Benzins Motorradseiten Erlebnisse mit dem Motorrad

21. Juni 2017

2017.06.16. – 18. Happy Kadaver – Ein entspanntes Wochenende im Norden

Filed under: Touren International — Benzin @ 18:13

Ist ja irgendwie komisch. Ich lese gerne, und weil ich selber Motorrad fahre, lese ich auch über Motorräder und übers Motorradfahren. Besonders gerne lese ich über alte Marken und Geschichten über die Zeit, wie das früher war. Ich meine, ganz früher, als das Motorrad grade erfunden war. Ernst Geuders Buch “Opa Geuder erzählt” finde ich zum Beispiel besonders lesenswert. Die “Fortschrittsverrückten”, wie Motorradfahrer am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland genannt wurden, erlebten noch Dinge, die in unserer heutigen, technisierten Welt undenkbar sind. Eine Fahrt über 150 oder gar mehr Kilometer war ein richtiges Abendteuer und erforderte neben einer ausgeklügelten Planung auch eine gewisse Härte. Klar sitzt man heute, wie damals, Wind und Wetter ausgesetzt am Motorrad. Dazu kamen aber damals noch Kleinigkeiten wie keine Tankstellen, keine Werkstätten, kein Pannendienst, kein Mobiltelefon, unbefestigte Straßen und unzuverlässige Technik. Von den Hufnägeln auf der Straße einmal abgesehen, die ständig die Reifen platt machten. Ohne Federung, dafür Antriebsriemen, die laufend gespannt werden mussten. Getriebe hatten Motorräder damals auch keine. Motorradfahren von heute ist eine ganz andere Welt. Von einer dieser Fahrten will ich hier erzählen.

flagge_deutschland_small

Freitag, 16. Juni 2017
Das Mobiltelefon weckte mich um 05:00 Uhr. Eigentlich wollte ich gegen 4 Uhr wegfahren, aber der Wetterbericht des bayrischen Wetterdienstes sagte am Vorabend, in den frühen Morgenstunden ziehen schwere Gewitter durchs bayrische Land, der Spuk wäre erst gegen 10 Uhr wieder vorbei. Eine einigermaßen präzise Vorhersage, wenigstens für die nächsten paar Stunden, ist ja heute dank Satelliten und Hochleistungsrechner keine all zu 2017_hkt_100 große Hexerei mehr. Die Präzision der Vorhersagen übertrifft immer öfter die Prognosen alter Bauern mit gichtigen, wetterfühligen Knochen. Der Fortschritt ist in keinem Bereich aufzuhalten. Ich konnte mir also ausrechnen, würde ich um vier Uhr wegfahren, wären die Chancen hoch, in Bayern genau in die Gewitterfront hinein zu fahren.

In voller Montur, also mit Lederkombi und Regenhose/GTX-Jacke bekleidet, musste ich vor der Abfahrt noch den Rucksack und die Schlafsackrolle in einen Biwak-Sack einpacken, damit das Zeug nicht völlig durchnässt wird. Ja, ja, in Bayern würde ich wohl kein Unwetter mehr erwischen. Was ich nicht bedacht hatte, war das Wetter in Österreich. Seit drei Uhr tobte sich ein schweres Gewitter aus, und auch um halb sechs regnete es noch immer. Aber es war warmer Regen. Warmer Regen ist nicht so2017_hkt_102 schlimm. Schlimmer war, dass mir bei diesem Herumtüdeln mit dem Regenzeugs über der Lederkombi immer heißer wurde. Mir lief in kurzer Zeit der Schweiß in Bächen von der Stirn und ich dachte “Alter, jetzt wird es Zeit zu fahren, sonst trifft dich der Schlag”. Aber schnell hatte ich alles wieder verstaut und mit Spanngummi gesichert, und um ziemlich genau 5:30 Uhr konnte es los gehen. Auf zur Autobahn.

Zuerst einmal etwa 10km auf der Bundesstraße zur Autobahnauffahrt bei Oed. Kein Verkehr, alles ruhig. Dort auf die A1 aufgefahren und über die A8 zur A3 nach Deutschland. Nach 227km Fahrt bezahlte ich um 7:50 Uhr an der Autobahntankstelle Bayrischer Wald für Treibstoff, Getränke und Naschereien €25.04. Wobei mich das jetzt ein wenig ärgert. Ich hab nämlich grade gesehen, dass ich für die beiden Flaschen jeweils €0.25 Einsatz bezahlt hab. Das Geld seh ich wohl nie wieder, weil die beiden Pfandflaschen hab ich weiter im Norden in einen Mülleimer versenkt. Na ja. Kann man nix machen.

Knapp zwei Stunden und 167km weiter der nächste Stopp. Rasthof Aurach Nord. Das war kein erzwungenes, sondern taktisches Tanken. Ich hab die XJR seit Oktober 2004 und bin damit 122 000km gefahren, das heißt, ich kenn die Kiste und ihr Verhalten in und auswendig. Bei Reisetempo 120 komm ich mit einer Tankfüllung ziemlich locker 300km weit. Ohne Verkleidung am Motorrad hängt dir nach etwa 200km Autobahn ohnehin die Zunge heraus, und 250 oder mehr Kilometer fahr ich nur im Notfall, weil ich gerne Benzin für wenigstens 100km im Tank hab. Man weiß ja nie! Heute, wo alles Computer gesteuert ist, dauert es nur Sekunden, um eine ganze Tankstelle für Stunden oder für den Rest des Tages lahm zu legen. Genau sowas ist in den letzten Wochen an mehreren Tankstellen hier passiert. In Italien ist das noch schlimmer. Oder blöder. Dort ist eine Tankstelle da und auch voll betriebsfähig, aber geschlossen. Ich will auch nicht mit fast leerem Tank am Ziel ankommen. Wer weiß, wo dort die nächste Tankstelle ist? So hab ich mir über die Jahre und Jahrzehnte angewöhnt, taktisch zu tanken, um nie ohne Sprit anzukommen, und bisher bin ich damit gut gefahren.

2017_hkt_103 2017_hkt_104 2017_hkt_105 2017_hkt_106

Nicht nur mit der Taktik beim Tanken war ich bisher gut gefahren. Die XJR hat sich als absolut zuverlässiges, leistungsstarkes und schnelles Reisemotorrad bewährt. Sicher, ein vollverkleidetes Motorrad wäre auf langen Autobahnetappen nicht so kräfteraubend. Bei Windgeschwindigkeiten von 120km/h gibt’s normal Sturmwarnung und die Leute verbarrikadieren die Häuser, nur Motorradfahrer setzen sich freiwillig diesen, oder noch weit höheren Windstärken aus und haben auch noch Spaß dabei. Immer wieder kam mir der Gedanke, vielleicht eine FJR zu kaufen. Die hätte Vollverkleidung, noch mehr Leistung und wäre auf langen Etappen noch schneller. Aber genau so oft, wie mir dieser Gedanke kam, hab ich ihn auch wieder verworfen. Geschützt vor Wind und auch vor Regen. Will ich das? Ist es das, was ich unter Motorradfahren verstehe? Vielleicht auch noch Sitzheizung´und Radio? Gibt es heute alles. Hab ich sogar. Lazurblau, 1650kg schwer, mit Leder ausgestattet, 3.5 Liter Hubraum und schneller als XJR, FJR und jede Gummikuh. Sogar mit Schiebedach. Das ist aber kein Motorrad. Ich will2017_hkt_108 2017_hkt_107 Motorrad fahren, aber ich muss nicht Motorrad fahren. Beim Motorradfahren will ich Wind und Wetter spüren. Wenn es regnet, zieh ich Überzeug an. Wenn es stark und lange regnet, werde ich vermutlich nass und wenn nicht, dann freu ich mich. Wenn es kalt ist, hab ich Heizgriffe. Wenn es sehr kalt ist, ist mir auch kalt und lange Etappen sind mühsam und verlangen Kraft. Das gehört dazu. Motorradfahren ohne nass zu werden, Motorradfahren ohne zu frieren, Motorradfahren ohne jede Anstrengung, alles zu haben ohne etwas zu geben, das mag dem Zeitgeist entsprechen, aber das reizt mich nicht und darum liebe ich meine blaue Elise so sehr.

Der nächste Tankstopp um 11.40 Uhr war an der A7 bei der Raststätte Uttrichshausen Ost. Das Verkehrsaufkommen war für einen Wochentag erstaunlich gering, was wohl auch mit dem Feiertag am Donnerstag zu tun hatte, und so kam ich recht zügig voran. Selbst in den Baustellenbereichen kam es zu keinen Stauungen. Zumindest, gottlob, nicht auf meiner Seite. Ich tankte, schob die XJR zu einer Ducati und stellte sie daneben ab, dann ging ich bezahlen, kaufte mir einen Kaffee und rauchte eine Zigarette. Das Regenzeugs hatte ich schon längst an einem Parkplatz ausgezogen, als sich der Himmel von schwer bewölkt auf bayrisch blau/weiß geändert hatte. “Mensch, das Leben kann schön sein” dachte ich mir. Ich hab keine  Verpflichtungen, bin gesund und hab ein tolles Motorrad. Herz, was willst du mehr. Ich war grade dabei, mich für die Weiterfahrt zu rüsten, da kam der Ducati Fahrer aus dem Geschäft. “So richtig toll ist es heute nicht fürs Motorradfahren” meinte er. “Wieso?” meinte ich, “ist doch eh warm”. “Ja, aber windig!” meinte er. “Ach” meinte ich, “ich fand die letzten 400km recht angenehm. Die ersten 200 waren schlimmer. Da war ein Gewitter!” Sein Lachen klang ein bisschen hysterisch. Grade so, als hätte ich gesagt, ich komm vom Mars und flieg jetzt zur Wega weiter.

2017_hkt_109 2017_hkt_110 2017_hkt_111 2017_hkt_112

Ab Autobahndreieck Kassel Süd kam für mich Neuland. Die A44 war mir genau so unbekannt wie die Raststätte Buehleck Nord, wo ich zum letzten Mal tankte und eine SMS an Sabine, meiner zukünftigen Gastgeberin schickte. “Noch etwa 100km. Grüße Hannes”. Dann endlich, nach 700km, weg von der Autobahn und auf der B252 weiter gen Nordwesten. Allerdings, so viel Unterschied ist gar nicht zwischen einer deutschen Autobahn und einer deutschen Überlandstrasse. Es sind zwar nur mehr zwei Spuren und man darf nur 100 fahren, aber sonst? Man sieht nicht viel mehr und es geht, dem Gelände sei Dank, mehr oder weniger grade aus. Fahrerisch wie landschaftlich nicht sonderlich aufregend. Aber Hauptsache, es geht vorwärts. Bei einer mehrere Kilometer langen Baustelle kam ich ins grübeln. Auf dieser Strecke war an eine Rückfahrt nicht zu denken. Eine Hälfte der 2017_hkt_200 Straße fehlte und übers Wochenende würde sich nichts ändern. “Irgendwo wird’s schon auch zurück gehen” dachte ich und fuhr weiter. Umleitungsschilder sah ich allerdings keine, was mich ein wenig beunruhigte. “Das wird ein wenig Pfandfinder spielen”, hatte ich die richtige Vorahnung. Dank Navi fand ich problemlos nach Blomberg und Barntrup, und ein paar weitere Kilometer später war ich gegen 15 Uhr auch schon am Ziel angekommen. 800km in rund neuneinhalb Stunden, inklusive Pausen. Gar nicht so übel.

Der Landstrich, in dem ich mich jetzt befand, ist im weiteren Sinne als Weserbergland bekannt. Für Österreicher: Die Weser ist ein Fluß ungefähr von der Größe der Enns oder des Inn, die Berge haben ungefähr die Ausmaße der Hügel in der Wachau. Der größte Teil der Landschaft ist Ackerland. Wo Acker ist, sind auch Bauernhöfe nicht weit, und Sabine, meine Gastgeberin, besitzt dort so eine Art Bauernhof. Auf den ersten Blick allerdings nicht als solcher erkennbar. Es gibt dort auch weder Kühe, Schweine oder Geflügel, noch Kraut, Rüben2017_hkt_201 oder Getreide. Oder ja, doch. Natürlich gibt es Kuh, Schwein oder Geflügel. Von Matthias vorzüglich gegrillt und am Teller. Was es auf diesem Hof an Vieh gibt, das sind zwei ziemlich große Hunde, die, wenn man sie kennt (oder wenn sie dich kennen) zu Kuschelbären werden, ein paar Katzen und Araber. Sabine liebt Araber. Die fliegen dort nicht mit Teppichen herum oder handeln mit Öl, sondern stehen in ihren Boxen oder auf der Weide und fressen und grasen den ganzen Tag lang. Oder warten auf jemand, der mit ihnen knuddelt. Es sind Pferde.

Natürlich war ich nicht wegen der Araber, der Hunde oder Katzen gekommen. Sabine hatte zum 15ten Mal zum HKT geladen, und wie all die Jahre zuvor waren auch dieses Mal einige dem Ruf gefolgt. HKT = Happy Kadaver Treffen am langen Wochenende zu Fronleichnam, daher auch der Name. Diesmal war auch ich dabei. Vor hatte ich es schon lange, aber erst jetzt, als Pensionist, ließ sich das auch in die Tat umsetzen. Fast genau vor zehn Jahren war ich zum ersten Mal zu Michael nach Friesland gefahren. Sabine fragte damals schon, “kommst du bei mir auch vorbei?”. Sie hatte mir sogar per SMS die Strecke erklärt, nur war ich da leider schon auf der Höhe von Bremen und hatte auch keine Ahnung, dass es von der Entfernung her kaum einen Unterschied macht, über Bremen oder über das Weserbergland zu fahren. Na ja. Zehn Jahre sind ja keine so lange Zeit und wie man sieht, der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Auch ich mache Fortschritte.

Ich hab mich von Anfang an Sau wohl gefühlt. Und ich hatte sogar das Glück, dass für mich ein Bettchen frei war. Ich hatte ja erst relativ spät zugesagt. Ur gemütlich, kann man da nur sagen. Irgendwie fühlte ich mich wie früher bei einem Besuch bei Oma. Auch dort gab es immer Stroh und Heu und Tiere aller Art. So eine Umgebung hat auf mich eine wesentlich beruhigendere Wirkung als zwei Schachteln Valium. Fehlte nur mehr der Hahn am Mist. Dafür gab’s Huhn am Grill. Auch nicht übel.

Samstag, 17. Juni
Ich war zeitig, also so gegen 22 Uhr, zu Bett gegangen. Immer wieder höre ich, wenn man älter wird, braucht man immer weniger Schlaf. Das ist bei mir nicht so. Sieben oder acht Stunden Schlaf, sonst seh ich am Morgen so schlecht, dass an Auto- oder gar Motorradfahren gar nicht zu denken ist. Das ist so und danach muss man sich richten. Da ich nichts alkoholisches trinke, brummt mir am Morgen auch nicht der Schädel, und weil das so ist, war 2017_hkt_202 ich kurz nach sechs Uhr schon wieder bei den Pferden im Hof. Eine der hübschen Araberinnen hatte gleich mit mir Freundschaft geschlossen. Sie kam mir sofort entgegen und ließ sich kraulen. Das ist echt süß. Ich mag Pferde. Die müssen nicht unbedingt in einem Aluminiumblock wohnen.

Um halb acht war ich wieder im Leder, um acht startete ich die XJR. Ab in den Norden, dem Michael entgegen. Treffpunkt McDonalds in Sulingen, rund 100km nördlich meines Standortes. Auch hier fährt man in der Hauptsache durch Farmland. Und man überquert die Weser. Die Überquerung des Schleusenkanal Lahde davor erinnerte mich sofort an die Brücke von Dykhausen, die ich vor zehn Jahren zum ersten Mal überquerte. Bei dieser Tour nach Friesland hatte ich zum ersten Mal den Michael gesehen. Wir kannten uns nur aus einem Motorradforum, aber er hatte mich zu sich und seiner Familie eingeladen. Genau diesem Michael fuhr ich jetzt entgegen und kein Unwetter dieser Welt hätte mich aufhalten können. Trotzdem wir vielleicht sehr verschieden sind, haben wir doch einiges gemeinsam. Wir lieben schnelle, aber auch alte Motorräder, sind im Verfolgen von Zielen stur wie ein2017_hkt_203 Panzer und schrecken auch vor harten Entscheidungen nicht zurück. Und wir sind seit damals rund 15 000km zusammen Motorrad gefahren. Am Motorrad weiß ich, was er tut und er weiß, was ich tu.

Ich war wie immer ein wenig früher dran, stellte die XJR auf den Parkplatz, ging rein und wurde von einer netten Dame gefragt, welchen Wunsch sie mir erfüllen könne. “Ich hätte gerne etwas, was nach Kaffee schmeckt” meinte ich. “Aha”, meinte sie, “etwas, das nach Kaffee schmeckt. Groß, mittel oder klein?” “Mittel bitte”. Sie stellte den Becher auf ein Tablett. “Bitte schön, einmal heißes Wasser mit Kaffee Geschmack! Zum Essen auch etwas?” “Na ja”, meinte ich und schaute auf die Bilder an der Wand. Ich hab’s nicht so mit McDonalds. Ehrlich gesagt hab ich das Zeug schon bei meiner ersten Reise in die USA nicht gemocht und gemieden wie der Teufel das Weihwasser. “Was ist den das Ding da oben mit dem Fleischleibchen drinnen?” wollte ich wissen. “Was da drinnen ist, nennt sich Frikadelle”. “Und was ist eine Frikadelle?” “Das wollen sie ganz bestimmt nicht wissen!” meinte sie. Ich dachte, wenn das so ist, wie ich glaube, dann will ich das wirklich nicht wissen. Ich war nämlich immer der Meinung, Frikadelle hat etwas mit dem Norden Deutschlands und mit Fisch zu tun und ist etwas aus Innereien von Fischen. Falsch! Frikadellen sind ganz normale Fleischlaberl, wie das der Österreicher nennt. Hackfleisch. Hätte ich auch so drauf kommen können. McD schmeckt vielleicht nicht jedermann, aber überall auf der Welt gleich. Sagt man wenigstens. “Geben sie mir einen Meck Maffin mit Speck und Ei”. “McMuffin Bacon und Egg?” “Nein, Muffin mit Speck und Ei”. “Mit Bacon?” “Ja. Von mir aus Bacon statt Speck. Geben sie her das Zeug. Passt schon.” Ich hab ihr aber beim Bezahlen schon gesagt, dass es mich freut, dass sie Humor besitzt. Jemand anders wäre mir vielleicht an die Gurgel gehüpft. “Ihr Slang ist ein wenig verwirrend” meinte sie noch. “Österreicher” sagte ich grinsend, “I am from Osterlitsch”, dann drehte ich mich um und ging in den Gastgarten.

