“Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was (v)erzählen”, so beginnt das Gedicht “Urians Reise um die Welt” von Mattias Claudius.
Diese, meine Geschichte beginnt mit der etwas abgewandelten Form “Wenn’s dich auf die Fresse haut, dann kannst du was erzählen”. Ich bin ja ein Motorradfahrer. Was nicht heißen soll, man habe nur was zu erzählen, wenn man sich auf die Fresse packt. Es gibt ja noch einen Spruch, einen etwas geistreicheren, und den sollte man sich grade als Motorradfahrer zu herzen nehmen. “Ein Sturz ist eine Schande” sagte Ernst Leverkus, der alte Journalist und Motorradtester aus Deutschland, einer der ersten Journalisten der Nachkriegszeit, der sich zu testende Motorräder auf der langen Nürburgring-Nordschleife zur Brust nahm. Er hatte Recht. Ein Sturz ist keine Heldentat. In den meisten Fällen hat man sich schlicht und einfach saublöd angestellt, wenn man stürzt. Meinem Sturz, von dem ich hier erzählen will, ging, so meine ich, kein Blödsinn voraus. Es war kein Fahrfehler und er beruhte auch nicht auf einem technischen Gebrechen. Er war, wenn man so will, schlicht und einfach Pech. Das soll keine Ausrede sein. Ich selber bin mein größter Kritiker, wenn’s um Fehler geht. Ich wusste nur nicht, dass meine Moto Guzzi V7 Racer III etwas kann, was ich ihr nie zugetraut hätte. Lenkerschlagen, auch als Kickback bekannt. Dieses Lenkerschlagen hat mich genau so überrascht wie die Bodenwellen, die es auslösten. Aber ich hatte Glück. Mir ist nichts gravierendes passiert und auch die Guzzi hat nicht viel abbekommen. Was bleibt, sind eine Schleifspur am linken Auspuff und ein ungutes Gefühl, dass das wieder passieren kann. Ohne Ankündigung.
Letzte Donnerstag, dem 5. September läutete gegen 9 Uhr das Telefon. “Servus, Schnöll. Deine Teile sind alle da”. “Schön”, meinte ich, “wann kann ich kommen?” “Hmmm”, meinte er, “wie wäre es mit 15 Uhr?” “Gut, ich komme”. Um 15 Uhr war ich beim Guzzi Händler, um 17 Uhr war ich wieder am Heimweg. Die Guzzi schaute wieder fast wie neu aus. Fast, weil ihr der Kratzer am linken Auspuff noch erhalten blieb. Auch der Schalthebel ist ganz leicht nach innen gebogen, aber komischerweise schaltet sich das Ding jetzt angenehmer als vorher, weil die Position des Hebels jetzt besser passt. Der linke Spiegel mit der Halterung für den Kupplungshebel ist genau so neu wie der Kupplungshebel, der abgebrochen war. Auch der Ventildeckel, auf dem die Guzzi am Asphalt rutschte, ist neu. Dieser Deckel hat seine Arbeit gut verrichtet und das Motorrad vor größerem Schaden bewahrt. Und das linke Lenkerende, das Gewicht, das an Lenkerenden von Motorrädern befestigt ist, um Vibrationen zu dämpfen, ist neu. Das war am schwierigsten zu wechseln, weil die Inbusschraube komplett plan geschliffen war. 265.- Euro hat mir der Spaß gekostet. Eine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, was passieren hätte können.
Gar nicht auszudenken, wenn ich in die Felswand oder in die Leitschiene geflogen wäre. Bin ich aber gottlob nicht. Bei der Fahrt zum Händler wie bei der Heimfahrt hatte ich aber doch ein etwas seltsames Gefühl im Bauch. “Du fährst hier mit einem Motorrad, dass dich jederzeit ohne Vorwarnung wieder abwerfen kann”, dachte ich. Irgend etwas muß ich mir einfallen lassen, um zu verhindern, dass sowas wieder passiert. Ein anderes Gabelöl vielleicht, dass die Gabel etwas sensibler macht und einen Lenkungsdämpfer, sofern ich austüfteln kann, wie sich so ein Ding befestigen lässt. Ist bei dieser Guzzi scheinbar nicht ganz so einfach wie bei anderen Motorrädern. Und vorsichtiger fahren vielleicht, wenn der Straßenbelag uneben ist. Ob das was nützt, weiß ich noch nicht, weil die Bodenwellen, die diesen Sturz auslösten, die hab ich nicht gesehen, sondern nur gespürt. Da war es zu spät.
