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25. März 2016

Seiko 6139-6002 – Colonel Poque – Die etwas ungewöhnliche Geschichte meiner Seiko

Filed under: Uhren — Benzin @ 20:40

Seikos Chronograph Modell 6139-6002 führte ein bewegtes Leben. Ihr Dasein begann als Wettrennen um den Titel des ersten mechanischen Chronographen mit Automatikaufzug, den Seiko gegen Zenith und der sogenannten Chronographen-Gruppe, bestehend aus Breitling, Heuer und Hamilton-Buren, führte. Jeder konnte auf eine gewisse Art den Sieg für sich in Anspruch nehmen. Zenith zeigte am 10. Jänner 1969 mit der “El Primero”, zu deutsch “Die Erste”, den ersten Prototypen eines Automatik Chronographen. Die Chronographen-Gruppe zeigte ihren Prototyp am 3. März bei einer groß angelegten Pressekonferenz und hatte bei der Basel Messe im April my_watchblog_1980_05_saiko_3139_6002_01auch schon eine umfangreiche Modellpalette aus der Vorserie vorzuweisen, was sie als Sieg für sich in Anspruch nahmen. Seiko hingegen begann im Mai mit der Serienproduktion ihres Automatik-Chronographen, wenn auch vorerst nur für den japanischen Markt, und nahm hiermit für sich in Anspruch, erster gewesen zu sein. Als unparteiischer Beobachter, der damals grade einmal neun Jahre alt war, würde ich den Wettkampf mehr oder weniger als unentschieden betrachten. Wie das die Wettstreitpartner sahen, ist mir unbekannt. Heute sind von der Seiko Seriennummern bekannt, die auf ein Produktionsdatum zwischen Februar und März schließen lassen. Ob es sich dabei um Prototypen, Vorserienmodelle oder frühe Serienmodelle handelte, kann man offenbar heute nicht mehr feststellen. Aber wie bei allem, muß es einen Ersten geben, und darum nahmen alle drei Gruppen diesen Titel für sich in Anspruch.

Der erste Automatik-Chronograph im Weltraum war eine Sinn 140, getragen vom deutschen Astronauten Reinhard Furrer bei der Spacelab D1 Mission 1985. So war zumindest die landläufige Meinung, bis im Jahre 2007 bekannt wurde, dass US-Astronaut Colonel William Poque bei der NASA Skylab Mission 4, die am 16. November 1973 am Cape Canaveral startete, seine Seiko Ref.6139 mit an Bord geschmuggelt hatte. Das war kein Lausbubenstreich, sondern Col. Poque sah das als dringende Notwendigkeit. Die offiziellemy_watchblog_1980_05_saiko_3139_6002_03 Astronauten-Uhr der NASA war damals die Omega Speedmaster mit Handaufzug. Auch für Poque war so eine Uhr vorgesehen. Sie wurde aber aus verschiedenen Gründen erst kurz vor dem Start der Mission an ihn ausgehändigt. Während des langwierigen Trainings musste sich Col. Poque provisorisch mit seiner Seiko behelfen, und da er sich in dieser intensiven Zeit so an den Umgang mit dieser Uhr gewöhnt hatte, wollte er beim Weltraumflug nicht auf sie verzichten. So trug er beim Start offiziell die Omega, inoffiziell (na ja, es gibt Infos, die NASA hätte es ihm erlaubt, also halboffiziell) hatte er allerdings die Seiko in der Hosentasche, die er während der Mission am linken Handgelenk trug, während sich am rechten Handgelenk die offizielle NASA-Omega befand. Dies ist keine Erfindung von Sammlern, es gibt Fotos davon. Col. Poque wies aber auch darauf hin, dass er bei seiner EVA (Extravehicular Activity, oder was wir als Weltraumspaziergang bezeichnen) nur die Omega trug. Jedenfalls wird seit damals die Seiko Ref. 6139 auch als Poque bezeichnet und als erster Chronograph mit Automatik-Aufzug im Weltraum anerkannt. Dieses “Erster!” kann ihr niemand mehr streitig machen. Heute ist sowieso alles anders. Astro- wie Kosmonauten schleppen praktisch alles, was die Zeit anzeigt, in den Weltraum, von der privaten Seiko bis zur Swatch. Die “Weltraum-Uhr”, die gibt’s nicht mehr. Übrigens, die originale Uhr von Col. Poque, eine Seiko Ref. 6139-6005, wurde 2008 versteigert, der Erlös kam der Astronaut Scholarship Foundation zugute.

