Der Saurüssel ist einer jener Berge, die uns seit Monaten auf die Nerven gehen, weil sie über längere Zeiträume immer wieder in unserem Blickpunkt stehen im Wissen, daß wir noch nicht da oben waren. Daß dieser Berg, an dem ich seit Jahrzehnten vorbei fahre, der Saurüssel ist, weiß ich, seit mir Fred erzählte, er werde am nächsten Tag auf den Scheiblingstein gehen. Auf die Frage, von wo aus, kam die Antwort “Vom Saurüssel”. Ich kannte nur einen Saurüssel. Es ist die Straße, die von Weyer nach Hollenstein an der Ybbs führt und von der aus man den Scheiblingstein, den wir meinten, mit Sicherheit nicht besteigen kann. Da er aber selber nichts genaueres wusste, weil er mit einer Gruppe mit ging, machte ich mich auf der Karte und im www auf die Suche und wurde fündig:
“Der Saurüssel (1348 m) ist eine markante Erhebung zwischen Langau und Holzhüttenboden (etwa 4 km südlich von Lackenhof). Vom Scheiblingstein (1622 m) im Westen trennt ihn das Tal der Ois (Ybbs), nördlich grenzt der Winkelbachgraben den Aufschwung des Kl. Ötschers (1552 m) ab. Im Osten schließen ohne nennenswerte Talung der Jägerberg (1366 m) und die Feldwiesalm (1312 m) an.”
Quelle
Schnell war sein Standort ausgemacht und oh Schreck! Dieser Saurüssel steht genau gegenüber dem Wanderparkplatz am Eingang des Taglesbachgraben. Ich war also unzählige Male an ihm vorbei gefahren, hatte ihn vom Kamm zwischen Lehardi und Scheibe oft genug gesehen, seinen Namen aber nie gekannt. Ja, ich weiß, es gibt schlimmeres. Ein Glasauge, ein Holzbein oder schlicht und einfach strohdumm zu sein ist schlimmer. Jetzt war ich aber schlauer und ab sofort begann dieser Saurüssel zu nerven. Wann immer wir mit den Motorrädern an ihm vorbei fuhren, schaute ich nach oben und mich ärgerte, daß dieser Mugel von mir noch unbestiegen war. Vom Zwieselberg aus hatten wir ihn wieder genau vor der Nase und es war klar, dem rücken wir demnächst auf den Pelz. Es hat dann noch drei Monate gedauert, aber heute ist er gefallen. Wir waren am Saurüssel!
Karte Austria Map AEV mit GPS-Track
Geländeübersicht auf Mapy.cz mit GPS Track
9:45 Uhr. Am kleinen Parkplatz gegenüber vom Winkelbachgraben parken wir den noch kleineren Opel und ziehen uns gleich Regenhose wie GTX Jacke an, weil es leicht regnet. Die Wetterfrösche sagen aber ab rund 10 Uhr eine deutliche Wetterbesserung vorher, die sich ja auch schon bemerkbar macht. Grade noch hat es recht stark geregnet, aber als wir hier ankamen, wurde der Regen deutlich weniger. Start der Tour auf rund 690m Seehöhe bei 6°C.
Ein Blick über die Bundesstraße 71 genügt und wir sehen unser Ziel. Der Saurüssel ragt von hier aus steil in die Höhe.
Waldorf & Statler beim Abmarsch.
Wir queren auf einer Holzbrücke die Ois (die ab Lunz am See zur Ybbs wird) und gehen in den Winkelbachgraben.
Ich hab meine alte Karte ÖK25V Blatt 72 mit, das Navi mit einem Track und das Handy mit Mapy.cz. Heute will ich mir gleich einmal anschauen, was die Dinger können. Gleich hier sollte ich eigentlich der Forststraße rechts folgen, Mapy sagt aber, gradaus weiter, weil es da vorne einen Steig gibt, der die lange Linkskehre abkürzt. Das ist genau die selbe Ansage, wie wenn man bei Google Maps eine Route fährt und die Stimme sagt den Weg an. Finde ich gut, weil man das Telefon im Hosensack eingesteckt lassen kann.
Wir folgen der in der Karte nicht eingezeichneten Straße etwa 100m weit neben dem rauschenden Winkelbach, bis Markierungen einen Steig nach rechts oben anzeigen.
10:02 Uhr. Wir haben auf unserer Abkürzung wieder die Forststraße erreicht, auf der wir weiter aufsteigen.
“Folgen sie der Straße fünf Kilometer” sagt Mapy.cz. Fünf Kilometer sind es etwa bis zu einem Kreuzungspunkt, der auf Karten “Seilerstätte” heißt und auf knapp 1200m Seehöhe liegt.
Rückblick zum Scheiblingstein gegenüber, der sich im Dunst verbirgt.
10:22 Uhr. Wir kommen an einem Abzweig vorbei, auf dem man die Westseite des Saurüssel umrunden könnte, bis man auf der anderen Seite (Süden) auf die Forststraße trifft, die wir beim Abstieg verwenden.