Meine erste Erfahrung mit Lenkerschlagen (Nicht zu verwechseln mit Shimmy! Das kann sich zwar auch bis zum Anschlag aufschaukeln und zum Sturz führen, beginnt aber gemütlicher und ist mit etwas Glück und Erfahrung beherrschbar(er)) machte ich an einem wunderschönen Sommerabend Anfang der 90er Jahre mit Marichen, meiner schwarzen FZR1000 3LE EXUP. Es wurde schon dunkel, die Straßen durchs Ennstal waren leer, weit und breit keine Ortschaft, keine Menschen, und so ließ ich es krachen. Ich ließ es ziemlich krachen. Nach einer 140km/h Rechtskurve beschleunigte ich volle Kanne durch die folgende Linkskurve. Rechts eine mehrere hundert Meter lange, steile Felswand, links Leitschienen und die Enns. Geschwindigkeit zwischen 170 und 180. Das ist heute weit über 20 Jahre her und darum hoffentlich verjährt. Die Schräglage war noch immer ziemlich heftig, als es mir fast den Lenker aus den Händen riss. Zuerst traf mich ein mächtiger Schlag am rechten Handgelenk, dann knallte der Lenker voll (ich weiß nicht, ob es den Lenkanschlag getroffen hat) nach links, dann war wieder Ruhe. Der Blutdruck dürfte in diesem Augenblick jedenfalls ziemlich auf Anschlag gewesen sein.
Ich hatte riesiges Glück, dass es mir nicht den Lenker aus der Hand riss, weil ich dann wohl, obwohl sich die Kiste schon wieder beruhigt hatte, in die Felswand neben der Straße gedonnert wäre. Die Kurve war ja noch nicht fertig. Die Schmerzen waren auch nicht von schlechten Eltern. Ich dachte, die Kiste hat mir das rechte Handgelenk gebrochen. Ich hatte aber Glück. Mir war nichts passiert. Ich hab mir die Stelle später angeschaut und weiß, was der Auslöser war. Dort stießen zwei Straßenbeläge aufeinander. Es war der Stoß zwischen einem alten und einem neuen Belag, der nicht ganz eben war. Ich war sehr oft auf dieser Strecke unterwegs, fuhr genau diesen Abschnitt aber normal mit geringerer Geschwindigkeiten, weil die nächsten Kilometer sowieso fad sind, und dann bemerkt man davon nichts. Erst bei weit höherer Geschwindigkeit, größerer Schräglage und dem deutlich mehr entlastetem Vorderrad durch den vollen Leistungseinsatz bewirkte diese Unebenheit ein heftiges Lenkerschlagen, das sich gottlob sofort und ohne Folgen wieder beruhigte.
Vom Hörensagen wusste ich, dass die FZR das kann, aus eigener Erfahrung kannte ich das ab diesem Moment. Seitdem weiß ich auch den Unterschied zwischen Shimmy und Lenkerschlagen. Es ist ein brutaler Unterschied. Seitdem bemühte ich mich stets, in kritischen Situationen so viel Gewicht wie möglich am Vorderrad zu haben und hatte offenbar Erfolg damit. Es ist mit diesem Motorrad nie wieder passiert, egal, wie schlecht die Straße war, egal, in welchem Winkel nach schnellen Richtungswechseln das Vorderrad wieder landete. Offenbar hab ich das jetzt ganz gut unter Kontrolle und die FZR sind relativ harmlos. Im Renneinsatz würde ich allerdings einen Lenkungsdämpfer montieren. Mit der XJR bin ich bis jetzt 127 000km gefahren. hab keine Gelegenheit ausgelassen, sie auch über schlechtesten Asphalt zu prügeln wie Sau. Lenkerschlagen ist diesem Motorrad fremd. Selbst, wenn sie nach heftigen Richtungswechseln, wie bei der Südauffahrt zum Zellerain, das Vorderrad unter starker Beschleunigung lupft und etwas schief landet, schüttelt sie sich höchstens ein wenig, aber schlagen tut da nichts. Dafür ist sie auf Reifen (besonders Vorderreifen) empfindlich und kann sich Shimmy einhandeln. Die Guzzi hat nicht die Kraft, das Vorderrad zu lupfen, die Schräglage wird durch den Auspuff begrenzt, Richtungswechsel gehen mit ihr nicht so schnell, dass sie das Vorderrad lupfen könnte, aber Lenkerschlagen, das kann sie. Brauchen nur ein paar ungünstige Faktoren zusammen kommen, so wie an diesem vorletzten Tag im August, dann ist das Malheur fertig.
