In der 1. Moskauer Uhrenfabrik wurden von 1930 bis zur Pleite im Jahre 2004 Uhren hergestellt. Zu Ehren des ersten Weltraumfluges von Juri Gagarin bekam sie 1964 den Namen полёт, im Westen besser als Poljot bekannt, was zu deutsch “Der Flug” bedeutet. Die erste Uhr mit dem Namen Poljot verließ hingegen schon 1961 die 1. Moskauer Uhrenfabrik. Die bekanntesten Poljot Uhren dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit die Stoppuhren mit blumigen Namen wie Sturmanskie, Okeah und wie sie alle hießen sein. Nicht weniger bekannt wurden die Armbandwecker dieser Firma, und genau um diese geht es hier.
Die Weckeruhren von Poljot waren mir persönlich besser bekannt als die Stoppuhren, weil ich mir aus Stoppuhren einfach nichts mache. Oder nichts mehr mache. Ich hatte ein paar, wusste aber mit der Zeit nicht mehr, was ich damit machen könnte. Was stoppt man den so im täglichen Leben? Weniger war es die für mich persönlich sinnlose Funktion, die mich bewog, mich von dieser Art Uhren abzuwenden als das wesentlich höhere Gewicht und noch mehr die Größe dieser Uhren. Ich rede da noch von Uhren aus dem rein mechanischen Zeitalter. Heute scheinen diese ja ein Luxusartikel geworden zu sein, aber früher, in meiner Jugend, hatte jedes Kind eine mechanische Uhr. Es gab ja nichts anderes. Heute sind viele normale Armbanduhren so groß und so schwer, dass die alten mechanischen Chronographen wie Kinderspielzeuge dagegen wirken. Es ist wie im Autobau, oder wie fast überall. Gigantomanie hielt überall Einzug.
Auf den ersten Blick scheinen Armbandwecker recht sinnvoll zu sein. Wer hat sich noch nicht gewünscht, jederzeit ein einfaches Instrument zur Hand zu haben, dass ihn auf Termine oder sonstige wichtige oder unwichtige Zeitpunkte aufmerksam macht? Klar, heute alles kein Problem. Das wird alles vom Mobiltelefon erledigt. Oder noch besser vom Taschencomputer, der gleichzeitig auch daheim die Fenster schließt, die Standheizung des Autos einschaltet, den Reiseweg berechnet und navigiert und den Kaffee kocht. Das gab’s aber vor gar nicht so langen Jahren alles noch nicht für jeden, und vor fünfzig oder sechzig Jahren für gar keinen. Aber Armbandwecker von Poljot, die gab es auch damals schon.
Ich beziehe mich hier nicht auf die ganz alten, verschnörkelten Dinger der 60er Jahre, die noch wirklich laut gebimmelt haben sollen. Die wurden bereits 1959 entwickelt und kamen unter dem Namen Signal auf den Markt. Sie sind zwar in gut erhaltenem Zustand auch heute noch schön anzuschauen, Liebhaberei hat ja auch etwas mit der Schönheit der Liebschaft zu tun, aber erstens kenn ich mich da viel zu wenig aus und zweiten, das hat mit erstens zu tun, sind mir da zu viele Fälschungen, man kann sie etwas freundlicher auch als Eigenkreationen diverser Kellermanufakturen bezeichnen, im Umlauf. Die hier gezeigten Uhren stammen aus den 70er und 80er Jahren, die letzte ganz links unten ist eine moderne Poljot, die ich neu kaufte.
Grundsätzlich besitzen alle diese Uhren ihre Gemeinsamkeiten. Die Werke sind entweder die alten 2612 oder die verbesserten 2612.1 mit 18 Lagersteinen, sie alle haben zwei Kronen und vier Zeiger. Die obere Krone dient zum Aufziehen des Läutwerkes und zum Einstellen der Weckzeit. Man braucht nur die obere Krone heraus ziehen, und schon kann man die Weckzeit einstellen. Der Zeiger, der die Weckzeit anzeigt, lässt sich nur gegen den Uhrzeigersinn verdrehen, was den Sinn hat, dass es, falls man irrtümlich noch einmal aus welchem Grund auch immer diese Einstellkrone verdrehen sollte, höchstens zu früh läutet, aber nicht zu spät. Das ist wie bei den Lünetten von Taucheruhren. Auch die kann man nur gegen den Uhrzeigersinn verdrehen und somit höchstens zu früh auftauchen, aber nicht zu spät. Die zweite, untere Krone dient wie bei jeder mechanischen Uhr zum Aufziehen und Einstellen der Uhr.