10:28 Uhr. Wir kommen an einem Steig vorbei, der nach rechts oben führt und als Weg zur Feldwiesalm bezeichnet ist. Wenn dieser Weg in Richtung Seilerstätte führt, wäre das für uns eine schöne Abkürzung, aber der Steig ist in keiner Karte verzeichnet. Nach den letzten massiven Regenfällen schaut mir dieser Steig ehrlich gesagt gar nicht gut begehbar aus und wir entscheiden uns für die Straße. Weiter oben sehen wir die Stelle, wo dieser Steig wieder auf die Straße trifft und auch die Weiterführung ist klar erkennbar und gut gekennzeichnet wie auch in Karten eingezeichnet.
So schaut der Steig heute nach Regenfällen aus. Er ist kaum von einem Bachbett zu unterscheiden.
10:32 Uhr. Nachdem wir mit den Wetterberichten bzw. Prognosen über weite Teile des Sommers praktisch zum Narren gehalten wurden, weil das alles nicht viel mit der Realität zu tun hatte, stellen wir fest, daß man sich seit rund zwei Monaten wieder auf die Wetterfrösche verlassen kann. Die zugesagte Besserung scheint grade ihren Anfang zu nehmen, erstmals sehen wir einen Flecken blauen Himmel und der Regen hat aufgehört.
10:35 Uhr. Wir kommen an einer Jagdhütte vorbei.
10:46 Uhr. Links zweigt ein Weg zum Ötscher (Riffelsattel) ab.
Hier kommt das Wasser einfach so aus dem Boden geschossen
… fällt ein reißender Bach durch eine Schlucht herunter in den Winkelbach. Das ist das Besondere an Wanderungen nach massiven Regenfällen. Sämtliche Bachbette, die im Hochsommer meist trocken sind, führen nun große Wassermengen, die tosend in die Tiefe rauschen. Die große Herausforderung beim Forststraßenbau war hier, daß diese Wassermassen nicht jedes Mal die Straße zerstören.
11:31 Uhr. Wir haben auf der Forststraße eine große Rechtsdrehung gemacht und bewegen uns jetzt in Richtung Westen und zur Seilerstätte. Genau nördlich von uns liegt der Kleine Ötscher.
11:39 Uhr. Forststraßenkreuzung Seilerstätte. Von hier aus könnte man zum Goganz 1434m und zur Feldwiesalm weiter wandern. Das haben wir in umgekehrter Richtung im Frühjahr vor.
Rückblick zur Kreuzung Seilerstätte. Dort hatte sich Mapy.cz wieder zu Wort gemeldet. “Folgen sie der Straße noch weitere zwei und einen halben Kilometer”. “Geht klar, machen wir” sag ich und wir stapfen weiter.
Ein kurzer, aber eindrucksvoller Blick zum schneebedeckten Ötscher 1893m.
Fliegenpilz ist besser als Fußpilz
11:49 Uhr. Wir haben plötzlich einen Ausblick, daß uns die Augen übergehen.
Blick nach Südwesten zum Dürrenstein 1878m
Blick nach Süden über Oistal und B71 zu Zwieselberg 1463m und Elferkogel.
Der Goganz im Südosten 1434m und im Hintergrund der Große Zellerhut 1639m
Wir wandern momentan genau gen Westen. Links hinten der Dürrenstein, gradaus vor uns der Bärenleitenkogel am Kamm zwischen Dürrenstein und Scheibe, den wir erst am letzten Montag wieder einmal heimgesucht haben.
Die Forststraße windet sich nun aussichtsreich um die südliche Flanke des Saurüssel stetig höher hinauf.
Tiefblick nach Süden ins Tal der Ois. Rechts im Vordergrund das Alpl 1425m, das, wie alle Berge entlang der B71, auf unserer Liste steht.
Wir nähern uns dem westlichsten Punkt dieser Forststraße. Vor uns der Bärenleitenkogel, links hinten der Dürrenstein.
Wo sich die Straße scharf nach rechts dreht, hat man einen traumhaften Ausblick auf Scheibe, Scheiblingstein und Bärenleitenkogel. Am 22. September 2021 haben wir diesen wunderschönen Kamm bei halbwegs miserablen Wetter inklusive Schneefall vom Taglesbachgraben aus über “Am Fleck” begangen und hatten dabei viel Spaß.
Wir stehen am westlichsten Punkt der Straße und schauen ziemlich genau nach Norden.
Von hier aus folgen wir einem abzweigenden Ast dieser Straße (die sich gradeaus gleich einige Meter von hier entfernt im steilen Gelände verliert) rechts aufwärts…
… und haben dabei den Gipfelbereich des Saurüssel genau vor uns. Da am Kahlschlag wollen wir nach oben steigen. Die Straße, die sich da hoch zieht, soll laut Karten um den Saurüssel herum in die Nordflanke führen. Wir beachten das vorerst nicht weiter.
Oisa, geh mas au (Also, fangen wir an)
Ein paar Höhenmeter haben wir schon geschafft. Die Aussicht wird grandioser.
