Benzins Motorradseiten Erlebnisse mit dem Motorrad

30. Dezember 2012

2012. 12. 30. – Murphy´s Law – Eine etwas verrückte Silvestergeschichte

Filed under: Geschichten um´s Motorradfahren — Benzin @ 20:19

„Whatever can go wrong, will go wrong.“
„Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“

20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_001Gleich vorweg, diese Geschichte passierte weder am Silvestertag, sondern einen Tag davor, noch hat sie etwas mit Motorradfahren zu tun. Zumindest nicht im engeren Sinne. Im weiteren schon, da sie einem Motorradfahrer passierte, nämlich mir, und zwar ziemlich genau auf der gleichen Strecke, die ich am 11. Oktober im Zuge einer relativ kurzen, aber nichts desto trotz wunderschönen Motorradtour fuhr. Wer sich die jahreszeitlichen Unterschiede in Wort und Bild anschauen möchte, klickt einfach auf „Fahrt zur Hühnermauer – ein Kleinod in meiner Heimat„. Auch den Streckenplan findet ihr dort, falls es jemanden interessiert. Die Strecken sind zu ungefähr 85% identisch. Das war allerdings genau so reiner Zufall wie die Tour damals. Auch die heutige Tour mit dem Auto hatte es in sich. Aber auf ganz andere Art, als damals, und vor allem ganz anders, als man sich das jetzt vorstellen könnte. Ich erzähl einfach einmal, was passierte.20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_002

Ich glaub, ich hab schon einmal gesagt, dass ich sehr gerne fotografiere, oder? Genau genommen fotografiere ich jetzt seit mehr als 40 Jahren. 1972 bekam ich zur Firmung meinen ersten Fotoapparat. Seitdem betreibe ich diese Leidenschaft (Als Hobby will ich das nicht bezeichnen. Hobbys sind Beschäftigungen denen man nachgeht, weil einem sonst langweilig wäre. Also einmal dies und einmal das) einmal mehr und einmal weniger intensiv. Ganz ohne Knipse findet man mich allerdings nur in der Firma. Ich bin kein Fotograf.

20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_003_2Gestern hatte es sich so ergeben, dass ich am Nachmittag zum Gipfel des Schwarzenberg bei Gresten aufstieg. Nicht ganz zufällig hatte ich meine kleine Digital-Knipse eingesteckt, und noch weniger zufällig hatte ich die Canon AE1 Programm mit zwei Objektiven dabei. Mit Fotografieren und Rasten brauchte ich für die kleine Tour doch fast drei Stunden, denn speziell am Abend wurde das Licht dermaßen toll, ja direkt könnte man sagen romantisch, dass ich mich nicht davon losreißen konnte. Neben einer Rolle a 24 Bilder analogen Farbfilm hatte ich noch fast 100 Aufnahmen digital geschossen. Ich fotografiere halt gerne, aber das sagte ich ja schon.20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_004

Heute packte ich nach kurzem nachdenken eine Canon FT mit FL35/2.5 und die dicke Berta ein. Dies sollte der erste Einsatz dieses mächtigen Objektives werden. Es stammt ebenso wie die Kamera aus den 60er Jahren, ist in nahezu neuwertigem Zustand, kommt durch eine Charity Auktion aus England nach Österreich, ist einer meiner stolzesten Besitze und trägt den Namen Canon FL 85-300 f5, ist also ein Zoom-Objektiv. Eines von nur drei gefertigten Typen aus der FL Baureihe überhaupt. Ich besitze alle drei und hab eine riesige Freude damit. Dieses Objektiv und die Canon FT spielen in der heutigen Geschichte die Hauptrollen. Und ich war der Depp des Tages.