Jetzt stellt sich vielleicht noch die Frage, wie praxisbezogen funktioniert das? Wie genau lässt sich die Weckzeit einstellen? Die lässt sich auf rund 5 Minuten genau einstellen, wenn man etwas Übung hat. Wie laut bimmelt das? Nun ja, ich weiß nicht recht. Zuerst einmal, das ist kein Bimmeln, sondern ein Schnarren. Es hört sich ziemlich genau so an wie die Mäuse oder Autos aus meiner Kindheit, die man aufziehen konnte. Sofern man aufmerksam drauf wartet, fällt dieses Schnarren durchaus auf. Ich hab auch schon probiert, ob ich von dieser Uhr geweckt werde. Es kann natürlich sein, dass ich genau an diesem Tag sehr gut geschlafen hab. Es kann auch sein, dass ich heute mit 55 nicht mehr ganz so gut höre wie früher. Es kann aber auch sein, dass dieses Schnarren einfach zu leise ist, um einen einigermaßen gut schlafenden Menschen zu wecken. Bei mir hatte die Uhr, die ich probierte, keine Chance. Dabei war es die Uhr, die mir persönlich subjektiv am lautesten vor kommt. Das Weckgeräusch dauert bei voll aufgezogener Feder 10 Sekunden.
Links eine EXACTA Poljot. Angeblich soll EXACTA eine dänische Vertriebsgesellschaft gewesen sein, die sowjetische Uhren in Dänemark und Skandinavien vertrieb. In der Mitte ein Poljot Wecker mit blauem Ziffernblatt und rotem Kreis. Die hab ich recht günstig bekommen, dafür war der Sekundenzeiger abgefallen, als ich sie erhielt. Mein Uhrmacher meinte dann noch, das Uhrglas passe auch nicht wirklich, also ließ ich auch das durch ein neues ersetzen. Trotz allem war sie noch immer günstiger als die meisten anderen Wecker. Dafür hab ich ihr auch ein schönes, originales Sowjet Sthlband verpasst. Sie geht sehr genau, wie alle meine Poljot Wecker. Rechts die selbe Uhr mit kyrillischer Beschriftung für den russischen Markt und daneben eine vergoldete Version der Uhr mit arabischen Ziffern.
Die alten Wecker Uhren, so liest man zumindest, sollen wesentlich lauter gewesen sein sollen als die neueren Modelle. Die neueren Modelle haben am Bodendeckel einen Stift – oder ist es ein Rohr? – aufgelötet, an dem der Klöppel schlägt und so das Läuten produzieren soll. Dieser Stift, oder das Röhrchen, ragt direkt in den Maschinenraum, der als Resonanzraum dient. Bei den alten Uhren gab’s einen doppelten Boden, der als Resonanzraum diente, und das soll, so kann man nachlesen, wesentlich effizienter gewesen sein. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Ich fürchte, auch die älteren Modelle könnten mich nicht wecken, wenn ich gut schlafe.
Also welchen Sinn hat dann so ein Armbandwecker, wenn er kaum in der Lage ist, den Träger zu wecken? Ich fürchte, es ist der gleiche Sinn, den eine Mondphasenuhr oder eine Stoppuhr besitzt. Was man hat, das hat man. Gut ausschauen tun sie auf jeden Fall, und manchmal sorgt so eine Uhr auch für unverhofften Gesprächsstoff. Die Verarbeitung dieser Uhren ist sehr gut, ihre Gangwerte bei korrekter Justierung ebenfalls. Es sind gute, zuverlässige Uhren.
Übrigens, Poljot steht nur auf den Uhren drauf, die aus der Sowjetunion exportiert wurden. Die Uhren für den Inlandsmarkt trugen die kyrillische Bezeichnung полёт. Wer eine Poljot, ober überhaupt eine sowjetische Uhr besitzt, deren Gehäuse und Zifferblatt kyrillisch und lateinisch respektive englische Worte trägt, befindet sich mit Gewissheit im Besitz eines Bastel Wastel, der aus Teilen unterschiedlicher Uhren zusammengeschraubt wurde. Das muß deswegen keine schlecht funktionierende Uhr sein, nur Original ist die mit Sicherheit nicht. Oder kann sich jemand vorstellen, dass man in der ehemaligen Sowjetunion bei den Bürgern voraussetzte, dass die englisch können?
Die oben gezeigte blaue Cornavin ist eine reinrassige Poljot, die für eine Schweizer Firma hergestellt und mit deren Namen versehen wurde. Cornavin hat, so liest man, von allen möglichen Herstellern Uhren unter diesem Namen bauen lassen, eine Zeit lang auch von sowjetischen Herstellern. Die aus der Sowjetunion stammenden Uhren sind, so weit mir bekannt, alle mit dem Schwertfisch am Zifferblatt versehen.
