-Hampden Watch Company” aus Ohio aufgekauft und die Fertigungsanlagen in die Sowjetunion verfrachtet, in weiterer Folge halfen 21 Spezialisten der letztgenannten Firma in Russland bei der Einschulung des Personals. Am 20. Dezember 1935 erhielt die Fabrik zu Ehren des Revolutionärs Sergei Mironowitsch Kirow den Namenszusatz Kirow. 1941 mußte die Fabrik wegen der anrückenden Nazi-Armee evakuiert werden, nach dem zurückdrängen der Deutschen feierte sie 1943 als 1. Moskauer Uhrenfabrik oder Первый Московский Часовой Завод – 1МЧЗ ihre Wiederauferstehung. 1947 konnte mit der Fertigung von Armbanduhren der Marke Победа oder Pobeda, zu deutsch Sieg (über Hitlerdeutschland) und von Schiffschronometern sowie Deckuhren wieder eine Zivile Produktion aufgenommen werden. Anlässlich des ersten bemannten Raumfluges von Juri Gagarin bekam die Fabrik den Namen полёт oder Poljot, zu deutsch “Flug”. Seitdem tragen sämtliche Uhren der 1. Moskauer Uhrenfabrik diesen Namen.
Weitere Informationen kann man sich bei Bedarf im Internet zusammengoogeln. Man wird dort, je nach dem, in welcher Sprache man sucht, auf unterschiedliche Informationen stoßen. Uhren, die heute die Aufschrift Poljot oder die heißbegehrte kyrillische Aufschrift полёт tragen, sind entweder alte Lagerbestände, Gebrauchtuhren, oder Uhren neuerer Produktion, die mit der 1. Moskauer Uhrenfabrik mit Ausnahme des Namens so gut wie nichts mehr zu tun haben, auch wenn auf eine jahrzehntelange Tradition hingewiesen wird. Die Restbestände der 1. Moskauer Uhrenfabrik, wie sie in der Sowjetunion gegründet wurde, ging 2004 Pleite. Das einzige originale Überbleibsel dieser berühmten Uhrenfabrik, dem noch eine kurze Gnadenfrist gegönnt war, die Fertigungslinie des Chronographen-Kaliber Poljot 3133, die von den Brüdern Makarov (MakTime) nach der Pleite 2005 gekauft wurde, stellte Ende 2011 die Produktion ein. Damit war Poljot endgültig Geschichte.
Trotz der bewegten Geschichte dieser Firma und der weit verbreiteten Ansicht, bei Poljot Uhren handle es sich um besonders hochwertige Uhren, konnte ich dieser Marke bis auf wenige Ausnahmen nie etwas besonderes abgewinnen. Die wenigen Ausnahmen sind beispielsweise die Wecker Uhren von Poljot, ein paar Automatik-Modelle, natürlich die Chronographen und ein paar frühe Uhren, die vor der Namensänderung gebaut wurden. Die paar Uhren, die ich von dieser Fabrik besitze, möchte ich hier vorstellen.
МОСКВА ЧН-184К
Hier eine Uhr mit dem Namen МОСКВА, zu deutsch Moskau, Model ЧН-184К lt. Uhrenkatalog Sowjetunion 1960 komplett Original.
МОСКВА ЧН-181К
Ein anderes Modell aus dem selben Katalog, ebenfalls komplett Original.
СПОРТИВНЫЕ
Sportivnie Kaliber 2618 mit der in sowjetischen Uhren raren Stoppsekunde, wodurch die in den 50er Jahren angeblich als sportliche Uhr mit der Möglichkeit, Zeit zu stoppen, verkauft wurde. Mit dieser Funktion, englisch auch “Hacking Movement”, lässt sich behelfsmäßig tatsächlich stoppen. Zieht man beispielsweise die Krone, wenn sich der Sekundenzeiger exakt bei der Zwölf befindet und drückt man diese am Beginn des zu stoppenden Ereignisses wieder rein, braucht man sie am Ende nur mehr schnell wieder heraus zu ziehen, und schon kann man die verstrichene Zeit in Sekunden ablesen. Zur Not geht das mit jeder Uhr mit Stoppsekunde. Eigentlich gehört dieser Mechanismus aber zum exakten Einstellen der Zeit. Sportivnie sind eine Spezies, die mit großer Vorsicht zu genießen sind. Unglaublich viele Bastelwastel und Fälschungen befinden sich im Umlauf, bei denen am häufigsten selbstgedruckte Ziffernblätter und falsche Uhrwerke vorzufinden sind.
Кировские – Kirovskie
Kirovskie Kaliber 2408. In Uhrenforen wird diese Uhr ihrer Gehäuseform wegen gerne als “Spider Crab” bezeichnet. Es gibt sie in einigen unterschiedlichen Farben und Farbkombinationen, in schönem Zustand sind sie allerdings schwer zu finden. Lange hat es gedauert, bis mir dieses schöne Stück über den Weg lief. Einige hab ich, vielleicht aus übergroßer Vorsicht, vermisst, andere aus dem selben Grund mit Absicht sausen lassen. Auch bei diesen Modellen ist eine gesunde Vorsicht geboten, weil sie sehr beliebt sind und gute Preise erzielen. Dieses Exemplar schaut nicht nur erstklassig aus, es funktioniert auch erstklassig. Rechts außen ein gleichartiges Modell in einer anderen Farbkombination.