2017_hkt_204 2017_hkt_205 2017_hkt_206 2017_hkt_208

“Fahren sie noch weit?” frug mich einer, der ebenfalls im Garten saß. “Nein. Ich Treff mich hier mit einem Freund, dann fahren wir ein Stück nach Süden und feiern ein wenig”. Dann begann es zu bollern und ein Tschobber kam angerollt. Der Herr am anderen Tisch meinte wohl, dass wäre jetzt mein Kumpel, aber ich rührte mich nicht vom Fleck. Kann nicht sein, war mir klar. Michael und Tschobber geht gar nicht. Ich schaute auf die Uhr, zehn vor halb elf. Noch zu früh. Dann hörte ich das Brüllen eines Kilo Gixxer beim Runterschalten und sah den Kapitän im Landeanflug. Fahrwerk raus, Hacken runter, Peng, Kabel drei. Perfekt. “The Gixxer has landed”. Zehn Uhr dreißig. “Nach dir kann man die Uhr richten” meinte ich, als wir uns die Hände schüttelten. Dann flogen wir in Formation zurück nach Extertal. Michael ließ die Reifen wechseln, dann rüber zu Sabine, Begrüßung, alkoholfeies Bier trinken, mit zwei hübschen und sehr netten Damen ins Kloster fahren, einen Kaffee trinken und Kuchen essen und später mit allen Anderen einen netten Abend verbringen. Ich musste leider gegen zehn Uhr wieder ins Bett, wegen der Augen, weil am nächsten Tag sollte es zeitig in der Früh wieder 800km nach Süden gehen.

2017_hkt_210 2017_hkt_212 2017_hkt_211 2017_hkt_214 2017_hkt_216 2017_hkt_217 2017_hkt_219 2017_hkt_220 2017_hkt_221 2017_hkt_222 normal_WhatsApp_Image_2017-06-17_at_16_35_34 2017_hkt_224 2017_hkt_225

Sonntag, 18. Juni
Um halb fünf weckte mich mein Telefonwecker. Am Vortag hatte ich noch gesagt, ich würde mich zwischen vier und fünf irgendwann ganz formlos und leise vom Acker machen. Hier war immerhin eine Party im Gang. Ich stand auf, zog mir das Leder an und verstaute meinen restlichen Krempel in Rucksack und Tankrucksack. “Willst du Kaffee?” flüsterte plötzlich jemand. Ich dachte fast, ich träume. Sabine stand hinter mir. Während sie mir eine Kanne Kaffee wärmte, half mir Michael, den Krempel zum Motorrad zu tragen. Ich war total sprachlos. Alles hatte ich erwartet. Sogar ein Gewitter hätte mich nicht gewundert. Mit Sabine und Michael hatte ich jetzt nicht gerechnet. Der Rest der Truppe schlief rundherum in allen möglichen Ecken und Betten verteilt den Schlaf des Gerechten. Ich trank ein paar Schluck Kaffee, wir rauchten noch eine Zigarette, und bevor ich mir den Helm aufsetzte und die Handschuhe anzog, meinte ich noch “Eine lange Motorradfahrt beginnt man am besten mit einem Lächeln, dann wird alles gut. Dieser Abschied zaubert mir genau so ein Lächeln ins Gesicht”. Dann startete ich die XJR und fuhr los. 800km später war ich zwar etwas müde, aber gesund und wieder daheim. Das Lächeln war noch immer da.

Sabine, danke für die Gastfreundschaft und Organisation. Für nächstes Jahr bitte einmal die Kautsch von heuer. Danke.
Matthias, danke fürs Grillen. Hat super geschmeckt!
Alle, die ich nach langer Zeit wieder traf oder erst, wenn auch nur kurz, kennenlernte, schön, euch getroffen zu haben. Tolle Truppe.
Michael, bis zum nächsten Mal. Pass auf dich auf.

Was wohl Opa Geuder zu so einer Tour gesagt hätte?
Du setzt dich einfach ohne nachzudenken auf ein Motorrad, das 122 000km am Tacho hat und fährst in drei Tagen 1800km, als wäre das das Selbstverständlichste der Welt. Natürlich, wie immer, ohne Probleme. So ändern sich die Zeiten. Und in tausend oder was weiß ich wie vielen Jahren lacht vielleicht auch keiner mehr, wenn du beim Tankstopp sagst, du kommst grade vom Mars und fliegst jetzt zur Wega weiter, einen Freund besuchen. Vielleicht ist dann aber auch gar keiner mehr da, der lachen könnte. Oder es gibt nichts mehr zu lachen. Wer weiß das schon.

 

Einen schönen Tag noch……………………..

28. Juli 2015

Pässetour 2015 – Vier Tagestouren aus St.Sigmund – Täglich im eigenen Bett

Filed under: Touren International — Benzin @ 17:39

Wie der Titel schon sagt, war die heurige Pässetour einmal ganz was anderes. Das war eigentlich gar nicht geplant und entstand durch einen Zufall, wenn man das als Zufall bezeichnen will. Man könnte es auch Irrtum nennen.
Im Mai vor 25 Jahren bekam ich statt der ein halbes Jahr zuvor bestellten Suzuki GSXR 1100R eine Yamaha FZR 1000 Exup, die einen Tag nachdem ich sie vom Händler holte, schon wieder kaputt war. Ein Auto hatte mich abgeschossen. Am 5. Juni 1990 meldete ich die neue FZR 1000 Exup 3LE an und dachte nicht im Traum daran, sie 25 Jahre und 71 000km später noch immer zu fahren, aber genau so ist es. Ich hab sie immer noch, und ich werde sie mit Garantie nie wieder hergeben. Dieses Motorrad ist unter anderem Schuld daran, dass die heurige Pässetour so wurde, wie wie wurde. Das andere Andere ist ein kleiner Hund. Und das kam so.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_01Ein Fahrzeug 25 Jahre lang zu besitzen, das ist, glaub ich, nicht alltäglich. Ich kenn nur sehr, sehr wenige, denen das gelungen ist. Dass ich einmal zu dieser Spezies gehören könnte, war unvorstellbar. Aber es ist passiert. 25 Jahre mit meinem ersten neuen Motorrad, 25 Jahre mit dem Motorrad, mit dem für mich ein Traum in Erfüllung ging. Es war der Traum, eines Tages eines der stärksten und schnellsten käuflichen Motorräder der Welt zu besitzen. Zu dieser Spezies gehört sie zwar von wegen 200Ps und 300km/h schon länger nicht mehr, zumindest was Rennstrecken betrifft, aber auf Landstraßen ist sie noch immer schnell genug, in allen Belangen, und ich liebe sie noch genau so wie am ersten Tag. Oder, um ehrlich zu sein, noch weit mehr, weil uns all die Erinnerungen dieser 25 gemeinsamen Jahre verbindet. Und nun, nach so langer Zeit, schreib ich über sie und über eine Tour, obwohl sie dabei überhaupt keine Rolle spielte, weil ich sie gar nicht mitgenommen hatte. Die Grundidee zu dieser Tour war aber genau durch dieses Motorrad entstanden und schien für dieses Motorrad maßgeschneidert.

Wie kann man den 25. Geburtstag eines Motorrades am besten feiern? Am besten mit einer mehrtägigen, schönen Motorradtour, dachte ich und begann zu planen. Naheliegend schien mir natürlich wieder der Gasthof Ruetz in St.Sigmund im Sellrain als Stützpunkt zu sein, wie das bei den Pässetouren von 2008 – 2012 der Fall war. Erstens ist das Sellraingebiet landschaftlich sehr schön, zweitens gehört die Familie Ruetz zu den besten Gastgebern, die man sich nur wünschen kann und drittens ist es von dort aus nicht weit zu den hohen Pässen, die mein Ziel für diese Geburtstagsfahrt waren. Öh, gewesen wären. Für die FZR kamen nur Tagestouren in Betracht, denn einen Tankrucksack oder gar größeres Gepäck würde ich nie im Leben auf dieses Motorrad schnallen. Sie hat im Laufe ihres langen und ereignisreichen Lebens zwar ein paar kleine Macken abbekommen, aber richtig zerkratzt ist sie noch immer nicht, und so soll es nun auch bleiben. Nicht umsonst gehe ich so sorgsam wie nur möglich mit ihr um. Das Timmelsjoch, der Jaufenpass und das Penser Joch sind aus St.Sigmund nur einen Katzensprung entfernt, das Stilfser Joch und selbst Livigno mit den umliegenden Bergen nicht zu weit, also alles in allem ein richtig gutes Basislager für Tagesetappen mit dem Geburtstagskind. Und genau aus diesem Grund verwarf ich auch die Idee, eine im letzten Jahr geplante Tour mit ganz anderem Verlauf zu fahren, wie sie Michael aus Friesland anfangs des Jahres im Auge hatte. “Was ist”, frug er, “fahren wir heuer diese Tour?” Ich verneinte, weil das mit der FZR einfach nicht gegangen wäre. Und dann, im Laufe der Monate, als sich der Tag der Abreise immer näher schob, wurde mir klar, dass das gesamte Vorhaben mit der FZR gar nicht so einfach durchführbar war, wie ich mir das gedacht hatte.2015_paessetour_benzin_verkleinert_01_22

Von Amstetten nach Tirol zu fahren, ist mit der FZR kein Problem, auch wenn sie ab 250km sehr unbequem wird. Dann heißt es halt die Zähne zusammenbeißen, gemütlich Kilometer für Kilometer abzuspulen und so entspannt wie möglich zu machen, sonst fällt man, ich zumindest, vom Bock. Der Kniewinkel gehört einfach zum Unbequemsten, was man sich nur denken kann, wenn man 1.86m groß ist. Eines der Hauptprobleme war das Gepäck. Ich könnte es ein paar Tage vorher mit dem Auto nach Tirol bringen und nach der Tour wieder holen, dachte ich. Abgesehen von rund 1500km Fahrt nur für den Gepäcktransport wäre dieses Problem gelöst. Dann kam noch dazu, dass ich dieses Motorrad dann 6 Tage lang bei jedem Wetter fahren müsste. Keine schöne Aussichten, wenn der Wetterbericht kurz vor der Tour beschissen ausschaut, was auch genau der Fall war. Aber so weit kam ich gar nicht, denn mir fiel noch etwas ein. Das Timmelsjoch ist 2500m hoch, das Stilfser Joch gar 2750m. Dort liegt garantiert noch Schnee, und dort wird mit größter Wahrscheinlichkeit auch Abtaumittel in Form von Salz auf der Straße liegen. Und das mit meinen güldenen Titanschrauben und all dem Schmuck und Zinober? Vom Putzen einmal ganz abgesehen. Das ist doch schon längst keine Alltagsschlampe mehr! Das Ding ist Kult! Das war der Gedanke, bei dem mir schlecht wurde. Hab ich 25 Jahre lang geschafft, wenn auch mehr aus Zufall den geplant, dieses Motorrad in bestem Zustand zu erhalten, um sie dann dem Salz im wahrsten Sinne des Wortes zum Fraß vorzuwerfen? Niemals im Leben!

Eine Idee wäre noch gewesen, eine Anhängerkupplung zu kaufen und einen Anhänger auszuleihen. Sollte kein Problem sein, dachte ich. Dann könnte ich die FZR und die XJR oder die Ace mitnehmen und je nach Wetter das Fahrzeug aussuchen, aber dann musste ich feststellen, dass auch dies eine Sackgasse war. Das grüne Monster hat seine beste Zeit schon längst hinter sich und wird bald abdanken, und der dicke Blaue Bär hat ein ganz anderes Problem. Bei dem, einem ebenfalls schon 23 Jahre alten, aber wunderschönen BMW E34 535iA, ist die hintere Stoßstange leider so gebaut, dass man ohne schneiden keine Anhängerkupplung montieren kann, und in dieses Auto zu sägen, auch wenn es nur die Stoßstange ist, kommt genau so wenig in Frage wie in eine meiner FZRs zu schneiden. Bin ich verrückt? Sicher nicht!

Ein Problem kam dann noch dazu, an das ich am Anfang des Jahres noch gar nicht denken konnte, das sich erst im Laufe des Frühlings wirklich zu einem Problem entwickelte, und das mir zumindest genau so am Herzen lag wie das Wohlergehen meiner schwarzen FZR, und das war das Wohlergehen meines kleine Hündchens. An- und Heimreise weggerechnet, da bin ich ja am selben Tag noch oder wieder zu Hause, sind es vier Tage, die ich mein kleines Mäuschen in die Obhut meiner Eltern geben musste. Vier Tage scheinen nicht viel zu sein, noch dazu, wo sich meine Eltern ganz bestimmt fürsorglich um mein Hündchen kümmern würden. Das Problem war, dass mein Hündchen über den Winter auch am rechten Auge erblindete. Nun ist mein Schlumpfhündchen auf beiden Augen blind. So lange ich bei ihr bin, kein Problem. Wir beide sind ein gutes Gespann. Ich schlepp sie, wenn ich frei hab, auch 24 Stunden am Tag mit mir herum und wenn ich arbeiten muß, schläft sie eben. Das ist sie gewöhnt, meine kleine Hündin. Meine Eltern sind aber beide über 80 Jahre alt und können nicht mehr so, wie das früher war, ergo ist mein Hündchen ziemlich stark auf mich angewiesen. Ich setze sie vor den Futter- und vor den Wassernapf, ich bürste sie, ich bade sie und sie schläft in meinem Bett. Ich bin immer für sie da. Und das wird jetzt für vier Tage nicht so sein, weil’s nicht geht. Das machte mir größere Sorgen, als ich anfangs wahr haben wollte. Bei mir, im Bett, frei im Garten oder an der Leine, ist sie ein genau so fröhliches, lebenslustiges, freches Hündchen wie jeder andere Hund auch, trotz Blindheit und 17 Jahren, aber ohne Leine, ohne eine Person, die sich so intensiv um sie kümmert wie ich, ist sie hilflos, und das machte mir schwer zu schaffen. Andererseits hatte ich mich jetzt schon Monate auf diese Tour und auf das Wiedersehen mit den Leuten gefreut. “Es wird schon gehen”, dachte ich. “Sind ja nur vier Tage!” Wohl war mir nicht dabei. Länger hätte ich sie nicht alleine gelassen, das hätte ich nicht über’s Herz gebracht. Ich kann’s nicht ändern, ich liebe mein Hündchen. Ich bin halt so.

Und darum wurde diese Pässetour ganz anders, als anfänglich gedacht. Ich fuhr nicht mit der FZR 1000, sondern mit der XJR, ich dachte ständig an mein kleines Hündchen, dafür hatte ich fünf Begleiter, die alle auf bärenstarken Raketen saßen und hungrig nach Motorradfahren waren. Und ich mit der XJR. “Das kann ja heiter werden”, dachte ich. Aber was soll’s. Viel Feind, viel Ehr. Auch am Motorrad kann ich nicht anders, ich bin halt so. Ich finde, es wurde wirklich ganz lustig.
niederoesterreich oberoesterreich salzburg bayern tirol

Sonntag, 21. Juni – Anreise
Amstetten – Autobahn Walserberg – Kufstein – Innsbruck Süd – Mutters – Axams – Kematen – A12 Oetz – Kühtai 2017m – St.Sigmund im Sellrain – Gasthof Ruetz
Streckenlänge: 432km

Von der Anreise gibts nicht all zu viel zu erzählen. Ich war gegen 5 Uhr aufgestanden, mit dem Hund ausgiebig spazieren gegangen, hatte nochmals gebadet und war auf die bepackte XJR gestiegen, um gen Westen zu fahren. Der Wetterbericht war verwirrend, aber nicht ganz hoffnungslos. Zuerst sollte es von Sonntag bis Dienstag regnen, dann schöner werden. Dann hieß es wieder, der Sonntag wäre schön, dafür ab Mittwoch regen, und dann hieß es wieder…………”Ach, leck mich doch!”, dachte ich. Wie’s ist, so ist es. Was mach ich mir da Gedanken? Obwohl übers Wetter nachdenken bei dieser Tour schon seinen Sinn hatte. Wie schon erwähnt, Timmelsjoch und Stilfserjoch je über 2500m hoch, Glockner nicht viel weniger, und der stand auch am Programm. Ich bin diese Berge zwar schon bei ziemlich jedem Wetter gefahren, selbst bei leichtem Schneefall, aber haben muß man das nicht unbedingt. Die Anreise nach Tirol war allerdings bei jedem Wetter machbar. Mit Schneefall war ja nicht direkt zu rechnen. Mit einer Mure auch nicht. Genau sowas war das nächste gröbere Problem.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_03Ich war, blöd wie ich bin, übers kleine deutsche Eck gefahren. Landschaftlich ist das ja eine recht schöne Strecke, keine Frage. Ich bin das schon mit dem LKW gefahren, da gab es noch eine Grenzkontrolle. Heute ist sie im Gegensatz zu früher schön ausgebaut, führt bei weitem nicht mehr durch alle Dörfer, vor allem nicht mehr über den engen, steilen Steinpaß, aber sie ist Geschwindigkeitsbeschränkt, dass dir das Hirn sauer wird. Beschränkungen und Überholverbote, so weit das Auge reicht. MIt einem Motorrad der helle Wahnsinn. Mit einem Auto ist mir das seltsamerweise völlig egal. Mit einem Auto fahr ich dort sicher nicht, weil ich fahren muß, sondern weil ich will. Mit dem Motorrad macht das aber auch dann keinen Spaß, wenn man fahren wollte. Hinter LKWs nach zu hampeln, obwohl man locker überholen könnte, ist einfach nur blöd. Ich fuhr trotzdem. Erstens, weil ich wie schon gesagt blöd bin und zweitens, weil nur Autobahnfahren noch viel blöder ist. Unweit nach der Grenze hat’s mich dann erwischt.2015_paessetour_benzin_verkleinert_04