Diese hier vorgestellte Uhr ist für mich kein Sammlerstück, obwohl es um sie einen wahren Kult gibt. Ich hab sie nicht erst vor kurzem gekauft. Mit ihr verbindet mich mehr als eine Sammlerleidenschaft. Heute, am 25. März 2016, hab ich sie nach fast genau 36 Jahren zum ersten Mal wieder getragen. Während ich dies schreibe, trag ich sie am Handgelenk. Es ist ein seltsames Gefühl. Nur etwas weniger Glück an diesem Tag im Mai 1980, und es wäre die Uhr gewesen, die ich am Tag meines Todes trug.

Gekauft hab ich sie irgendwann zwischen 1976 und  78. Ich weiß nicht mehr, wann genau. Ich kann mich allerdings sehr genau daran erinnern, wie es war, als ich sie in der Auslage liegen sah. “Will ich haben!” war mein einziger Gedanke. So weit ich mich erinnere, war der Preis aber ziemlich heftig. Zumindest für mich, einem jungen Burschen, der sich grade so sein Moped und seine anderen Flausen leisten konnte. Ich hab sie trotzdem gekauft. Wenn ich was haben wollte, bekam ich das normal auch, und wenn ich dafür auf viele andere Dinge verzichten musste. Das ist noch heute so und wird sich wohl auch nicht mehr ändern.

my_watchblog_1980_05_saiko_3139_6002_06Vom Wettkampf “Erster Chronograph mit Automatik-Aufzug” wusste ich damals ebenso wenig wie vom Raumflug mit Colonel Poque. Wäre mir auch egal gewesen. Ich hatte ganz andere Sorgen. Zum Beispiel, mit dem Moped der schnellste zu sein. Das war wichtiger. Nun hatte ich aber nicht mehr nur ein schnelles, vielleicht das schnellste, Moped, sondern auch eine tolle Uhr. Meine Traum-Uhr damals. Die Zeit verging wie im Flug, ich war noch jung. Mit 18 kam der Führerschein, das erste Auto, der erste schwere Unfall, das zweite Auto und das erste Motorrad. Wieder waren Träume in Erfüllung gegangen. Ich hatte eine tolle Uhr, einen Ford Capri, den ich total zerlegt, umgebaut und in den Farben eines Rennwagens von Walter Röhrl lackiert hatte, und ich hatte meinen größten Traum erfüllt, eine Honda CB750 Four, ein richtiges Motorrad. Ich war ein sehr glücklicher Junge. Dann kam der Mai 1980 und der Tag, an dem ich wohl der glücklichste Junge der Welt war. Oder, um genau zu sein, wir waren vier glückliche Menschen an diesem Tag.

Ich saß am Beifahrersitz, der Alois fuhr, und Maria saß hinten. Es war Nacht und es regnete. Wir waren gut drauf und unterhielten uns. Wir brauchten keinen Alkohol, um uns gut zu unterhalten. Wir waren auch deshalb vom Bierzelt wieder weggefahren, weil die, die dort waren, eh nur besoffen waren. Das interessierte uns nicht. Ich unterhielt mich grade mit Maria, saß deshalb etwas verkehrt herum am Beifahrersitz und sah nicht, was auf uns zu kam. Ich spürte nur, wie die rechten Räder des Wagens vom Asphalt abkamen und wie sich das Heck wegdrehte.

“Ist dir etwas passiert?” fragte jemand. “Nein. Wieso?” Wieso soll mir etwas passiert sein, dachte ich, bemerkte aber, dass ich in einer Wiese saß. Ich wusste nicht, wieso mich jemand fragte, ob mir etwas passiert war. Ich wusste auch nicht, wieso ich in einer Wiese saß. Ich wollte auf die Uhr schauen. Es war dunkel, ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Meine Uhr war weg. Ich stand auf, sah mich um, sah den Opel Manta stehen, ging hin, öffnete die Beifahrertür und suchte meine Uhr. Ich fand sie im Fußraum, das Band war abgerissen. Also steckte ich die Uhr in die Hosentasche und ging wieder weg. Ich hatte nichts begriffen. Absolut nichts.my_watchblog_1980_05_saiko_3139_6002_07

