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13. Oktober 2015

Uhren aus St.Petersburg – Raketa Big Zero

Filed under: СДЕЛАНО В CCCР - Made in USSR — Benzin @ 13:57

Viele sowjetische Uhren sind eng mit Legenden verbunden. Legendäre Ereignisse wie zum Beispiel den sogenannte “Salzwassergipfel” vor Malta, der eine Sonderedition von Slava hervor brachte, oder legendäre Aussagen, von denen man nicht weiß, ob sie wahr oder doch nur Legende sind. Von so einer Legende und der damit verbundenen Uhr handelt dieser Beitrag.

my_ruskie_blog_raketa_2609_407Bei einem Italienbesuch wurde der Vorsitzende des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Sergejewitsch Gorbatschow, angeblich gefragt, was genau er den mit dem Ausdruck “Perestroika” in Verbindung mit politischen Reformen in der Sowjetunion meine? Darauf habe Gorbatschow auf seine Raketa Uhr gezeigt und  geantwortet, “Perestroika heißt, dass Russland wieder bei Null beginnt!” Es hatte einen Grund, warum Michail Gorbatschow in dieser Legende auf seine Armbanduhr zeigt, den diese Uhr hat keine 12 an oberster Stelle, sondern eine große Null. Jede Stunde beginnt und endet bei Null, und nicht bei 12. Mit dieser Geschichte wurde wohl die Legende der Raketa “Big Zero” geboren.my_ruskie_blog_raketa_2609_409

Ehrlich gesagt hab ich noch kein Foto gesehen, das Michail Gorbatschow mit einer Big Zero zeigt. Es gibt Fotos, die Gorbatschow mit Uhren von Poljot, Slava oder Vostok zeigen, mir ist allerdings keines bekannt, auf dem er mit einer Raketa zu sehen wäre. Möglicherweise entstand diese Legende weniger bei einem Staatsbesuch in Italien, als in der Propaganda Abteilung einer Uhrenfabrik bei St.Petersburg. Was der Attraktivität dieser Raketa allerdings keineswegs schadet. Diese Uhr hat längst ihren Weg in die Herzen zahlloser Menschen gefunden, aus welchen Gründen auch immer.

my_ruskie_blog_raketa_2609_410Der Grund für die Null statt der Zwölf ist mir unbekannt. Es dürfte sich dabei einfach um eine Modeerscheinung gehandelt haben. Planwirtschaft hin, Mangelwirtschaft her, Mode spielte auch in der Sowjetunion keine kleine Rolle. Menschen mögen modische Sachen, was immer auch Mode bedeuten mag, und wer immer sie auch vorgibt. Die Big Zero dürfte neben Mode auch noch einen ganz anderen Entstehungsgrund gehabt haben. Weniger, was die große Null betrifft, sondern was die Gestaltung des Ziffernblattes generell betrifft. Bei dieser Uhr sind nicht nur die 0 sowie die 3, 6 und 9 extrem groß ausgebildet, sondern auch die Stundenmarken dazwischen, was darauf hindeuten könnte, dass es sich hier um eine speziell für Menschen mit einer Sehschwäche gestaltete Uhr handelt. Selbst wenn man nicht mehr so gut sieht, lässt sich diese Uhr wunderbar ablesen.my_ruskie_blog_raketa_2609_410_2

Es gibt diese Uhr, soweit mir bekannt ist, in zwei Größen. Da wäre die Standard Big Zero und die sogenannte Mini. Bei der “Normalgröße” handelt es sich mit einem Durchmesser von rund 41mm allerdings um eine ziemlich große Uhr. Die Mini ist mit rund 36mm Durchmesser am Handgelenk doch um einiges zierlicher. Wobei zierlich relativ ist. Gegen eine Pobeda von 1950 ist auch die Mini Zero groß. Auch die Größe von Uhren unterliegt Modeströmungen. Momentan zum Beispiel, im Jahre 2015, befinden wir uns in fast jeder Hinsicht, größenmäßig gesehen,  im Zeitalter der Saurier.

my_ruskie_blog_raketa_2609_410_4Bei meiner neuesten Big Zero hatte ich mich mit den Proportionen total verschätzt. Schon beim Kauf wusste ich, mit welchem Uhrband ich sie ausstatten wollte. Ein Stahlgliederband mit geprägten Faltschließe, die die Aufschrift “LENINGRAD” und die beiden gekreuzten Anker aus dem Wappen von St.Petersburg trägt. Eine Uhr aus Leningrad mit diesem Band, das wäre doch was? Dachte ich.