Es wurde stockdunkel. “Ach, herrje, da kommt ein Gewitter”, dachte ich noch und blieb stehen. Die Regenhose hatte ich schon an, die Gore Jacke noch nicht ganz, als es zu pissen begann. “Na ja”, dachte ich, “war zu erwarten”. Auch auf österreichischer Seite war es schon mehrmals dunkel geworden, hatte sich aber wieder verzogen oder ich war durch eine Richtungsänderung dem Regen entkommen. Diesmal erwischte es mich voll. Es pisste richtig ordentlich. Das hatte aber auch den Vorteil, dass die Straße schnell sauber war, also konnte man trotz Regen wenigstens einigermaßen  vernünftig fahren und brauchte keine Schmierseife fürchten. Lange hat der Schmarrn nicht angehalten, dann wurde es zwar nicht hell, aber es hörte wieder zu regnen auf. “Also was jetzt?”, dachte ich wieder. “Regenkleidung an oder aus?” Um die nächste Ecke regnete es wieder, ergo Regenkleidung an. Irgendwo in der Gegend um Wörgl blieb ich dann an einer Tankstelle stehen, füllte den Tank und zog das Regenzeug wieder aus, dann kaufte ich mir einen Kaffee, aß eine dicke heiße Leberkäs Semmel und tratschte mit einem Tiroler über Urlaub in Amerike. Er hat angefangen! Irgendwie kam er auf eine Harley zu sprechen, und dann auf Amerika. Ich bin zwar auch schon ein wenig in der Welt herum gekommen, aber ich muss gestehen, dieser Tiroler hatte gleich nach den Chinesen die mir unverständlichste Sprache. Mann, das war ein Deutsch. Ich dachte schon, ich bin im Bregenzerwald. Vielleicht war’s aber auch gar kein echter Tiroler, sondern ein Vorarlberger auf der Durchreise, ich weiß es nicht.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_05Dann fuhr ich auf die Autobahn, bog bei Innsbruck zum Brenner ab, fuhr Innsbruck Süd ab, kehrte vor dem Kreisverkehr bei der Tankstelle ein, wie jedes Jahr, und wollte dann über Mutters, Axams und Grinzens ins Sellraingebiet fahren, auch wie jedes Jahr. Und dann stand ich vor einer Fahrverbotstafel. Die Straße über Grinzens gesperrt. “Na ja”, dachte ich, “ist ja nicht viel mehr als ein Güterweg. Der wird halt auch irgendwann reparaturbedürftig werden, und jetzt flicken sie den Asphalt”.  Also bog ich nach Kematen in Tirol ab, um von dort aus ins Sellraingebiet zu gelangen. Denkste! Straße Totalsperre. Nach St.Siegmund nur über die Autobahn und über Kühtai möglich! “Sind die deppert geworden?”, dachte ich. “Totalsperre des Sellraingebietes? Straßenbau mitten in der Hauptsaison?” Mit einer ziemlichen Wut im Bauch fuhr ich auf die Autobahn und nach Oetz, um dann über Kühtai nach St.Siegmund zu kommen. Natürlich hatte ich nicht ein paar Tage vor der Anreise beim Ruetz angerufen. Wenn ich sag, ich komme, dann komm ich. Nur ein schwerer Unfall, Krankheit oder meine Beerdigung könnte das verhindern. Und darum wusste ich nichts von der Mure. Beim See vor Kühtai hielt ich noch einmal für eine Zigarette, rief Horst und Michael an, um sie über die Straßensperre ab Kematen zu informieren, zóg mir nochmals die Regenkleidung an, weil es wieder zu pissen begann, und fuhr dann endgültig meinem Tagesziel entgegen.2015_paessetour_benzin_verkleinert_06

“Hallo, grüß euch! Endlich wieder daheim!” So oder so ähnlich grüßte ich bei der Ankunft. Nach all den Jahren ist mir St.Sigmund und der Gasthof Ruetz tatsächlich schon sowas wie eine zweite Heimat geworden. Ich bin gerne dort. “Sagt’s einmal, was ist den da bei euch los? Wieso ist die Straße gesperrt?” Was ich dann hörte, ließ mich schaudern. Starke Regenfälle hatten Muren ausgelöst, die nicht nur weite Teile der Straße durch’s Sellraingebiet vernichteten – von blockieren kann man bei diesen Schänden nicht mehr reden – sondern auch Häuser weggerissen. Gottlob kamen keine Menschenleben zu Schaden. Der finanzielle Schaden war hoch genug. Später sah ich dann Teile der Strecke von oben, von der Straße, die von Sellrain über Grinzens und Axams zur Brennerstraßen führt, und konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. Wie nach einem Dammbruch sah es da teilweise aus! Schrecklich. Gegen die Gewalten der Natur ist kein Kraut gewachsen.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_07Im Laufe des Nachmittags trafen dann auch meine Kollegen ein, die mich bei den Touren begleiten wollten. Lauter mehr oder weniger gute, alte Bekannte, denen ich zumindest schon einmal, oder öfters, begegnet war. Michael und Andre aus dem hohen Norden Deutschlands, aus Friesland und Bremen, hatten die weiteste Anreise, dann Paul aus Luxemburg, Matthias aus dem Raum Karlsruhe und Horst, der aus München kommend fast ein Heimspiel hatte. Der kennt sich dort besser aus als wir anderen zusammen. Sechs Leute aus unterschiedlichen Gegenden Europas, sechs Leute mit den unterschiedlichsten Berufen, aber mit einer Leidenschaft – Motorradfahren. Eine beachtliche Portion Leidenschaft traf sich da zum Motorradfahren, und auch der Fuhrpark war beachtlich. Zwei GSXR1000R, zwei R1, eine GSXR750R und eine einsame, dicke, über 100 000km alte Yamaha XJR mit einem alten Mann am Steuer. “Das kann ja heiter werden”, dachte ich mir bei diesem Anblick. Aber wie schon gesagt, viel Feind, viel Ehr!

 

austria italien

Montag, 22. Juni – Timmelsjoch, Jaufenpass und Penserjoch
St.Sigmund – Kühtai – Oetz – Sölden – Timmelsjoch 2474m – St.Leonhard in Passeier – Jaufenpass 2094m – Sterzing – Penser Joch 2215m – Sterzing – Brenner 1374m – Innsbruck Süd – Mutters – Götzens – Axams – Sellrain – St.Sigmund Gasthof Ruetz
Streckenlänge: 254km

Irgendwann so gegen fünf oder halb sechs wurde ich wach, nahm mir eine Zigarette und ging zum Balkon. Horst sägte noch tief und fest. Es war ziemlich frisch da draußen. Und naß. Es hatte geregnet, momentan hatte der Himmel aber seine Schleusen geschlossen. Ich überlegte, was wir heute machen konnten. Vier Touren hatte ich vorbereitet, aber weder die Reihenfolge noch der Ablauf spielten eine Rolle. Wir schliefen ja ohnehin täglich im gleichen Bett. Es war egal, wann wir was fahren würden und es war egal, wie wir die Touren wirklich fahren würden. Es gab nur zwei Fixpunkte, die zu beachten wären. Das Timmelsjoch und das Stilfser Joch. Beide 2500m oder höher. Besonders am Stilfser Joch kann kaltes, nasses Wetter unangenehm sein, weil’s dann nicht regnet, sondern schneit. Mit einem Motorrad mit breiten Straßenreifen kein Vergnügen. Timmelsjoch schätzte ich eher harmlos ein. Dort regnet ’s entweder, oder es ist neblig, oder beides. Schnee hatte ich bisher dort oben nicht erlebt. Am Stilfser Joch jedoch schon.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_036

Eigentlich hatte ich von Haus aus vor, am ersten Tag zuerst übers Timmelsjoch zu fahren, dann den Jaufenpaß hoch, dort einkehren und schauen, wie’s Wetter ist, und dann entscheiden, wie wir weiter fahren. Es sollte eine gemütliche Aufwärmtour werden, und genau so machten wir das dann auch. Ich legte mich noch eine Weile ins Bett, schlummerte vor mich dahin, stand dann gegen sieben auf und ging, wie die anderen, frühstücken. Es war noch immer nass, aber nichts besonderes, so schien es mir. Etwas wild anzuschauende Wolkenhaufen, aus deren Zwischenräumen immer wieder die Sonne durchblinzelte. “Könnte schön werden”, dachte ich. So schön zumindest, dass es keine Dreckspartie wird. 2015_paessetour_benzin_verkleinert_037

So gegen halb acht waren wir umgezogen, richteten die Motorräder fürs obligatorische Gruppenfoto her und pafften ein Zigarettchen. Engelbert Ruetz, unser Wirt meinte noch, “heute wird es schön”. “Dein Wort in Gottes Ohr”, dachte ich und schoss das Gruppenfoto. Dann rissen die Wolken auf und die Sonne kam durch. “Fahren wir”, sagte ich zu den Kumpels, “es wird schön!” und startete den Motor. Ohne Regenkombi. Optimismus ist alles! Um die nächste Ecke kann’s ja schon wieder schwarz werden.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_045Und dann fuhren wir los. Ich voran, die restlichen Fünf hinterher. Wir waren wieder unterwegs, und es war ein schönes Gefühl, wieder mit diesem Haufen unterwegs zu sein. Für mich war die letzte Tour mit diesen Leuten schon drei Jahre her. Eine lange Zeit.

Bis zum Timmelsjoch gabs eigentlich nichts besonderes, wenn man die Baustelle außer Acht lässt. Lange Zeit fährt man im Oetztal ja relativ eben im einmal breiter, einmal schmäler werdendem Tal entlang der Oetzaler Ache dahin, die dem Tal seinen Namen gibt, ohne eine sonderliche Erhebung zu erklimmen. Wirklich bergig wird die Straße erst relativ weit drinnen, in der Gegend um Sölden. In einem der Dörfer am Weg dort hin, es könnte Unterlängenfeld gewesen sein, war eine Baustelle, die Straße nur einspurig passierbar. Ampel gab es keine, nur an jedem Ende der recht übersichtlichen Baustelle einen Posten mit einer Stange, die oben ein rundes Schild trug, eine Seite rot, die andere grün. Wir näherten uns der Baustelle und ich, als Tourguide, fuhr in diese ein. Die Männer am Anfang und am Ende dieser Engstelle hielten die Schilder so, dass die grüne Seite des Löffel zu mir zeigte, also freie Fahrt.

2015_paessetour_horst_verkleinert_001 2015_paessetour_horst_verkleinert_002 2015_paessetour_michael_verkleinert_001 2015_paessetour_benzin_verkleinert_047 2015_paessetour_horst_verkleinert_003

Ich fahr in die Engstelle ein, und ein Mann in der MItte derselben, bewaffnet mit einem Funkgerät, beginnt mit den Händen zu fuchteln. Nach rechts, deutet er. “Wohin nach rechts?”, dachte ich. “Ich kann doch nicht in die Absperrung fahren, wo gearbeitet wird! Blödmann”, dachte ich, fuhr weiter, und da der immer noch nach rechts deutete, blieb ich neben ihm stehen und frug “Was ist? Was willst du mir sagen? Wo soll ich deiner Meinung nach hin?” “Wieso fährst du da in die Baustelle?”, fragte er zurück. “Weil da hinten und da vorne grün ist!” antwortete ich. “Worauf soll ich warten? Darf man bei euch in Tirol bei grün nicht fahren?” Er schüttelte den Kopf, schaute ans Ende der Baustelle, wo der Löffel grün zeigte, schaute an den Anfang der Baustelle, wo der Löffel, aus der Sicht aus der Baustelle hinaus, rot zeigte, schüttelte nochmals den Kopf und meinte “dann fahrt weiter, ihr seit ja eh schon mitten herinnen!” “Na eben”, meinte ich und fuhr, die Kollegen hinter mir, weiter. Der Typ am Ende der Baustelle begann nun ebenfalls mit seinen Händen herumzufuchteln und maulte irgend etwas daher, was ich nicht verstand, weil ich gar keine Lust auf eine weitere, sinnlose Unterhaltung hatte und einfach weiter fuhr. Die maulen und fuchteln herum und zeigen dir eine grüne Tafel. Komisches Volk.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_052Am Ende des letzten Tages, also am Abend vor der Heimfahrt, kamen unsere Tischgespräche auch irgendwie auf die Arbeitslosigkeit und darauf, was man tun könne. So ohne den Zusammenhang jetzt genau in Erinnerung zu haben sprach Matthias das Thema Umschulungen an und meinte sinngemäß “und jetzt stellst du dir die Typen von der Baustelle vor. Kommen zur Umschulung, gehen dann in die Schweiz und arbeiten bei CERN als Teilchenbeschleuniger nach dem Motto hopp hopp, mach schneller, du Sau!” Ich möchte wirklich nicht über Leute lästern, die ich gar nicht kenne. Mögen ja privat ganz nett sein. Wenn sie mir aber bei einer Baustelle grün zeigen, müssen sie schon damit rechnen, dass ich fahre. Das ist alles, was ich damit sagen will. Worauf sollte ich warten? 2015_paessetour_benzin_verkleinert_053

Bei der Auffahrt zum Timmelsjoch war so gut wie Kaiserwetter. Na gut, vielleicht nicht Kaiserwetter, aber wesentlich besser, als der Wetterbericht vermuten ließ. Es war richtig schön zu fahren. Das hielt sich bis in den Schlund nach der Mautstelle, der lang und steil nach oben führt. Dort wurde es richtig duster und oben neblig. Wie erwartet. Bei gut der Hälfte aller meiner Fahrten übers Timmelsjoch war oben Nebel, teilweise so stark, dass man nur an der Neigung der Straße erkennen konnte, dass man schon oben war und wieder runter fährt. Einmal hat mich oben fast der Schlag getroffen. Ich fuhr im Schritttempo gen Scheitelpunkt, konnte nur erahnen, wo ich mich befand, und plötzlich leuchtet es knapp vor mir rot auf. Mir blieb fast das Herz stehen. “Was ist das? Wo kommt das her?” frug ich mich. Es war ein Auto, dessen Fahrer auf die Bremse stieg, um oben anzuhalten. Der war keine 10m vor mir, doch ich hatte ihn nicht gesehen. Erst die Bremslichter zeigten seine Anwesenheit an. Meine Güte, war das ein Schreck.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_055So dicht war der Nebel diesmal nicht. Man sah zwar nicht viel, aber nicht nichts. Während die Anderen eine rauchten, den Betonklotz von innen begutachteten oder sonst was taten, wozu sie grade Lust hatten, stieg ich zum kleinen Gipfelkreuz oberhalb des Scheitelpunktes hoch und traf auf einen Deutschen mit Rucksack und Wanderausrüstung. “Hallo, Servus. Wo kommst den du her?” frug ich. “Aus Deutschland” antwortete er. “Ach”, meinte ich und dachte schon…………. “Nein, ich meine, ich wohn in Deutschland, aber ich komm von……….und dann erzählte er mir in Kurzversion, dass er über mehrere Berge den Kämmen entlang bis zum Timmelsjoch hoch gestiegen war und weiter nach Südtirol wollte. Alleine. Bei jedem Wetter. Alle Achtung! Wir unterhielten uns noch kurz, dann stieg ich wieder zu den Kumpels ab und er verschwand mit seinem Rucksack im Nebel der Berge. “Ist doch schön, wenn man einfach etwas tut, was einem Spaß macht, egal, wie beknackt es für andere klingen mag”, dachte ich, und stieg unten wieder aufs Motorrad. Vor ein paar Jahren waren es auch noch die Berge, neben den Motorrädern. Heute haben meine Träume fast nur mehr mit Motorrädern zu tun. Irgendwie zumindest.2015_paessetour_michael_verkleinert_002

Mir persönlich gefällt die Italienische Seite irgendwie besser als die Österreichische, vor allem fahrerisch. Landschaftlich kann unsere Seite durchaus mithalten, fahrerisch auf keinen Fall. Autobahnmäßig brettert man bis zur Mautstelle hoch, dann kommt der Schlund, wie ich dieses Teilstück nennen, die lange, fast grade Steigung, die gen Himmel, oder, je nach Wetter, bobbahnartig in die Eis- oder Nebelhölle führt. Bergab sind die landschaftlichen Eindrücke dort wesentlich gewaltiger als bergauf. Trotzdem noch breite Straße und absolut harmlos wirkend.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_057Die Italienische Seite ist ganz anders. Relativ eng, vom Gelände vor allem im oberen Teil sehr steil, wesentlich wilder geht’s kurven- und eckenreich nach unten, wo noch ein paar meist nasse Tunnel zur Vorsicht mahnen. Nie im Leben würde ich schnell in so einen Tunnel rein fahren! An der Grenze von draußen nach drinnen sieht man absolut nichts! Wenn da was steht oder liegt, was da nicht sein sollte? Nein, danke. Ohne mich. Glaskugel hab ich keine, und die Hellseherei ist mir nicht gegeben. Das weiß ich seit damals, als es mich auf der Hochschwab Bundesstraße aus einer – damals – kurzen Tunnelpassage heraus auf einem dicken, frischen Schotterbelag auf die Fresse haute. Bei der Einfahrt absolut nichts gesehen, und dann war es zu spät. Gottlob nix passiert, weder mir noch dem Motorrad. Nur der Knieprotektor war durchgeschliffen vom Split.2015_paessetour_benzin_verkleinert_059

Kaum in St.Leonhard im Passeier angekommen, bogen wir auch schon ohne Pause zum Jaufenpaß ab und fuhren hurtig der Passhöhe entgegen. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich da schon hoch fuhr. Es war schon einige Male. Wirklich langsam fuhr ich erst einmal hoch, und das war gezwungenermaßen im Nebel, mit dem Auto, hinter einem Deutschen her, der nie schneller als 30 – 40km/h fuhr. Trotz +200 Pferden keine Chance, den gefahrlos zu überholen. Erstens wegen dem Nebel und zweitens, weil da einer entgegen kommen könnte, der die Strecke gut kennt, und der ist dann zu schnell, um ihn rechtzeitig zu sehen. Das zahlt sich nicht aus. Eines kann ich aber sagen. Das war mühsam. Und das mit Automatikgetriebe. Die Kiste will von sich aus ohne mit der Hand herunter zu schalten gar nicht so langsam fahren, wie der fuhr.