Der 30. August war ein wunderschöner Tag. Ich war am frühen Morgen mit meinem Kuschelmonster (Eddie, mein Yorkshire Terrier) unterwegs, hatte beim Bachlerhof einen Kaffee getrunken und überlegte bei der Heimfahrt, mit welchem Motorrad ich eine Runde drehen würde. Ich hatte nichts besonderes vor. Einfach eine Runde drehen. “Ich könnte eine FZR nehmen”, überlegte ich. “Oder vielleicht doch lieber die XJR? Dann muß ich kein Motorrad aus der Garage räumen, weil die dicke Lisl gleich beim Tor steht. Dann könnte ich aber auch gleich die Guzzi nehmen”, dachte ich, als ich daheim war. Ich schob die Guzzi aus der Garage und ging umziehen. “Jeans?” Jeans! “Lederjacke oder Belstaff?” Belstaff! Ich trag diese Jacke einfach gerne, wenn’s recht warm ist, und an diesem Tag war es recht warm. Ich überlegte noch, “Jet Helm mit Sonnenbrille oder Vollvisier?” und entschied mich für Zweiteres. Dann noch schnell das rote Halstuch, dass eigentlich ein Kopftuch meiner Mutter war und dass ich sicher seit mehr als 25 Jahren bei fast jeder Tour trage, um den Hals gebunden und die Turnschuhe angezogen. “Ach was”, dachte ich dann, “ich zieh die Stiefel an”. Ich zog die Turnschuhe wieder aus und die Daytona an, die ich erst im Mai extra für die Guzzi gekauft hatte. Meine Sidi sind alle durch geschliffen und die schweren Daytona Tourenstiefel passen nicht zur zierlichen Guzzi. Nachdem ich mir die Schlüssel eingesteckt hatte und noch bevor ich die Treppe runter ging, krallte ich mir noch die Handschuhe aus dem Kleiderschrank. Eigentlich wolle ich die gar nicht anziehen, weil es so warm war, aber dann dachte ich, es könnte im Schatten der Hochschwabbundesstraße doch etwas kühler sein. Dann ging ich zur Guzzi, startete den Motor, stülpte mir den Helm über die Rüber und zog die Handschuhe an. Es konnte los gehen. Ich hatte noch keine Ahnung, dass es mich bei dieser Tour auf die Fresse hauen wird und Valentino Rossi hatte keine Ahnung, dass er sich am nächsten Tag bei einem Unfall das Bein brechen wird. Das Schicksal nahm seinen Lauf, wenn man so will.
Ich fuhr nach Kematen, tankte, trank einen Becher Kaffee und fuhr weiter Richtung Süden. In Gleis überquerte ich wieder die Ybbs und fuhr den Hügel nach Adersdorf hoch, wo ich der Höhenstraße bis St. Georgen in der Klaus und zur Wieserhöhe folgte. Von dort weiter, noch höher hinauf, an einem Abzweig nach Ertl runter und über weitere Hügel und durch Täler weiter, bis ich kurz vor Großraming die Ennstal Bundesstraße erreichte. Ich hielt an, steckte mir eine Zigarette an, dann fuhr ich weiter. Ich folgte der B115 bis Großreifling und bog dort vor der Ennsbrücke nach Palfau ab. Bis dahin war ich mir noch gar nicht so sicher, wo ich überhaupt hinfahren wollte. Ich dachte mir, einfach der Nase nach wäre das Beste. Irgendwo im Hinterkopf hatte ich aber die Hochschwab Bundesstraße, und dahin führen viele Wege. Ich war sie erst zwei oder drei Wochen vorher mit einem anderen Motorrad gefahren, mit der Guzzi ist das aber ganz was anderes. Mit der XJR kann man, wenn man will, diese über 50km lange Strecke, die nur durch eine einzige Ortschaft unterbrochen wird, ziemlich flott fahren. Wenn man will. Mit einer FZR kann man diese Strecke noch viel schneller fahren, wenn man will. Und wenn’s geht. Dort ist in der Ferienzeit teilweise viel Verkehr, teilweise ist es, vor allem nach Gewittern, feucht und dreckig. Kommt immer drauf an. Aber wie auch immer, wirklich schnell geht’s dort nur, wenn man die Strecke gut kennt. Man muss sie aber wirklich gut kennen, sonst ist man schneller tot als in Mariazell. Das ist ungefähr wie auf der Isle of Man. Auslaufzonen gibt’s keine und die Geschwindigkeiten können trotz des buckligen Belages so hoch sein, dass Fehler katastrophal wären. Obwohl diese Strecke, die ich einst so liebte, zum größten Teil neu asphaltiert ist, und ich sie deshalb inzwischen für mehr oder weniger uninteressant finde, fahrerisch gesehen, ist dort mit der Guzzi ein eher beschauliches Tempo angesagt. Über die zahllosen Kuppen und Wellen kommt die Guzzi immer wieder ein wenig ins Schlingern. Es ist besser, so ruhig und so rund wie möglich zu fahren, dann ist es auch mit der Guzzi ein Vergnügen. Zum Gas geben sitzt man bei der Guzzi am falschen Motorrad. Ich mag auch gar nicht mehr. Ich bin jetzt 57 und möchte gerne noch eine Weile Motorrad fahren, ohne mir dabei weh zu tun . Heute sind eh so viele Blödmänner auf der Straße, da geht das nicht mehr, was vor Jahren noch ging. Mir macht’s heute auch gemütlich Spaß.
