Immer wieder erlebe ich, dass die schönsten Erlebnisse entweder durch penible Planung entstehen, oder durch purem Zufall. Und es ist keineswegs notwendig, Tagelang durch Europa zu fahren oder in die weite Welt zu fliegen, um etwas schönes zu erleben. Das kann man auch daheim. Es ist aber unter Umständen von Vorteil, wenn man das alles schon einmal gemacht hat, weil man vielleicht erst dann Vergleiche ziehen kann ob das, was man daheim erlebt, nicht doch auch schön ist. Die Tour von heute war weder sonderlich weit, noch war sie geplant, wurde aber zur bislang vielleicht schönsten Tour dieses Jahres.
Es ist ja nicht so, dass ich nicht mehr Motorrad fahre, wenn ich nichts drüber schreibe. Heuer hab ich mit Sicherheit schon mehr als 1500km herunter gedreht. Einmal fahr ich mit der Foxi, dann wieder mit der XJR und dann wieder mit der Foxi, je nach Witterung und Laune. Die anderen Mopeds stehen noch zugedeckt in der Garage. Aber was solle ich über diese Touren schreiben? Es sind Strecken von vielleicht 100 bis 250km pro Tag, die ich über die Jahre immer und immer wieder fahre. Mir macht das nichts, weil sie landschaftlich wunderschön sind. Nur zu erzählen gibt’s darüber nichts mehr. Da müsste schon was außergewöhnliches passieren. Was selten vor kommt. Die kleine Tour von heute war auf ihre Art außergewöhnlich, und darum erzähl ich davon.
Begonnen hat alles in der Früh beim Bachlerhof. Wie so oft war ich der erste Gast, trank einen Kaffee, tratschte ein paar Worte mit dem Bäcker und ging mit dem Hund spazieren. Der Himmel war blau und es wurde warm. “4C° haben wir jetzt” meinte der Bäcker. “Esel” sagte ich, “das sind mindestens 10 Grad. Es ist doch nicht kalt!” “Blödsinn”, meinte er wieder, “ich hab doch grade im Auto geschaut”. “Ja, ja. Wo du immer hin schaust”, meinte ich und überlegte dabei schon, mit welchem Motorrad ich fahren soll. Die letzten Tage hatte es geregnet und es war so kalt, dass wir wieder die Heizung aufdrehen mussten. Und das fast Mitte Mai! Das ist wohl die Klimaerwärmung.
Ich fuhr wieder Heim, zog mich um, Eddie legte sich wieder, wie immer, wenn ich das Leder anziehe, angefressen ins Bett und ignorierte mich. I, ba, bu und draus bist du. Ich nahm den Schlüssel der XJR und ging in die Garage. Während ich die Lisl aus der Garage schob, dachte ich wieder nach. “Zuerst tanken, dann zum Bachler einen Kaffee trinken und dann? Das überleg ich beim Kaffee”. Beim ersten Blick auf den Tageskilometerzähler merkte ich schon, ich kann mir Tanken ersparen. Der Tank war voll. Hatte ich glatt vergessen. Also gleich zum Bachlerhof. Grad wollte ich dort die Tür öffnen, kam mir schon Maria, die Chefin, mit dem Kaffee entgegen. “Ich hab dich schon gehört” meinte sie und stellte den Kaffee auf den Gartentisch. Das ist ein Service! Gemütlich setzte ich mich in die Sonne.
Nachdem ich mir noch einen Tschick unter die Nase steckte, überlegte ich. “In die Steiermark? Nö. Das Ennstal ist eng und schattig, da ist es bestimmt noch naß. Wird die XJR dreckig. Mag ich nicht. Ins Waldviertel? Auch nicht. War ich doch erst letzte Woche. Das war schön, aber da war es warm und trocken. Jetzt ist es dort im Schatten sicher auch überall naß. Also was nun?” Und während ich so überlegte, dachte ich, “ach was. fahr einfach der Nase nach. Ist doch egal, wohin”. So trank ich aus, bezahlte, ließ die XJR verkehrt auf die Straße rollen und los ging es, der Nase nach.
Zuerst über Landstraßen und Güterwege gemütlich hoch nach Sankt Georgen in der Klaus schwingen, dann runter zur Wieserhöhe und wieder rauf auf die Höhenstraße LH88, die nach Seitenstetten führt. Ich mag diese Höhenstraße, weil man weit in den Süden sieht, wo die Berge stehen. Ich meine, richtige Berge. Die Höhenstraße liegt nur auf 600 – 700m. Dafür aber am Rand einer großartigen Hügellandschaft, und dahinter sind die Berge der Steiermark.