Da diesmal kein dichter Nebel und kein blinder Deutscher vor mir war, ging’s fast bis zur Passhöhe halbwegs hurtig dahin, wo wir, dann allerdings doch wieder in leichtem Nebel, hielten und in der Jaufenhütte einen Kaffee tranken. Ja, Kaiserwetter war auch hier keines. Dicke Wolken verdüsterten den Himmel und wie gesagt, leichter Nebel war auch aufgezogen. Aber man konnte wenigstens ordentlich fahren, ohne zu frieren und ohne naß zu werden. Ich glaub, es war bei dieser Fahrt über den Jaufenpaß, wo auf der Westrampe, fast oben, ein älterer (also älter als ich) Gummikuhfahrer grade den Straßenstaub aus dem Leder klopfte und dabei wie ein Rohrspatz schimpfte, obwohl er sich offensichtlich unverletzt hochgerappelt hatte. Auf der Ostrampe, wieder noch fast oben bei einer der ersten Kehren, halfen grade zwei Autofahrer einem älteren Yamaha Fahrer auf die Beine, der offenbar ebenfalls aus unerfindlichen Gründen umgefallen war. “Na, das kann ja heiter werden”, dachte ich da. “Ein Berg, und zwei liegen”. Zwei Tage später kam es noch weit schlimmer.

2015_paessetour_matthias_verkleinert_001 2015_paessetour_andre_verkleinert_001 2015_paessetour_andre_verkleinert_002

Da es gen Osten zu, also ungefähr um Sterzing herum, wieder heller wurde, fuhren wir auch noch zum Penser Joch hoch, bestaunten auf der Scheitelhöhe eine Kawasaki Z1300 Sechszylinder (kann sich noch jemand dran erinnern?) aus erster Hand und fuhren wieder auf gleichem Weg zurück nach unten, denn im Süden war es mir zu schwarz. Bei schönerem Wetter hätten wir ja nach Bozen, zum Mendelpass und zum Gampen Joch fahren können, das düstere, wolkenverhangene Zeug im Süden sah mir aber sehr nach Regen aus. Die Runde von Sterzing über Penser Joch zum Mendelpaß und übers Gampen Joch zurück sind sicher nicht unter 150km, zusätzlich natürlich, da hatte ich irgendwie am ersten Tag und vielleicht auch noch im Regen keinen Bock drauf. Man muß ja nicht übertreiben. Wir sind das schon einmal gefahren. Es war schön. Ich hab es aber als harte, lange Tagestour in Erinnerung. Damals war durchwegs bis zurück zum Timmelsjoch Kaiserwetter. Dort, im oberen Bereich, kam dann die dicke Nebelsuppe mit den Bremslichtern, wie oben beschrieben.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_066 2015_paessetour_benzin_verkleinert_069 2015_paessetour_benzin_verkleinert_071

Über den eher langweiligen Brenner ging’s, eine ganze Weile unfreiwillig hinter einem Betonmischer her fahrend, zurück nach St.Sigmund, wo uns, nach dem Timmelsjoch der zweite, diesmal kulinarische Höhepunkt des Tages in Form des Abendessens erwartete. Meine Güte, alleine beim Gedanken daran rinnt mir wieder das Wasser im Mund zusammen. Nach einem Appetithappen und einer Vorspeise gabs gegrilltes am Spieß mit anschließender Nachspeise. Was soll ich dazu sagen? Am besten brachten es Michaels Worte herüber, denke ich. “Da kocht nicht jemand, weil er kochen muss. Da kocht jemand, weil er es kann!” Und es offenbar gerne tut, wie ich meine. Und wenn’s jeden Tag regnet, das Essen beim Ruetz entschädigt dich für fast alles! Kompliment an die Küche. Nur zu lange sollte das Schlechtwetter nicht anhalten, sonst passt die Lederkombi nicht mehr.

tirol vorarlberg

Dienstag, 23. Juni – Hahntennjoch 1894m – Furkajoch 1759m – Silvretta Hochalpenstraße 2036m
St.Sigmund – Kühtai – Haimingerberg – Imst – Hahntennjoch 1894m – Häselgehr – Warth – Au – Damüls – L51 – Furkajoch 1759m – Rankweil – Übersaxen – Thüringen – Bludenz – St.Gallenkirchen – Silvretta Hochalpenstraße – Bielerhöhe 2036m – Landeck – A12 Oetz – Kühtai – St.Sigmund
Streckenlänge: rund 351km

Genau diese Tour war für schlechtes Wetter gedacht. Genau diese Tour waren Horst, Axel und ich schon einmal bei Regen gefahren. Ich hab sie auch bei Regen sehr schön in Erinnerung. Bis auf das Öl am Hahntennjoch. Das hab ich in eher unschöner Erinnerung. Ich dachte, ich weiß, diese Tour ist auch bei Regen schön zu fahren, die fahren wir an einem Tag, wo das Wetter wirklich unsicher ist. Da ist nichts besonders hoch, aber doch interessant. Hahntennjoch und Furkajoch finde ich auch bei schlechtem Wetter aufregend schön. Wenn die Wolkenschwaden durch den Fels ziehen, das gibt optisch schon was her. Blöd wäre nur gewesen, dass wir, falls es auch auf der Silvretta regnen sollte, schon wieder nix von der Landschaft dort sehen würden. Bisher kannte ich nur die nasse Straße, das dicke Wasserrohr oben, die Staumauer und den See, und letzteren auch nur schemenhaft durch eine dicke Nebelsuppe. Sonst hatte ich bis zu diesem Tag keine Ahnung, wie es auf der Silvretta Hochalpenstraße ausschaut. Dreimal fahren, dreimal Scheißwetter! Diesmal war es anders. Ich weiß jetzt, wie es dort oben ausschaut!

2015_paessetour_benzin_verkleinert_076“Das wird heute eine Regenpartie”, war ich am Morgen fast überzeugt. “Schon wieder seh ich nicht, wie’s auf der Silvretta ausschaut”. Irgendwie fand ich das sogar lustig. Bei der Pässetour 2008 war ich erstmals auf der Silvretta. Es pisste wie Sau. 2011 war ich zum zweiten Mal dort, wieder Regen. Und diesmal wahrscheinlich wieder. Über sowas lach ich lieber, als mich zu ärgern. Ändert ja sowieso nichts. Dann kam Engelbert Ruetz, unser Wirt, und meinte “Heute wird’s wieder schön, ihr werdet sehen”. Ich zweifelte. “Nochmals so ein Glück wie am Vortag? Ich weiß nicht recht?”2015_paessetour_benzin_verkleinert_079

Es war zwar nass, aber wir fuhren ohne Regenkombi los. “Die können wir noch immer anziehen”, dachte ich. Kühtai blieb uns nicht erspart, aber um nicht schon wieder nach Oetz fahren zu müssen, nahmen wir den Weg über den Heiminger Berg runter und fuhren auf der B171 weiter Richtung Imst. Weit kamen wir nicht. Es begann erwartungsgemäß zu regnen. Gottlob kam gleich rechts ein großer Parkplatz, oder war’s eine Bushaltestelle, wo schon Motorräder standen. Ich glaub, es waren Slowenen, die sich da grade Regenkleidung anzogen. Auch wir beeilten uns, unser wasserdichtes Zeug anzuziehen, denn es wurde beträchtlich kühler, und vor allem schwarz. Jetzt kam mir meine Testfahrt rund zwei Wochen vorher zu gute.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_082Ich war seit gut zwei Jahren nicht mehr im Regen gefahren und dachte, ich übe lieber ein wenig, sonst bleib ich über, wenn’s regnet. Zumindest vom Horst, Michael und von Paul weiß ich, dass die auch im Regen keine Nasenbohrer sind, da wollte ich mir nicht antun, als Tourguide der langsamste zu sein. Vor allem wollte ich mir nicht antun, Angst zu haben. Regenfahren ist reine Übungssache. Wer viel übt, weiß, wie sich das anfühlt, hat keine Angst, ist sicherer und automatisch auch flotter unterwegs. Also war ich an einem regnerischen Tag auf die XJR gestiegen und los gefahren. Rund 200 Kilometer. Schön war’s! Ich fühlte mich trotz der langen Pause sofort wieder wohl, hatte sofort wieder das Gefühl für den Vorderreifen und keinerlei Angst. Aber diese Trainingstour hatte auch eine Überraschung parat. Ich war zwischen den Beinen und am Oberkörper nass wie Sau!

“Gibts doch nicht”, dachte ich und untersuchte die billige, aber bisher sehr gut wasserdichte Regenhose und die gar nicht billige Gort Tex Jacke, die ich früher zum Bergwandern anzog. Allerdings hat das Zeug seine Tücken. Wird das öfters nass, wird das öfters auch noch gewaschen, weil’s dreckig ist, wird das undicht. Die Gore Tex Jacke wird insofern undicht, weil das Trägermaterial, meist Leinen, als Brücke dient, um Wasser an Stellen ins Innere zu bringen, wo normal keines hin kommt. Als ich pitsch nass Heim kam, was ich zuerst sauer, dann nahm ich allerdings einen Imprägnierspray und sprühte damit die Jacke und die Hose ein, ließ beides trocknen und packte das Zeug in den Tankrucksack. Und nun, bei der Regenfahrt übers Hahntennjoch tat es genau das, wofür ich es mitgenommen hatte. Es hielt mich trocken und warm. Alles dicht! Da macht Motorradfahren Spaß. Ohne diese Test Tour wäre ich genau am Hahntennjoch nass gewesen.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_087 2015_paessetour_benzin_verkleinert_092 2015_paessetour_benzin_verkleinert_094

Die Meinung, “ eine Regenkombi ist nur was für Weicheier” vertrete ich schon lange nicht mehr. Seit der ersten Pässetour, um genau zu sein. Ich hab einfach keine Lust mehr, nass zu sein. Ich hab keinen Bock mehr, zu frieren und zu zittern wie ein Vollidiot. 1980, bei der Fahrt zum Elefantentreffen am Salzburgring, haben Kurt und ich noch gelacht, als wir vor lauter Kälte in Mondsee beim Kaffee trinken fast den ganzen Kaffee verschüttet haben. Da war ich zwanzig. Heute empfinde ich sowas nur mehr als Schwachsinn. Fehlen nur mehr Rückenschmerzen, dass ich mir am nächsten Morgen die Stiefel nicht mehr anziehen kann, dann ist die Tour gelaufen. Nein, danke. Muß nicht sein. Also dichtes Regenzeug, dann macht das Spaß. Ich werd alt. Und bequem.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_102Also wie gesagt, ich fand es ganz lustig, im Regen zu fahren. Trotzdem hielt ich diesmal besonders nach Ölflecken Ausschau. Seit 2011 denke ich bei Hahntennjoch zuerst an Öl, und dann erst an kurvenreiche Strecken und Spaß beim Fahren. Auch auf sowas hab ich keinen Bock mehr, weil das vielleicht doch nicht immer gut geht. Offenbar waren alle recht gut drauf, dann oben angekommen, war unser Haufen noch dicht beisammen. Aber die Jungs können schon fahren, und das ist nicht nur insofern schön, weil das so mehr Spaß macht, sondern es ist auch sicherer! Wenn da einer dabei wäre, der ständig was weiß ich wie weit abreißen lassen muss, weil er nicht mit kommt, da macht man nervlich was mit, bis der wieder da ist. Das muß ich auch nicht haben und darum scheue ich es, Fremde mit zu haben. Ständig die Angst, es könnte was passiert sein? Nö, danke. Ich sorg schon selber oft genug für “Äktschn”, da ist mir lieber, wenn ich mich wenigsten auf die Anderen verlassen kann.2015_paessetour_matthias_verkleinert_003

Eigentlich war’s droben am Hahntennjoch ja schon wieder trocken. Aber kalt und windig. Drum ließen wir das Regenzeug lieber an und fuhren wieder runter. Bei der Rast an einer Tankstelle entlang der Bundesstraße 198, die von Reutte nach Warth führt, zogen wir uns allerdings wieder um und oh Wunder, trotzdem es mehrmals wieder schwarz wurde und nach Regen aussah, blieben wir bis zur Rückkehr nach St.Sigmund von weiterem Regen verschont.

2015_paessetour_matthias_verkleinert_004Das Furkajoch zwischen Damüls und Rankweil ist zwar nicht hoch, mit 1759m ungefähr so hoch wie der Sölkpaß in der Steiermark, aber landschaftlich sehr hübsch. Das ist keine zerklüftete Felslandschaft wie am Hahntennjoch, das auch nur 100m höher ist, das ist Almgebiet, wo die Glocken bimmeln. Nicht Kirchenglocken, sondern die Glocken der Kühe. Das ist schön. Genau so schön ist, dass es offenbar wenig befahren ist. Vor allem bei eher schlechtem Wetter im Juni und unter der Woche. Kaum, dass dir überhaupt Fahrzeuge begegnen. Vorsichtig wäre ich trotzdem immer. Almgebiet heißt in der Regel auch Traktorverkehr! Mit 220 abzufliegen ist vielleicht auch nicht wirklich heldenhaft, mit hundert in einen Traktor zu donnern allerdings noch viel weniger, denke ich.

Die Fahrt von Rankweil über Übersaxen nach Thüringen ist auch nicht ohne. Teilweise relativ eng, kurvenreich und mit schönen Aussichten schlängelt sich die Straße dahin, ohne große Gefahr, dass man sich verfahren könnte. Die einzige Schwachstelle ist das Navi, wenn man Pech hat. Ich hatte meist nur eine der nächsten größere Ortschaft eingegeben und auf “Kurvenreiche Strecke” gedrückt, weil ich einfach zu faul war, auf eine Karte zu schauen und weil es eigentlich egal ist, wo man genau fährt, so lange es ungefähr der gewünschten Route entspricht. Wir kennen ja ohnehin nichts, uns ist alles, mehr oder weniger, neu. Na, und dann kamen wir aus dem Winkelwerk heraus zu einer Hauptstraße, ich denk mir “Jetzt gibst du Thüringen und kurvenreiche Strecke ein”, weil da wollen wir unbedingt wegen dem Matthias hin, einem ehemaligen Ossi der sich freut, wenn er wieder einmal nach Thüringen kommt, und dann lockt mich dieses Mistding wieder einmal in eine Falle. Ich hab mir gleich beim Abbiegen in die schmale Straße gedacht, “Das wird wieder einmal ein Griff ins Klo”, aber da wars mehr oder weniger zu spät. Das es keiner bemerkt, darauf durfte ich nicht hoffen. Es war zu offensichtlich, dass wir gleich wieder auf der gleichen Hauptstraßen waren, auf der wir grade vorhin fuhren. Na ja, ich hatte ja den Helm auf, so konnte man die rote Birne nicht sehen. Mann, wie ich das hasse! Ohne Navi bin ich noch nie so einen Scheiß gefahren wie mit Navi. Ehrlich.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_106 2015_paessetour_benzin_verkleinert_110 2015_paessetour_benzin_verkleinert_107 2015_paessetour_benzin_verkleinert_111 2015_paessetour_benzin_verkleinert_115 2015_paessetour_benzin_verkleinert_118

Ach ja, weil’s mir grade einfällt. Wir haben wieder beim gleichen Wirt gegessen wie vor vier Jahren. Das muß irgendwo in der Gegend um Düns sein, oder so. Rechts das Gasthaus, links der Schotterparkplatz, da konnte ich mich sofort wieder dran erinnern. Diesmal standen keine Traktor am Parkplatz.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_120Dann ging die Fahrt eher langweilig, aber es geht nicht anders, nach Bludenz, beim China Restaurant vorbei, wo wir schon einmal gegessen hatten, und diesmal dank Navi ohne Probleme zur Silvretta. Und vor allem ohne Regen. Ich glaub’s einfach nicht. Es war trocken! Ich weiß jetzt, wie es auf der Silvretta ausschaut! Ich sah das Kurvengewirr unter mir vom Rand der Straße, ich sah den Stausee in seiner ganzen Größe und ich sah die Berge dahinter. Und das dicke Rohr, das bisher nur aus der Nebel- und Regenwand rechts heraus zu kommen schien und links wieder im Regen und Nebel verschwand, dass machte plötzlich auch irgendwie Sinn. Ob das Ding Wasser zu einer Turbine transportiert oder doch nur Wasserdampf für die Nebelwerfer, weiß ich zwar immer noch nicht, aber es führt jedenfalls nicht nur aus dem Nebel heraus und wieder in den Nebel hinein, wie ich bisher dachte. Diese Erkenntnis ist ja immerhin schon was. Die Abfahrt von der Bielerhöhe nach Landeck empfand ich auch ganz anders als bisher. Da ist Landschaft. Da ist Weite. Da ist Räumlichkeit. Nicht nur dichter Nebel. Das ist schön! Ich würde aber so sagen. Jedes Wetter hat seine Reize. Jedoch ist die Silvretta ohne Regen und ohne Nebel viel reizvoller als mit, daran gibts nichts zu rütteln.2015_paessetour_benzin_verkleinert_126

