Wenn mich jemand vor ein paar Wochen gefragt hätte, ob ich schon einmal am Kühlhauskopf bei Hollenstein an der Ybbs war, dann hätte ich wohl geantwortet “Nein, ich bin kein Dachdecker. Außerdem hab ich gar nicht gewusst, daß es in Hollenstein ein Kühlhaus gibt”. Hört sich vielleicht blöd an, aber mit dem Begriff Kühlhauskopf konnte ich einfach nichts anfangen. Auch mit dem Namen Hegerberg konnte ich nichts anfangen. Ich hab allerdings die Angewohnheit, meine Wanderkarten (Karten für Eich- und Vermessungswesen im Maßstab 1:25 000) nach lohnenswerten Zielen in der näheren oder auch weiteren Umgebung meines Wohnsitzes zu durchsuchen. Diese Karten haben eine dermaßen gute graphische Darstellung des Geländes (Ich bin auch beim Militär im Lesen dieser Karten besonders geschult worden), daß sie mir wertvolle Hinweise auf lohnende Wanderungen bieten. Und so fand ich den Höhenzug, in dessen Verlauf sich Gipfel mit den Namen Wasserkopf 1442m, Lärmerstange 1477m und Hochdreizipf 1466m befinden. Diese Gipfel wiederum, mit ein paar weniger markanten Nebengipfel, befinden sich im rund 12km langen Höhenzug des Hegerberges vor Hollenstein.
Vor zwanzig Jahren wäre ich nach ein bisschen Vorausplanung einfach losgefahren und hätte, vielleicht mit mehreren Erkundungsanläufen, den Höhenzug begangen. Einen Computer hatte ich damals zwar, aber kein Internet. Das Usenet war für Recherchezwecke kaum brauchbar. Heute schaut das anders aus, und daher hab ich mich einfach einmal auf die Suche nach ein paar Tourbeschreibungen gemacht. Die brauch ich nicht, um sie ohne eigene Vorarbeit einfach nachzugehen, sondern ich verwende solche Berichte und die Fotos einfach dazu, die Vorfreude zu erhöhen. Und genau diese Suche nach Vorfreude brachte mich zum Kühlhauskopf, den ich sonst sicher nicht beachtet hätte.
Irgendeiner der zahlreichen Bloger beschrieb den Weg zum Wasserkopf und hatte auch ein Foto vom Gipfel des Kühlhauskopfes eingestellt. Der Name Kühlhauskopf war mir, wie schon gesagt, unbekannt. Dieser Name war aber nicht das ausschlaggebende an meinem Interesse, sondern das Foto, daß eine Art Steinpyramide zeigte und die Bildunterschrift “Gipfelpyramide am Kühlhauskopf”. Eine steinerne Pyramide statt eines Gipfelkreuzes? Das muß einen besonderen Grund haben! Und so machte ich mich auf die virtuelle Suche nach den Hintergründen für dieses Bauwerk am Kühlhauskopf und wurde sehr schnell fündig.
Ich fand eine PDF vom Musealverein Waidhofen mit dem Namen “Der Auboden – Pyramide bei Kleinhollenstein” von Heimo Freundthaller, die sich mit der Pyramide am Kühlhauskopf und deren Hintergrund beschäftigt, und war sofort gefesselt. Es ist quasi die Geschichte eines Rechtsstreites, der sich am Anfang des 19. Jahrhunderts zwischen der Stadt Waidhofen an der Ybbs und dem österreichischen Staat abspielte und den Besitz des Hegerberges mit seinen ausgedehnten Wäldern klären sollte, von dem das Überleben eines von der Stadt Waidhofen in Hollenstein betriebenen Hammerwerkes abhing. Und das passte genau in eines meiner Interessensgebiete, die Hammerwerke im Ybbstal.
Ja, aus heutiger Sicht waren die Ereignisse damals, am Anfang des 19. Jahrhunderts, vielleicht kein großes Ereignis. Für mich, der nicht unbedingt glaubt, daß Strom und Wasser schon immer aus der Wand kamen und das alles schon immer so war wie heute, ist es jedenfalls eine recht interessante Geschichte, und genau diese Geschichte war der Grund, dem Kühlhauskopf aufs Dach zu steigen. Ich wollte dieses Denkmal, diese kleine Pyramide mit eigenen Augen sehen, vor ihr stehen und sie anfassen. Und das hab ich am Freitag, den 27. August 2021 getan.