Hier noch eine Kirovskie 2408 wie oben, nur hier mit türkisem Außenring im Ziffernblatt. Die helle Innenfläche ist schon ein wenig verwittert, ich hab sogar den Eindruck, es hat jemand versucht, diese Fläche zu reinigen, was Teile der ursprünglichen Beschriftung ablöste, aber insgesamt ist die Uhr sehr gut erhalten und vor allem, sie läuft sehr gut. Preisgünstig war sie noch dazu.
Hier noch eine Kirovskie im Kaliber 2408, allerdings bin ich mir bei dieser nicht sicher, wie weit die tatsächlich Original ist. Leider läuft sie auch nicht gut.
полёт – Poljot
Poljot Kaliber 2614 mit 17 Lagersteinen und Datum von 1966. Poljot Katalog 1966 Modell 231054
Poljot 2616 Automatik mit Datum
полёт Kaliber 2614-2H
Ich hab ehrlich gesagt nicht die geringste Ahnung, ob es diese Uhr in der Sowjetunion wirklich zu kaufen gab, oder ob die in einer sogenannten Ukrainischen Kellermanufaktur entstand. Sie soll an das 40. Jubiläum zum Sieg im großen Vaterländischen Krieg erinnern. Uhren, die an das Ende und an den Sieg in diesem furchtbaren Krieg erinnern, gab es in der Sowjetunion zahlreich und gibt es auch noch im heutigen Russland. Mit Recht wird an die entsetzlichen Opfer dieses Krieges und an den blutig errungenen Sieg erinnert. Ob diese tatsächlich ein Original ist, vermag ich allerdings nicht zu sagen. Bei meiner langwierigen Suche fand ich nur zwei Stück, die dieser ähnlich oder gleich sind, da diese Uhr aber für den Inlandsmarkt gebaut wurde, kann ich nicht sagen, ob diese hier deswegen echt ist, oder auch die anderen Beiden gefälscht. Die Quellen waren jedenfalls nicht die gleichen. Vielleicht finde ich ja einmal heraus, welche Bewandtnis es mit dieser Uhr hat, oder vielleicht weiß ja jemand Bescheid und kann Auskunft geben. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Poljot 2612Б
Seltsam, von der Firma Poljot gibt es nicht viele Uhren, die mir wirklich gefallen. Irgendwie haben die meisten Uhren von Poljot ein für meinen Geschmack seltsames Design. Ich könnte nicht einmal sagen, was mich genau an ihnen stört, aber so, wie mir zahlreiche Modelle von Raketa ausgesprochen gut gefallen, tun genau das bei Poljot ausgesprochen viele Modelle nicht. Diese hier ist nicht nur eine Ausnahme, sie reizte mich immer ganz besonders. Nur ist sie schwer erhältlich. Ich weiß nicht, wieso, aber zu alte Uhr und Sowjetunion fällt mir punkto Design neben der ОКЕАН immer diese Uhr ein. Dieses markante Ziffernblatt wird immer wieder in zwei unterschiedlichen Gehäusen angeboten, einmal dieses hier und einmal in einem runden Gehäuse. Wie weit das runde Original ist, weiß ich nicht. Dieses Ziffernblatt in diesem viereckigen Gehäuse ist jedenfalls leicht als echt zu verifizieren, weil genau diese Uhr, allerdings in der sowjetischen Inlandsversion als ПОЛЕТ bezeichnet, die Titelseite des Uhrenkataloges von 1972 zierte. Das selbe Ziffernblatt im runden Gehäuse hab ich noch in keinem Katalog gesehen.
Genau mit dem gleichen Uhrwerk ist dieses Modell ausgestattet. Sie war zwar auf keinem Titelblatt, kurioserweise war sie aber im Katalog genau neben der oben gezeigten abgebildet. Auch sie gehört zu den Uhr Typen von Poljot, die mir gefallen, ohne sagen zu können, wieso.
Auch diese Uhr kam, wie die beiden oben, aus Omsk angereist. Es handelt sich hier um eine Poljot 2609H aus der Zeit um 1977, wie die Abbildung aus dem Katalog dieses Jahres zeigt. Dafür, dass sie 40 Jahre alt ist, befindet sie sich in einem nahezu makellosem Zustand. Wie die beiden oberen Uhren gehört auch sie zu den, zumindest in meinen Augen, schönsten Uhren, die Poljot je baute. Diese Uhren haben einen Scharm, den man mit Worten nicht beschreiben kann.
Poljot de Luxe Kaliber 2416 Automatik mit 29 Lagersteinen
Servus, danke für den Beitrag. Ist sehr Interessant! Grüße aus Bayern
Kommentar by Margery Berthelette — 26. Januar 2023 @ 17:48