Also bog ich hinter Palfau nach rechts Richtung Wildalpen und Mariazell ab. Über 50km kurvenreiche Strecke, über 50km, die über weite Teile zu beiden Seiten von einem Gebirgszug begrenzt werden. Zur Linken, also im Norden, ziehen sich die Höhenzüge des Hochkar bis zum Hochtürrnach und bis Mariazell, zur Rechten bildet der Hochschwab mit seinen Ausläufern die Begrenzung. Man sieht nie sonderlich weit, hat aber immer Berge im Blickfeld. Das besonders Schöne ist für mich, dass ich auch einige der Gipfel dort kenne. Ich war nicht nur mit den Motorrädern immer gerne in dieser Gegend unterwegs, sondern auch mit Rucksack und Wanderschuhen. Es ist einfach eine märchenhafte Gegend.
Beschwingt und fröhlich rollte ich mit höchstens 100 Sachen der Wasserlochklamm entgegen, erreichte Wildalpen, hielt beim Eingang zum Brunntal Rast, erfreute mich der steilen Wände der Riegerin, die ich schon einmal bestiegen hab, und fuhr dann weiter zu den zahlreichen Tunnel zwischen der Prescenyklause und Weichselboden. Hier hielt ich nochmals, rauchte eine Zigarette und ließ mich von der Sonne wärmen. Ja, komisch. So richtig warm ist auf auf dieser Straße selten. Zu viele Berge, zu viel Schatten. Dafür ein traumhafter Anblick nach dem anderen. Zumindest für Naturfreunde. Nach dieser Rast ging’s weiter durch die Lawinenverbauten nach Weichselboden und an Rotmoos vorbei zum kurzen Bergaufstück, dass den unteren, schnellen Teil der Hochschwabbundesstraßen vom oberen, langsameren und sehr kurvenreichen Teil trennt.
Auf nahezu perfekter Linie, genau so, als wäre ich 40, 60 oder 100km/h schneller unterwegs, schlängelte ich mich mit der Guzzi durch die Kurven, wunderte mich immer wieder belustigt, wie schnell einem das mit diesem Motorrad vorkommt, wo ich doch genau weiß, wie schnell man das mit einer FZR fahren kann, und überholte nach einer 50er Beschränkung, bei der ich mich seit vielen Jahren frag, wozu sie gut sein soll, einen Kleinbus. Dann ließ ich die Guzzi durch eine Linkskurve rollen und beschleunigte in einen kurzen Rechtsbogen, den man mit jedem anderen Motorrad absolut voll beschleunigend problemlos durchfahren kann.
Am Eingang dieses Rechtsbogens wurde die Gabel von einem harten Schlag getroffen. Die Gabel schlug nicht durch, sie schluckte diesen Schlag. Bei diesem ersten Schlag hatte ich noch gedacht, “das kann die Guzzi”. Ich wusste aus Erfahrung, dass sie solche Schläge schlucken kann, weil mich genau so ein Ding bei der Anfahrt zu einer Rechtskurve ein paar Kilometer weiter vorne schon einmal erwischt hatte. Es waren damals drei harte Schläge, und als ich die ohne Probleme überstanden hatte, freute ich mich, weil sie das geschafft hatte. “Das kann sie also!” dachte ich damals.
Vorher war ich mir nicht so sicher, ob sie sowas kann, weil die Gabel ist bei diesem Motorrad nicht unbedingt was besonderes. Sie ist nicht unbedingt besonders schlecht. Zu den Guten gehört sie allerdings auch nicht. Sie ist relativ unsensibel und unterdämpft. Das hat mich bisher nicht gestört. Diese Guzzi darf vieles, was ein anderes Motorrad nicht dürfte. Sie ist für mich ein bissl wie ein Oldtimer mit zwei Jahren Garantie und sie bringt mich, wenn ich mit ihr fahr, immer wieder in die 70er Jahre zurück, in die Zeit von Charles Bronson und Deep Purple, von spitzen Schuhen und Glockenhosen. In die Zeit meiner Jugend. Ich seh das so, und deshalb will ich ihr auch nicht zu viel zumuten. Die Motorräder von damals waren auch nicht perfekt.