20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_005„Wohin soll ich fahren?“, fragte ich mich nach der übers ganze Jahr übliche Kaffee-Pause beim Bachlerhof. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich mich wenden sollte. Ich hatte auch keine Ahnung, dass ich mich am 11. Oktober genau das gleiche fragte und damals anschließend (fast) genau die gleiche Runde drehte wie heute. Alles reiner Zufall. Kein Zufall war, dass ich heute mit dem Auto fuhr und nicht mit dem Motorrad. Wir haben nicht nur dem Kalender nach Winter, es ist Winter! Sicher, vor wenigen Tagen, am 24. Dezember, war ich erst mit der XJR über 160km gefahren. Niemand hätte nach den massiven Schneefällen der Tage davor damit gerechnet, dass so ein föniges Tauwetter einziehen würde. Es war kalt wie in Sibirien, der Schnee ließ dir die Straßen nur mehr erahnen. Dann brannte die Sonne vom Himmel und der Schnee füllte die Bäche.20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_008

Heute war es nicht unbedingt warm. Noch gegen 10 Uhr war es leicht neblig und saukalt, wenn man es genau nimmt. Es war so kalt, dass in jedem schattigen Straßenstück der Abflug lauerte, wenn man nicht vorsichtig war. Jedoch ist Eis auf der Straße mit dem Auto wesentlich harmloser als mit einem Motorrad. Drum dachte ich mir auch nichts und fuhr drauf los. Zuerst nach Waidhofen, dann über Ybbsitz nach Gresten und weiter nach Gaming. Irgendwo würde ich etwas finden, was sich schön fotografieren lässt, dachte ich mir. Das war mein einziges Tagesziel. Irgendwo etwas schönes fotografieren. Und die dicke Berta ausprobieren natürlich. Ich war schon unheimlich gespannt, wie sich das Ding verhält, wie es sich im Feldeinsatz einstellen und handhaben läßt, vor allem, wie die Bilder damit werden.

20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_006Irgendwie zog es mich dann zum Zellerain hinein. Klar, dass ich bei der Gabi im Gasthof rastete, wo ich auch mit dem Motorrad immer hielt. Ebenfalls klar, dass ich dann zum Erlaufsee fuhr, denn inzwischen hatten wir Kaiserwetter. Blauer Himmel, mit leichten weißen Wölkchen durchsetzt, ein Traum für Fotos. Also beim Erlaufsee die ersten Bilder geschossen, abwechselnd mit der Canon FT und mit der kleinen digitalen Taschenknipse. Ich wollte einfach einen Vergleich haben, denn diese Canon FT hatte ich ebenso noch nie im Einsatz wie das große Zoom. Sogar der Belichtungsmesser, ein Gossen Profisix, erlebte seine Feuertaufe. Nein, das hat nichts damit zu tun dass ich wenig fotografiere. Das hat damit zu tun, dass ich mehr als eine Kamera hab, ich aber die alten Schätzchen nur zu besonderen Tagen einsetze, nämlich wenn mir das Wetter zusagt und ich grad Lust auf einen bestimmten Apparat hab. Bei mir sind sie nicht nur Werkzeug. So dauert die Premiere oft etwas länger, aber dran kommt jeder! Mit Fotoapparaten fotografiert man und mit Motorrädern fährt man, nicht wahr? Nur Bilder hängen einfach in der Gegend herum.20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_009

Der zweite Einsatz meines Schätzchens kam beim Bahnhof in Mariazell. Zu meiner Freude standen dort gleich zwei einsatzbereite alte Garnituren der Mariazellerbahn. Zwei auf einmal, das ist selten und eine Augenweide. Was könnte passender sein, als alte Eisenbahnzüge mit einem alten Fotoapparat zu fotografieren? Ein Traum. Also gleich zu den Zügen gestapft, das Licht gemessen, zwei Bilder geschossen und mich dann, bei einer zusätzlichen Kontrolle gefragt „ob ich sicher weiß, was ich da tu“? Ich hatte etwas bemerkt, was mir nicht ganz gefallen wollte.

