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7. Oktober 2015

Uhren aus Moskau 1мчз – Pobeda Red 12 und Rodina

Filed under: СДЕЛАНО В CCCР - Made in USSR — Benzin @ 18:50

Hier stelle ich heute zwei “Legenden” aus der 1. Moskauer Uhrenfabrik vor. Zur Legende, oder eigentlich zu einer Art Kult, wurden sie aus unterschiedlichen Gründen.

Pobeda Red 12

Die Pobeda, in kyrillisch Победа geschrieben, was zu deutsch Sieg bedeutet und sich auf den Sieg über Hitlerdeutschland bezieht, wurde offenbar nur durch ihre rote 12 und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erst nach dem Ende der Sowjetunion, und selbstverständlich nur unter Uhrensammlern und Liebhabern, zur Legende. Ich hab keine Ahnung, was genau Sammler und Uhrenliebhaber dazu veranlasste, diese Uhr in eine Art Kultstatus zu erheben. Vermutlich liegt es an einer Kombination mehrerer Faktoren. Uhren mit dem Namen Pobeda wurden in verschiedenen Uhrfabriken der Sowjetunion erzeugt, Uhren mit einer roten 12 waren nach dem Ende des zweiten my_ruskie_blog_pobeda_1mchz_red12_001Weltkrieges in der Sowjetunion keine Seltenheit und Uhren mit einer roten 12 werden selbst heute noch, oder wieder, in Peterhof bei Raketa gebaut. Sogar unter dem alten Namen Pobeda. Zum echten Kultstatus hat es aber offenbar, so wie ich das sehe, nur die Pobeda der Baujahre Ende 40er, Anfang 50er Jahre aus der ersten Moskauer Uhrenfabrik gebracht. Aber irgendwie beliebt sind sie alle, egal wann und wo sie gebaut wurden. Und um genau zu sein, Uhren mit einer roten Zwölf wurden und werden weltweit fast so lange gebaut, so lange Armbanduhren gebaut werden. Ob es auch schon Taschenuhren mit einer roten Zwölf gab, ist mir unbekannt.  Links und rechts unten: Version aus der 1.Moskauer Uhrenfabrik Bj. April-Juni 1950

Schauen wir uns die Uhr einmal genauer an. Mit einem Durchmesser von ungefähr 33mm, mitsamt der Krone gemessen, handelt es sich hier um eine für heutige Maßstäbe sehr kleine Uhr. Man würde diese Uhrengröße heute vielleicht als Kinder- oder Jugenduhr handeln. Oder auch eher nicht, weil man damit weder telefonieren, noch SMS verschicken, noch im Internet surfen kann. Man wird sich bei dieser Uhr mit der Auswahl eines Uhrbandes etwas schwer tun, weil sie keine Federstege besitzt. Wobei spätere Modelle so ab Anfang der 50er Jahre Federstege besitzen. Meine, produziert im zweiten Quartal 1950, also irgendwann im April, Mai oder Juni, besitzt diese Erleichterung noch nicht, was wiederum heißt, man my_ruskie_blog_pobeda_1mchz_red12_002braucht ein Uhrband, dass man unten durch fädeln kann. Oder eines, das jeweils am Uhrenende offen ist und erst nachträglich irgendwie geschlossen werden kann.

Das Gehäuse ist, wie bei den meisten alten sowjetischen Uhren, verchromtes Messing, das Uhrwerk wird durch einen Drückdeckel ohne Aufschrift oder Seriennummer geschützt. Diese Deckel können verchromt sein, oder auch aus rostfreiem Stahl. Angeblich zumindest. Bei verchromten Deckeln ist es besser, wenn das Uhrband eine lederne Unterlage besitzt, denn durch Schweißabsonderungen der Haut wird das Chrom angegriffen.