Diese drei Bodenwellen trafen mich damals aber auf der Bremse und nicht in Schräglage. Dieses Mal war ich am Gas und in Schräglage, und bei der zweiten Bodenwelle hatte sie nicht nur den Bodenkontakt verloren, sondern der Lenker stand quer. Mächtig quer! “Das ist nicht gut!” schoß es mir durch den Kopf. “Das ist gar nicht gut!” Als das Vorderrad wieder den Boden berührte, begann ein Veitstanz, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Der Lenker schlug brutal von einer Seite auf die andere, die Kiste war innerhalb einer Sekunde vollkommen außer Kontrolle. Kraut und Rüben schienen total durcheinander zu sein und dann krachte es. Das war der Augenblick, als die Guzzi am Asphalt aufschlug. Erst nach diesem Krachen bemerkte ich, dass ich am Boden lag und die Guzzi mit der linken Hand noch immer fest hielt. Ich ließ sie aus, und sie suchte, sich langsam drehend, zu meiner linken das Weite. Als ich sah, dass sich das Motorrad nicht überschlug, dass ich selber nicht in der Böschung oder an der Leitschiene zerschellen würde, kam kurz Erleichterung auf. Aber nur kurz.
Als sich meine eigene Geschwindigkeit so weit reduziert hatte, dass ich schon dachte, “Alter, da hast du nochmals Glück gehabt”, begann entweder die Hose, die Jacke oder beides so viel Gripp zu fassen, dass ich mich mehrmals überschlug. Nicht Beine, Kopf, Beine sondern seitlich. Der erste Überschlag hat sich zwar brutal angefühlt, aber weh getan hat erst der Zweite, bei dem ich voll auf der rechten Schulter und dann auch noch mit dem Helm am Asphalt aufschlug. Der Aufprall auf die Schulter war mörderisch! Ich dachte, jetzt ist dort alles kaputt. Leider kamen dann noch zwei Überschläge. Zumindest zwei. Genau weiß ich das nicht mehr, weil die Schulter vom zweiten Überschlag so schmerzte. Ich weiß nur, dass ich dachte “Um Himmels Willen, wann hört diese Scheiße endlich wieder auf!” Dann lag ich still und atmete erst einmal kräftig durch.
Mein brutalster, aber nicht der schnellste, Sturz war bis zu diesem Zeitpunkt ein sogenannter Highsider mit kalten Michelin Pilot Race auf der FZR. Das war ein Aufmerksamkeitsfehler. Dabei schmiert das Heck unter Beschleunigung (zu heftiger für die Reifentemperatur) ab, du denkst, du hast die Kiste wieder unter Kontrolle und im nächsten Augenblick siehst du dein Motorrad von oben. Gedanken kannst du bei sowas keinen fassen, weil das alles so schnell geht, dass du erst unterm Rutschen bemerkst, dass du verloren hast und liegt. Vielleicht war das bei Kevin Schwantz anders, weil dem ist das damals mit der 500er Suzuki ja ständig passiert. Damals kam das Motorrad auf meinem linken Bein zu liegen und hätte mir fast durch eine Drehbewegung das Knie in die falsche Richtung gebrochen. Ich habs mit gedehnten Bändern, aber ohne Knochenbrüche überstanden. Auch diese Überschläge nach dem Sturz mit der Guzzi hab ich ohne Knochenbrüche überstanden. Die Schmerzen waren in diesem Fall allerdings von einer ganz anderen Qualität.
Ich sprang, sobald ich still lag und durchgeatmet hatte, wieder auf, weil ich Angst hatte, von einem Fahrzeug überfahren zu werden. Hinter mir kam nichts, vor mir war nicht, also ging ich zum Motorrad und wollte es aufheben. So lange ich noch krabbeln kann, gilt der erste Gedanke dem Motorrad. Ich hatte aber keine Kraft im rechten Arm. Meine Schulter tat so furchtbar weh. Irgendwie schaffte ich es, die Guzzi mit der Linken und mithilfe der Beine aufzurichten und zum Straßenrand zu schieben. Dort stellte ich sie am Seitenständer ab und schüttelte benommen den Kopf. “Himmel, Arsch und Zwirn, was war den da passiert?” fragte ich mich. “So eine Kacke!” Mir war direkt schwindlig, so schmerzte die Schulter. Dann blieb der Kleinbus stehen, den ich vorher überholt hatte. “Was ist den passiert?” frage der Fahrer. “Auf den Bodenwellen da hinten hab ich die Kiste aus der Kontrolle verloren und bin gestürzt” sagte ich. Er schaute mich an und sagte “Ich weiß”. Ist ihnen etwas passiert?” “Nein”, sagte ich, “ich glaub nicht”. Kann ich weiter fahren?” Ja. Klar. Wird schon wieder”. Erst zwei Tage später, als ich in der Garage den Schaden genauer begutachtete, fielen mir seine Worte “Ich weiß” wieder ein. Die Trümmer, die dort lagen (das waren Teile von Blinker, Rückleuchten oder Reflektoren) und die ich meinem Unfall zuordnete, die waren nicht von meinem Motorrad. Da hatte es vorher schon jemanden zerlegt.