“Ist dir etwas passiert?”, fragte schon wieder jemand. Dieser jemand nahm mich beim Arm und führte mich zu einem Rettungsauto, dass ich bis dahin nicht bemerkt hatte. Da stand nicht nur ein Rettungsauto. Da standen viele Autos, und die zuckenden Warnlichter von Rettung und Polizei tauchten die Szene, von der ich nichts begriff, in ein gespenstisches, zuckendes Licht. Alois lag im Rettungsauto auf einer Pritsche an der Wand, Maria saß auf einem Sitz. “Ist dir was passiert?”, fragte Alois. “Nein. Was soll mir passiert sein?” Ständig fragte jemand, ob mir was passiert war, nur wieso, wusste ich nicht. “Meine Rippen sind gebrochen”, sagte Alois. Marias Gesicht war blutig und geschwollen, aber sonst schien sie in Ordnung. Was war passiert?

Das fragte mich auch der Arzt im Krankenhaus. “Ist ihnen was passiert? Tut ihnen was weh?” “Nein”, antwortete ich wieder. “Was soll mir passiert sein?” Ich hab den Gesichtsausdruck des Arztes noch immer vor Augen. Ungläubig schaute er mich an, schüttelte den Kopf und fragte nochmals. “Haben sie keine Schmerzen?”. “Nein! Wieso?” “Wissen sie nicht, was passiert ist?” “Nein!” “Dann schauen sie sich doch einmal in den Spiegel” sagte er und zeigte mit der Hand zum Waschbecken an der Wand. Den Typen, der mir da aus dem Spiegel entgegen sah, kannte ich nicht. Oder sagen wir so. Irgendwie hatte er entfernt mit mir zu tun. Irgendwie aber auch nicht. “Ihr Nasenbein ist gebrochen”, meinte der Arzt, “mit einer kleinen Operation bringen wir das aber wieder grade”. “Was grade?” fragte ich. “Ihre Nase. Die ist schief. Gebrochen!” Operieren? Mich? Wegen einer schiefen Nase? Aber sicher nicht! “Was ist, wenn sie nicht operieren?, frug ich. “Dann bleibt die Nase ihr Leben lang schief!” “Damit kann ich leben!”, meinte ich. Seitdem hab ich eine schiefe Nase. Die rot verfärbte Strangulation um den Hals hatte ich wohl vom Sicherheitsgurt abbekommen, als ich drunter durch gerutscht wäre. Ich saß ja fast verkehrt herum im Auto, als es passierte. Aber was war passiert?

Wir fuhren in eine Linkskurve. Es war eine uns gut bekannte Strecke. Es war die Kurve, an deren Außenseite eine Milchbank stand. Die Milchbank gibt es seit Jahren nicht mehr, die Kurve ist noch heute die gleiche. Ein Auto kam uns entgegen. Wir waren jung, unerfahren, es war my_watchblog_1980_05_saiko_3139_6002_02Nacht und es regnete. Alois war vom entgegenkommenden Auto geblendet, kam etwas zu weit rechts aufs Bankett, der Wagen drehte sich hinten weg, wir rutschten auf die Gegenfahrbahn und frontal in ein entgegenkommendes Fahrzeug. Der Aufprall muß gewaltig gewesen sein. Beide Fahrzeuge, der Opel Manta und der VW Passat, wurden nachhaltig zerstört. Wie groß die Wucht des Aufpralles gewesen sein muß, sah ich erst eine Woche später. Ich war zu dieser Zeit beim Militär, beim Grundwehrdienst. Sonntag Abends, einen Tag nach dem Unfall, fuhr ich mit meiner gebrochenen Nase wieder nach Wiener Neustadt, wurde für einige Zeit vom Tragen des Helmes und der Schutzmaske befreit und fuhr am darauffolgenden Wochenende wieder nach Hause. Erst dann, beim Anblick der beiden total zerstörten Fahrzeuge, die beim örtlichen Autospengler standen, begriff ich, was passiert war und das Glück, dass wir hatten. Ich hab alles fotografiert, und noch heute erfüllt mich der Anblick des Kraters, den ich ins Handschuhfach schlug, mit Schaudern. Der Manta wie der Passat waren außen und innen vollkommen zerstört. Die gröbsten Verletzungen waren ein gebrochener Arm des Entgegenkommenden, eines Bekannten von uns noch dazu, gebrochene Rippen beim Alois und jeweils eine gebrochene Nase bei Maria (offener Nasenbeinbruch) und bei mir. Das war alles. Wir hatten fast wie durch ein Wunder überlebt.