Oben beim Abzweig, der links runter nach Ertl führt, überlegte ich nur kurz, “soll ich? Ich blieb aber oben und fuhr bis St.Michael am Bruckbach, wo ich nach einer kurzen Pause ins Ramingtal runter fuhr. In dieser kurzen Pause hatte ich das Navi eingeschaltet und die Tankstelle bei Sierning in der Nähe von Steyr eingegeben, dazu als Auswahl “Kurvenreiche Strecke”. Und so ging sie los, diese seltsame Tour. Die Tankstelle/Raststätte, die ich als Ziel eingegeben hatte, kannte ich von meiner ersten Fahrt zum Moto Guzzi Händler, bei dem ich im Jänner mein neues Motorrad bestellt hab. Dort ist es relativ gemütlich, man kann rauchen, der Kaffee ist gut, und recht weit ist es auch nicht. Nicht weit, wenn man auf Hauptstraßen hin fährt. Was ich ja nicht vor hatte. Es war mir schlicht und einfach egal, wie lange ich unterwegs sein würde, und wo. Hauptsache, es ist unterhaltsam”, dachte ich. Und unterhaltsam wurde es auch.
Ich war keine drei Kilometer im Ramingtal unterwegs, lotste mich das Navi links in eine schmale Straße, die den Hang hinauf führte. Auf schmalen Güterstraßen, die mir bisher fremd waren, ging’s am Nordhang des Damberg entlang – auf dessen Höhe entweder ein Aussichtsturm oder ein Sendemast steht, oder was immer das ist – durch kleine Siedlungen hindurch, die ich noch nie gesehen, von denen ich noch nie gehört hatte, bis ich plötzlich vor der Bundesstraße 115 stand, die von Steyr nach Weyer und ins Ennstal führt. Ich hatte momentan keine Ahnung, wo ich genau war, aber das Navi sagte, ich soll diese Hauptstraße schnurgerade überqueren. Was ich tat. Zu meiner Überraschung querte ich gleich darauf auf einer Staumauer die Enns und war in Garsten. “Teufel”, dachte ich, “Wie oft bin ich schon auf dieser Hauptstraße gefahren? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass hier eine Staustufe ist, und noch weniger, dass man hier über die Enns fahren kann!” Garsten kenn ich auch nur vom Vorbeifahren und vom Hörensagen. Dort ist ein Knast für Schwerverbrecher, das weiß jeder. Aber sonst? Keine Ahnung.
In die Ortschaft Garsten kam ich aber gar nicht. Zumindest nicht ins Zentrum. Das Navi lotste mich gleich wieder links in einen schmalen Güterweg, der mich schnurstracks in die Hölle brachte. Nein, nicht die mit dem Teufel. Sofern es die überhaupt gibt. Aber auf diesem schmalen Güterweg, der sich kurvenreich durch den Wald schlängelt (die Höllstraße, aber das wusste ich am Vormittag noch nicht, weil ich erst jetzt auf der Karte nachgeschaut hab), gibt’s eine kleine Ortschaft, die Hölle heißt. Ich blieb an der Ortstafel stehen, zündete mir wieder einen Tschick an, zückte den Fotoapparat, fotografierte das Schild und fragte mich, “Willst du in einem Ort wohnen, der Hölle heißt?” Ich stellte mir das bildlich vor. Du bist irgendwo, kommst mit jemanden ins Gespräch und der/die fragt, “wo wohnst du den?” Du antwortest “Ich wohne in der Hölle”. Das Gesicht möchte ich sehen.
Von der Hölle fuhr ich dann einen Hang hinauf, von dem aus sich ein schöner Ausblick in den Norden bot, und von dort über Aschach an der Steyr zur Bundesstraße nach Sierning und zur Raststette. Beim Kaffee überlegte ich dann, wie gut ich überhaupt meine nächste Heimat kenne? Ich fahr hier nicht seit Jahren, sondern seit Jahrzehnten herum. Ich kenn jede Hauptstraße weit und breit. Ich hab hunderte, vielleicht tausende Kilometer mehr oder weniger genau im Kopf gespeichert, aber immer wieder gibt es noch Strecken, die wunderschön sind, nicht einmal weit von daheim entfernt, und die ich noch nie gefahren bin.
Das liegt vielleicht, oder eigentlich mit Sicherheit, daran, dass ich immer nur schnelles Fahren im Schädel hatte. Ich kannte hunderte Kilometer Straßen so gut, dass ich sie schnell und sicher fahren konnte. Relativ sicher, von kleinen Überraschungen einmal abgesehen, die immer wieder auftauchten und ein wenig der Zauberei bedurften, um sie zu überleben. Und Glück.