Ich war mir gar nicht sicher, ob das wirklich wieder wird. Vor allem ob das gleich wieder wird. Ich war über 100km von daheim entfernt. Ich wusste nicht, was die Guzzi abbekommen hatte. Ich wusste nicht einmal, was ich selber abbekommen hatte. Aber was hätte ich sagen sollen? Ich musste erst herausfinden, was mir oder dem Motorrad passiert war. Dazu musste der nicht warten. Also fuhr dieser Herr weiter und ich nahm einmal den Helm ab, den ich noch am Kopf hatte. Das war leichter gedacht, als getan, weil die Schulter so schmerzte. Dann probierte ich einmal, wie weit ich den rechten Arm überhaupt bewegen konnte. Nicht weit und vor allem, gar nicht ohne große Schmerzen. Dann setzte ich mich ins Gras neben der Straße und steckte mir eine Zigarette an. “Was nun?” fragte ich mich. Ich musste jetzt erst einmal kräftig durchatmen und mich beruhigen. War die Situation schlimm? Das wusste ich noch nicht. War die Situation aussichtslos? Nein. Davon konnte keine Rede sein. Also was aufregen? Ein Schritt nach dem anderen!
Ich rauchte die Zigarette fertig, dann ging ich zur Guzzi und versuchte, sie zu starten. Die Kontrolllichter leuchteten, der Motor sprang nicht an. Verdammte Scheiße! “Immer mir der Ruhe”, dachte ich. Viel kann da nicht kaputt sein. So schwer war der Aufschlag nicht. Die Guzzi kann nicht schlechter sein im Nehmen als ein japanisches Motorrad, und die halten doch ganz schön was aus. Das wusste ich aus Erfahrung. Ich schaute mir alle Schalter an und bemerkte, dass der Killschalter auf “Aus” stand. “Aha, da haben wir’s ja schon”, dachte ich, schaltete den Schalter auf “Ein” und drückte den Starter. Brummmmmm, und die Guzzi lief, als wäre nichts geschehen. “Pffff, der Motor läuft!” dachte ich zufrieden. “Jetzt muss ich nur mehr schauen, ob ich überhaupt fahren kann”. Ich stellte den Motor wieder ab und zündete mir noch eine Zigarette an. Noch über 100km, bis ich wieder daheim bin”, dachte ich. “Du wirst das schaffen! Du wirst dich jetzt auf die Guzzi setzen und langsam, wenn es sein muss gaaaaanz langsam nach hause fahren. Egal, wie lange ich brauche, egal, wie groß die Schmerzen sind, ich werde jetzt nach hause fahren, und wenn ich daheim bin, ist alles gut. Notfalls kann ich dann noch immer ins Krankenhaus fahren. Aber zuerst bringst du jetzt die Guzzi Heim in die Garage”. Knochen waren nicht verschoben, es krachte nichts beim Bewegen, es tat nur höllisch weh. Also setzte ich mir den Helm auf, zog die Handschuhe an und fuhr Heim.
Die ersten paar Kilometer waren äußerst unangenehm. Ich hatte heftige Schmerzen, die Hose war zerrissen, ich blutete aus Abschürfungen und ich wusste nicht, ob das Motorrad beim Sturz nicht einen Schaden davon getragen hatte, der, wenn es dumm her geht, wieder zu einem Sturz führen könnte. Ich testete die Bremsen. Alles in Ordnung. Ich achtete auf die geringste Bewegung des Motorrades, ob da etwas falsch lief, aber nichts passierte. Ich schaute mir schon vor der Fahrt alles genau an und ich schaute mir während der ersten Kilometer alle, was ich sehen konnte, nochmals genau an. Das Vorderrad, die Bremsschläuche, die Gabelbrücke oben und unten, die Radachse, die Hebel. Alles, was mir gefährlich werden konnte, checkte ich wieder und wieder. Erst dann erhöhte ich mein Tempo, wenn man das so nennen kann, von 30 oder 40 auf 60km/h, und selbst das kam mir schnell vor. “Jetzt nur nicht nochmals auf die Fresse fliegen” war mein einziger Gedanke. Die Rechte Hand hatte ich bei der Abfahrt mit Hilfe der Linken auf den Gasgriff gelegt. Aus eigener Kraft war das mit der Rechten nicht zu schaffen. Bremsen ging. Dazu braucht man nur zwei Finger. Den Körper beim Bremsen abzustützen war schon etwas ganz anderes. Mit der linken Schulter war das kein Problem, mit der Rechten recht schmerzvoll, aber nicht unmöglich. Ich konnte fahren.