Als ich zu diesen Erkenntnissen kam, war es gegen 16:00 Uhr, und wir waren noch ein ganzes Stück von St.Sigmund entfernt. Von Galtür sind es noch über 120km bis zum Ruetz. “Wenn wir jetzt noch über die Pillerhöhe fahren, wie wir das eigentlich geplant hatten, wird’s dunkel”, dachte ich, und das gute Abendessen würde sich auch in die Nacht hinein ziehen. Auf der Bundesstraße und über die Pillerhöhe ist es weiter als über die Autobahn und man ist wesentlich langsamer. Also weiter bis Landeck, dann auf die Autobahn und ab nach Hause, zum Ruetz, wo wir um 17:30 Uhr das erste Bier anschlugen. Dann umziehen, Abendessen – das Essen war wie immer ein Hochgenuss – dann noch etwas quatschen und ab in die Heia. Ich zumindest. Ich brauch meinen Schönheitsschlaf, und ich freute mich schon auf den nächsten Tag. Auf die Schweiz, auf Livigno und aufs Stilfser Joch.

austria schweiz italien

Mittwoch, 24. Juni – Berninapass 2328m – Forcola di Livigno 2315m – Passo d´Eira 2211m – Passo di Foscagno 2291m – Stilfserjoch 2757m
St.Sigmund – Oetz – Landeck – Nauders – B185 – Martina (CH) – Susch – Zernez – Samedan – B29 – Berninapass 2328m – Forcola di Livigno 2315m – Livigno – Passo d´Eira 2211 – Passo di Foscagno 2291m – Bormio – Stilfserjoch 2757m – Umbrailpass 2501m – Santa Maria im Münstertal – Laatsch – Mals – Reschenpass 1507m – Landeck – A12 – Oetz – Kühtai – St.Sigmund
Streckenlänge: rund 450km

Die Tour dieses Tages würde ich persönlich als die Königsetappe bezeichnen. Nicht wegen der  Streckenlänge. Sicher, 450km sind für einen Tag nicht wenig. Vor allem, wenn die Route über mehrere Pässe führt. Genau das ist bei dieser Tagestour der Fall. Sie führt über mehrere Pässe, die jenseits der 2000m Marke hoch liegen. Den Anfang machte der Bernina Pass, und der war ursprünglich gar nicht geplant.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_129Wir fuhren wieder gegen 8:00 Uhr los. Zuerst, weil’s eh nicht anders geht, über Kühtai nach Oetz und von dort auf der Inntalautobahn bis Landeck. Dann durch den Landecker Tunnel und der Reschenstraße entlang bis Nauders. Eigentlich könnte man ja schon bei der geschichtsträchtigen Kajetansbrücke in die Schweiz abzweigen, aber diese Strecke war ich schon gefahren. Die rund acht Kilometer von Nauders bis zur (aufgelassenen) Zollstelle in Martinsbruck kannte ich allerdings noch nicht und wollte sie schon länger fahren. Diesmal standen die Winde günstig, keine Baustelle oder gar Totalsperre machte das Vorhaben zunichte, wie bei den letzten Versuchen.2015_paessetour_benzin_verkleinert_146

Nun, die paar Kilometer zwischen Österreich und der Schweiz, die durchwegs durch Wald führen, fand ich ganz lustig. Bis zur Norbertshöhe steigt die Martinsbrucker Straße (B185) ja einfach nur ohne sonderliche Krümmungen bergwärts an, ab dann begibt man sich, so hatte ich den Eindruck, auf eine Art Kart Bahn, die kurvenreich und relativ eng bis zur Schweizer Grenzstelle führt. Gottlob gibt’s dort kaum Verkehr, was eine einigermaßen flotte Fahrt ermöglicht, anderenfalls gäbe es dort wohl kaum Überholmöglichkeiten. Interessant ist vielleicht, dass diese Straße schon von 1870 – 1872 von Österreichischer Seite aus gebaut wurde, was bedeutet, dass es diese Verbindung schon vor dem motorisierten Straßenverkehr gab. Mag für viele vielleicht total uninteressant sein, für mich sind das aber Kleinigkeiten an einer Tour, die mir heute mehr geben als ein später Bremspunkt oder größtmögliche Schräglage. Dafür alleine würde ich weder nach Tirol, nach Vorarlberg noch in die Schweiz oder nach Italien fahren, das hab ich daheim auch. So Kleinigkeiten wie geschichtliche Hintergründe saug ich auf Reisen auf wie ein trockener Schwamm das Wasser. Das reizt mich.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_154Egal, wie man fährt, ob bei der Kajetansbrücke rechts oder erst in Nauders über die Martinshöhe, auf der Schweizer Seite trifft man auf jeden Fall auf die Bundesstraße 27, die in westlicher Richtung nach Susch führt. Von Susch bis Zernez ist es nicht weit, dann kann, oder muß man sich entscheiden, wie’s weiter gehen soll. Welche Möglichkeiten hat man? Man kann ab Zernez der Bundesstraße 28 ins Münstertal folgen, um entweder in Santa Maria rechts über den Umbrailpass zum Stilfserjoch zu gelangen, man kann aber auch nur bis zum westlichen Anstieg des Ofenpass fahren und durch den Munt la Schera Tunnel zum Lago di Livigno, oder man entscheidet sich für die Weiterfahrt auf der B27 Richtung St. Moritz, wie wir das taten. Wir fuhren bis Samedan weiter und bogen dann zum Berninapass ab. Wenn man sehr beknackt ist, aufs Kilometerfressen, oder einfach nur aufs Pässe sammeln aus ist, könnte man noch den Albulapass mitnehmen und über den Julierpass zurück nach St.Moritz und nach Samedan fahren. Dazu braucht’s aber eine sehr frühe Abfahrt und wirklich gutes Sitzfleisch, weil dann dehnt sich die Tour schnell auf mehr als 600km. Alleine würde ich das wahrscheinlich machen, weil es mir nichts aus macht, um fünf Uhr morgens wegzufahren. Mit weiteren fünf Kollegen ist das allerdings nicht mehr ganz so einfach. Nicht jeder steht gerne so früh auf. Nicht jeder findet Spaß daran, 600km und mehr am Tag abzuspulen. Zeit zum Rasten bleibt da nämlich nicht mehr viel. Aber wenn man sich absolut nichts besseres vorgenommen hat, als einen ganzen Tag vom Morgengrauen bis zur Dämmerung Motorrad zu fahren, dann kann sowas eine tolle Tour sein.2015_paessetour_benzin_verkleinert_155_2

Auch unsere Tour war toll. Wir hatten sogar Zeit, etwas zu rasten und einfach die Seele baumeln zu lassen. Wenn auch nicht unbedingt reichlich. 450km sind auch erst einmal abzuspulen.
Wie gesagt bogen wir bei Samedan zum Berninapass ab und bummelten genüsslich und langsam zur Passhöhe hinauf. Drüben fährt man bis zu einer Kreuzung wieder runter, biegt links ab und gelangt durch ein langes, aber nicht all zu steiles Tal zur Forcola di Livigno hinauf, wo wir bei der neu eröffneten “Foresteria 2315” Rast hielten. Das erwähne ich nicht deshalb, weil ich einen irgendwie gearteten Vorteil davon hätte, sondern aus einem anderen Grund. Wir stellten die Motorräder ab, gingen hinein und bestellten offenbar durchwegs Kaputschino, öh, ich meine natürlich Cappuccino. Bevor mir die Kellnerin meinen aufs Tablett stellte, drückte sie aus so einer Art Sprühflasche durch eine feine Düse eine Schokoladenverzierung aufs Obers. Beim näheren Hinschauen hatte ich den Eindruck, die Dame hätte da eine Nummer hingeschrieben. Ihre Telefonnummer? “Kann ja wohl nicht sein”, dachte ich. Sie drückte auf jeden Cappuccino diese Nummer drauf! 2315. Mein Gesichtsausdruck muss ziemlich belämmert gewesen sein, denn die – ausschließlich italienisch sprechende – Kellnerin deutete mit einem Lächeln nach oben. Oberhalb der Bar waren Schilder, auf denen die Auflösung des Rätsels zu lesen war – “Foresteria 2315” Das war des Rätsels Lösung. Es war der Name der Labstelle.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_158 2015_paessetour_benzin_verkleinert_160 2015_paessetour_michael_verkleinert_003 2015_paessetour_benzin_verkleinert_165

Ein weiteres Rätsel löste sich draußen bei den Motorrädern auf. Als wir unsere Mühlen abstellten, wird wohl jedem der kleine Stapel Aluminiumplatten am Fensterbrett aufgefallen sein. Da war auch eine Art Karikatur auf einem in Folie eingeschweißtem Papier. Wie viele die angeschaut hatten, und wie viele ihre Bedeutung richtig deuteten, weiß ich nicht, aber spätestens als die Motorräder immer schiefer und schiefer auf den Seitenständern standen und umzufallen drohten, wird es auch Eumel wie mir gedämmert haben, dass man die unter den Seitenständer legen sollte. Der Asphalt wurde bei Wärme, und warm war es reichlich, so weich, dass sich die Seitenständer der Maschinen einsanken. Wohl so tief, bis die Kisten zu guter letzt am Boden lagen. Meine Kumpels hatten aber aufgepasst, die Gefahr erkannt und auch unter meinen Seitenständer ein Plättchen untergelegt. Ich war nämlich einem schmalen Pfad einen Geröllhang nach oben gefolgt, weil mich der Ausblick von dort oben interessierte. Ich kann da einfach nicht anders.2015_paessetour_benzin_verkleinert_174

Unten in Livigno wollten wir tanken, Benzin kostete dort nur ungefähr einen Euro, und Michael wollte auch Zigaretten kaufen. Livigno ist ja auf Grund seiner Lage, eingeklemmt zwischen mehreren hohen Pässen, recht abgeschieden und deswegen eine Zollfreizone. Trotz mehrerer Tankstellen war alleine schon Benzin zu bekommen, wollte man keinen Tankautomaten benützen, eine Herausforderung. Vier oder fünf Tankstellen, davon nur eine einzige mit Bedienung. Der Rest Automaten. Zollfreie Zigaretten gabs wohl irgendwo, aber wo, fanden wir nicht heraus. Dabei, ich mag mich irren, scheint mir Livigno auch im Sommer recht gut besucht zu sein. Irgendwie versteh ich die Geschäftsmodelle der Italiener nicht wirklich. Man könnte was kaufen, wenn die Läden oder die Tankstellen nicht ständig aus, zumindest für Fremde, unerfindlichen Gründen geschlossen wären. Ich glaub, ich bin in Italien schon an mehr geschlossenen als offenen Tankstellen vorbei gefahren. Treibstoff muß in Italien ein bomben Geschäft sein. Oder offen halten kommt teurer als zusperren. Ich weiß es nicht.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_189Bei der Fahrt nach Bormio überquert man zwei Pässe, den Passo d´Eira mit 2211m und den Passo di Foscagno mit 2291m. Bei der Auffahrt zum ersten Pass sieht man an einigen Stellen schön ins Tal und nach Livigno runter. Wir hielten bei einem Parkplatz an einer Kehre, schauen uns die Gegend an und ich fotografierte einige Motorradfahrer, die an uns vorbei fuhren. Unter anderem zwei deutsche Harley Fahrer. Einen davon sahen wir bei der Abfahrt des zweiten Passes nach Bormio wieder. Er lag verletzt mitten auf der Straße und wartete in Beisein seiner Kollegen auf die Rettung. In kurzer Zeit bildete sich ein ziemlich gewaltiger Stau. Wir schalteten den Motor der Motorräder ab und rollten vorsichtig am Unfall vorbei nach unten, wo wir wieder starteten. Dort zu stürzen ist insofern schlimm, weil die nächste Ortschaft recht weit entfernt ist. Der arme Kerl musste sicher sehr lange auf ärztliche Hilfe warten. Wir waren nicht mehr weit vom Abzweig zum Stilfserjoch entfernt, als uns die Rettung mit Blaulicht entgegen kam.

Wie immer, hab ich die Auffahrt zum Stilfserjoch sehr genossen. Wir fuhren nicht in geschlossener Gruppe. Jeder fuhr mehr oder weniger, wie er wollte, oder schloß sich mit anderen zusammen. Ich fuhr im oberen Teil alleine, fotografierte, genoss die Gegend und trödelte herum. Ich fuhr auch einen alten, seit langem nicht mehr in Betrieb befindlichen Teil dieser Straße, die sich in der Gegend der westlichen Steilstufe befindet. Einmal rauf und einmal runter. Hat mir gefallen. Dem Matthias hatte ich etwa in dieser Gegend erklärt, er solle oben an der Kreuzung keinen Blödsinn machen, sondern links abbiegen, sonst fährt er in die Schweiz. Michael stand dabei und hörte zu. Beide befolgen meine Anweisung genau und fuhren zusammen am Abzweig links. In die Schweiz!

2015_paessetour_andre_verkleinert_004 2015_paessetour_andre_verkleinert_005 2015_paessetour_horst_verkleinert_005 2015_paessetour_horst_verkleinert_006 2015_paessetour_andre_verkleinert_006

Was ich mir dabei gedacht hatte, ist mir schleierhaft. Offenbar war ich im Kopf nicht ganz bei der Sache und meinte, wir fahren über den Umbrailpass hoch, anders kann ich mir das nicht erklären. Vom Umbrailpass kommend muß man an der Kreuzung nach dem alten Zollhaus links fahren, sonst fährt man, nein, nicht in die Schweiz, sondern nach Bormio. Links gehts zum Stilfserjoch. Blöd war nur, wir fuhren aus Bormio zum Stilfserjoch hoch und nicht aus der Schweiz. Am Stilfserjoch angekommen fand ich sofort drei meiner Kollegen, nur Michael und Matthias waren nicht angekommen. Noch nicht. Die trödeln sicher irgendwo herum, dachte ich. Macht ja nichts. Nach einer Weile wurde es mir unangenehm. “Wird doch nichts passiert sein?”, dachte ich. Ich fuhr wieder zur Kreuzung runter, wo’s nach Bormio und in die Schweiz geht, wartete, schaute, schaltete das Telefon ein, telefonierte, niemand meldete sich. Ich wurde unruhiger und unruhiger. “Wie kann man sich da verfehlen?”, fragte ich mich. “Die können doch nicht irrtümlich nach Bormio runter gefahren sein?”

2015_paessetour_matthias_verkleinert_005Noch immer kam ich nicht auf die Idee, dass das alles Blödsinn war, kam ich nicht drauf, was da lief, was ich verursacht hatte! Ich kam einfach nicht drauf, dass wir aus Bormio rauf gefahren waren, dass es bei der Kreuzung links in die Schweiz geht! Dann bimmelte mein Telefon. “Wir sind beim Gasthof Alpenrose”. Also in der Schweiz. Ich war sprachlos. “Wie gibts das, dass man das Stilfserjoch nicht findet?”, fragte ich mich. Michael meinte später, “Du hast gesagt, bei der Kreuzung sollen wir links fahren und nicht rechts!” “Ja, genau”, meinte ich. “Nicht nach Bormio runter……………………”. Dann fiel es mir wie Schuppen aus dem Haar, oder so. Was hatte ich mir da gedacht? Wie kann man so einen Unsinn verzapfen? Matthias war noch nie am Stilfserjoch, Michael schon, aber der meint, oder meinte bis zu diesem Zeitpunkt, “der Ösi kennt sich aus, der weiß, was er sagt” und folgte meiner Anweisung. Nicht nach rechts bei der Kreuzung, aufs Stilfserjoch rauf, sondern nach links, in die Schweiz. Also jetzt einmal ehrlich. So einen Bock hab ich schon lange nicht mehr geschossen. Wenn überhaupt jemals. Irgendwie war für mich so selbstverständlich, dass das Stilfserjoch ganz oben ist, dass ich, aus welchen Gründen auch immer, da totale Scheiße verzapft hab. Entweder war ich nicht wirklich bei der Sache, als ich das verzapfte, oder mir ist von der Hirnhautentzündung ein Dachschaden geblieben. Jedenfalls war ich am Abend rechtschaffen hungrig und müde und ging nach dem köstlichen Abendessen wieder zeitig ins Bett. Dass wir am nächsten Tag nicht zum Glockner fahren, stand schon fest, also konnten wir uns ausschlafen, wenn wir wollten. Oder noch eine Weile sitzen bleiben.

tirol

Donnerstag, 25. Juni – Kaunertaler Gletscherstraße 2750m
Streckenlänge
: rund 200km

Wir blieben relativ lange liegen und trödelten auch nach dem Frühstück noch gehörig herum. Wir hatten Zeit. Alle Zeit der Welt. Wir mußten nirgends hin. Das war das Angenehme bei dieser Tour. Täglich im eigenen Bett, kein Streß, Kilometer fahren zu müssen, irgendwo hin zu müssen, weil sonst der Urlaub zu Ende geht. Wir konnten den ganzen Tag tun und lassen, was immer wir wollten. Und wenn wir bei der nächsten Kreuzung links statt rechts fahren wollten, konnten wir das ohne irgend welche Folgen tun. Und aus diesem Grund fuhren wir nicht zum Großglockner, sondern zum Kaunertaler Gletscher. Das Ende der Strecke liegt immerhin auf 2750m, also so hoch wie das Stilfserjoch, und die Gegend ist sehr schön. Ein paar von uns waren ja schon einmal dort.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_218Bei der Fahrt nach Oetz klappte ja noch alles recht reibungslos. Ich hatte keinen Plan, wie wir ins Kaunertal fahren würden. Es war mir egal. Ich dachte, wenn ich das Navi eingeschaltet lasse, Ziel Kaunertal, ist es doch vollkommen egal, wo wir fahren. Es wird schon ein paar Straßen geben, die wir noch nicht kennen, und weit ist es nicht ins Kaunertal. Nach Oetz, auf der Straße ins Inntal raus wusste ich eine Brücke, auf der man die Oetztaler Ache überqueren kann. Man kommt auf schmalen Güterwegen nach Sautens, und von dort führt eine schmale Straße quer durch den Wald zur Bundesstraße 171. Ich glaub, wenn man dort noch nie gefahren ist, dreht man um, weil man denkt, man befindet sich auf einen Radweg, so schmal und verschlungen gehts durch den dunklen Wald. Das ist aber eine öffentliche, mit Kraftfahrzeugen befahrbare Straße und kein Radweg. Ich fuhr dort schon einmal. Dieser Waldweg dürfte bei den Kollegen für etwas Verwirrung gesorgt haben. Irgendwie hatte ich ab da das komische Gefühl, die denken, ich weiß nicht, wo wir sind und wo ich fahr, geschweige den, wie man ins Kaunertal kommt.2015_paessetour_benzin_verkleinert_222

Dieses Gefühl hatte ich deswegen, weil mir auf der Bundesstraße keiner mehr nach fuhr. Fuhr ich hundert, fuhren alle hinterm Horst achzig. Fuhr ich achzig, fuhren die hinterm Horst noch langsamer. Grad so, als würden wir gar nicht zusammen gehören. Gut, sie wussten nicht, dass mir der Weg egal war, aber wir wollten doch ins Kaunertal und noch dazu hatte ich das Navi eingeschaltet. Da kann praktisch nichts passieren, egal, wo man fährt. Als mir keiner folgen wollte und mir dann auch noch die Nase zu laufen begann, bog ich einfach nach Imst ab, hielt bei einer Tankstelle und kaufte Taschentücher. Dann putzte ich mir die Nase und meinte „So, und jetzt könnt ihr hinterm Horst her fahren, so langsam ihr wollt. Mir ist das egal. Von mir aus fahren wir vierzig. Ich fahr als letzter!“ Und so fuhren wir hinterm Horst über die Pillerhöhe ins Kaunertal, ich als letzter. Oder als Vorletzter, weil meistens Andre hinter mir fuhr.