20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_010„Verdammt!“ Ich wusste, in dieser Kamera war ein Film, als ich sie aus dem Koffer nahm. Es waren nur zwei Bilder verbraucht, aber sie war geladen. Die Frage war jetzt, womit? Die FT hat an der Rückseite keinen Filmmerker. Ein Filmmerker ist eine kleine Vorrichtung, wo man den abgerissenen Deckel der Schachtel rein steckt, in der der Film drinnen war. Somit weiß man, welcher Film in der Kamera geladen ist. Wenn die Kamera keinen Filmmerker hat, steck ich den Deckel der Filmschachtel normal immer in die leere Aufbewahrungsdose, die ich zur jeweiligen Kamera leg und so ein zusätzliches Zeichen setze „Vorsicht! Diese Kamera ist geladen!“ Und noch dazu probier ich immer an der Rückspulkurbel, ob da ein Widerstand ist, denn auch bei leeren Kameras hatte ich schon eine Filmdose liegen, und mit einer leeren Kamera zu fotografieren kommt spätestens bei Bild Nr. 38 besonders gut an. Ist mir erst einmal passiert, vergesse ich aber nie wieder. Also wenn ihr bis jetzt dachtet, ich hatte keinen Film in der Kamera – Pech gehabt. Das ist schon einige Jahre her.20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_011

Nun zurück zur Frage, welcher Film den nun in dieser Kamera sei.
Ich war beim Einstellen der Verschlußzeit etwas unachtsam und hatte die Empfindlichkeit irrtümlich verstellt. Das passiert schnell, wenn man nicht ständig mit solchen Kameras arbeitet. Statt nur zu drehen, hebt man dabei das Rädchen etwas an, und schon ist es passiert. An sich kaum ein Problem. Sind 200 ASA eingestellt, also DIN24, dann kann man höchstens eine Stufe auf oder ab verdreht haben. Man merkt ja sofort, da tut man was, was man nicht tun sollte. Ich zumindest bemerke das, oder ich dachte, ich bemerke das immer. Als ich einen Kontrollblick auf die Einstellung warf sah ich aber, da war 1600  eingestellt! Was den nun? Genau jetzt erinnerte ich mich auch, ich konnte mich nicht erinnern, was da drinnen war! „Müsste ein 200er Film sein“, dachte ich. Könnte aber auch ein 100er oder 400er sein. Verdammt! Sechs Bilder hatte ich nun verbraucht, aber ich hatte keine Ahnung, welchen Film ich in der Kamera hatte. Sowas blödes kommt auch selten vor. Aber es geht noch viel blöder.

20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_012Sicher, ich konnte jetzt den ganzen Film mit irgend einer Einstellung belichten und dies dann bei der Ausarbeitung so angeben. Die heutigen Filme verzeihen fast alles. Nur wusste ich beim besten Willen nicht einmal, ob da nun ein Farb- oder gar ein Schwarzweiß-Film drinnen war! Jetzt hatte ich genug von der Ungewissheit, drückte den Rückspulknopf und kurbelte den Film zurück. Eigentlich wollte ich ihn nur von der Aufwickelspule kurbeln, dann die Rückwand öffnen, nachsehen, was da drinnen ist und den Film wieder einlegen. Würde ich ihn bis zu Bild Nr. 8 vorwärts transportieren, könnte ich ab dann mit der Gewissheit weiter fotografieren, was da eingelegt ist und ich würde allerhöchstens zwei Bilder verlieren. Meine Güte, das wäre kein Beinbruch.20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_013

Ich drehte aber etwas zu ungestüm, keine Ahnung, wieso, und flutsch, war das Filmende in der Dose verschwunden. Das spürte ich sofort, da war es aber auch schon zu spät. „Schei………!!“ Na, egal. Film ganz raus, neuen Film reingelegt und Deckel wieder zu. Das geht Dank QL (Quick Load), also der Schnellladeeinrichtung von Canon, ungemein schnell und sicher. Schnell geht´s immer, und normal auch sicher. Mir ist noch nie etwas passiert. Bisher war der Film immer, bei jeder Kamera mit dieser Einrichtung absolut zuverlässig eingelegt.