Zum schnell Fahren sind diese Straßen, diese Güterwege, die ich hier fuhr und die ich seit ungefähr seit zwei Jahren so gerne fahre, absolut nicht geeignet. Eng, unübersichtlich und dreckig ist noch das geringste Übel. Wenn du auf solchen Strecken glaubst, schnell fahren zu müssen, und hinter so einem unübersichtlichem Eck ein Traktor steht oder fährt, bist du tot. Güterwege sind die Heimat des Traktor, das ist ein ehernes Gesetz. Und wo ein Traktor ist, ist meistens auch der Dreck nicht weit. Das war mir immer klar, und darum mied ich solche Strecken fast wie der Teufel das Weihwasser. Nur ab und zu, wenn ich wirklich Lust hatte, was durchaus vorkommen konnte, fuhr ich auch solche Strecken. Aber ganz langsam und gemütlich. Ab und zu machte das sogar wirklich Spaß. Aber nicht oft. Meine Devise war meistens, “Wenn da nix rutsch, bin ich zu langsam!” Mit rutschen meinte ich auf jeden Fall nicht, auf Dreck wegrutschen.
Heute bin ich 57. Ich sehe vieles anders. Ich bin seit 1. März in Pension. Zum ersten Mal in meinem Leben hab ich das Gefühl, ich hab etwas zu verlieren, würde ich mich mit dem Motorrad auf’s Maul hau. Ich bin älter geworden, als mir alle weissagten, die mich kannten oder zu kennen glaubten, die mich für eine mehr oder wenige hirnlose Wildsau hielten……………blablabla…………………. Ich mag einfach nicht mehr. Ich will einfach nur mehr meine Ruhe haben und Spaß am fahren mit einem Motorrad. Gemütlich durch die Gegend schaukeln möchte ich, und der Rest kann mir mehr oder weniger den Buckel runter rutschen. Und komisch, es macht mir unheimlich Spaß, gemütlich zu fahren. Ich seh die Gegend nicht nur besser, obwohl ich schlechter seh als früher, ich rieche sie auch. Es riecht gut, im Frühling durch die Landschaft zu fahren. Im Moment zumindest, weil jetzt ist grade kein Schweinedünger auf den Feldern. Und weil mir dieses gemütlich durch die Gegend tuckern auch heute so viel Spaß machte, überlegte ich, wie ich wohl die Heimfahrt anlegen könnte? “Wo fahr ich, dass die Heimfahrt genau so schön wird wie die Hinfahrt?” Ich fuhr zuerst einmal der Nase nach.
Viel Auswahl hatte ich jetzt ohnehin nicht. Entweder auf breiter Straße nach Steyr, oder die gleiche Strecke zurück, die ich gekommen war. Falls ich die überhaupt nochmals finden würde. Oder ich fahr anders. Ich entschied mich für anders und fuhr auf der Hauptstraße nicht Richtung Steyr, sondern nach Süden Richtung Molln und in Steinbach an der Steyr über die Steyrbrücke. Gleich nach der Brücke lotste mich das Navi auf die Güterwege Humpelmühle, Pieslwang und Haagen rauf zum einsam gelegenen Hotel/Gutshof Hochhubgut, dann in rund 600m Höhe weiter mehrere Kilometer einem Hang mit toller Aussicht entlang bis wieder runter zur Enns und gleich darauf über ein weiteres Kraftwerk, das ich noch nie gesehen hatte, zur Bundesstraße 115, die ich heute schon einmal, aber in die andere Richtung, überquert hatte.
Sie haben noch nie von diesen Strecken gehört? Ich auch nicht! Ehrlich gesagt bin ich noch immer etwas sprachlos. Es war einfach toll, dort zu fahren und die Aussicht ist so wunderschön. Sicher fährt man auch einmal durch Wald, aber meistens, speziell im oberen Bereich, geht’s am Süd- oder Südwesthang entlang mit grandioser Aussicht in irgend eine Richtung. Ob die Berge der Voralpen ganz im Osten, die Steirischen Berge im Süden oder das Tote Gebirge im Westen, es schaut phantastisch aus! Und was ich auch schon lange nicht mehr gesehen hab? Auf diesen Bergen, von denen wenige über 2000m hoch sind, liegt jetzt noch Schnee!