2015_paessetour_benzin_verkleinert_226Nach dem bezahlen der Streckenmaut, die Kaunertaler Gletscherstraße ist mautpflichtig, legte ich den Helm auf den Tank und fuhr los. Ganz gemütlich bummelte ich bis zum Gabatsch Stausee, und weil keiner hinter mir war, zog ich nach einer kleinen Fotopause weiter dem höchsten Punkt der Strecke entgegen. Das war richtig schön. Ohne Helm, ohne Handschuhe, der Wind weht um die Ohnren, man hört und sieht alles frei und ungehindert. Das ist Freiheit. Und das ist auch absolut gefahrlos, finde ich. Wer Angst hat, mit seinem Motorrad bei 40km/h einen Unfall zu haben und sich schwer zu verletzten, sollte, so meine ich, weder Fahrrad noch Motorrad fahren, sondern daheim im Bett liegen bleiben. Und immer schön vorsichtig, damit man nicht unter der Decke erstickt. Also Sauerstoffflasche nicht vergessen, sicher ist sicher.2015_paessetour_benzin_verkleinert_237

Je höher ich kam, desto kühler wurde es. Je höher ich kam, desto grandioser wurde allerdings auch die Aussicht. Das ist es, was ich an Bergstraßen so liebe. Eine Aussicht, von der man im Tal nur träumen kann. Immer wieder blieb ich stehen, genoß die Aussicht, fotografierte und bewunderte insgeheim die Radfahrer, die sich an diesem Tag haufenweise rauf quälten. Da war nämlich ein Radrennen im Gang. Einige schauten auch im oberen Bereich noch recht frisch aus, manch einer, oder eine, es fuhren auch zahlreiche Frauen mit, machten aber schon einen recht abgekämpften Eindruck, was bei der Länge der Strecke und der Höhenlage kein Wunder ist. Alle Achtung, kann man da nur sagen.

Oben angekommen, dachte ich allerdings nur mehr „Oh mein Gott“. Da war Remmi Demmi angesagt. Hinter dem Ziel, das für die Radfahrer aufgebaut worden war, stand ein großes Zelt, für die Fahrräder war Platz gemacht, es gab Erfrischung und Stärkung in Form von Essen, und es gab Musik. Laute Musik. „Oh mein Gott!“, dachte ich. Du fährst Kilometer weit hinauf ins Gebirge, um Ruhe zu finden und die Stille zu genießen und findest das auch, bis du ganz oben an kommst, und plötzlich „BumBumBumBum Hooolaroooo und Tralllalllaaaaaa“!

2015_paessetour_benzin_verkleinert_240„Oh mein Gott!“ Sofort drehte ich um und machte mich wieder auf den Rückweg. Keine hundert Höhenmeter weiter unten war es wieder still und friedlich. Das war schön. Deswegen bin ich da rauf gefahren. Der Rummel und Zinober da oben konnte mir gestohlen bleiben. Bei der Abfahrt noch einige Fotos aus einem anderen Blickwinkel, in der Hoffnung, dass die wenigstens einigermaßen scharf werden, und dann der Mautstelle entgegen und wieder, zum zweiten Mal des Tages, über die Pillerhöhe nach Wenns.

Beim Runterfahren begegneten mir die Kollegen, die erst beim Hochfahren waren. Keine Ahnung, wo die herumgetrödelt hatten. War aber auch egal. Ich glaub, an diesem Tag hatte jeder seinen eigenen Rhythmus, und es spielte auch gar keine Rolle, ob wir als Haufen oder einzeln oder wie auch immer herum gurkten. Es war der letzte Tag, es ging um nichts und wir fuhren alle die gleiche Strecke, vom Ruetz ins Kaunertal und wieder zurück zum Ruetz. Also was soll’s? Ich fand das ok, schrieb dem Horst aber trotzdem eine SMS, dass ich noch ein wenig in der Gegend herum gurken wollte, ein wenig fotografieren, ein wenig dies oder das, egal was, und es war auch ok.

Irgendwo standen vor einem Kaffee ein paar Tische und Sessel, da machte ich es mir gemütlich, genoß einen Melange, rauchte ein Zigarettchen und ließ die Beine hängen. Bei der Talfahrt sah ich dann am gegenüber liegenden Hang eine Straße, von der ich an nahm, sie führe auch irgendwie ins Inntal, was nicht so verkehrt gewesen wäre. Wenn da nicht der Hangrutsch und die Baustelle gewesen wäre. Und vor allem, wenn da nicht der Bagger gewesen wäre, der quer im Hohlweg stand.2015_paessetour_benzin_verkleinert_246

2015_paessetour_benzin_verkleinert_256Es muß von einem Dörfchen namens Jerzens auf dem Weg über Unterleins nach Ried gewesen sein, wenn ich mir das heute auf der Karte anschaue. Karte hatte ich an diesem Tag keine mit, aber das Navi, und das war eingeschaltet. Es zeigte mir an, dass man entlang dieser Strecke wohl in die Richtung fahren können müsste, in die ich wollte. Bei mehreren verwirrenden Weggabelungen stand ein Schild „Strasse nach Ried wegen Hangrutsch gesperrt“. „Na“, dachte ich, „ich bin ja mit dem Motorrad unterwegs, so schlimm wird das ja wohl nicht sein. Vielleicht lassen die mich durch“. Also folgte ich dem Güterweg, bis sich dieser zu einem Hohlweg verengte, links und rechts von einem steilen Hang begrenzt – „“Durch diese hohle Gasse muß er kommen“ fiel mir ein – bis mir dann vorhin besagter Bagger den Weg versperrte. Ich war echt platt. Da stand kein Schild, keine Absperrung, da stand ein Bagger quer im Hohlweg. Alleine! „Na bumm“, dachte ich. „Wenn die nicht wollen, dass da jemand fährt, dann fährt da auch keiner. Mit Garantie nicht!“ Der Baggerfahrer mußte das Ding im Stand um 90° gewendet haben, denn es schloß vorne und hinten genau mit den Wänden des Hohlweges ab. Keine Chance, aber nicht den Funken einer Chance, da vorbei zu kommen. Nicht einmal mit einem Fahrrad. Nicht einmal zu Fuß. Zumindest nicht, ohne durch den Bagger durch zu klettern. Das Ding passte auf den Zentimeter genau da rein.

Zuerst wolle ich nicht wahr haben, dass ich umdrehen muß, die ganze Strecke zurück und über Arzl raus ins Inntal. Ich dachte noch immer, irgendwo muß man doch irgendwie auf einer anderen Strecke nach Osten kommen. Nur nach Osten, oder Nordosten. Und dann irgendwie ins Inntal und nach Oetz. Aber je länger ich überlegte und das auf die eine oder andere Art probierte, desto mehr kam ich zur Überzeugung, das wird nix! Wenn ich da nicht über Ried nach Wald fahren kann, dann gehts für mich nirgends mehr hin, außer den normalen Weg über Arzl, weil da sonst nix ist! Es geht von dort aus nur entweder ins Pitztal hinein, oder aus dem Pitztal hinaus zur B171, eine andere Möglichkeit gibts nicht, weils keine andere Straße gibt. Zu dieser Erkenntnis kam ich nach ungefähr einer Stunde, und ich war heil froh, dass die Kollegen nicht dabei waren. „Die hätten mich jetzt umgebracht“, dachte ich mir lachend. Für mich war so eine Aktion ganz normal. Ich hatte ja gar nichts besseres zu tun.

 2015_paessetour_benzin_verkleinert_257  2015_paessetour_benzin_verkleinert_259 2015_paessetour_benzin_verkleinert_260  2015_paessetour_andre_verkleinert_00100 2015_paessetour_andre_verkleinert_00101 2015_paessetour_andre_verkleinert_00102

Als ich wieder beim Ruetz an kam, tranken die Kollegen schon das erste Bier. Lachend erzählte ich ihnen von der Irrfahrt und vom Bagger im Hohlweg, dann zog ich mich um und wartete aufs Abendessen, dass wieder genau so köstlich schmeckte wie jeden Tag. Egal, wie’s Wetter ist, egal wie die Wege und Straßen sind, man kann sich sicher sein, dass das Abendessen beim Ruetz ein Hochgenuß ist. Und das entschädigt für vieles. Nur denke ich, in diesen vier Tagen brauchte das Essen für nichts entschädigen. Wir hatten täglich schönes Wetter, die Straßen waren nicht verstopft, niemand hatte eine Panne oder gar einen Unfall. Herz, was willst du mehr?

2015_paessetour_benzin_verkleinert_261 2015_paessetour_benzin_verkleinert_271 2015_paessetour_benzin_verkleinert_211 2015_paessetour_benzin_verkleinert_274 2015_paessetour_benzin_verkleinert_277 2015_paessetour_benzin_verkleinert_272

Ja, diese Tour, diese Touren, waren anders als die der bisherigen Pässetouren. Bisher war Treffpunkt in Tirol, dann eine mehrtägige Tour durch Österreich, Italien und die Schweiz, und dann wieder Rückkehr zum Ruetz nach Tirol. Aber ich glaub, einmal einfach nur Tagestouren von einem fixen Stützpunkt aus zu machen war es auch einmal Wert, gemacht zu werden. Vor allem fand ich das alles gar nicht so schlecht, weil das alles ja ursprünglich gar nicht so geplant war. Es hat sich eben so ergeben, und es war gut so. Am Freitag folgte dann nur mehr die Heimfahrt, dann war ich wieder bei meinem Schlumpfhund daheim. Ehrlich gesagt, ich freute mich schon drauf. Mein kleiner Wau Wau fehlte mir. Zum ersten Mal nach vielen Jahren, dass mir was fehlte, wenn ich fort war.

tirol bayern salzburg oberoesterreich niederoesterreich

Freitag, 26. Juni – Heimreise – St.Sigmund – Amstetten
Streckenlänge
: 380km

2015_paessetour_benzin_verkleinert_283_2 Am Freitag Morgen packte ich mein ganzes Zeug aufs Motorrad, ging frühstücken, rauchte noch mit den Kollegen im 2015_paessetour_benzin_verkleinert_283_3Garten eine Zigarette, dann verabschiedete ich mich und fuhr los. Über die schmalen, mir wohl bekannten Straßen nach Gries, nach Sellrain, rauf nach Grinzens und von dort über Axams und Götzens zur Brenner Autobahn. Bei der Tankstelle füllte ich noch einmal den Tank, trank einen Kaffee und paffte eine Zigarette, dann setzte ich den Helm auf, zog die Handschuhe an und gab Gas. „Next stop Mondsee“. Volltanken, eine Zigarette rauchen, und dann ohne nochmals anzuhalten Heim. Daheim ließ ich das Motorrad vor der Garage stehen, zog die Handschuhe aus, nahm den Helm ab, ging ins Haus und schloß meinen kleinen Hund in die Arme. Ich war wieder daheim. Komisch. Es ist schon viele, viele Jahre her, dass ich mich aufs Heimkommen freute. Eigentlich war ich immer ganz gerne unterwegs. Einfach unterwegs sein, oder nur Motorrad fahren, und an sonst nichts denken. Seit ich meinen kleinen Schlumpfhund hab, freu ich mich auch aufs Heimkommen.

Herzlichen Dank an die Familie Ruetz für ihre hervorragende Gastfreundschaft.
Und auch herzlichen Dank an meine Kollegen. Jungs, ich fahr wirklich gerne mit euch.

Nachtrag:
Am meisten hat mich bei dieser Tour geärgert, dass meine Kompaktkamera schon wieder, dieses Mal endgültig, verreckt ist.Vor drei Jahren kaufte ich sie, weil ich dachte, sie wäre besser als die alten Kameras, bei denen die Akku kaputt und nicht mehr erhältlich waren. Bei Motorradtouren bevorzuge ich im allgemeinen Kompaktkameras, weil sie erstens leicht einzustecken sind und weil sie zweitens nicht so empfindlich sind wie Spiegelreflexkameras, bei denen doch einige hoch empfindliche, bewegliche Teile verbaut sind. Billig war dieser kleine Scheißer mit 400.- Euronen nicht, dafür aber schnell kaputt.

Vor drei Jahren passierte es ebenfalls in Tirol. Am zweiten Tag abends, bei der Rückfahrt vom Timmelsjoch zum Ruetz redeten Kamera und Speicherchip nichts mehr miteinander. Die bis dahin geschossenen Bilder waren alle verloren. Gottlob war mir damals eingefallen, dass das Ding auch einen internen Speicher besitzt, mit dem ich mir dann noch ein paar Bilder der letzten beiden Tage retten konnte. Heuer war das anders und tückischer.

Erst langsam und eigentlich durch Zufall kam ich drauf, dass die Bilder nicht mehr scharf werden. Ferner begann der Ultraschallmotor des Zoom ständig zu brummen, was auf einen schweren Defekt hinwies. Da wurde ich schon vorsichtig. Wie durch ein Wunder sind die Bilder der ersten drei Tage gar nicht so übel, die Bilder der letzten drei Tage sind zu 80% Ausschuß wegen Unschärfe. Wirklich schöne Bilder, während der Fahrt von den Kollegen geschossen, konnte ich nicht verwenden, weil sie unscharf sind. Nur mit probieren und bei einer gewissen Einstellung des Zoom, nicht ohne Glück natürlich, gelangen mir noch ein paar brauchbare Bilder. Jetzt ist die Kamera perdü, das heißt, ich hab sie für einen besonderen Anlass aufgehoben. Vielleicht probier ich, wie sie sich fühlt, wenn ich  mit einer 44 Magnum drauf ballere? Oder ich schmeiß sie über die Ybbsbrücke? Irgend sowas. Eine Kamera dieses Herstellers kommt mir jedenfalls nicht mehr ins Haus. 36 Jahre Canon, da soll man nichts ändern. Auch nicht bei Taschenknipsen. 🙂

28. Mai 2013

2013 – Wasserschlacht zu Pfingsten – Glockner und Friaul

Filed under: Touren International — Benzin @ 9:42
Austriaklein2.gifflagge_itali_small5.gif
Prolog

Nicht hinter jeder Motorradtour steht ein besonderer oder gar großartiger Plan. Was ich mit dieser Tour wollte, war recht simpel. Einfach zusammen mit ein paar Forumskollegen ein wenig Motorrad fahren. Das einzige einigermaßen fixe Ziel, dass mir dabei vorschwebte, war der Glockner. Dass wir uns vermutlich noch in zwanzig Jahren an diese Fahrt erinnern werden, das liegt wohl am Wetter, das irgendwie an Dr. Jekyll und Mr. Hyde erinnerte. Am Samstag erklommen wird bei annähernd Kaiserwetter die Großglockner Hochalpenstraße, am Sonntag erlebten wir in Friaul mit klammen Fingern Gewitter und Wolkenbrüche ohne Ende. Nichts desto Trotz fand ich diese Tour schön. Improvisation vom Anfang bis zum Ende, das gefällt mir zuweilen.

2013_pfingsten_001Entstanden ist diese Tour im FZR-Forum, in dem ich seit vielen Jahren Mitglied bin. Dort gibt´s auch einige österreichische Mitglieder und sogar, wie im Privatfernsehen, einen eigenen Österreichteil. Nur ohne Werbung. Allerdings ist in diesem nicht grade viel los. Um die Sache etwas zu beleben, dachte ich, es müsste doch möglich sein, ein paar Leute dazu zu bewegen, an einem Wochenende etwas gemeinsam zu unternehmen. Vielleicht ein kleines Treffen irgendwo, oder eine Sternfahrt.