Nachdem ich den neuen Film eingelegt und die Empfindlichkeit eingestellt hatte, begab ich mich wieder zum Bahnsteig und wiederholte die Aufnahmen von vorhin. Jetzt wusste ich mit Sicherheit, was ich da in der Kamera drinnen hab und konnte beruhigt drauf los fotografieren. Grumpf…………

20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_014Nach den Aufnahmen vom Mariazeller Bahnhof in St.Sebastian fuhr ich nach Gußwerk und von dort zur Hochschwab Bundesstrasse. Es wurde etwas duster, dicke Wolken bedeckten den Himmel, aber es war trotzdem so hell, dass diese Wolken bestimmt eine herrliche Dekoration für die Landschaft ergeben würden, dachte ich. Und so kam es auch. Besonders die Presceny Klause hat es mir angetan. Auch bei oben schon erwähnter Motorradtour hatte ich hier, unter anderem, gehalten und einige Bilder aufgenommen. Keine Ahnung, wie viele Jahre und wie viele Bilder ich diese Klause schon fotografiere, aber langweilig werden mir weder die Bilder noch dieser Ort. Es ist einfach schön dort. Auch heute war es dort sehr schön. Die dicken Wolken bildeten irgendwie eine ungemein romantische Stimmung in der felsigen Landschaft. Das Licht gefiel mir gut. „Es müssten sehr schöne Bilder werden“, dachte ich und legte los. Licht messen, Kamera einstellen, Ausschnitt komponieren, Gewissen erforschen, ob das wirklich so passt, dann abdrücken. Butterweich geht das, und das Verschlussgeräusch klingt wie Musik in den Ohren. Die FT geht los wie in Jagdgewehr mit Stecher. Die kann man nicht verreißen.20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_015

Der Höhepunkt der Tour war nahe. Die ersten Aufnahmen mit der dicken Berta. Ich nahm das Stativ aus dem Auto und trug es mit der Kamera auf die Holzbrücke, von der aus man frontal gegen die Klause fotografieren kann. Aus einer anderen Entfernung oder aus einem anderen Winkel macht dort das dicke Zoom keinen Sinn, da ist man mit dem Weitwinkel besser dran. Also das Stativ aufgebaut, den Halter an´s Objektiv (nicht an die Kamera!) geschraubt und beides zusammen in den Schnellverschluß geklickt. Fertig. Jetzt noch die Kamera ausgerichtet und den Bildausschnitt festgelegt, dann das Licht gemessen, die Kamera eingestellt, nochmals den Bildausschnitt kontrolliert, den Selbstauslöser aufgezogen und abgedrückt. Und dann nichts mehr anfassen. Ein ganz leises Summen wie bei einer alten, mechanischen Eieruhr – Klick.

20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_016Nein, reaktionsschnelle Fotografie ist das nicht. Braucht es auch nicht zu sein. Dafür hab ich digitales Gerät, dass in jeder Situation schneller ist, als Lucky Lukes Schatten ziehen kann. Aber es geht nicht immer um Geschwindigkeit. Vor allem, Landschaft bewegt sich nur selten, und wenn, dann sehr langsam. Mir läuft hier nichts davon, ich hab Zeit. Alle Zeit der Welt. Zumindest bis Dienstag, dann muß ich wieder arbeiten. Wenn ich mit meinen Kameras unterwegs bin, dann genieße ich jede Minute. Es spielt keine Rolle, ob ich für ein Bild zwei Sekunden oder zwei Stunden brauche. Ich hab diese Zeit. Wenn ich frei hab, dann hab ich diese Zeit, weil ich sie mir nehme. Zeit und Gesundheit sind das höchste Gut, dass man neben Geld haben kann, sagt ein altes Sprichwort.20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_017

