Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wann ich das erste Mal am Peilstein war. Es muß so um den Anfang der 70er Jahre gewesen sein, als mein Vater mit mir diese höchste Erhebung des südlichen Waldviertels bestieg. Er sah das damals sicher nicht als “Besteigung eines Berges”, sondern bestenfalls als einen Ausflug zur höchsten Erhebung, die sich gegenüber dem Haus seiner Schiegereltern befand und von der man schön die Gegend überschauen konnte. Mein Vater war kein Bergsteiger. Der dachte nicht in Besteigungen, der dachte in Ausflüge. Als er zusammen mit meiner (damals noch zukünftigen) Mutter in den späten 50er Jahren am Motorrad zum Ötscher fuhr, um dann zum Gipfel zu wandern, war das für beide ebenfalls kein Bergabenteuer, sondern ein Ausflug, wie es damals halt so üblich war. Die Besteigung eines Berges hatte für ihn, wenn er es tat und obwohl es ihm Freude machte, keine Bedeutung.
Ich bin mir nicht sicher, welche Bedeutung für ihn der Ausflug mit mir zum Peilstein hatte. Für mich hatte dieser Ausflug eine große Bedeutung. Ich war ganz alleine mit meinem Vater auf einen Berg gestiegen, von dem man eine schöne Aussicht hatte und, was mich noch stolzer machte, ich hatte ihn am Gipfel beim Kartenspiel geschlagen! Mein Vater, ein alter Kartenzocker, hatte von mir unterm Gipfelkreuz des kleinen Peilstein ein Bummerl kassiert! Erst viele Jahre später, als ich mich wieder dran erinnerte, kam mir die Erkenntnis, daß da wohl nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein konnte. Er, ein wirklich guter Kartenspieler, gegen mich, dem Knirps, verlieren? Aber Papa hatte halt verloren und ich freute mich. Und wahrscheinlich war das nicht nur der Hauptzweck des Ausfluges, sondern der allermeisten Dinge, die mein Vater für mich getan hat. Dem Sohn einfach eine Freude machen. Diese Seite meines Vaters hab ich allerdings recht spät erkannt. Ich sah ihn meist als sturer Bock, der keinen Zentimeter von seinen Vorhaben abweicht, come rain or shine. Na ja, das war er ja auch. Und witzig, ich bin in dieser Hinsicht offenbar sein Ebenbild.
Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder beim Gipfelkreuz war. Ich glaub eher nicht. Zumindest kann ich mich nicht erinnern. Das wir, meine Cousins und ich, öfters in Gipfelnähe waren, das weiß ich mit Gewissheit, weil ich mich gut an die Worte der Verwandten erinnern kann, wenn wir bei unseren Jugendblödheiten nach Stunden wieder zu meiner Großmutter zurück kamen. “Seid ihr wieder am Ostrong gewesen?” wurden wir gefragt, und es handelte sich um eine rein rhetorische Frage, weil unseren blau verfärbten Gesichter Bände sprachen. Nein, keine Atemnot. Brombeeren. Der Gipfelbereich des Peilstein war voll mit Brombeeren! Heute gibt es die nicht mehr. Klimaerwärmung und Corona haben dafür gesorgt. Keine Brombeeren mehr am Peilstein, daß könnte ihr mir glauben. Absolut nichts mehr. Kein einziges Pflänzchen. Nichts. Auch den Peilstein gibt’s nicht mehr. So, wie Bielefeld. Nichts mehr da davon. Oder noch nie da gewesen.
Zurück ins Jahr 2021. In letzter Zeit denke ich immer öfters an den Ausflug mit meinem Vater. Der Grund ist nicht Sentimentalität, sondern ganz einfach, weil ich öfters mit dem Motorrad im Waldviertel unterwegs bin und dabei in näherem oder fernerem Sichtkontakt mit dem Ostrong komme, der ja eine nicht übersehbare Erhebung im südlichen Waldviertel bildet. Und immer wieder sprang mir dann dieses weithin deutlich sichtbare Gipfelkreuz ins Auge, ein Anblick, bei dem ich ohne Ausnahme sofort an meinen Vater und an unseren Ausflug denken mußte. Und damit stand fest, daß ich diesem kleinen Gipfel einen Besuch abstatten mußte.