Letzteres war in meinen Augen am naheliegendsten, denn die wenigen Landsleute verteilen sich leider auch über die gesamte Alpenrepublik. So würde es nicht einfach sein, etwa ein Treffen mit anschließender Ausfahrt beispielsweise an einem bekannten Treffpunkt wie der Kalten Kuchl bei St.Pölten zu organisieren. Die aus dem Westen wären hunderte Kilometer unterwegs, während die aus dem Osten den Treffpunkt praktisch vor der Haustür hätten. So stellte sich die Frage, wo könnte man sich relativ zentral gelegen treffen?2013_pfingsten_002

Na, ganz einfach! Was war da naheliegender, als beim Großglockner? Den kennt jeder, den findet jeder. Und was war naheliegender, als eine Sternfahrt dort hin? Jeder würde von daheim aus wegfahren und seine Tagesetappe so anlegen, dass er zur Mittagszeit auf der Edelweißspitze eintrifft. Dann würden wir den Rest des Tages gemeinsam im Glocknergebiet verbringen, irgendwo übernachten und am nächsten Tag wieder jeder für sich, oder in Fahrgemeinschaften, wie es die Gegebenheiten eben erlaubten, wieder der Heimat entgegen fahren. „Das müsste gehen“, dachte ich und eröffnete einen Thread mit dem Titel „Nix für Weicheier – Sternfahrt zum Glockner 2013“. Das war am 6. Dezember 2012

2013_pfingsten_003Daraus entwickelte sich eine recht lebhafte Diskussion mit einigen Interessenten. Bald kristallisierte sich das Pfingstwochenende als ideal heraus, denn ich hatte da zufällig frei, und für die Leute mit normalen Arbeitszeiten würde es ebenfalls einfach sein, an einem so langen Wochenende teilzunehmen. Dachte ich jedenfalls. Da war nur das Problem mit der Übernachtung. Sollte das Wetter schön sein, würden zahlreiche Touristen unterwegs sein und die Zimmer belegen. Ergo wäre es ratsam, in der Nähe des Glockners oder am Glockner Zimmer zu buchen, denn mit einem Haufen Motorradfahrer an einem langen Wochenende erst am Abend auf Zimmersuche zu gehen, das fände ich alles, nur nicht lustig.

10 Februar 2013 – „Ok, dann such ich eine Herberge, und ihr bestellt telefonisch oder per Mail die Zimmer und überweist das Geld gleich dort hin. Wenn ihr nicht kommt, habt ihr das Problem mit der Stornogebühr, nicht ich“. Mir war beim Gedanken an Zimmersuche am Pfingstwochenende wirklich nicht ganz behaglich, aber ferner war mir nicht ganz klar, was ich machen sollte, wenn ich reichlich Zimmer bestellte – der Andrang schien ja groß – und dann alleine da stehe. „Ein gebranntes Kind fürchtet das Feuer“.

Samstag, 18. Mai 2013 – Fahrt zum Glockner und ins Lesachtal
Amstetten – Waidhofen an der Ybbs – Weyer – Altenmarkt in der Steiermarkt – Hieflau – Eisenerz – Präbichl 1226m – Trofaiach – St.Michael in der Obersteiermark – Kobenz – L517 Seckau – L515 Gaal – Sommertörl 1644m (Schotterpiste) – Oberzeiring – Oberwölz Stadt – St.Peter am Kammersberg – Tamsweg – Mauterndorf – Obertauern 1664m – Radstadt – Wagrain – St.Johann im Pongau – Bruck an der Glocknerstraße – Großglockner Hochalpenstraße – Edelweißspitze 2571m – Heiligenblut – Winklern – Iselsberg 1209m – Obertrauburg – Gailbergsattel – Kötschach-Mauthen – B111 Lesachtal Bundesstraße – St.Lorenzen im Lesachtal Bauernhof Gruber
Streckenlänge:
499km
Strecke auf Google Maps

Nur die Strecke des ersten Reisetages hatte ich mehr oder weniger geplant. Sie ergab sich, den Umständen entsprechend, ja eh fast von selber. Sonst nichts. Irgendwie hab ich heuer eine totale Aversion gegen jegliche größere Planung, keine Ahnung, wieso. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, großartig zu planen. Das Wetter war zu ungewiss, der Winter noch zu wenig weit entfernt, um diese Jahreszeit sind Straßensperren nicht ungewöhnlich und ich bin nun einmal kein Hellseher.

2013_pfingsten_004Neun Tage vor der Tour sagte der Wetterbericht jedenfalls für´s ganze Wochenende Schlechtwetter vorher. Je näher der Termin rückte, desto ernüchternder schaute die Großwetterlage aus. Da schien tatsächlich kein schöner Tag dabei zu sein. Drei Tage vor der Tour prophezeite man für Samstag noch Sonne, dann sollten nur mehr Gewitter und Temperaturen bis in den einstelligen Bereich folgen. Mir würde das nichts ausmachen, das wusste ich. Ich war heiß auf Motorrad fahren. Nur Schnee konnte mich von dieser Tour abhalten. Und auch dem Udo schien der Ernst der Lage bewusst zu sein. Nicht umsonst hatten wir als Motto der Tour „Nix für Weicheier“ gewählt. Wir würden bei jedem Wetter fahren.

Das Witzige an der Sache war vor allem, dass wir uns, der Udo und ich, noch nie zuvor gesehen hatten, geschweige denn, dass wir je zusammen Motorrad gefahren wären. Er war der Erste, der sich für die Tour gemeldet hatte, und nun waren wir beide die einzigen Teilnehmer. Alle anderen hatten – fast möchte ich sagen, wie erwartet – abgesagt. „Ein gebranntes Kind fürchtet das Feuer“ sagte ich ja schon. Bei der ersten Pässetour schien es auch, als wären wir gut 20 Motorräder. Gefahren sind wir dann mit sechs Mann. Aber es war schön.2013_pfingsten_005

Beim Anblick des Wetterberichtes war mir eh fast lieber, dass wir nur zwei waren. „Wenn der Udo so unerschrocken ist, wie es den Anschein hat, kann nix passieren“, dachte ich. Mit dieser Vermutung lag ich gar nicht falsch, nur seine „Blauäugigkeit“ hatte ich unterschätzt. „Motorradfahrer müssen große Kinder sein, sonst würden sie das, was sie tun, nicht tun“, sag ich immer wieder. So gesehen ist der Udo, im wahrsten Sinne des Wortes, ein sehr großes Kind. Trotzdem würde ich mit ihm nach all dem Erlebten jederzeit wieder zu einer Tour aufbrechen. Oder vielleicht grade deswegen. Wer diese Scheiße übersteht und meine Flausen aushält, den schreckt nichts mehr ab. Mit so einem kann man überall hin fahren. Aber beginnen wir bei der Abreise. Jede noch so lange Tour beginnt mit dem ersten Kilometer.

2013_pfingsten_006Um halb sieben hatte ich einen größeren Tankrucksack hinten auf den Soziussitz geschnallt und einen Kleineren am Tank platziert, dann noch schnell ein Foto geschossen und war abfahrbereit. Es war warm und es schien ein schöner Tag zu werden. Über Waidhofen gelangte ich ins Ennstal und erreichte, nur durch eine Kaffeepause in Weyer und ein paar Fotostop unterbrochen, gegen viertel nach acht den Präbichl, wo ich dem Udo mein Kommen ankündigte. Wir hatten ausgemacht, uns um neun in St. Michael bei einer Tankstelle zu treffen.

Dort angekommen, tankte ich die Ace voll, setzte mich zu einem Kaffee und paffte ein Zigarettchen. Plötzlich stand ein mächtiger Typ vor mir und meinte grinsend, „Du mußt wohl der Hannes sein“. „Aha, das ist also der Udo“, dachte ich und schaute durch´s Fenster nach draußen, wo ich seine Harley vermutete. Gehört hatte ich nichts, doch eine Harley müsste man kommen hören. Eigentlich hatte er geschrieben, er würde mit einer Yamaha FZR1000 EXUP fahren, aber der da vor mir sah aus wie ein leibhaftige Harley Rider. Jedoch auf Anhieb nicht unsympathisch. Nach ein paar Worten war aber klar, er war  tatsächlich mit einer FZR da und fuhr keine Harley. Gottlob.

Auf meine Frage, ob er die Landesstraße 515 von Kobenz nach Möderbrugg kenne, verneinte er ebenso wie die anderen, die ich gefragt hatte. „Komisch“, dachte ich, „nicht einmal die Eingeborenen kennen sich hier aus. Seltsames Volk, die Steirer. Aber egal, wir würden diese Straße schon finden. Wieso das so wichtig war? Eigentlich war´s gar nicht wichtig. Ich hatte diese Verbindungsstraße nur durch Zufall auf Google Maps entdeckt. Auf der Karte war sie mir noch nie aufgefallen. Dabei treib ich mich seit Jahrzehnten in dieser Gegend herum. Das war der Grund, diese Strecke fahren zu wollen. Wobei ich natürlich sagen muß, dass ich selbst in meiner unmittelbaren Heimat ständig neue Straßen entdecke, die ich nie zuvor gefahren war. Aber die L515 von Kobenz nach Möderbrugg, die müßten die Steirer doch kennen, dachte ich! Die wäre doch wesentlich kürzer als die Strecke über Pöls! „Wieso kennen die diese Straße nicht?“ Es hatte seinen Grund.2013_pfingsten_007

2013_pfingsten_008„Ich fahr gerne schnell“, hatte der Udo gesagt. „Oh, ich auch“, dachte ich mir im Stillen. „Aber nicht unbedingt bei so einer Tour!“ Trotzdem war ich mit der Ace und nicht mit der XJR gekommen. Die Ace und die FZR sind gleich motorisiert, und wenn das nicht ein totaler Berserker ist, dachte ich, wäre ich damit nicht so schlecht dran. „Hoffentlich nimmt der mir nicht übel, wenn ich ein paar Straßen fahr, auf denen man nicht andrücken kann“ hoffte ich. Ich spiel´ gerne Pfadfinder und schrecke auch vor Schotterstraßen nicht zurück. Na ja, mehr als einfach umdrehen und mich alleine lassen konnte er ja nicht, wenn´s ihm zu bunt wurde. Tja, und dann wurde es gleich zu Beginn unserer Tour Dank der L515 sehr bunt!

Wie bei Google am Satellitenbild (Wahnsinn, was wir heute für Technik verwenden. Sowas hatte vor 25 Jahren höchstens CIA und KGB! Heute hat das jeder) gesehen, bogen wir beim Kreisverkehr in Kobenz rechts ab und folgten der kurvenreichen Landstraße in malerischer Gegend zuerst nach Seckau und dann, rechts abbiegend, nach Gaal  und in den Gaalgraben, wo wir eine Alm erreichten. „Scheiße, jetzt hab ich mich verfahren!“ Aber wieso, und vor allem wie, das war mir schleierhaft. Da war doch nirgends ein Abzweig, den ich verpasst haben könnte! Auch das Navi zeigte geradeaus. Geradeaus vor uns war allerdings der Asphalt zu Ende, und ein grober Schotterweg führte weiter. Wir überlegten, was da schiefgelaufen sein könnte. Hmmmm…..2013_pfingsten_009

„Oberzeiring“ las Udo von einem der zahlreichen Schilder am Wegesrand. „Da gehts nach Oberzeiring“. Oberzeiring? Da waren wir richtig. Genau dort wollten wir hin! Fahrverbot war keines zu sehen, also fuhren wir weiter in den dunklen Wald hinein. Immer kurvenreicher und steiler führte der geschotterte Weg höher und höher bis zu einer Stelle, an der man einen unglaublich schönen Ausblick auf die umliegende Gegend genießen konnte. Hier hielten wir und rätselten, wie hoch wir hier wohl sein würden? Über 1000m auf jeden Fall, schätzten wir, aber wie hoch? Sicherheitshalber fragte ich auch nochmals „Macht´s dir eh nix aus, wenn wir so eine Straße fahren?“ „Nein, das passt schon“ war Udos Antwort. Irgendwie konnte ich das fast nicht glauben.

Man muß sich das ja nur einmal bildlich vorstellen. Ich kenn den Typen grad mal knappe 20 Minuten, wir haben eine dreitägige Tour vor uns, und ich schlepp ihn gleich mit seiner 1000er durch den Wald auf eine Alm, und natürlich auf einer Schotterstraße! Ich könnte mir gut vorstellen, dass viele Andere nach diesen ersten 20 Minuten überzeugt wären, „Der Alte hat einen totalen Vogel und kann mich am Arsch lecken!“ und hätten grußlos umgedreht. Nur der Udo nicht. Der grinste nur. „Entweder bringt der mich dann bei nächster Gelegenheit um, oder der Typ ist genau so beknackt wie ich“, stellte ich fest.

2013_pfingsten_010Noch weiter oben erreichten wir eine Lichtung, auf der zahlreiche Autos parkten. „Aha, dies war also ein Ausgangspunkt für Wanderungen“, erkannte man unschwer, denn wieder standen zahlreiche Wegweiser in der Gegend herum. Eine Tafel nannte diese Gegend „Sommertörl“, einen Namen, den ich noch nie gehört oder gelesen hatte. Dass man von hier aus auf über 2000m hohe Berggipfel wandern kann, war mir daher ebenso unbekannt wie diese Straße. Ich war zwar auf einigen Bergen der Steiermarkt, aber in dieser Gegend, vor allem in diesem Wald, war ich noch nie. Ich kannte nur die Strecke, die über Pöls führt.

Die Abfahrt vom Sommertörl war aufgrund des mit Nadeln bedeckten Schotters zwar ein wenig unangenehmer als die Auffahrt, aber trotzdem relativ einfach zu meistern. Im „Alpen Motorrad Guide“ steht irgendwas von Schwierigkeitsgrad 3 geschrieben, und dass der Denzel (das ist der Herausgeber des „Großer-Alpen-Strassenführer“, ein sehr informatives Buch) das so bewertet hätte. Ich persönlich kann mit solchen Bewertungen nichts anfangen. Mein Gott, es ist halt eine Schotterstraße, die auf einer Seite den Berg rauf und auf der anderen wieder runter führt. Auch nichts anderes als Asphalt, nur halt Schotter. Wer einigermaßen Motorradfahren kann, der kommt (zumindest im Trockenen) da ohne Probleme rauf und wieder runter. Andererseits,wenn ich an die Kapazunder vom Stilfserjoch oder von anderen Gelegenheiten denke? Nein, lieber nicht!

Was mich an solchen Straßen reizt, das ist kein mir ohnehin unverständlicher Schwierigkeitsgrad, sondern die Neugier nach dem Unbekannten und das Urige an der Sache. Ungeteerte Straßen sind ja heute so selten wie richtig urige Unterkünfte. Alles muß super modern sein, Straßen mehrspurig und topfeben asphaltiert. Ja keine Buckel, damit jedermann am Wochenende seine Familie mit dem Zweieinhalbtonner ins Gebirge schaukeln kann. Genau das nimmt mir bei zahlreichen Gelegenheiten den Reiz an der Sache. Beispiel die neue Straße auf den Gotthardpaß. Muß man nicht gesehen haben. Die alte Strecke durch´s Tal des Zitterns ist da schon ein ganz anderes Kaliber. Klar, müsste ich über diesen Berg, würde ich die neue Straße bevorzugen. Ich muß aber nicht. Ich fahr extra wegen der alten Straße hin. Und so ist das auch mit den Schotterstraßen, auch wenn ich keine Enduro hab. Solange ich denke, ich kann da mit meinen Eisen fahren, fahr ich da gerne. Andernfalls laß ich es eben bleiben. Ich muß da gar nicht fahren.

2013_pfingsten_011 2013_pfingsten_012 2013_pfingsten_013 2013_pfingsten_014 2013_pfingsten_015 2013_pfingsten_022

Nachdem wir wieder unten waren und Udo keine Anstalten machte, umzudrehen oder mich zu erwürgen, dachte ich, „Der scheint ok zu sein. Mopedfahren kann er jedenfalls ganz passabel, sonst stünde er noch im Wald“. Auch schien er viel Geduld zu haben. „Da kann ich mir noch einiges erlauben“, fuhr ich im Gedanken fort und bereitete mich auf neue Schandtaten vor. Man darf ja nicht vergessen, wir waren zu diesem Zeitpunkt rund eineinhalb Stunden unterwegs und hatten grade einmal um die 50km zurück gelegt. Wenn das so weiter ginge, würden wir gegen Mitternacht Kärnten erreichen.

2013_pfingsten_016 2013_pfingsten_017 2013_pfingsten_018 2013_pfingsten_019 2013_pfingsten_020 2013_pfingsten_021

So war dem aber nicht. Abgesehen von einem idiotischen Verhauer nach Tamsweg, wo ich statt nach Mauterndorf nach St. Michael im Lungau fuhr – was uns 20km mehr an Fahrleistung brachte – und abgesehen von einer Spielerei mit dem Navi, bei der wir Altenmarkt im Pongau umfuhren und dabei einen Golfplatz erkundeten, erreichten wir recht zügig über Obertauern (schön, aber wie ausgestorben) und Wagrain die langweilige Bundesstraße 311, die uns nach Bruck am Großglockner brachte.

2013_pfingsten_023 2013_pfingsten_024 2013_pfingsten_025 2013_pfingsten_026 2013_pfingsten_027 2013_pfingsten_028

Nach entrichten der Maut, ich bezahlte nur €10 statt der normalen 23.- Euro, weil ich die Karte von vor einer Woche noch eingesteckt hatte (gleiches Kennzeichen!), bummelten wir gemütlich und immer mehr frierend der Edelweißspitze entgegen, wo wir uns in der warmen Stube der Hütte an Tiroler-Knödel labten. So schön das Wetter auch, zumindest im Norden, aussah, so kalt und vor allem windig war es. Brrrrr………….

2013_pfingsten_029 2013_pfingsten_030 2013_pfingsten_031 2013_pfingsten_032 2013_pfingsten_033_2 2013_pfingsten_034

Regelrecht gruselig schauten die Verhältnisse rund um die Glocknerspitze und im Süden aus. Dichte Wolken strebten dem höchsten Berg Österreichs von Süden aus entgegen. „Udo, was machen wir? Willst du unbedingt da rüber zur Franz Josefs Höhe?“ Ich war heuer selber noch nicht drüben, aber ich fahr jedes Jahr zumindest einmal zum Glockner und kenn das. Wenn´s da drüben so zugezogen ist, dann wird das eine Zähneklapper-Partie, die man im Grunde vergessen kann, weil man eh nix sieht außer Wolken und Nebel. Einmal war ich bei solchen Verhältnissen dort unterwegs und dachte beim Glocknerhaus, ich wäre schon oben, weil der Nebel so dicht war und ich die Straße einfach nicht mehr sah. Ich fuhr damals zwar sogar noch ganz nach oben, aber irgendwie hatte ich damals den Eindruck, ich hätte genau so viel gesehen, wenn ich mir einfach im warmen Bruck a.d. Glocknerstraße einen Sack über den Kopf gestülpt hätte. Nur so kalt wäre mir dabei nicht gewesen. Also auszahlen tut sich sowas nicht wirklich, nur dass man dann halt sagen kann, man war auf der Kaiser Franz Josefs Höhe. Außerdem ist die Edelweißspitze eh höher. „Dort“ ist „ganz oben“.