Links ein Wecker mit weißem Ziffernblatt und silberfarbenen Markierungen, in der Mitte ein Wecker für den sowjetischen Markt und rechts eine Sekonda, das war ein Poljot Wecker für den englischen Markt. Sekonda war eine Firma, die Uhren von Poljot oder Raketa unter eigenem Namen in Europa, hauptsächlich aber in Großbritanien, vertrieben hat. Heute hat diese Firma keine Verbindungen mehr zur russischen Uhrenindustrie.
Diese Uhr hat eine Reise von über 5000km hinter sich. Nicht nur die Uhr ist hübsch und funkioniert gut, auch die Verpackung war wunderschön. Der Absender beherrschte noch eine Kunst, die heute selten zu finden ist. Packpapier, schön eingeschlagen, von einer verknüpften Schnur zusammengehalten und dann auch noch die Enden mit Wachs versiegelt. Es kommt selten vor, dass man sich über die Verpackung genau so freut wie über den Inhalt.
Die Uhr links hatte ich schlicht und einfach noch nicht, die Uhr rechts hingegen schon. Das Gehäuse ist hier allerdings in einer geringfügig andere, ältere Ausführung. Diese hier hat, für meinen Geschmack zumindest, etwas besonderes an sich. Sie wurde, so wie sie ist, also Uhr mit Band, offenbar über viele Jahre, vielleicht seit dem Kauf irgendwann in den 70er Jahren, getragen und täglich aufgezogen. Darauf weisen die stark abgenützten Kronen hin. Die Uhr ist weder verschlissen, noch beschädigt und läuft ausgezeichnet. Sie trägt allerdings die Spuren eines lagen, vielleicht sogar aufregenden Lebens, in dem sie wirklich gebraucht wurde und nicht nur herum lag, und deshalb hab ich sie gekauft. Ich würde zu gerne wissen, was sie schon alles erlebt hat. Rechts sind zwei Poljot/Sekonda für den britischen Markt zu sehen.
Wen interessiert, wie so ein Wecker Uhrwerk von Poljot ausschaut und aufgebaut ist, HIER gibt’s einen Haufen Fotos und Erklärungen zur Restauration so eines Maschinchens.
Und wie’s so ist im Leben, sind zwei neue Weckeruhren dazu gekommen. Einmal eine wunderschöne, vergoldete Version mit dem neueren 2612.1 Werk, die ich schon immer haben wollte, die mir aber entweder in unschönem Zustand über den Weg lief oder durch die Lappen ging. Aber einmal klappt es immer, und jetzt ist es soweit. Genau so eine war auch die erste dieser Art, die ich je gesehen hatte. Seitdem ließ mir diese Uhr keine Ruhe mehr, bis ich sie endlich hatte. Und wie’s der Teufel haben will, lief mir kurz vorher auch noch ein Bündel originaler (hoffe ich wenigstens) sowjetischer Uhrbänder aus Stahl über den Weg, wo ich natürlich auch nicht nein sagen konnte, zumal auch sehr schöne, vergoldete Bänder dabei waren. Eines dieser güldenen Bänder montierte ich umgehend auf die bandlos gekaufte Weckeruhr, und ich finde, sie macht sich prächtig!
Der zweite Streich ließ mir noch vor dem Kauf die Haare noch etwas grauer werden. “Ist die wirklich original?”, fragte ich mich ständig. Es wird wohl so sein. Alles deutet drauf hin. Ihr Zustand ist gebraucht, aber nicht verschlissen, insgesamt erscheint alles gleichmäßig gealtert und stimmig zu sein. Es handelt sich dabei nicht um eine Poljot, sondern um ein Vorgängermodell aus der Zeit, als die zweite Moskauer Uhrenfabrik noch nicht Poljot hieß. Diese Uhr wurde noch als “Signal”, kyrillisch СИГНАЛ, bezeichnet, enthielt das alte Kaliber 2612 und besaß noch den doppelten Boden, der, soweit ich las, wesentlich lauter bimmeln sollte als die neueren Weckeruhren mit einfachem Boden. Jetzt kann ich das ja beurteilen und stelle fest, JA, das Ding ist wirklich wesentlich lauter!
Die beiden linken Uhren kamen im Doppelpack aus Omsk angereist und sind in sehr gutem Zustand. Die grüne Schönheit rechts kannte ich schon länger und stammt aus der Ukraine. Monate vor dem Kauf hatte ich dem Verkäufer schon einmal einen Preisvorschlag übermittelt, wir konnten uns aber nicht einigen. Schlußendlich kam das Geschäft doch zustande und nun ist dieses Prachtstück (neuwertiger Zustand!) Teil meiner kleinen Sammlung. Manchmal brauchts halt einfach etwas Geduld und Glück, um Recht zu werden.