Montag, 7. Juni 2021: Kurz nach acht in der Früh packte ich neben den Wanderschuhen und dem Rucksack Eddie ins Auto und wir fuhren los ins Waldviertel. Und um 9:05 Uhr machten wir uns am Ortsausgang von Laimbach Richtung Münichreith auf die Socken, um dem Peilstein aufs Dach zu steigen. Ich hab neben einem Leibchen zum Umziehen und einer guten Karte noch zwei kleine Flaschen Wasser (eine für mich und eine für Eddie) und den Wassernapf im Rucksack. Dafür, daß es in letzter Zeit immer so kalt war, versprechen die Temperaturen an diesem Morgen einen warmen Tag. Na, ist wieder einmal was anderes.
Bei einem Haus nach einem Marterl am Straßenrand sagen Schilder, daß es hier rechts zum Peilstein hoch geht. Also folgen wir zuerst einem kurzen Feldweg und dann einem alten Ziehweg in den Wald.
Startpunkt unserer Wanderung am Ortsausgang von Laimbach in Richtung Münichreith. Vor uns ist deutlich der Peilstein zu erkennen, dem wir aufs Dach steigen werden.
Rückblick auf die Ortschaft und auf die Parkmöglichkeit am Straßenrand.
Deutlich ist der Weg zum Gipfel beschildert. Im Verlauf der Wanderung wird der Eindruck immer stärker, daß hier jeder, der entweder mit den Naturfreunden oder mit Touristik überhaupt zu tun hat, am Ostrong seine eigenen Schilder aufgestellt hat. Es wimmelt am Weg nur so von Schildern und es ist nicht immer klar, was sie anzeigen oder aussagen sollen. Am besten ist man oft dran, wenn man dem Hausverstand folgt und nicht den Schildern. So schien mir im Nachhinein zumindest.
Am Waldrand wird man schon zum ersten Mal von einem Bankerl zu einer Rast eingeladen. Wir danken und gehen weiter.
Am wohl kaum mehr befahrenen Karrenweg oder was immer das ist lädt schon bald das nächste Bankerl zur Rast.
War der Verlauf der Wanderung im allerersten Teil noch recht flach, kommen wir hier beim Schild zur ersten Steigung, die anzeigt, daß wir uns in der Flanke eines Berges bewegen.
Einer der zahlreichen Bäume am Wegesrand, die mit Gravuren aus mehreren Jahrzehnten “geschmückt” sind. Die Bäume leiden aber offenbar nicht drunter. Das wirkt alles sehr gesund.
Diese Wege im unteren Teil sind schön zu wandern und von einer ganz anderen Qualität als die Forststraße, auf die wir beim Abstieg treffen. Hier ist der Boden weich und es ist angenehm zu gehen.
Genau bei dieser Kehre treffen wir auf die neuen, modernen Forststraßen mit dem groben Granit als Decke. Genau so, wie man hier auf dem Bild sieht, kamen wir aus dem Wald und bogen sofort scharf rechts wieder in den Wald ab. Wenn man dem oberen Ast dieser neuen Forststraße folgt, könnte man sich auf, ich würde sagen, flachere Weise dem Peilstein nähern. Unbeschwerlicher würde ich nicht sagen. Dieser Granit-Split ist keineswegs angenehm zu begehen.