Nach diesen Aufnahmen fuhr ich weiter bis Wildalpen und bog dann zur Hühnermauer ab. Ja, genau! Zur Hühnermauer. Jetzt wusste ich schon, das war bis jetzt nahezu die gleiche Tour, die ich im Oktober mit dem Motorrad gefahren war. Die Fahrt zur Hühnermauer war jetzt nicht Zufall wie damals, das war Absicht. Ich wollte wissen, wie das im Winter bei Schnee ausschaut, und vor allem wollte ich das fotografieren. Ich wollte das mit der über 40 Jahre alten Canon FT auf Film bannen und nicht mit Strom auf einen Chip speichern. Oh, Gottlob hab ich es doch getan. Es war unheimlich schön dort drinnen.

20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_018Als ich wieder daheim war, stellte ich das Stativ auf seinen Platz, verstaute die dicke Berta, schraubte wieder das Normalobjektiv statt des Weitwinkels auf die Kamera und wollte den Film entnehmen. Dazu drückte ich den Rückspulknopf an der Unterseite der Kamera, klappte die Kurbel aus und kurbelte. Klack. Eine kleine Umdrehung, dann war kein Widerstand mehr vorhanden. Kein Widerstand, als wäre da kein Film eingelegt. „Das gibt´s nicht! Das gibt´s einfach nicht!“ durchfuhr es mich. Ich wusste, da war ein Film drinnen. 25 der 36 Bilder müssten belichtet sein, zeigte der Zähler an. Allerdings kurbelt man bei 25 verbrauchten Bildern weiter als eine halbe Umdrehung. Irgendwas stimmte da nicht. Ich hielt den Atem an. Herrgottsakra, was war da los?20121230_canon_ft_dickeberta_huehnermauer_020

Ich weiß nicht sicher, was passiert ist. Ich hatte nach dem einlegen des Filmes ganz normal bis zum ersten Bild vorgespult (Verschluß spannen, auslösen, Verschluß spannen, auslösen mit 1/1000 und aufgesteckter Schutzkappe), dann mit der Kurbel die Filmspannung kontrolliert, und trotzdem muß da was schief gegangen sein, denn trotz Quick Load System, das normal immer, überall und ohne Ausnahme problemlos funktioniert, hatte ich kein einziges Bild belichtet. Ich hatte nur den Verschluß gespannt, aber nie den Film transportiert. Ich hatte aber auch nie die Rückspulkurbel beobachtet, ob die sich mit dreht! Grumpf……..

Gottlob hatte ich auch die digitale Knipse mit. Jetzt hab ich wenigstens die paar Bilder, die als Vergleich gedachte waren, zur Erinnerung an den ersten Einsatz dieser FT mit der dicken Berta. Dieser erste Einsatz wird mir mit Garantie für den Rest meines Lebens als Lehre in Erinnerung bleiben. Wollen wir wetten?

25. Dezember 2012

2012. 12. 24. – Beinahe ein Weihnachtswunder

Filed under: Touren und Ausflüge in Österreich — Benzin @ 18:17

21. Dezember. Drei Tage vor Weihnachten.
20121224_weihnachtsrundfahrt_01Es schneite, dass man glauben konnte, der jüngste Tag wäre angebrochen. Ich hatte eine Kamera eingepackt und war zur Most-Höhenstraße unterwegs, um eventuell ein paar schöne Winterszenen festzuhalten. Stattdessen kämpfte ich die meiste Zeit gegen durchdrehende, rutschende Räder und der Gefahr, versehendlich querfeldein in die nächste Ortschaft zu fahren. Man  konnte im dichten Schneetreiben und Nebel kaum mehr die Scheibenwischer vor der Windschutzscheibe erkennen, geschweige den die Straße. Nur die schemenhaft im diffusen Gewabbel erkennbaren Begrenzungspflöcke verhinderten ein Desaster. „Heuer wird´s wohl nichts mit einer Weihnachtsrundfahrt“, dachte ich traurig. Dafür schienen weiße Weihnachten garantiert. Dann kam genau so schnell wie der Schnee auch wieder das Tauwetter.20121224_weihnachtsrundfahrt_02