Als ich Rasing vor Mariazell erreichte und zum Zellerain abbog, wurden die Schmerzen in der Schulter etwas erträglicher. Ich konnte schon wieder einigermaßen flott (na ja) den Berg hoch fahren. Beim Gasthaus oben am Zellerain blieb ich lieber nicht stehen, obwohl ich ziemlich durstig war. “Wer weiß, ob ich dann wieder weiter fahren kann” dachte ich. Außerdem muss ich mit meiner zerschliffenen Guzzi, der linke Spiegel fehlte, der Rechte drehte sich wie ein Fähnchen im Wind, die Jeans zerfetzt und die Jacke zerschrammt, wie ein Lumpensammler ausgesehen haben. Also fuhr ich weiter. In Neuhaus, einer kleinen, aufgelassenen Holzfäller Siedlung an der Nordrampe des Zellerains blieb ich allerdings stehen und setzte mich auf die Hausbank eines der verlassenen Häuser neben der Straße. Dort machte ich erstmals eine Bestandsaufnahme (und ein paar Fotos) von mir selber. Hose löchrig, Beine zerschrammt und blutig, Jacke zerschrammt, Helm nur eine ganz leichte Schramme am Visier an der Seite, sonst nichts. Guzzi zwar etwas zerschrammt, aber KEINE Delle, KEIN Kratzer im Lack! Lässt sich alles reparieren. Nur den abgerissenen rechten Lenkanschlag an der unteren Gabelbrücke hab ich übersehen. Den fanden wir erst am Donnerstag letzter Woche in der Werkstatt. Das war wahrscheinlich der Kick, mit dem der Veitstanz erst richtig begann und alles außer Kontrolle geriet.
Bei der Abfahrt vom Grubberg konnte ich schon wieder lachen. Zum ersten Mal (vermutlich) in meinem Leben flog ich ohne Eigenverschulden auf die Fresse. Am 14. Juni 2011 hatte es mich zum letzten Mal zerlegt. Ich vermute noch heute, dass mir damals am Eingang der Links bei der Abfahrt vom Tonale die Fußraste gebrochen ist. Anders konnte ich mir und kann ich mir nicht erklären, wieso ich diese Fußraste beim Umlegen in die darauffolgende Rechts (ich war in der Links entweder von der Raste gerutscht oder sie ist gebrochen) nicht spürte und am Bremshebel stand, was die Kiste zum Abschmieren brachte. Damals ist weder mir noch dem Motorrad etwas passiert. Ich mußte nur die hintere Fußraste nach vorne montieren, dann konnte ich wieder genau so fahren wie vorher. Ich selber hatte keine einzigen Kratzer.
Beim Sturz mit der Guzzi am 30. August 2017 bin ich mir absolut keiner Schuld bewusst. Ich wüsste nicht, was ich falsch gemacht haben könnte. Mit einem anderen Motorrad wäre ich genau die gleiche Stelle viel schneller gefahren, bin sie ein paar Wochen auch mit einem anderen Motorrad schneller gefahren, und vermutlich wäre mir dabei genau so wenig passiert wie den Motorradfahrern, die bei mir an der Unfallstelle vorbei fuhren, ohne das geringste Problem zu haben. Die dachten sicher, ich sitz dort nur, um eine zu rauchen. Auch wenn die Stelle zum Rauchen nicht sonderlich einladend aussah. Das war das, was mich richtig ärgerte. Nein, nicht, dass die einfach vorbei fuhren. Die konnten nicht wissen, dass ich gestürzt war. Mich ärgerte, dass keiner dieser Fahrer dort ein Problem hatte, diese Bodenwellen offenbar kaum wahrnahmen, während es mich mit der Guzzi so zerlegt hat. Das ärgerte mich. Das nahm ich der Guzzi am Anfang etwas übel. Das hat sich aber wieder gelegt.