Am Rand der Forststraße in Kehrenmitte steht ein Bankerl und gleich daneben mündet ein Weg, der von einer Schranke versperrt ist. Links davon zeigt ein Schild zu einem Weg, der mit “Peilstein – Schwere Strecke” bezeichnet ist. Ich frag mich, warum da etwas von einer schweren Strecke steht? Schwer ist der falsche Ausdrück. “Schöne Strecke” müsste hier am Taferl stehen! Schwer ist hier gar nichts, aber schön! Wer glaubt, dieser Weg sei wirklich schwer und deshalb die Forststraße wählt, der wird bald erfahren, was wirklich unter schwer zu verstehen ist. Oder unter mühsam!
Nicht schwere Strecke, sondern schöne Strecke muß das heißen.
Für Liebhaber schöner Wälder ist dieser Steig genau richtig.
Hier beginnt ein kleines Paradies. So stellt man sich einen Wald im Wald- oder Mühlviertel vor. Hier liegen haufenweise teils riesige Felsen im Wald. Genau so, wie wir das oft bei unseren Ausflügen mit den Motorrädern in dunklen Wäldern des Wald- und Mühlviertel immer wieder sehen und genießen. Hier am Ostrong wandert man mitten durch diese Landschaft, durch dieses Gemisch aus Wald und Fels.
Jetzt, nach einer knappen Dreiviertelstunde kommt auch Eddie einmal ins Bild. Bisher war er zu beschäftigt. Schnüffeln, das Bein heben und alles, was einem Hund wichtig ist, hatten bisher Vorrang vor Fotografieren.
Je höher wir kommen, desto märchenhafter wird der Pfad.
Hier, zwischen und über die Felsen hoch zu wandern, ist weder mühsam noch schwierig, sondern es macht Freude.
Das mag auf den ersten Blick schwierig wirken, ist aber bei genauerem Hinsehen (vor Ort!) recht einfach zu bewältigen. Und es ist lustig. Eddie hatte hier seine echte Freude. Da tut sich was!
“Da hoch?” fragt Eddie mit den Augen. “Ja, da hoch” sag ich, und ich seh ihm an, was er denkt. “Juchuuu!”
Schaut von oben runter auch nicht wilder aus als von untern rauf.
Und plötzlich, ohne Vorwarnung, stehen wir auf einer kleinen Felsrampe, die einen schönen Ausblick auf Laimbach bietet. Ich glaub, den Zinken, wo wir da stehen, den sieht man von unten gar nicht. Vielleicht aber auch schon, wenn man den Berg besser kennt. Es könnte sich dabei um die “Schneider Mauer” handeln, wie sie in der Karte eingezeichnet ist.
Weiter geht es im dunklen Wald über felsigen Untergrund immer lustig und gut gelaunt voran. Es wurde inzwischen allerdings ganz schön warm und der Schweiß fließt in Bächen.
Ich setz mich öfters einfach hin und schau mir die Steinhaufen an, und Eddie kann alles nach Herzenslust beschnüffeln. Es gibt nichts schöneres, als einfach Zeit zu haben.
So ein Rückblick nach unten zeigt einen ordentlichen Geröllhaufen.
Und dann ist man plötzlich ein wenig überrascht. Man steht auf einer Wiese und hat vor sich den Gipfelaufbau des kleinen Peilstein. Jetzt fühlt man sich dem Gipfel schon recht nahe.
Und wieder wird man nicht im Unklaren gelassen, wo der Weg lang geht.
Dann das erste Mal seit der Felskanzel an der Schneidermauer ein richtiger Ausblick.
Und dann der erste nahe Blick aufs Gipfelkreuz, das im direkten Sonnenlicht etwas geheimnisvoll, fast gespenstisch wirkt. Du meinst, du kannst es fast schon berühren, und doch ist es noch so weit entfernt.
Jetzt kommt die Ungeduld. Du weißt, du bist fast oben, aber du weißt nicht, wie weit es wirklich noch ist. Es muß ganz nah sein, das Gipfelkreuz………..
…….und doch scheint es wiederum so fern zu sein………..weiter, rauf da…….