24. Dezember
Heiliger Abend. Oder eigentlich heiliger Morgen, um genau zu sein, denn es war gegen 9:00 Uhr. Der Blick aus dem Fenster verhieß wieder nichts gutes. Trüb und nebelig. Der festliche Tag kündigte sich also auf gut deutsch sehr unwirtlich an. Jedoch sagt das 11. Gebot und die Erfahrung, „Du sollst dich nicht täuschen!“

20121224_weihnachtsrundfahrt_03In der Winterzeit ist es weiter oben meistens um einiges schöner als unten. Wenn man im Herbst vor lauter Nebel tagelang kaum aus dem Fenster sieht, dann heißt das gar nichts. Wie oft war das schon der Fall, wie oft dachten die Leute im Ort, „was für ein grauenhafter Tag!“ Und wie oft war wenige Kilometer weiter, am 200m höher gelegenen Hochkogel bei Neuhofen Kaiserwetter? Oft genug fuhr ich da nur sehr widerwillig wieder hinunter, in die trübe Suppe hinein dort hin, wo mein Zuhause ist.20121224_weihnachtsrundfahrt_04

Also eine Kamera eingepackt, und ab zur Sonntagberger Höhenstraße. „Ich fahr Wetter schauen“, verabschiedete ich mich.
Mit wild durchdrehenden Vorderrädern schlich ich von dannen. Die Straße war so glatt, dass man sich auf einem Eislaufplatz wähnte. Blankes Eis! Undenkbar, bei diesen Verhältnissen Motorradfahren zu wollen. Müsste man fahren, weil es um Leib und Leben ginge, würde es wohl auch irgendwie gehen müssen. Musste es aber nicht. Es bestand weder für Leib, noch für Leben Gefahr, ergo auch nicht für´s Motorrad.

20121224_weihnachtsrundfahrt_05Bei der Auffahrt auf den Sonntagberg wurde ich allerdings stutzig. Dort, wo der Nebel aufhörte, tat sich eine andere Welt auf. Die Straße war trocken, die Sonnenstrahlen wärmten die Luft, es war direkt frühlinghaft. Je höher ich kam, desto wärmer wurde es, desto unruhiger wurde ich. „Wenn ich irgendwie das Eis vorm Haus überwinde, ohne zu stürzen, könnte man hier wunderbar Motorrad fahren“, dachte ich und stellte am Parkplatz unterhalb der Kirche den Wagen ab. Unbeschreiblich, wie warm es hier war. Unbeschreiblich auch die Fernsicht in eine märchenhafte Landschaft. Dort, wo kein Nebel die Gegend verhüllte, schimmerte von ganz unten Eis und Schnee kalt herauf, weiter oben leuchteten die Kuppen und Gipfel der Hügel in sattem, frischem Grün. Was für ein Gegensatz!20121224_weihnachtsrundfahrt_06

„Ich muß Heim! Ich muß sofort Heim und das Motorrad holen!“ durchfuhr es mich mit wilder Entschlossenheit. Das Herz schlug bis zum Hals. Es gab nicht den geringsten Zweifel. Irgendwie würde ich das vereiste Stück durch den Wald zur Hauptstraße ohne Sturz schaffen, und dann konnte mich niemand und nichts in der Welt mehr von einer herrlichen Weihnachtsfahrt aufhalten.