Bei meiner Seiko war nicht nur das Band durch den Aufprall gerissen, auch der kleine Sekundenzeiger an der Sechs war abgefallen und lag am Ziffernblatt. Ich hatte diese Uhr dann daheim in eine Schublade gelegt und mir vorgenommen, ich würde sie irgendwann wieder reparieren lassen. Über die Jahre hatte ich sie immer wieder in der Hand, dachte an den Unfall, an das Glück, dass wir hatten, aber immer wieder legte ich sie in die Schublade zurück. “Nicht jetzt”, dachte ich immer wieder. “Später einmal”. Fast glaub ich, ich hatte Angst, diese Uhr wieder zu tragen. Ich weiß es nicht. Ich bin nicht abergläubisch, aber ich vermute, insgeheim hatte ich Angst, diese Uhr wieder zu tragen. Dann kam der Dezember 2015.

Über 35 Jahre waren vergangen. Meine Liebe zu Uhren, speziell zu Armbanduhren, ist heute größer als je zuvor, aber ich sammle keine Uhren. Wenn ich etwas sammle, dann ist das vielleicht Geschichte und Geschichten über Uhren. Geschichten und Geschichte sowjetischer Uhren, ein wenig auch Geschichte über chinesische Uhren. Und meine Seiko gehört dazu. Sie gehört zu einem Teil der Geschichte meines Lebens. Meines Überlebens. Im Dezember fand ich durch Zufall eine Internetseite, die sich intensiv mit dieser Seiko beschäftigt. Neugierig und aufmerksam las ich mir alles durch, dann ging ich zum Kasten und holte meine Uhr heraus. Ich stellte fest:

“Oberflächlich betrachtet schaut sie noch recht gut aus, nur der kleine Sekundenzeiger an der Sechs fehlt. Mit einer Lupe sieht man, wie my_watchblog_1980_05_saiko_3139_6002_04zerkratzt das Uhrglas ist, aber das sind Mikrokratzer, die den Blick auf das Ziffernblatt kaum trüben. Der Start- und Stopp Knopf steckt, der Rückstellknopf lässt sich drücken, hat aber keine Funktion, weil der große Sekundenzeiger läuft, und der lässt sich nur zurückstellen, wenn der Timer gestoppt ist. Datum und Wochentag lassen sich noch immer einstellen. Die Krone, mit der man Tag und Datum sowie die Uhr einstellen und die innere Lünette drehen kann, funktioniert weitgehend gut, könnte aber Schmierung vertragen. Ob sie läuft, weiß ich nicht, weil man sie mit der Hand nicht aufziehen kann. Es ist eine Automatik ohne Handaufzug, und schütteln will ich sie nicht, weil der kleine Sekundenzeiger irgendwo lose drinnen liegt”.

Das war die Bestandsaufnahme. Dann steckte ich sie in den Hosensack und fuhr damit zum Uhrmacher in die Stadt. Ich wollte, dass sie wieder läuft, egal, was das kostet. Ich hatte keine Angst mehr, diese Uhr wieder zu tragen. Im Jänner hatte ich einmal nachgefragt. “Tut mir leid, keine Zeit, Inventur. Ich werde mich drum kümmern”. “Keine Sorge, das hat Zeit”, meinte ich. “Sie liegt jetzt seit 35 Jahren, da kommt’s auf ein paar Tage oder Wochen mehr oder weniger nicht an”. Heute wollte ich eigentlich zur Donau fahren, dann fiel mir meine Seiko ein. Ich bog ab und fuhr in die Stadt. “Guten Tag, Benzin mein Name, ist meine Uhr fertig?” “Öh, da muß ich nachschauen”, meinte der Junior. “Tut mir leid, aber die Uhr lässt sich nicht reparieren. Es gibt keine Ersatzteile mehr, die Uhr, die ich als Ersatzteilspender in Erwägung zog, ist leider ein etwas anderes Modell, die Teile passen leider nicht wirklich zusammen, ich kann leider nicht mehr tun”, erklärte mir dann der Chef. Na ja. Hatte irgendwie auch nichts anderes erwartet. Ich könnte eine andere, gleichartige Uhr kaufen und sie als Ersatzteilspender verwenden. Um ein paar hundert Euro sind sie schon zu haben. Meist in unbekanntem, möglicherweise schlechtem Zustand. “Kann man nichts machen. Danke. Was kostet das?” “Nichts. Sie ist nicht repariert. Ich hab keine Leistung erbracht”. “Na gut. Danke. Dann bleibt sie eben für vielleicht weitere 35 Jahre in der Schublade liegen”, meinte ich und ging zum Auto.