Treffpunkt 7 Uhr bei der Tankstelle, Kaffee trinken und die Lage besprechen. Schlechtwetter war angesagt, aber es sollte sich im Verlauf des Tages aufklären, beziehungsweise es sollten regional sehr durchwachsene Bedingungen herrschen. Trotzdem im Süden, also genau in Richtung unseres Zieles, schwarze Wolken vorherrschten, beschlossen wir, einfach einmal los zu fahren und zu sehen, wie sich das entwickelt, und je weiter wir uns Hollenstein und dem Hegerberg näherten, desto egaler wurden uns die Witterungsverhältnisse. Ich wollte da rauf zur Pyramide. Heute! Bei jedem Wetter! Beim Abzweig zum Saurüssel biegen wir rechts ab, um sofort in die erste Schotterstraße zu fahren, wo wir zwischen den zahlreichen Holzstößen einen Platz aussuchen, bei dem wir, hoffentlich, am wenigsten störten. Dann umziehen, Rucksack auf den Rücken, Hund an die Leine und los geht’s.
Earthview Kühlhauskopf am Hegerberg
7:56 Uhr. Seehöhe 444m. Es ist stark bewölkt, kühl, aber nicht kalt. Wir gehen los.
Schon nach wenigen Minuten erreichen wir dieses Wegkreuz…………
…….und nach ein paar weiteren Minuten diese Brücke, an der unser kleines Abendteuer beginnt. Hier könnte man laut Karte einfach der Forststraße folgen, bis man weit oben auf ungefähr 1000m ziemlich genau im Eck, in dem die Anfänge des Aubodenbaches runterfallen, ins (weitgehen weglose) Gelände abbiegt und zum Kühlhauskopf aufsteigt. Diese Variante wollen wir aber im Abstieg begehen. Ich entschied mich bei der Planung, dem in meiner Karte eingezeichnetem Karrenweg zu folgen, der genau dem Verlauf des Aubodenbaches entsprechen sollte. Falls es diesen Weg überhaupt noch gibt. Die Karte ist rund 25 Jahre alt und Wege oder Steige, die darauf eingezeichnet sind, findet man in der Natur oft nur mehr in Spuren oder gar nicht.
Am Anfang folgen wir diesem schön sichtbaren und kaum verwachsenen Karrenweg, der zu einer Wildfütterung führt. Ab dann ist es vorbei mit der Gemütlichkeit. Kraut verwuchert mehr oder weniger dicht den Weg und dann kommen die Brücken!
Der alte, teilweise verfallene Ziehweg neben dem Bach wird nie langweilig.
Das ist eine Brücke. Oder sagen wir so: Das war einmal eine Brücke. Jetzt sind es noch die mehr oder weniger stabilen Überreste davon. Misstrauisch schau ich mir diese alte Holzkonstruktion an und schicke Eddie als Vorhut vor. Also seine sechs Kilo werden von der Brücke locker ausgehalten. Dann kann ich mit meinen achtzig Kilo ja beruhigt folgen. Ich versuche mir vorzustellen, wie das hier ausgesehen haben mag, als der Karrenweg, die Brücken noch aktiv waren. Das muß schon sehr, sehr lange her sein. Der Weg existiert teilweise überhaupt nicht mehr und man muß im Bachbett seinen Weg weiter suchen. Wurde wohl über die Jahrzehnte alles vom Schmelzwasser weggeschwemmt. Dafür ist das jetzt für Wanderer und alte Wegsucher wie uns recht interessant.
Die folgenden Brücken, oder deren Überbleibsel, sind in einem wesentlich desolaterem Zustand und müssen teilweise im Bachbett umgangen werden. Hier zahlen sich wasserdichte Wanderstiefel wirklich aus.
Hier ist man ständig auf der Suche nach einem begehbaren Weg durchs Chaos aus umgefallenen Baumstämmen, zusammengebrochenen Wegstücken und Gemüse, daß Brusthoch steht. Speziell für Eddie ein wahres Abendteuer.
Teilweise braucht’s hier sehr viel Phantasie, um einen Weg zu erkennen.
Solche Wegabschnitte sind für Eddie nicht mehr wirklich lustig, aber er nimmt’s mit Fassung.
Auch das war einmal eine Brücke. Lang, lang ist’s her.
Trümmerhaufen aus Holz wechseln sich mit dichtem Kraut ab. Eddies Makeup hat schon ein wenig gelitten.