Wassergeschützt oder gar wasserdicht wäre Wunschdenken. Ein Blick unter den Drückdeckel, der sich leicht mit Hilfe eines Taschenmessers herunter hebeln lässt, lässt einen allerdings staunen. Mir, einem Laien, der sich mit der Technik der Uhrwerke nicht wirklich beschäftigt, der aber Uhren grade aus dem ehemaligen Sowjetreich liebt und schätzen gelernt hat, entlockte der Blick auf das Werk doch ein erstauntes “Jö, ist das schön!” Es ist ja nicht so, dass ich noch nie ein Uhrwerk gesehen hätte. Es ist auch nicht so, dass ich noch nie ein Uhrwerk mit Genfer streifen gesehen hätte. In den alten Kama Uhren aus Chistopol sind ebenfalls Werke mit Genfer Streifen verbaut. Ich finde den Anblick solcherart verzierter Uhrwerke aber immer wieder wunderschön.

Im Gegensatz zu den Kama Uhren aus Chistopol besitzt dieses Pobeda Werk aus Moskau allerdings keine Stoßsicherung. Grade ein Blick auf diese frühen Uhrwerke, und dann zum Vergleich ein Blick auf modernere, neuere Uhrwerke aus den 70er und 80er Jahren, lässt einen die my_ruskie_blog_vostok_red12_3_53_001“Evolution” in der sowjetischen Uhrenproduktion erkennen. Technisch wurden die Werke natürlich weiter entwickelt und wurden, vielleicht, auch wirklich immer zuverlässiger und genauer. Von der Verarbeitung her gesehen kann man diese Evolution aber nur neumodisch als "downgrading" bezeichnen. Links und rechts unten: Red 12 aus Chistopol Bj. Juli-Sept. 1953

Sind die Uhrwerke aus den 40er, 50er und Anfang der 60er Jahre noch mit Genfer Streifen und/oder Vergoldungen und manchmal mit Sternchen oder Aufschriften am Aufzugsrad (in diesem Fall  Победа) schick verziert ausgeführt, verbirgt sich unter den Motorhauben späterer Jahre meist ein unverziertes, wenn nicht sogar ein recht grobschlächtig aussehendes Uhrwerk. Was die Funktionalität dieser Werke keineswegs beeinträchtigt und auch nicht aus Gründen der my_ruskie_blog_vostok_red12_3_53_002Profitmaximierung hervorgerufen wurde. Es ging wohl darum, Arbeitsgänge einzusparen und den Produktionsausstoß zu erhöhen. Erstens konnten im Sowjetreich nie genug Uhren produziert werden, und zweitens, wer schaut schon unter den Deckel? Also ließ man den ganzen Schnick Schnack mit der Zeit einfach weg.

Auch ein genauerer Blick auf die Zeiger dieser Uhr zahlt sich aus! Wie die Kunstschmiedearbeiten an den Gartenzäunen meines Vaters kommen mir die Zeiger dieser Uhr vor, nur halt als Miniaturarbeit. Sogar ein Bündchen wurde um jeden Zeiger geschmiedet, oder wie immer das gemacht wurde. Es fällt mir immer wieder auf, wie kunstvoll die alten Uhren verziert wurden, wie kunstvoll alte Autos und Motorräder gefertigt wurden, und wie “clean” und “streamlined”, um es in modernem Fach-chinesisch auszudrücken, heutige Produkte sind, egal ob es sich um Uhren, Autos, Motorräder oder Kühlschränke handelt. Wobei man “streamlined” ja auch als “fortschrittlich gestaltet” übersetzen kann. Ich weiß nicht, was ich von dieser heutigen ach so fortschrittlichen Gestaltung halten soll. Das schaut alles immer einfallsloser aus. Hässlicher. Kommunismus hin, Planwirtschaft her, beim Anblick dieser alten Zeiger scheint es mir, als wären da Leute mit Geschmack, Künstler, am Werk gewesen. Vielleicht machte die Summe solcher Kleinigkeiten diese Uhr zu einem Kultgegenstand? Denkbar wäre es.