“Schade”, dachte ich, setzte mich ins Auto und hielt die Uhr in der Hand. Der Sekundenzeiger lief. “Verdammt! Wieso läuft die?” fragte ich mich. Ich schüttelte sie und spürte, wie sich der Rotor drehte. “Ich dachte, der steckt? Da hat sich doch nichts gedreht?” Verblüfft schaute ich die Uhr my_watchblog_1980_05_saiko_3139_6002_05an. Sie lief, keine Frage. Spaßhalber stellte ich sie nach meiner Raketa, die ich grade am Handgelenk trug, und fuhr Heim. Daheim verglich ich beide Uhren, die Seiko mit der Raketa, und “Teufel auch, die läuft noch immer und stimmt sogar ganz gut!” Ich konnte es nicht glauben. Diese Uhr lief wieder! Ich trug sie noch eine Weile in der Hand herum und schaute immer wieder, ob sie noch läuft? Ja, sie lief. Sie hörte nicht auf zu laufen. Telefon aus der Hosentasche, eingeschaltet, Uhrmacher gewählt. “Guten Tag, ich schon wieder. Haben sie 19er Federstege im Geschäft?” Beide Federstege sind beim Unfall ausgerissen und wurden offenbar mit Uhrband und Auto verschrottet. “Ja, hab ich”. “Ich komme!”

Eine halbe Stunde später hatte meine Seiko wieder ein Uhrband. Ein russisches Metallband von einer Vostok, das dem Originalband relativ ähnlich ist. Und ich trug sie nach fast 36 Jahren wieder am Handgelenk. Das Glas ist etwas zerkratzt, der kleine Sekundenzeiger fehlt, die Drücker sind funktionslos, dafür schaut das Uhrwerk wie neu aus. Und sie läuft. Sie läuft ein wenig schnell. Werd mich ein wenig länger damit spielen müssen, vielleicht kann ich sie einigermaßen einregulieren. Hauptsache, sie läuft wieder und ich kann sie wieder tragen. 36 Jahre ist es her. Eine lange Zeit. Meine Nase ist schief, ich hinke ein wenig, mir tun Dinge weh, von denen ich vor 36 Jahren noch gar nicht wusste, dass ich sie hab, die Haare sind grau, Zähne fehlen und ich seh ein wenig schlecht. Na und? Auch ich laufe noch. Wie meine Seiko. Wir passen gut zusammen. Ich laß sie so, wie sie ist, und ab jetzt werden wir zusammen alt. Vor allem werde ich sie öfters tragen. Wenn ich frei hab und wenn Zeit keine Rolle spielt. Dann kann sie anzeigen, was sie will. Seit einer Stunde geht sie recht genau, wenn ich sie so anschaue. Das wird schon wieder, meine kleine Geisha.

 

Einen schönen Tag noch…………….

 

The Seiko 6139-600x Collectors Guide

The “Colonel Poque” Seiko 6139

The Watch that traveled 34 000 000 miles: The Seiko Ref.6139 “Poque”

16. März 2016

Uhren aus Chistopol – Kama und Uran

Filed under: СДЕЛАНО В CCCР - Made in USSR — Benzin @ 11:11

Kama war bis Anfang der 60er Jahre eine Uhrenmarke der Chistopoler Uhrenfabrik, die wir heute unter dem Namen Восток oder Vostok kennen. In der Sowjetunion wurden Uhrenfabriken systembedingt nicht nach ihren Gründern benannt, auch wurden selten Kunstnamen erfunden, sondern die Produkte wurden entweder nach den Städten benannt, in denen sich die Fabrik befand – АЕНИГРАД (Leningrad) und МОСКВА (Moskau) wären dafür Beispiele – oder es wurden politisch wichtige Ereignisse gewählt, wie Полет, Восток oder Paкéтa, die sich auf den ersten Raumflug Juri Gagarins beziehen, oder es wurden einfach die Namen von Flüssen genommen, die sich in der Region befinden, wie die Нева (Newa) in Leningrad/St.Petersburg oder Kama in Chistopol. Soweit der einfachere Teil zu diesen Uhren. Ab jetzt wird’s ein wenig komplizierter.