8:59 Uhr: Grade, als das Vorwärtskommen wirklich immer mühsamer wird, zweigt linker Hand ein schöner, breiter Steig aus dem Graben auf eine Weide ab und ich denk mir, “Das wird doch nicht der Standort der (in der Karte eingezeichneten) Hütte sein?” Genau so ist es. Hier steht in schöner Lage auf 720m die Jagdhütte, an deren Veranda wir bei leichtem Regen rasten.
9:14 Uhr. Ab hier folgen wir dem geschotterten Weg bis zur Forststraße (zweimal NICHT nach rechts abbiegen!) und steigen dann rund 300 weitere Höhenmeter auf.
Ab hier gibt es auch gelegentlich eine schöne Aussicht.
Die Wettervorhersage der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik stimmt. Das Wetter ist regional sehr wechselhaft. Hier regnet es grade recht ordentlich. Salzburger Schnürlregen in Niederösterreich.
10:04 Uhr. Nach zwei Stunden haben wir die Stelle erreicht, an der wir zur Pyramide aufsteigen. Auf der Karte ist diese Stelle leicht zu erkennen. In dieser Linkskurve ist rechts ein Winkel, in dem der noch sehr kleine Aubodenbach über Felsen herunterstürzt. Gleich ein Stück weiter, beim blauen Holzpflock, wo Sonja steht, ergibt sich die Möglichkeit, ins recht steile Gelände einzusteigen. Es ist sehr naß und ich weiß nicht, wie rutschig der Waldboden bei diesen Verhältnissen sein wird. Noch weiß ich nicht, was ich davon halten soll.
Wir steigen am Anfang recht direkt auf, so gut es halt geht, queren dann etwas weiter nach links und erreichen einen sehr schön erkennbaren Kamm, der uns nach oben führt. Teilweise sind die Verhältnisse etwas unangenehm. Bäume liegen wild herum, alles ist naß und rutschig. Der alte Pyramidenweg ist teilweise erkennbar, wobei man nie sagen kann, ob es sich wirklich um den alten Steig handelt, oder neueren Spuren, weil alles irgendwie kreuz und quer durch den Wald führt. Am sichersten ist es, sich so lange etwas links haltend nach oben zu mühen, bis man den Kamm zur Linken sieht, und diesem dann bis zum Gipfel zu folgen. Der Kamm ist der beste Wegweiser. Aussicht gibt’s allerdings, bis auf wenige Ausnahmen, keine. Der Wald entschädigt mit Steilheit und Wildheit.
Einer der wenigen, aber recht markanten Aussichtspunkte, die entlang des Kammes unübersehbar sind.
Für Eddie ist dieser Aufstieg recht mühsam. Das herumliegende Gehölz erfordert seine ganze Fitness und Aufmerksamkeit. Einmal oben drüber, dann wieder unten durch. Immer gibt’s eine neue Herausforderung, langweilig wird’s nie.
Diese Felsformationen sind ein deutlicher Wegweiser für den Abstieg.
11 Uhr: Wir kommen immer höher, steigen über eine weitere Kuppe und………….mein Herz hüpft vor Freude. Die Pyramide. Wir sind da!
In einem der von Heimo Freudenthaler ausgegrabenen Schriftstücken (“Waidhofen Journal” von Sebastian Petter) über diese Pyramide steht geschrieben: “Am 30. August 1843. Gestern ist der ganze Magistrat und Ausschuß mit anderen Bürgern der Stadt Waidhofen, sowie auch von Hollenstein mehrere geladene Gäste, auf den Auboden zu Hollenstein gefahren. Diesen Auboden, ein sehr großer und holzreicher Wald, hat die Stadt vor mehreren Jahren durch die Führung eines Prozesses, welchen Dr. Sonnleitner für die Stadt führte, von der Stadtherrschaft Waidhofen erworben. Dieser für die Stadt und insbesondere für das städtische Hammerwerk Klein-Hollenstein erworbene Auboden ist die größte und wertvollste Realität der ganzen Stadtgemeinde, und wegen diesem errungenen Sieg wurde heute eine Pyramide mit Inschriften gesetzt; sodann ein Feuerwerk abgebrannt und gezecht”.
Die Pyramide hat an jeder Seite eine Ausnehmung, in denen Tafeln mit Inschriften eingelassen waren. Diese Tafeln sind verschollen, die Inschriften sind allerdings durch alte Dokumente überliefert.