Rodina Automatik

my_ruskie_blog_rodina_auto_001Auch die Rodina, kyrillisch РОДИНА, zu deutsch Heimatland, ist in vielen Details kunstvoll gefertigt. Das Ziffernblatt beispielsweise ist ein Augenschmaus, finde ich. Besonders zweckmäßig mag es nach heutigen Gesichtspunkten allerdings nicht wirklich sein. Leuchtziffern oder Zeiger my_ruskie_blog_kirovskie_rodina_auto_004sucht man an diesem Modell vergebens. Es wurden aber auch welche mit leuchtenden Ziffern und Zeiger gebaut. Ob früher, später oder zeitgleich mit meiner, ist mir unbekannt. Die Ziffernblattbeschriftung lautet РОДИНА (RODINA) 22 КАМНЯ (STEINE) 1МЦЗ им КИРОВА (Erste Moskauer Uhrenfabrik Kirowa), Сделано в СССР (Made in USSR). Das Gehäuse und vor allem die Hörner, an denen die (18mm) Uhrbänder mittels Federstegen befestigt werden, sind sehr gefällig gestaltet. Diese Kleinigkeiten würde diese Uhr aber noch zu keiner Besonderheit machen. Eine Besonderheit wird sie aus dem Umstand, dass die Rodina die erste automatische Uhr sowjetischer Produktion war. Sie wurde von ungefähr 1956 bis in die Anfänge der 60er Jahre als Rodina gebaut und nach der Umbenennung des Werkes in Poljot als Automatik Kaliber 2415A weiter geführt. Während ihrer rund 15 jährigen Bauzeit wurde sie in den unterschiedlichsten Ausführungen als Inlands- wie auch als Exportuhr ausgeliefert, als zweifellos exklusivste Variante laut Mark Gordons Beitrag in einem Uhren-Forum aus massivem Gold. Bild rechts: Eine weitere, gleichartige Rodina Automatik mit weit weniger verwittertem Ziffernblatt.

Ihr Werk besitzt eine Stoßsicherung und 22 Lagersteine, der beidseitig aufziehende Rotor wurde, so zumindest meine ich das gelesen zu haben, mehr oder weniger einfach drauf gesetzt und kann abgenommen werden, was die Funktion in keiner Weise beeinträchtigt, weil sie dann eben als Handaufzugsuhr betrieben wird.my_ruskie_blog_rodina_auto_002

Diese Uhr ist, trotzdem auch sie aus den 50er Jahren stammt, um einiges größer als die oben gezeigte Pobeda. Ihr Durchmesser beträgt über die Krone gemessen ungefähr 38mm, sie ist auch, bedingt durch den bauchigen Deckel, der den Aufzugsrotor aufnehmen muß, dicker. Trotzdem handelt es sich hiermit noch immer um eine sehr handliche und angenehm zu tragende Uhr. Gar kein Vergleich mit den heutigen Ungetümen. Der Deckel trägt drei Aufschriften, die Mittlere davon heißt АВТОПОДЗАВОД, also Selbstaufzug, die restlichen beiden Aufschriften ПЫЛЕВЛАГОЗАЩИТА (STAUBGESCHÜTZT) und БАЛАНС АМОРТИ-ЗИРОВАННЫЙ (UNRUH STOSSGESICHERT).

my_ruskie_blog_rodina_auto_003Nimmt man den Rückdeckel ab, fällt sofort der mit Genfer Streifen verzierte Aufzugsrotor auf, der die Aufschrift 22 КАМНЯ trägt, also 22 Steine. Auffällig ist auch noch die vergoldete Unruhe und ein weiteres, vergoldetes Zahnrädchen. Fragt mich bitte nicht, wozu das gut ist, aber vergoldet schaut jedenfalls gut aus, und genau darum hab ich auf meiner schwarzen FZR auch güldene Titanschrauben verbaut. Frauen schmückt man ja auch mit Gold.

Meine Uhr kam mit einem sehr schmucken, hellbraunem Lederband, trägt sich sehr angenehm und geht auch recht genau. Wasserdicht wird sie genau so wenig sein wie alle ihre sowjetischen Art- und Zeitgenossen. Ich würde sie nicht einmal bei Regen tragen, wenn ich ehrlich bin. Es wäre einfach zu schade um diese schöne, alte Uhr.

HIER ist die Evolutionsgeschichte des Pobeda Red 12 Uhrwerkes in Wort und Bild gut beschrieben.

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