Gleich vorweg, ich hab noch niemanden erlebt, der die Originalität einer Kama Uhr eindeutig zu identifizieren wüsste. Wie eine Kama auszusehen hat, welches Uhrwerk sich in ihr zu befinden hätte und welche Variationen es gab, darüber wird heftig spekuliert, aber fix ist nix. Es gibt aus dieser Zeit kaum bis keine Produktfotos, weil sowas wie Werbung in der Sowjetunion so gut wie unbekannt war, es gibt keine Produktionsunterlagen, aber es gibt Uhren, auf deren Ziffernblätter Kama steht und auf den Rückdeckeln vieler dieser Uhren steht ebenfalls Kama, was auf die reale Existenz dieser Uhren hinweist. Also, welche Arten von Kama Uhren sind bekannt?

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So weit mir bekannt, sollten alle das gleiche, oder weitgehend das gleiche Gehäuse besitzen. Die Stegbreite aller mir bekannten Kama messen 18mm. Auf den Rückdeckeln, die mittels einer Art Bajonettverschluss (ähnlich dem eines Tankdeckels) am Gehäuse befestigt werden, findet sich meistens die Aufschrift Kama. Ab und zu aber auch nicht. Es gibt auch rückwärtige Deckel, die als Drückdeckel ausgeführt sind, die nie die Aufschrift Kama tragen. Die allgemeine Meinung ist, dass auch dieser Rückdeckel Original sei, beweisen kann das niemand. Man kann aber zumindest davon ausgehen, dass die Bajonett-Deckel ohne Aufschrift keine Original-Deckel sind, weil es nicht wirklich plausibel wäre, Deckel für eine Kama Uhr mit und ohne Aufschrift Kama zu produzieren. Aber wer weiß das schon mit Sicherheit?

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Die rote Kama kaufte ich im Wissen, dass sie nicht Original ist. Zum Zeitpunkt des Kaufes wusste ich noch nicht, wie eine Kama aussehen sollte, sie war aber mit “Dial restored” angepriesen und sehr preisgünstig, darum kaufte ich sie. Ich dachte, “Was soll da schon schief gehen, vielleicht ist sie wenigstens nicht gleich kaputt!” Ich war damals noch sehr skeptisch, was “Schrott aus Russland” betraf. Diese Uhr war nämlich die erste russische Uhr meines Lebens. Das ist schon eine Weile her, und das Gerücht, dass ich damals in diversen Foren las, hat sich bewahrheitet. Die “Russenuhren” vermehren sich wie die Karnickel, wenn man nicht aufpasst.

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Noch verwirrender wird es, wenn es um die Uhrwerke geht. Im großen und ganzen herrscht die Meinung vor, in den Kama Uhren hätten sich 17 Steinige Werke mit einer Stoßsicherung zu befinden, in der Praxis kommen aber auch 16 und 15 Steinige Uhrwerke ohne Stoßsicherung vor. Ob diese Uhrwerke als Ersatz montiert wurden oder auch ab Werk, weiß keiner. Weitere Variationen, je nach Baujahr, sind dann noch Uhrwerke mit Datumsstempel, ohne Datumsstempel (das sind neuere Uhrwerke ab ungefähr 1961) und mit Genfer Streifen sowie bei neueren Uhrwerken ab etwa 1960 ohne Genfer Streifen, wobei sich das weglassen der Genfer Streifen datumsmäßig gut einengen lässt, weil das einfach Produktionsbedingt auf alle Werke zutraf, also um 1960 herum aufwärts. Die alten Werke mit Datumsstempel sind alle dekoriert. Dieser erwähnte Datumsstempel zeigt das Baujahr und das Vierteljahr, in dem das Werk erzeugt wurde. 60-1 bedeutet beispielsweise Baujahr 1960 Jänner bis März. In diesem Zeitraum wurde dieses Uhrwerk erzeugt.

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Dieses zauberhafte Paar sind Damenuhren der Marke УРАН, zu Deutsch Uran, und stammen ebenfalls aus Chistopol. Ich kaufte sie hauptsächlich, weil sie genau so alt sind wie ich. Eine, die’s am genauesten trifft, wurde zwischen Jänner und März 1960 gebaut, die andere zwischen Juli und September. Auch hier ist etwas verwirrend, dass es sich augenscheinlich um das gleiche Uhrwerk mit 15 Lagersteinen zu handeln scheint, eines davon ist aber mit, das andere ohne Stoßsicherung ausgeführt. Das könnte aber auch irgendwann im Rahmen einer Reparatur passiert sein. So genau war das ja oft nicht. Hauptsache, sie läuft. Und das tun beide noch heute sehr gut!