Nach Aufzeichnungen in der Broschüre “Bothe aus dem Ybbs-Thale – Kalender für das gemeine Jahr 1869” eines Moritz Alois Becker lauteten die Inschriften der Gedenktafeln (Schreibweise wie im Original):
Östliche Seite: Inauguriert am 30. August 1843 in Gegenwart des Stadtmagistrates Waidhofen der sämmtlichen Bürgerausschüsse und vielen ehrenwerten Nachbarn.
Nördliche Seite: Aubodenwald Eigentum der Stadt Waidhofen an der Ybbs Aeragröße 594/64 Joch
Westliche Seite: Behauptet mit allerhöchstem Urtheile d.d.29. März 1826 / 10. April 1827
Südliche Seite: durch treffliche Vorsorge des P.T. Herrn Josef Halauska Stadt Syndikus
Warum dieser Gedenkstein erst 1843 errichtet wurde, darüber kann man wohl nur mehr spekulieren. Heimo Freundthaller (der Ersteller der PDF) meint, es könnte etwas mit den besonderen Verdiensten des auf einer Tafel (südliche Seite) genannten Syndikus Josef Halauska zu tun haben, der 1843 sein zwanzigstes Dienstjubliäum im Magistrat Waidhofen feierte.
11:24 Uhr: Es ist Zeit zu gehen. Warm angezogen, weil es sehr kalt wurde, treten wir etwas unwillig den Abstieg an. An einem warmen Tag wäre ich sicher noch eine Weile dort oben bei der Pyramide sitzen geblieben.
Beim Abstieg war die Nässe wesentlich unangenehmer als beim Aufstieg. Sicher, auch wenn das hier recht steil ist, wirklich abstürzen kann man nicht, selbst wenn man ausrutscht. Man hat ja nötigenfalls einen Baum als Bremsbock. Meistens jedenfalls. Andererseits bieten die vielen umgefallenen Bäume und herumliegenden sonstige Trümmer genug Fußangeln, um hinzufallen. Weh tun möchte man sich hier sicher nicht.
Im Trockenen ist es hier sicher angenehmer als im Nassen, im großen und ganzen geht der Abstieg aber recht gut.
12:11 Uhr. Wir sind wieder bei der Forststraße angekommen. Nachdem wir ja zum ersten Mal hier waren, hab ich mich beim Abstieg um ungefähr 50m zu weit in östlicher (also in Abstiegsrichtung nach rechts) Richtung verschätzt (was ich für eine erstaunliche Präzision halte!) und wir sind hier bei diesem Abbruch rausgekommen. Meine größte Sorge war hier, wie ich Eddie über die Abbruchkante bekomme, ohne daß er runter fällt. Kurz fragte ich mich sogar, wer zuerst runter fällt. Ich oder der Hund? Die Leine und das Geschirr waren dann recht hilfreich, aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Aktion recht elegant ausgeschaut hat. Na, egal. Operation gelungen.
Das leuchtende Gesicht sagt, es hat Spaß gemacht.
Ab jetzt geht’s rund 600 Höhenmeter bis zum Ausgangspunkt auf dieser Forststraße zurück. Das ist aber nicht langweilig. Es gibt einiges zu sehen.
Hier haben wir nochmals den Kühlhauskopf genau vor uns.
Hier schauen wir schnurgrade genau auf die Stelle an der Forststraße rauf, an der wir vorhin aus dem Wald gefallen sind.
Es gibt nochmals was zu mampfen.
Der Vorteil dieser Abstiegsvariante ist, daß man hier öfters einen schönen Ausblick hat.
Und hier sind wir wieder bei der Brücken, an der wir beim Aufstieg in den Karrenweg eingebogen waren. Jetzt schließt sich der Kreis.
13.56 Uhr. Nach sechs Stunden und rund 900m im Auf- und Abstieg sind wir wieder am Ausgangspunkt. Bei der Heimfahrt haben wir (ich glaub, alle drei) gestrahlt wie die Kinder zu Weihnachten. Der Kühlhauskopf hat wirklich Spaß gemacht. Wenn ich nicht vergesse, könnte ich am 30. August 2023 den Kühlhauskopf in eine Wanderung einbeziehen. Das wäre das 180. Jubiläum der Pyramide, ich bin dann dreiundsechzig und mein Hund sieben. Triftige Gründe, wieder zur Pyramide am Kühlhauskopf zu steigen.