2013_pfingsten_035 2013_pfingsten_036 2013_pfingsten_037 2013_pfingsten_038 2013_pfingsten_039

Nach einer Kaffeepause in Winklern ging´s über den kurvenreichen Iselsberg und über den ebenfalls kurvenreichen Gailberg weiter nach Kötschach-Mauthen und von dort in das Tal, in dem man überall an eine Mauer anfahren kann. Als ich zum Udo sagte, wir würden ins Tal fahren, wo man überall an eine Wand fahren kann, wusste er nicht recht, wie ich das meinte, aber als wir rund 14km vor St. Lorenzen im Lesachtal bei einem Kreuzweg hielten, den ich kurz beging, und ihn dann fragte, ob er nun wisse, was ich damit meinte, bejahte er meine Frage. Klar, jetzt hatte er die vielen Mauern neben der Straße ja mit eigenen Augen gesehen.

2013_pfingsten_040 2013_pfingsten_041 2013_pfingsten_042 2013_pfingsten_043 2013_pfingsten_045 2013_pfingsten_047

Was mich an dieser Fahrt durch´s Lesachtal ärgert ist, dass ich wieder keine aussagekräftigen Bilder dieser schönen, engen und verwinkelten Straße mit nach Hause gebracht hab. Vor ein paar Jahren, bei meiner ersten Fahrt hier hatte ich mir vorgenommen, wenn ich wieder hier her komme, fotografiere ich das als schöne Erinnerung. Und wieder wurde nichts aus meinem Vorsatz. Dabei gibts keinen echten Grund dafür. Man fährt halt so dahin, genießt diese irre Strecke mit den zahlreichen Brücken und Engstellen, aber man vergisst dabei leicht auf´s fotografieren. Leider. Nur den Kreuzweg hab ich abgelichtet. Nein, nicht weil ich viel mit der Kirche am Hut hätte. Aber er ist schön und man hat oben eine hübsche Aussicht. Es hätte mir leid getan, wäre ich einfach vorbei gefahren.

2013_pfingsten_049 2013_pfingsten_050 2013_pfingsten_054 2013_pfingsten_055 2013_pfingsten_056 2013_pfingsten_058

Ebenso leid hätte mir getan, wenn ich nach dem äußerst schmackhaften Abendessen beim Leo Salcher im Gasthof zur Post nicht noch zur und über die Kirche hinauf gestiegen wäre. Fast kam es mir so vor wie damals in Edolo in Italien. Auch hier folgte ich zuerst einer schmalen Straße, dann einem Weg, der in einen steilen Feldweg mündete, der mich zur Höhe der Kirchturmspitze brachte, von wo aus ich einen wunderschönen Überblick über das Tal und die Ortschaft hatte. Nur das wunderschöne Glockenspiel von Edolo fehlte. Ein paar Bilder, eine kurze Rast, dann stieg ich wieder ab und begab mich zurück zum Gruber, mitten im Ort gleich neben dem Gasthof gelegen, wo wir diesmal unser Zimmer hatten. Somit war ein wunderschöner Tag zu Ende gegangen. Wie würde sich wohl über Nacht das Wetter entwickeln, war jetzt noch die Frage?

 Sonntag, 19. Mai 2013 – Die Wasserschlacht
St.Lorenzen im Lesachtal – Sillian – Innichen – Sexten – Santo Stefano di Cadore – SR355 – Tolmezzo – SS13 Pontebba – Naßfeld (Passo di Pramolo) 1552m – Tröpolach – B111 Hermagor – A2 Südautobahn – Wolfsberg – Anschluß Bad St. Leonhard im Lavanttal – B78 Obdachersattel – Zeltweg – S36 – St.Michael in der Obersteiermark – A9 Traboch (Trennung von Udo) – Ausfahrt Ardning – Admont – B117 Buchauersattel – B115 Altenmarkt bei St.Gallen – Weyer – Waidhofen an der Ybbs – Amstetten
Streckenlänge: 600km Strecke auf Google Maps

Zeitig in der Früh saß ich am Balkon und paffte. Hab ich schon seit einem Jahr nicht mehr getan, aber jetzt war Zeit dazu. „Hm, es regnet gar nicht“, wunderte ich mich. Es war zwar kühl, aber trocken. Dann verschwand ich im Badezimmer und machte mich frisch für den Tag. „Wie erwartet, es regnet“, meinte Udo, als ich aus dem Bad kam. „Was? Das gibt´s nicht! War doch grade noch trocken!“ war ich verblüfft. In der Tat. Ein Blick auf die Straße sagte auch mir, es regnete. Kurz darauf hatte es wieder aufgehört, und wieder kurze Zeit später wieder angefangen. „Na toll. Das kann was werden“, dachte ich.

2013_pfingsten_201Nach dem Frühstück packten wir die Motorräder und fuhren, jeder in seine Regenkleidung gehüllt, los. Inzwischen war mir auch klar, dass Udo kein Verpackungskünstler war, wie der Kapitän aus Friesland. Michael hat immer nur eine kleine Tasche mit Schnellverschluß auf seine Suzuki geschnallt, aber immer wieder ist höchst erstaunlich, was er da alles hervor zaubert. Eine wasserdichte Regenkombi ist eh klar, aber dann auch noch Jeans, Schuhe, Hemd, Pulli, Handschuhe und was weiß ich noch alles. Immer wieder wundere ich mich, wie der das macht.

Udos Tankrucksack erinnerte mich sofort an Michael, aber hinter Udos kleinem Tankrucksack steckte kein Geheimnis. Das war kein Wunder an Packkunst. Da war genau eine Hose, eine Regenkombi, Waschzeug und ein Paar Schuhe drinnen, sonst nix. Keine Ersatzwäsche. Gar nix. „Traveling light“, wie der Lateiner sagt. Oder Hirnrissig bei dieser Wettervorhersage, wie das der boshafte Amstettner ausdrückt.2013_pfingsten_202

Bei Heinfels unweit der Grenze tankten wir nochmals voll, denn in Italien weiß man ja nie, ob nicht wieder die Tankstellen wegen Reichtum geschlossen sind, dann ging´s rüber auf die andere Seite. Hurtig erreichten wir Innichen und die SS52, die uns über Sexten und durch die Sextener Dolomiten nach Santo Stefano di Cadore brachte. Trotz des Regens, trotz der wenigen Landschaft, die sich in den Wolken und im Dunst zeigte, empfand ich die Fahrt über die gripreiche Straße des Kreuzbergpaßes einfach herrlich. Mit guten Reifen und bei gutem Asphalt macht Motorrad fahren auch im Regen Spaß. Vor allem, wenn man Dank guter Kleidung trocken und warm bleibt. Genau das war der Knackpunkt.

In St. Stefano, also nach den ersten 80km des Tages, hielt ich bei der Kreuzung zur SR355. Wir stellten uns bei nach wie vor anhaltendem Regen unter ein Dach und beratschlagten. Ich schlug vor, wir sollten nach Hause fahren. Einfach die Tour abbrechen, unsere Zähne zusammenbeißen und schnurstracks in einem durch Heim fahren. Alles andere hatte meiner Meinung nach überhaupt keinen Sinn. Wir würden auch mit einer weiteren Nächtigung unsere Situation nicht verbessern. Beziehungsweise, um präzise zu sein, die Situation von Udo. Meine war ja prächtig. Ich war guter Dinge und voller Tatendrang, denn ich war trocken und mir war warm. Die Situation von Udo war, um es ungeschminkt zu formulieren, beschissen.

2013_pfingsten_203 2013_pfingsten_204 2013_pfingsten_205 2013_pfingsten_206 2013_pfingsten_207 2013_pfingsten_208

„Ich bin naß bis auf die Haut“ hatte er mir irgendwo bei einer kleinen Pause mit saurer Miene mitgeteilt. „Trotz der Regenkombi?“ war ich verblüfft. „Die ist nicht wasserdicht!“ gestand Udo etwas zerknirscht. Er wusste also, das Ding hält nicht dicht, aber er nahm es trotzdem mit, im Vertrauen, es würde schon nicht so schlimm kommen. Das war die Stelle, an der ich lachen mußte. Es erinnerte mich an ein Buch, dass nie geschrieben wurde.

Buch Genesis, das Kapitel von den Motorradfahrern: „Sie irrten im strömenden Regen herum und winselten vor Kälte und Nässe ganz fürchterlich. Da erschien ihnen der Herr und sprach, winselt nicht, sondern kniet nieder und betet, denn es könnte noch weit schlimmer kommen. Sie knieten nieder und beteten, und siehe, es kam noch weit schlimmer!“

2013_pfingsten_209Udo hat natürlich nicht gewinselt. Der leidet lieber stumm. Aber was hätte es für einen Sinn, über den nächsten Paß zurück nach Österreich zu fahren und ein Zimmer zu suchen, wo wir uns wärmen konnten? Ich fand, es hätte gar keinen Sinn. Was würde sich ändern? Udo würde pitschnaß ein Zimmer erreichen, die pitschnaßen Kleider ausziehen und sich zum Wärmen ins Bett legen, oder so ähnlich. Und am nächsten Tag? Die Vorschau sagte Regen, nichts als Regen. Wir würden uns also am nächsten Tag, respektive Udo, ich war ja trocken, ins pitschnasse Zeug zwängen und, wenn´s dumm  lief, durch weitere zahlreiche Gewitter Heim fahren. Wo wäre da der Sinn? Es wäre doch wesentlich sinnvoller, jetzt sofort den Stecker zu ziehen und ohne Herumgeschisse in einer einzigen Gewalttour Heim zu fahren.2013_pfingsten_210

So viel Gewalt, wie das auf den ersten Blick ausgesehen haben mag, war für die Heimfahrt ja gar nicht erforderlich, denn so weit waren wir nicht weg von daheim. Es waren, abhängig von der Strecke, die wir wählen würden, ein paar hundert Kilometer, nicht mehr. Also machbar. Es war noch immer Vormittag. Wir hatten also reichlich Zeit, diese Strecke in aller Ruhe zurückzulegen. Es genügte, wenn wir irgendwann am Abend daheim ankamen. Ruhe war jetzt erforderlich, denn wenn Udo eh schon naß bis auf die Haut war, und wenn ihm eh schon vor Kälte die Zähne klapperten, dann würden wir vor allem Ruhe brauchen, um gesund Heim zu kommen. Wenn dir kalt ist beim Motorrad fahren, werden die Reaktionen langsam, du hast kein Gefühl mehr für die Bremsen und alles wird etwas gefährlicher, als wenn dir schön warm ist. Noch hatten wir reichlich Zeit. Aber noch haderte Udo und konnte sich nicht entschließen. „So weit in einem durchfahren?“ „Das ist nicht so weit. Du mußt nur Heim wollen, dann kommst du auch Heim!“ versuchte ich ihm Mut zu machen. „Um 5 Uhr bist du daheim“. Und so war es auch.

Epilog

Von einer Fahrt über die geplante Route, Sella Ciampigotte, Sella di Razzo, oder gar zum Lago di Sauris konnte natürlich keine Rede mehr sein. Das wäre nur gegangen, wenn wir wie geplant am Abend gemütlich in Kärnten übernachtet hätten. Jetzt hatten wir nur mehr ein Ziel vor Augen – Heim, sonst nichts. Oder sagen wir, sonst fast nichts mehr. Ich meinte, wenn wir schon Heim fahren, könnten wir zumindest noch ein kleines, an der Strecke liegendes Pässchen mitnehmen. Ich kann da einfach nicht anders. Selbst in so einer Situation. Irgendwo mußten wir sowieso zurück nach Österreich, wenn wir nicht bis ganz rüber nach Arnoldstein fahren wollten. Das wäre wohl die gemütlichste, möglicherweise auch schnellste, aber auch langweiligste Lösung gewesen.

2013_pfingsten_211 2013_pfingsten_212 2013_pfingsten_213 2013_pfingsten_214 2013_pfingsten_215 2013_pfingsten_216

Schade, dass dem Udo so kalt war. Unter anderen Umständen wäre die Fahrt entlang der SR355, selbst bei Regen, auch für ihn eine sehr schöne Etappe gewesen. Kurvenreich schlängelt sich die griffige Straße durch, soweit wir das bei dieser dicken Suppe sehen konnten, steiles Gelände, teilweise neben einer tiefen Schlucht dahin und bietet immer wieder nette Überraschungen, landschaftliche Leckerbissen. Aber ich glaub, das hat ihn alles nicht mehr wirklich interessiert, und ich versteh es. Irgendwo überquerten wir die Grenze von Venetien nach Friaul und erreichten über Ovaro Tolmezzo, um dann dem breiten Flußbett des Fella und der SS13 nach Pontebba zu folgen.

Ich hatte lange hin und her überlegt, wo zu fahren es am sinnvollsten und angenehmsten wäre. Bei jeder Rast sah ich Udo biebernd vom Motorrad steigen. Besonders schlimm war das bei der Rast in Villa Santina, wo wir uns in einem Kaffee aufwärmten. Da war aus diesem Riesen von einem Mann ein frierendes Häufchen Elend geworden. Ich wusste von früher, wie er sich fühlt. Ich hab mir immerhin erst im zarten Alter von 45 Jahren meine erste Regenkombi gekauft. Vorher wurde ich halt bei Regen naß und fror erbärmlich. Ich fand das zwar nicht lustig, aber normal. Man ist ja ein wilder Hund, nicht wahr? Heute finde ich das nicht mehr normal. Ich scheiß auf den wilden Hund, denn der hat zeitweise wegen all dem Blödsinn Rücken- und was weiß ich noch für Schmerzen, und deswegen hab ich eine gute Regenkleidung. Und auf der XJR sogar eine Griffheizung! Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, bis auf die Haut naß zu sein.

2013_pfingsten_217 2013_pfingsten_218 2013_pfingsten_219 2013_pfingsten_220

Bei Pontebba gehts zum Passo Pramollo (Naßfeld) hoch, über den ich gerne wieder fahren wollte. Ich war weite Teile dieser Strecke schon einmal gefahren und wusste, es würde hier angenehm und schön zu fahren sein. Diese Strecke hat selbst bei diesem Wetter ihren Reiz und ist landschaftlich interessant. Das wärmt! Die anderen Straßen kannte ich nicht und wolle keine schlimmen Überraschungen erleben, wie am Lanzenpaß vor ein paar Jahren, als eine Lawine die Straße verschüttet hatte und wir umdrehen mußten. Über Arnoldstein war mir ehrlich gesagt schlicht und einfach zu langweilig.

Irgendwie haben wir den ganzen Tag lang trotz der bestimmt schönen Strecken nicht viel gesehen. Ich hab auch nur wenige Bilder geschossen. Dazu war es mir zu naß und zu trüb. Bei jedem Foto wurde die Kamera naß und immer nasser. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie wurde gar nicht mehr wirklich trocken, und daher hatte ich auch Angst, sie könnte kaputt werden. Einfach so mir nix, dir nix €400.- schrotten ist ja auch nicht grade lustig. Aber immer wieder konnte ich mir einfach nicht verkneifen, ein Erinnerungsfoto zu schießen. In 20 Jahren will man ja auch noch sehen können wie das war, damals bei der Regenschlacht in Italien. Falls es dann noch Geräte gibt, die diese Dateien lesen können.

2013_pfingsten_221 2013_pfingsten_223

2013_pfingsten_224Der krönende und positive Abschluß dieses Tages fand leider ohne Udo statt. Udo, du hättest diesen Anblick bestimmt so wie ich genossen. Eher sogar mehr, nach all der Nässe und Kälte. Wir hatten uns bei der Autobahnabfahrt Traboch während der Fahrt verabschiedet und zogen nun wieder jeder für sich des Weges, er die letzten paar Kilometer auf der Bundesstraße, ich weiter über die Autobahn. Bis Klaus wollte ich noch fahren und dann über Steyer heimwärts. So hatte ich das jedenfalls geplant. Alleine auf dem kleinen Stück bis Kalwang erlebte ich noch zwei Wolkenbrüche, aber dann wurde es plötzlich heller. Bei Trieben sah man rechts der Autobahn die Admonter Berge, den Kaibling und den markanten Reichenstein. Und genau über diesen Bergen war blauer Himmel. Ich dachte, das gibt´s nicht! Leider war ich schon an der Abfahrt vorbei, sonst hätte ich recht flott über die Kaiserau Admont erreicht. So mußte ich noch über Rottenmann und Selzthal den weiten Bogen bis Ardning fahren, aber das zahlte sich in jeder Hinsicht aus. Meine Güte, die Sonne strahlte. War das schön!

Ich fuhr noch bis Hall. Dann, nach der scharfen Linkskurve, beim Blick ins Gesäuse hielt ich, nahm den Helm ab, zog die Handschuhe aus und hielt den Kopf in die Sonne. Dann zog ich die Regenkleidung aus und stopfte all das nasse Zeug in den nassen Tankrucksack. Heiliger Strohsack, war das schön. Ich stand nach über 500km Regenfahrt erstmals wieder in der Sonne! Die restlichen 70km genoss ich bei gemächlicher Fahrt und war froh, dass der Regen endlich ein Ende gefunden hatte. Gegen 19:30 Uhr war auch ich daheim.

Fazit: So, wie es ist, so ist es. Man muß nur das Beste draus machen.
Nur eines frag ich mich seitdem. Wozu nimmt man eine nicht wasserdichte Regenkombi mit auf eine Tour? Ist doch genau so Quatsch wie ein platter Reservereifen im Auto oder eine leere Flasche zum Tauchen! LOL

Older Posts »

Powered by WordPress