Die größte Unsicherheit punkto Originalität dürften die Ziffernblätter sein. Ich persönlich glaube nicht, dass es heutzutage auf diesem Planeten einen Menschen gibt, der schlüssig beweisen könnte, das eine oder andere Design wäre zu 100% Original oder nicht Original. Und all diese Unsicherheitsfaktor zusammen ergeben eine riesengroße Spielwiese für Bastler, um ihre “Kama” in allen möglichen Gebrauchszuständen an den Mann zu bringen. Je teurer sie angeboten werden, desto vorsichtiger muss man sein. Manch einer verlangt für seine fast Fabrikneue Kama Mondpreise. Auf der sichersten Seite befindet man sich vermutlich, wenn man eine Kama mit moderaten Gebrauchsspuren, beschriftetem Bajonettverschluss-Deckel, verziertem, 17 Steinigem und stoßgeschütztem Uhrwerk mit Datumstempel aus den späten 50er Jahren kauft. Dann sind die Chancen, dass es sich um ein weitestgehend originales Stück handelt, am größten. Mit einem schönen Uhrband dran kann das ein herrliches Schmuckstück aus einer längst vergangenen Zeit sein. Bei trockenem Wetter und angenehmen Temperaturen lassen sich Kama Uhren auch im Alltag gut tragen. Wassergeschützt oder gar wasserdicht sind diese Uhren allerdings nicht. Umso kurioser erscheint mir oft, dass diese Uhren manchmal als militärische Taucheruhren angeboten werden. Da ist höchsten der Wunsch der Vater des Gedanken. Bevor eine Kama wasserdicht ist, kann ein Senkblei schwimmen. Das ist das einzige, was man mit Sicherheit über eine Kama aus Chistopol sagen kann.

 

Einen schönen Tag noch……………..

6. März 2016

Uhren aus Shanghai – Shanghai 851-5

Filed under: صنع في الصين - anihC ni edaM — Benzin @ 13:01

Die Geschichte der Shanghai Watch Factory, wie sie heute besteht, und wenn man ihre Entstehungsgeschichte in Betracht zieht, ist ein wenig kompliziert darzustellen. Uhren wurden in Shanghai seit den 50er Jahren gebaut. Die Uhrwerke wurde importiert und in eigenständig hergestellte Gehäuse verbaut. Das Ziel war aber, in China eine eigenständige, von Importen unabhängige Uhrenindustrie zu gründen. Deshalb my_chinese_watchblog_shanghai_581_5_001wurde gegen Ende der 50er Jahre auch in Shanghai eine Uhrenfabrik gegründet, die darauf abzielte, eigenständig komplette Uhren herzustellen. Die Entwicklung dieser Uhrenindustrie in Shanghai kann man HIER nachlesen. Grob gesagt entwickelte sich im Raum Shanghai eine ganze Reihe von Uhrenfabriken, die bis in die Zeit der Quarzuhren hinein den Produktionsausstoß ständig vergrößerte. Bis 1990 betrug der Gesamtausstoß aller Produktionsstätten Shanghais weit mehr als 100  Millionen Uhrwerke und Uhren. Den Sowjets, die sich technologisch den Chinesen immer weit überlegen fühlten – über weite Zeiträume hinweg nicht zu unrecht – müssen bei diesen Zahlen die Augen übergegangen sein. Durch politische und wirtschaftliche Veränderungen in China fand aber auch die Pleite Einzug in die chinesische Wirtschaft. Um 1990 lag trotz der immensen Produktionszahlen die Shanghaier Uhrenindustrie am Boden. Ihre Art zu arbeiten rechnete sich nicht mehr, der Markt war my_chinese_watchblog_shanghai_581_5_002weitgehend gesättigt, Chinesen kauften auch lieber ausländische Uhren. So kam es zum großen Umkrempeln. Weite Teile der Uhrenfabriken wurden zu neuen Firmen zusammengefasst, unprofitable Teile verkauft oder stillgelegt. Der direkte Nachfolger der ursprünglichen Shanghai Uhrenfabrik/en soll die heutige Shanghai Watch Industrie Co. sein. Offenbar gibt es im Raum Shanghai aber auch heute noch einige andere, private Uhrenfabriken. Wer genauer nachforschen will, dem wünsch ich viel Spaß und noch mehr Ausdauer dabei. Nun zu dieser Uhr.