Aber das war noch nicht alles. Offenbar hatte ich heute meinen Glückstag. Ich stand also schon wieder an der Bundesstraße 115 und überlegte, “wie weiterfahren?” Im Moment gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder Richtung Steyr und hoffen, dass sich was mit dem Navi ergibt, weil die Strecken, die von dort Heim führen, sind nicht wirklich aufregend. Oder Richtung Süden, gen Weyer zu? In dieser Richtung wüsste ich ein paar schöne Strecken, die kannte ich aber so gut, dass ich keine richtige Lust dazu hatte. Also doch Richtung Steyr. Mehr, als dass ich ganz normal auf der Bundesstraße nach hause fahren müsste, konnte mir nicht passieren. “Aber wer weiß?”, dachte ich. “Vielleicht gibt’s da ja doch eine Strecke, die ich nicht kenne?” Oh ja. Die gab es!
Ich bog links Richtung Steyr ab und fuhr grade ein paar hundert Meter in eine Senke runter, als mir das Navi anzeigte, ich soll rechts in den Dambachgraben abbiegen. Ich kenn die B115 gut. Ich kenn auch den Abzweig in den Dambachgraben, bin da aber noch nie rein gefahren. Dafür fuhr ich letztes Jahr dem Navi folgend in dieser Gegend in einen anderen Graben rein. Einer immer schmaler werdenden Straße, einem immer schmaler werdendem Weg folgte ich brav so lange, bis der Asphalt zu Schotter und der Schotter irgendwo im Wald zu nassem, rutschigem Lehm wurde und bis eine Schranke und ein Fahrverbot den Weg versperrten. Damals hatte ich einige Mühe, wieder aus dem Wald heraus zu finden, denn die Strecke war recht verästelt und das blöde Navi zeigt dort nichts sinnvolles mehr an. Ist heute auch einmal passiert. Laut Navi ist man dann offenbar am Mond, oder so.
Mit einem etwas flaubem Gefühl in der Magengegend bog ich also in den Dambachgraben ab und hoffte, das dies nicht dieser blöden Graben vom letzten Jahr war, denn ich konnte mich nicht mehr erinnern, wo das Malheur damals passierte. Wie ich da genau nach Laussa und in den Laussa Graben kam, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Die Strecke war aber toll und aussichtsreich und ich fühlte mich wie ein junger Pfadfinder. Google Maps sagt jetzt, das ist die Dambachstraße, der ich da folgte. Irgendwie ging es da wohl zum Pfeiffergütl rauf und dann wieder nach Laussa runter. Auf Google Maps schaut das jetzt im Nachhinein auch recht plausibel aus, aber auf meinen Straßenkarten existiert diese Straße nicht. Nur das Navi kannte sie, und hat gottlob keinen Mist gebaut.
Die Laussa Straße, auf der ich heraus kam, die kannte ich allerdings. Der folgte ich Richtung Großraming, und als ich mich der Schöfftaler Kapelle näherte, sah ich auch wieder den Wegweiser zum Windpark am Plattenberg. Auch dort war ich schon einmal. Sofort entschied ich mich, wieder zu den Windrädern rauf zu fahren. Erst letzte Woche sah ich den Plattenberg von weitem und erinnerte mich, wie ich dort mit dem Motorrad oben war. Letzte Woche wäre es aber nicht möglich gewesen, da rauf zu fahren. Zumindest nicht mit einer XJR. Der Plattenberg, eh nur 800m hoch, war noch voll mit Schnee!
Der Weg nach oben ist ganz einfach und nicht zu verfehlen, weil beschildert, nur das letzte Stück ist vielleicht für den einen oder anderen etwas gewöhnungsbedürftig. Ein paar hundert Meter unterm Gipfel muß man durch einen Bauernhof durch, und dann geht’s auf Schotter weiter. Dafür ist die Aussicht grandios. Der Plattenberg war bei dieser schönen Tour an Seehöhe wie Aussicht sicher der Höhepunkt des Tages. Da oben, auf diesem kleinen Aussichtsberg, war ich glücklich und zufrieden. Der Rest der Strecke bis nach hause war mir mehr oder weniger auswendig bekannt, aber ich hatte ja das Navi, und so erreichte ich nach 4 Stunden und 163km wieder den Ausgangspunkt meiner kleinen Tour und war daheim.
Man braucht gar nicht so viel, um glücklich zu sein und man muß dafür auch nicht unbedingt zwei- oder dreihundert fahren. Weder Kilometer pro Tag, noch Kilometer pro Stunde. Alles zu seiner Zeit.
I think that I shall never see
A thing as lovely as a tree
Or anything, so I opine
As ugly as a wind turbine
Einen schönen Tag noch…………………………………