Als die Uhr ankam, was meine erste Tat, dass ich dieses Uhrband montierte. Abgesehen davon, dass es trotz der Größe dieser Uhr sehr eng am Arm lag, war ich recht zufrieden und trug sie freudig  gleich den ganzen Tag. Jedoch, je länger ich diese Uhr trug, je öfters ich ihr bei der Arbeit zuschaute, desto unstimmiger schien mir das Verhältnis von Uhr und Uhrband zu sein. Obwohl sich an der Breite von 18mm im Verlauf des Tages nichts änderte, kam es mir doch immer schmäler und, um ehrlich zu sein, komischer vor. So eine große Uhr und so ein schmales Band, das passte irgendwie nicht zusammen. Sobald ich wieder zu Hause war, montierte ich das Band ab, legte mir ein paar andere Uhrbänder aus der Sowjetzeit zurecht und wählte ein passenderes aus. Jetzt bin ich zufrieden.my_ruskie_blog_raketa_2609_411

my_ruskie_blog_raketa_2609_412Die meisten Big Zero dürften ein Uhrwerk des Kaliber Raketa 2609 нд beinhalten, der letzten Entwicklungsstufe der 2609 Serie. Die Raketa Werke 2609 (26 =26mm Durchmesser, 09 heißt Zentralsekunde) sind in allen Variationen als sehr gut und zuverlässig bekannt, das 2609НД soll sich sogar recht einfach auf Chronometer Niveau regulieren lassen.

Meine hier gezeigte, weiße Big Zero trägt zwei Besonderheiten. Zum einen trägt sie das fünfeckige sowjetische Qualitätsiegel, das anscheinend auf besonders ausgesuchte Qualität hinweisen sollte. Dieses Gütesiegel wurde in zahlreichen Foren diskutiert, aber ich hab noch nie gelesen, dass jemals jemand  einen Unterschied zwischen Uhren mit und ohne Gütesigel festgestellt hätte. Vielleicht war dieses Siegel ähnlich gemeint wie bei uns das Bio Siegel. Bio Müsli, Bio Gemüse, Bio Eier, Bio Hazard. Alles, was besonders gut und gesund erscheinen soll, wird mit Bio bezeichnet, und schon kann man es teurer verkaufen. Es funktioniert.my_ruskie_blog_raketa_2609_413

my_ruskie_blog_raketa_2609_414Zum anderen trägt sie die englische Markenbezeichnung RAKETA in Verbindung mit der kyrillischen Aufschrift „Сделано в CCCP“, was im Regelfall auf eine Fälschung oder zumindest auf eine Bastelarbeit einer Kellermanufaktur hindeutet. In Kombination mit der lateinischen Schreibweise RAKETA sollte hier auch „Made in USSR“ stehen. Diese gemischt beschrifteten Big Zero sind allerdings authentisch! Wann genau diese Art der Beschriftung Einzug hielt, läßt sich nur schwer feststellen. Aus heutiger Sicht scheint es direkt so, als hätten die damals dafür Verantwortlichen geahnt, dass die kyrillische Aufschrift den – zumindest ideellen – Wert der Uhr gegenüber ihren rein lateinisch beschrifteten Artgenossen einmal kräftig steigern würde, obwohl die damals vom Zusammenbruch der Sowjetunion doch gar nichts ahnen konnten.my_ruskie_blog_raketa_2609_424

Abgesehen vom großen und kleinen Gehäuse gibt es eine Reihe unterschiedlicher Variationen dieser Uhr. Ziffernblätter mit unterschiedlicher Gestaltung und Aufschrift sind ebenso zu finden wie unterschiedliche Zeiger. Ja sogar andersartige Gehäuse sieht man da und dort. Was davon Original ist und was nicht, ist oft schwer zu sagen. Auch geben sich zahlreiche Bastelwastel ein fröhliches Stelldichein. Abhilfe schafft nur, die Uhren mit alten, noch existierenden Katalogen zu vergleichen oder eine Frage in einem einschlägigen Uhrenforum zu stellen. Aber selbst dann bleiben Fragen offen. Das lag auch  in der Natur der Sowjetunion, dem Land der großen Geheimniskrämerei, aus dem nur wenige zuverlässige Unterlagen existieren.

Zum Beitrag über die neue Big Zero Classic N019
Zum Beitrag über Raketa Kaliber 2609
Zum Beitrag über Raketa Kaliber 2602/03
Zum Beitrag über Raketa 2610, 2209, Automatik und anderen Besonderheiten
Zum Beitrag über Raketa Baltika 2609 Kleinsammlung – Sixpack

Wer sich gerne eine Vielzahl an Variationen dieser Uhr anschauen möchte, hat HIER Gelegenheit dazu.
Und hier eine kleine Hilfe von wegen Abkürzungs Wirr Warr bei sowjetischen Uhren:
CCCP = Сою́з Сове́тских Социалисти́ческих Респу́блик = SSSR = Sojuz Sovietskich Socialističeskich Respublik = USSR = Union of Soviet Socialist Republics = Union der Sowjetisch Sozialistischen Republiken.
Alles die selbe Wortfolge und selbe Bedeutung, nur einmal in kyrillischen und einmal in lateinischen Buchstaben geschrieben.

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