my_chinese_watchblog_shanghai_581_5_003Der Händler aus Shanghai, bei dem ich sie kaufte, schreibt zu dieser Uhr, die Uhrenfabrik hätte sie zur Erinnerung an das erste selbstständig in Shanghai gefertigte Uhrwerk “Shanghai A851” auf den Markt gebracht und deshalb das neueste 35 Steinige Shanghai Kaliber RK4 für diese Uhr in “Shanghai 851-5” umbenannt. Ob das zu einem bestimmten Zeitpunkt anlässlich eines Jubiläums statt fand, oder weil einfach grade Zeit dazu war, ist mir unbekannt. Ich hatte dieses Modell beim Stöbern gefunden und irgendwie sofort ins Herz geschlossen. Ich trag sie auch jetzt, während ich dies schreibe, und ich trag sie schon seit Tagen. Sie geht auch sehr genau. Was ich an dieser Uhr so reizvoll finde, ist eine Kombination aus mehreren Dingen.my_chinese_watchblog_shanghai_581_5_005

Erstens die angenehme Größe. Ich mag keine riesigen Uhren, wie sie teilweise heute modern sind. Der Durchmesser beträgt, mit einem Maßband ohne Krone gemessen, 38mm. Die Dicke wird offiziell mit 13mm angegeben, beträgt mit der Schiebelehre gemessen aber 14.4mm. Rein Optisch, in der Hand gehalten, scheint das ein ziemlich dicker Brocken zu sein, auf den Arm geschnallt, was mit der Butterfly-Schließe sehr flott und bequem geht, schaut das ganz anders aus. Sie trägt sich bequem und wirkt dann durch ihre gestufte Bauweise – die untere Hälfte hat eine wesentlich geringeren Durchmesser als die obere Hälfte – sogar sehr flach. Was mir persönlich sehr gut my_chinese_watchblog_shanghai_581_5_006gefällt, ist das Zusammenspiel aus der Gestaltung des Ziffernblattes, den langen, schlanken Zeigern für Stunde und Minuten, dem gepfeilten und gebläuten Sekundenzeiger, der bei richtigen Lichteinfall wunderschön blau aufleuchtet, dem kleinen, gewundenen Zeiger der 24 Stunden Anzeige und den römischen Ziffern, die zusammen mit dem fünften Zeiger für die Anzeige des Datum ein wunderbar abgerundetes Bild ergeben. Sicher, Aussehen ist Geschmackssache, und über Geschmack kann man wunderbar streiten. Mit gefällt’s jedenfalls.

Ob die 24 Stunden Anzeige sinnvoll ist oder nicht, auch darüber kann man streiten. Beim Einstellen des Datum macht sie sich jedenfalls angenehm bemerkbar, weil man weiß, wann der Zeiger springen wird und ob er springen wird, was hilfreich sein kann, wenn die Uhr länger gelegen ist. Hilfreich ist auch, dass es sich bei diesem Uhrwerk um ein Automatikwerk handelt, sonst müsste man sich eine andere, etwas größere Krone wünschen. Aber zum Ankurbeln des Uhrwerkes und zum Einstellen der Uhrzeit wie des Datum reicht die vorhandene Krone bei weitem aus. Wem wirklich langweilig ist, der nimmt die Uhr ab und dreht sie um. Durch den Glasboden kann man dem Werk beim Werkeln zusehen. Ob das zu sehende Uhrwerk schön genug verziert ist oder nicht, ist Ansichtssache, in der Hauptsache aber eine Preisfrage. Wie viel Aufwand darf man für $265.- erwarten? Wem das Gebotene zu schlecht ist, der kann ja einmal bei einem Schweizer oder Deutschen Hersteller nachfragen, was er für diese Summe bekommt. Ich finde, wenn man die knallrote, dick gepolsterte Kunstlederschatulle öffnet, in der sie geliefert wird, hat man schon ein Prachtstück vor Augen. Das liebevoll gestaltete User Manual, das zugleich Garantiekarte ist, rundet das Bild angenehm ab. Man sollte sich von dieser Bedienungsanleitung aber nicht zu viel erwarten. Neben den Worten “Shanghai” und “USER MANUAL” gibt es nur mehr ein paar Worte des Garantie-Teiles, die sich mit Englischkenntnissen lesen lassen, der Rest ist in Chinesisch gehalten. Viel Spaß beim Lesen und………..

 

Einen schönen Tag noch………………….

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