Das Gelände wird steiler, felsdurchsetzter und immer mehr Trümmer von Schlägerungsarbeiten liegen herum. Ich muß ja auch einen Weg finden, der für Eddie machbar ist. Hier erleben wir ein seltsames Phänomen. Grade war es in der Sonne nach recht warm, aber plötzlich reißen eisig kalte, scharfe Windböen an unserer Kleidung. Ich hab nur die Strickjacke an, die GTX Jacke ist im Rucksack, aber bei jeder eisigen Böe wird mir kälter und kälter. Ich dreh mich einmal um und der Dürrenstein steht in einem eisigen Grau. Mir schwand böses, ich kann aber keine Anzeichen für einen dramatischen Wetterumschwung sehen.
Das schaut teilweise wild aus, ich finde jedoch immer wieder einen Weg, um die Trümmer zu umgehen. Das Gelände beginnt sich auch schon zurückzulehnen. Wir nähern uns dem Gipfel und die eisigen Sturmböen enden genau so plötzlich, wie sie begonnen haben.
Rückblick zum Dürrenstein, der in kaltes Grau gehüllt ist.
12:28 Uhr. Gipfel Saurüssel 1348m. Im Hintergrund das Alpl 1425m
Westlich von uns Scheibe, Scheiblingstein und Bärenleitenkogel
Im Nordosten der Kleine Ötscher und der Ötscher
Eine seltsame Stimmung herrscht hier heroben. In einem Teil der Landschaft ist blauer Himmel und Sonnenschein, in einem anderen Teil herrscht eisiges Grau. Wir wollten eigentlich am Aufstiegsweg wieder absteigen, was mir aufgrund der vielen Holztrümmer gehörig auf den Wecker geht, um es freundlich auszudrücken. Ich such nach einer Alternative. Laut Karte sollte die Forststraße, der wir bis zum Kahlschlag folgten, unterm Gipfel herum bis genau nach Norden weiterführen. Wenn wir hier jetzt in etwas nordöstlicher Richtung absteigen, müssten wir auf diese Straße treffen. Ich geh nachschauen, ob ich etwas sehe, finde auch einen breiten Kamm, aber dann trifft mich fast der Schlag. “Sonja, da hinten ist eine Straße” ruf ich ihr aus vielleicht zehn Höhenmeter unterm Gipfel zu. Na ja, die Straße, der wir bis zum Kahlschlag folgten, um dort mühsam aufzusteigen, führt hinten herum mit einem Abzweig bis fast zum Gipfel des Saurüssel.
Unweit unterm Gipfel steht dieser hohle Baum, von dem ich mir kaum vorstellen kann, wie der so lange hier stehend überstanden hat.
Kurioser Blick durch einen Riss aus dem inneren des Baumes.
Von hier aus sieht man gar nicht, daß der Stamm komplett hohl ist. Im Hintergrund der Gipfel des Saurüssel.
Die Forststraße, die in der Nähe ihr Ende findet. Wir folgen ihr im Uhrzeigersinn um den Gipfel herum bis zu der Stelle, an der wir rauf gekommen sind.
Hier erhaschen wir sogar einen Blick zur Gemeindealpe 1626m
Durch Zufall sind wir also am Saurüssel eine richtige Gipfelrunde gegangen.
Blick zwischen Zwieselberg und Alpl zum Hochschwab
13:04 Uhr. Wir sind wieder an der Stelle, von der aus wir zum Gipfel hochgestiegen sind.
Der Sperrriegel aus Felsen, der verhindert, daß man hier heroben eine Straße um den Berg herum bauen kann.
Wir gehen nicht am selben Weg zurück, auf dem wir gekommen sind, sondern steigen in einem halbwegs steilem Hang zu einer weiter unten gelegenen Forststraße ab. Dieser Abstieg geht wesentlich einfacher, als wir uns vorgestellt hatten. Die teilweise steilen Stellen im Gelände kann man schön umgehen und, was am wichtigsten ist, es liegt nur wenig Holzabfall im Hang.
Hollodrio, und runter da über die Böschung. Ich verwende, so oft es geht, einen der zahlreichen Wildwechsel zum Abstieg.
Ich geh voraus Weg suchen, Sonja folgt mit Eddie an der Leine.
Im komm mir vor wie ein Fasan im hohen Gras.
Sowas findet man auch hier. Das muß man umgehen, sonst bleibt nicht nur der Hund stecken.
Napoleon hat hier seine Mütze verloren.
Schlussendlich haben wir die Forststraße erreicht. Dem Abschluß einer erfolgreichen Umrundung mit Besteigung des Saurüssel steht nix mehr im Weg.
Der Rest ist ein einfacher, aber nicht langweiliger Forststraßenhatscher.
Links Zwieselberg 1463m und Elferkogel 1251m, rechts Alpl 1425m und Waldschöckl 1228m.
Laufend tun sich neue Blickwinkel auf.
14:55 Uhr. Da waren wir heute am Anfang der Tour.
Sonja, Eddie und im Hintergrund der Saurüssel
15:00 Uhr. Nach fünf Stunden und fünfzehn Minuten, rund 700 Höhenmeter und knapp 15 Kilometer hat unser Unternehmen Saurüssel sein ENDE gefunden.