Erst vor kurzem hab ich die grüne Poljot Alarm vorgestellt. Inzwischen ist mir auch noch eine genau so wunderschön erhaltene Cornavin Alarm in grün über den Weg gelaufen, wo ich nicht nein sagen konnte. Unter dem Namen Cornavin, wie auch unter ein paar anderen Namen, wurden Uhren aus der Sowjetunion in den Westen exportiert. Ich finde dieses grüne Gespann einfach toll. Noch dazu jetzt, wo wir auch noch einen grünen Bundespräsidenten haben. Meine Güte.
Diese Uhr besaß neben dem extra langen und verschnörkelten Einstellzeiger für die Weckzeit auch noch rote Zahlen am Außenrand des Zifferblattes, um die Weckzeit noch genauer einstellen zu können. Diese roten Zahlen sind bei meiner Uhr allerdings schon so weit verblasst, dass man sie nur mehr mit einem Vergrößerungsglas oder auf einer Makroaufnahme erkennen kann. Mit bloßem Auge sind diese Markierungen für mich trotz Brille kaum mehr sichtbar. Spielt aber keine Rolle, denn wäre auch dies alles noch wie neuwertig, wäre ich wahrscheinlich noch etwas mehr über die Originalität dieser Uhr verunsichert gewesen. So scheint mir das plausibel zu sein. Als Hilfestellung im Dunkeln sind an der 3, 6, 9 und 12 Leuchtpunkte angebracht, der Minuten- und Sekundenzeiger besitzen ebenfalls eingelegte Leuchtmasse zur Orientierung. Entweder blieb die Leuchtfähigkeit der Zeiger erhalten, oder sie wurden neu beschichtet, ich weiß es nicht, jedenfalls leuchten sie, sofern man sie vorher unter eine Lampe hält, nach dem abdrehen des Lichtes wunderbar und hell. Ja, sogar ohne abdrehen des Lichtes sieht man sie leuchten. Die Leuchtmasse der Punkte am Ziffernblatt ist hingegen tot. Da tut sich nichts mehr. Neben dem Erscheinungsbild ist auch die Ganggenauigkeit recht erfreulich. Für den Alltag reicht das bei weitem. Der Wecker hingegen lässt sich, so das Ergebnis meiner ersten Versuche, nicht wirklich präzise einstellen. Spielt aber auch nicht wirklich die große Rolle. Ich werde diese Uhren kaum je bei wichtigen Terminen als Wecker benützen, das steht fest. Meine Freude über die beiden Neuzugänge ist jedenfalls groß.
Hallo Benzin,
schön eine so informative Seite über die Poljot Weckeruhren zu finden ! Ich habe aus einer Laune heraus eine solche Uhr bei ebay kleinanzeigen erstanden. So wirklich gut hat sie mir auf den Bildern gar nicht gefallen, wollte sie eher wegen der Technik des Weckers haben, hat mich einfach interessiert. Als ich sie dann bekommen habe und auspackte war ich platt – sie war viel schöner als erwartet. Setdem gefällt sie mir jeden Tag besser, erst war sie mir zu klein, jetzt finde ich sie gerade wegen der „normalen“ Größe prima.
Meine sieht so aus wie diese:
http://www.ge-board.de/hannes/wp/wp-content/uploads/2015/09/my_ruskie_blog_poljot_alarm_21.jpg
Sie soll ca 40 Jahre alt sein, ist komplett kyrillisch beschriftet und sieht aus wie neu. Letzteres hat mich allerdings auch immer zweifeln lassen ob sie nicht nachgemacht/gefälscht sein könnte, im Netz habe ich allerdings keine Hinweise darauf gefunden – ist ja auch keine R***x 😉
Kann man hier eigentlich auch eigene Bilder hochladen ?.
Nochmal danke: Schöner Bericht der mir wirklich weitergeholfen hat!
Gruß,
Markus
Kommentar by Makus — 10. Juni 2018 @ 19:56
Servus Markus
Ja, es gibt gefälschte sowjetische oder russische Weckeruhren. Das sind aber meistens Feinheiten, die wirklich nur Sammler interessieren. Die Funktion wird selten beeinträchtigt. Krude Dinger sind in meinen Augen Messerschmitt oder Heinkel Flugzeuge auf dem Ziffernblatt sowjetischer Uhren, aber ich glaub, wer zur Schule gegangen ist, wird auf sowas eher nicht hineinfallen. Ansonsten sind diese Uhren sehr funktionell und zuverlässig.
Ich wünsch Dir viel Freude mit deiner kleinen Russin.
Grüße Hannes
Ps: Ein Außenstehender kann hier keine Bilder hochladen.
Kommentar by Benzin — 11. Juni 2018 @ 17:30