……….und noch ein Stück näher. Ich kann mich nicht mehr erinnern, welchen Weg wir damals gingen, mein Vater und ich. Ich weiß nur, daß ich jetzt da zu diesem Kreuz hin will, wo wir damals gesessen sind.
Es wird Licht da oben. Der Berg scheint langsam ein Ende zu nehmen.
Sieh an, da steht eine Hütte im Wald. Die gab es damals genau so wenig wie diese ganzen Schilder. Es gab aber auch kaum Touristen in Laimbach. Die letzten Besucher, die Laimbach in Rudeln besuchten, waren die Russen nach dem Krieg, von denen Großmutter und Mama oft erzählten. Davor war es die SS, die vor den Russen abhaute.
Irgendwie sind wir da falsch! Das Kreuz steht weiter hinten auf einem anderen Zinken.
Wir besteigen den nächsten Zinken……….
…..und da ist auch das Gipfelkreuz. So nah und doch so fern…………auf einem anderen Zinken.
Da sind noch ein paar Steinhaufen. Die sind höher, als die Bilder das darstellen. Und irgendwo da oben muß das Gipfelkreuz stehen. Aber wo?
Da muß irgendwann einmal etwas ordentlich zusammengekracht sein, und das sind die aufgetürmten Überbleibsel davon.
Wir besteigen den nächsten Zinken. Der hat nicht nur eine schöne Aussicht, sondern der………….
……..beherbergt auch das Gipfelkreuz des kleinen Peilstein auf 1024m. Also ein echter Tausender! “Meine Damen und Herren, wir befinden uns jetzt auf einer Höhe von etwas mehr als Eintausend Meter”.
Hinter Eddie geht es schnurgerade der Wand entlang runter in den Wald. Das ist echt spektakulär.
Das ist ein schöner Rastplatz.
“Viele Wege führen zu Gott. Einer davon führt über die Berge. Ein falscher Schritt genügt!”
Gar nicht weit von hier entfernt befindet sich die bewaldete Erhebung des großen Peilstein, der höchsten Erhebung des südlichen Waldviertels mit 1061m
Nochmals ein Blick in die Runde und nach Laimbach……
…..dann gehen wir an der Hütte der Naturfreunde vorbei zum großen Peilstein
……und viel zu kurz. Nach ein paar Minuten sind wir schon am Gipfel des Ostrong.
Hier die recht hübsche und aussichtsreiche Abbruchkante
Und hier sehen wir den höchsten Punkt des Ostrong wie auch des südlichen Waldviertels. Dieser bewaldete Mugel ist der “Große Peilstein”.
Na ja, man kann es auch übertreiben.
Ich wollte dann eigentlich beim Abstieg noch den Katzenstein mitnehmen. Am Weg dorthin ist mir dann die Foststraße so auf die Nerven gegangen, daß ich einem steilen Steig einfach in den Wald gefolgt bin, egal, wo der hin führt. Und dieser steile, schmale Steig brachte mich zum “Einfachen Weg zum Peilstein”, der steinigen Schotterstraße, der wir dann bis zur Kehre folgen mußten, wo wir beim Aufstieg aus dem Wald kamen und rechts wieder in den Wald zum “Schweren Aufstieg” gingen. Ich kann nur jedem raten, diese Schotterstraße zu meiden und am schweren Weg wieder abzusteigen. Das ist kurzweilig und lustig, aber vor allem nicht nervtötend. Ich werden ganz bestimmt, und zwar sehr bald, diesen kleinen Berg im südlichen Waldviertel wieder besteigen. Einfach so, weil er da ist. Aber die Schotterstraße, die wird mich nie wieder sehen.
Zurück beim Rastbankerl im Tal.
Um 12:36 Uhr sind wir nach rund 3.5 Stunden wieder zurück beim Auto und eine schöne Wanderung ist zu Ende.
Einen schönen Tag noch………….