5700km bin ich vom Kauf bis zum Sturz gefahren. Jetzt, nach der Reparatur hat sie knapp über 5900km an Tacho. Meine Guzzi ist wieder repariert, man sieht ihr kaum mehr was an. Die Schramme, die am Auspuff sichtbar ist, die soll so bleiben. Als Mahnung, dass dieses Motorrad, selbst wenn es nicht stark ist, nicht ganz ungefährlich ist. Jetzt werd ich mich ein wenig mit der Guzzi spielen und ein paar Dinge ausprobieren. Viel Möglichkeiten hat man nicht, ohne gleich sehr drastische Maßnahmen zu ergreifen. Langsamer fahren könnte man auch noch. Noch langsamer. Das ist halt schwer, weil man mit diesem Motorrad eh nirgends schnell ist. Irgendwas werd ich mir aber wohl einfallen lassen. Nur verkaufen werd ich sie nicht. Dazu gefällt sie mir zu gut und dazu mag ich mein Rumpelchen zu gerne. Wenn ich mit ihr fahr, dann hab ich immer das Gefühl, die ist aus einer ganz anderen Zeit. Obwohl sie Baujahr 2017 ist. Ihre manchmal komisch anmutenden Eigenheiten machen sie mir noch sympathischer, als sie ohnehin ist. Ich kann einfach nicht anders.
Ps.: Am 23. September hab ich erstmals wieder eine Runde gedreht. Mit der XJR 75km über Hügel und zwischen Felder. Die kleinen Abschürfungen waren weitgehend verheilt, die Schultet tat noch weh, aber schön war’s. Am gleichen Tag ist Valentino Rossi nach seinem Beinbruch beim Qualifikationstraining in Aragon zweitschnellste Zeit gefahren und hat sich damit für die erste Startreihe qualifiziert. Vale und ich waren wieder fahrtauglich. Komischer Zufall. Ich hab ihm dafür beim Rennen die Daumen gedrückt. “Vale, nicht wieder auf die Fresse fliegen!” hab ich mir dabei gedacht. “Das tut weh!”
Einen schönen Tag noch………………….
Hallo, fahre auch Guzzi 1000 Sp von 1984, u, bis vor 6 Wochen V7 Spezial
von 2013 , seit neuestem V7 Spezial 2017 in azurro ! WAS ICH DIER raten möchte
Tausche die Erstbereifung aus wenn das auch Pirelli- Sport- Demon sein sollte,
Diese Reifen sind sehr ungünstig geschnitten, bei moderater Schräglage fährste
vorne schon auf der Angstrille, Mich hätte es auch vor 2, Jahren auf dem
Jaufen- Pass fast zerlegt, beim vollen rausbeschleunigen Hinterrad seitlich
versetzt, u, das auf Grobasphalt, trocken u, frei von Verunreinigung war die
Stelle auch hatte extra gewendet u, Mir damals die Stelle noch mal angeschaut !
Allzeit Gute , Fahrt mit der wunderschönen Racer !
Gruß Stephan,
Kommentar by Stephan Füchte — 13. Oktober 2017 @ 17:49
Hallo Stephan
Danke für den Kommentar.
An und für sich ist die Haftfähigkeit des Sport-Demon gar nicht schlecht. Damit hatte ich noch nie ein Problem. Diese Guzzi hat eh so wenig Schräglagenfreiheit und so wenig Leistung, dass man die Reifen wirklich nur mit viel Übermut überfahren kann. Rutscher, die ich den Reifen zuordnen könnte, sind mir noch keiner passiert. Ich vermute eher, wenn bei der Guzzi beim abrupten Beschleunigen das Hinterrad wegrutscht, ist das eher dem Kardanantrieb geschuldet als den Reifen.
Ich will die Pirelli aber trotzdem gegen andere tauschen. Jetzt, nach rund 5800km (meistens sehr gemütlicher Fahrt) sind sie sowieso schon im Eimer und mir scheint, dass Abrollverhalten des Vorderreifens ist stark verbesserungswürdig. Ob die Vibrationen alleine an der störrischen Gabel liegen, wage ich fast zu bezweifeln. Am Anfang hatte ich direkt das Gefühl, der Vorderreifen wäre nicht rund, sondern achteckig. Was sich mit der Zeit gab.
Aber Macken hin oder her, der kleine Racer ist mir sehr schnell ans Herz gewachsen, und wie ich schon im Beitrag schrieb, ich glaub, es sind, neben ihrer optischen Schönheit, vor allem auch die kleinen Unzulänglichkeiten, die sie liebenswert machen. Da fühlt man sich immer ein wenig in die 70er Jahre versetzt und fährt noch richtig Motorrad. Da tut sich was. 🙂
Auch dir allzeit gute Fahrt
Grüße Hannes
Kommentar by Benzin — 15. Oktober 2017 @ 18:13