20121224_weihnachtsrundfahrt_07Meiner blauen Elise war sichtlich kalt gewesen. Zäh sprang sie an, um sich langsam mit etwas unrhytmischem Lauf zu erwärmen. Sie mag den Winter offenbar ebenso wenig wie ich. Wobei zu sagen wäre, ich hasse diese Jahreszeit keineswegs. Nur kann man selten Motorrad fahren, und das fehlt mir dann so sehr.20121224_weihnachtsrundfahrt_08

Ich brauchte aber gar keine Angst vor dem Eis haben. In der letzten halben Stunde war es um so viel wärmer geworden, dass kein einziges Fleckchen mehr übrig geblieben war. Vorsicht war aber trotzdem geboten. Ein einziger, handtellergroßer Eisfleck konnte die Fahrt schmerz- und schadhaft beenden. Vor allem im Schatten waren die Straßen trotz Salzstreuung nur mit besonderer Vorsicht zu genießen.

Steusalz. Davon graute mir. Salz ist ja nicht gleich Salz. Vor allem kommt´s drauf an, wo es sich befindet. Am Frühstücks-Ei ist es wunderbar schmackhaft, aber am Motorrad? Mit Schrecken denke ich an die spätherbstliche Fahrt am 5. Dezember 2006 zurück. Die Elise war erst zwei Jahre alt. Ein paar Tage nach dieser Fahrt schaute es fast so aus, als würde sie ihr kurzes Leben als matt rötlicher Rostklumpen am Schrottplatz beenden. Man hätte sie direkt mit einem hundert Jahre alten Scheunenfund verwechseln können, so wurde sie vom Streusalz zugerichtet. Ich Narr hatte vergessen, sie sofort nach der Rückkehr zu waschen! Mit einer fast panisch anmutenden, eine Woche dauernden, täglichen Putz- und Schrühöl Aktion war ich wieder Herr über den Rost geworden und konnte sie retten. Nur die Aluminium Teile des Motorblocks und der Auspuff zeigen noch leichte Spuren des Kampfes gegen den Rostfraß, der sich auf allen metallischen Teilen ausgebreitet hatte. Es war erschreckend, was Salz in kürzester Zeit an einem neuwertigem Motorrad anrichten konnte.

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Zurück am Sonntagberg, diesmal auf zwei Rädern, parkte ich am Vorhof der Basilika und steckte mir genüsslich eine Zigarette an. Je, das war wieder so eine Gelegenheit, wo ich rauche, und ich hab es genossen. Ein paar Fotos geschossen, dann trieb mich eine innere Unruhe weiter. Ich wollte fahren, nichts als fahren. Also rüber nach St. Leonhard am Walde, runter nach Waidhofen an der Ybbs, wo ich beim Schloss nochmals kurz rastete, dann raus nach Böhlerwerk und rauf auf die Wieser Höhe, von der ich links genau in die Straße einbog, in der ich mich noch vor wenigen Tagen im dichten Nebel und Schneetreiben beinahe in die Prärie verirrt hätte. Nur war es diesmal nicht eisig kalt und duster, sondern unterm strahlend blauen Himmel sommerlich warm.

20121224_weihnachtsrundfahrt_16Ich folgte der Höhenstraße bis St.Michael am Bruckbach, wo mir kurz vorher ein freudig winkender Motorradfahrer entgegen kam, hielt dort nochmals kurz Rast und zog dann Behamberg und Steyr entgegen. Nach dem großartigen Ausblick von Bruckbach ins Donautal hatte ich plötzlich einen Plan im Kopf. Ich wollte, wie vor drei Jahren, nach St.Valentin zur Weihnachtskrippe fahren. Und genau das tat ich dann auch.20121224_weihnachtsrundfahrt_17

Während ich die Elise zur Krippe schob und mir eine Zigarette anzündete, öffnete sich die Krichentür und eine Familie trat mit ihren Kindern ins Freie. Die Augen der Kinder leuchteten beim Anblick der Krippe, die Augen des Vaters leuchteten beim Anblick einer blauen Yamaha XJR. „Schau, ein Motorradfahrer“, flüsterte er verstohlen, aber etwas zu laut zu seiner Frau. Ich grinste, erwiderte ihren Gruß mit einem Nicken, setzte mich wieder auf meine Elise und zog weiter, der Heimat entgegen.

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In Haag folgte ich einer inneren Stimme und fuhr zur Kirche rauf. Komisch, ich war dort noch nie gewesen, obwohl ich weiß Gott wie oft durchgefahren war und diese Kirche nicht weit ab der Hauptstraße liegt. Ich hab´s ja nicht so mit der Kirche, beziehungsweise mit der Organisation, die sich Kirche nennt. Ich würde mich nicht als gläubiger Mensch bezeichnen, störe mich aber nicht am Glauben anderer, egal, wie sie ihren Glauben oder Gott nennen. Man möge bitte auch mir diese Toleranz entgegen bringen. Jeder soll nach seiner Fasson, nach seinem Glauben leben, aber andere in Ruhe lassen.

Gotteshäuser, als historische Bauwerke betrachtet, gefallen mir jedoch. Vielleicht war es einfach Neugier, die mich veranlasste, zur Kirche hoch zu fahren? Ich weiß es nicht. Bereut hab ich es jedenfalls nicht. Die kleine Krippe vor der Sparkasse war recht lieblich anzuschauen. Wobei ich mich (vielleicht nicht ganz Ernst gemeint) fragte, ob das alte Tradition des Geldinstitutes war, oder ob auch diese Bank, durch Krisen und Veruntreuungen gebeutelt, die Nähe zum Herrn sucht und sicherheitshalber eine Krippe aufstellte? Man weiß ja nie, nicht wahr?

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Eventuell gibt es ihn ja doch, den großen Gasförmigen? Und wenn´s ihn gibt, und er fragt am Tag des jüngsten Gerichts „Sagt an, was habt ihr Halunken damals mit dem Geld der kleinen, ehrlichen Sparer gemacht?“, dann könnten sie vielleicht mit etwas ruhigerem Gewissen, wenn auch zerknirscht antworten, „Herr, du hast Recht. Wir waren Halunken. Aber haben wir nicht auch deinem Sohn zum Gedenken eine Krippe aufstellen lassen? Vergiss das nicht!“ Möglicherweise nützt´s was? Mal sehen.

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Mir persönlich bereitete der Adventkalender große Freude. Holzhäuschen mit nummerierten Toren, Türen und Fenster waren am Rande des Platzes aufgestellt, und für jeden Tag war etwas geöffnet worden. Es erinnerte mich an meine schöne Kindheit und daran, wie ich dem täglichen Öffnen eines Fensterchens meines Adventkalenders entgegen fieberte. Damals bereitete mir meine Mutter diese Freude. In Haag bereiten offenbar örtliche Betriebe den Kindern und Einwohner diese Freude. Zumindest schließe ich das aus den Widmungen bei jedem Fenster. Was für eine schöne Idee, die wie ich sah, von kleinen und großen Besuchern gerne angenommen wird.20121224_weihnachtsrundfahrt_32

20121224_weihnachtsrundfahrt_33Zu guter Letzt begegnete mir noch unweit von Daheim der Hans, der zu Fuß zu einem weihnachtlichen Rundgang aufgebrochen war. „Servus Hans. Wie geht´s? Frohe Weihnachten“, begrüßten wir uns. Kurz erwähnte ich, wo ich mit der blauen Elise herumgefahren war, dann meinte er, „fahr doch rauf zum Kirchenwirt nach Allhartsberg. Vor dem Haus steht ein Holzstock, in den eine Krippe reingeschnitzt ist. Da müsste jetzt genau die Sonne drauf scheinen. Mach ein Foto und schick es mir per Mail“.

So fuhr ich auch noch nach Allhartsberg, und genau wie der Bachler Hans gesagt hatte, schien die Sonne auf die Krippe im Holzstock. Ein paar Fotos, eine Zigarette, dann fuhr ich Heim.

Frohe Weihnachten allen miteinander, egal, wo ihr wohnt und egal, woran ihr glaubt.

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